Motorradreise 2016 (5): Cinque Terre
Sommerreise.
Montag, 13. Juni 2016, San Vincenzo
Im Slalom schießt die ZZR über die Autobahn. Die Strada Statale 01 ist gefährlich. Nicht, weil sie kurvig ist oder unübersichtlich oder rutschig. Nein, das ist es nicht. Sie führt schnurgerade von Süd nach Nord, die maximale Geschwindigkeit ist 110, und die Verkehrsdichte ist übersichtlich.
Die SS 01 ist gefährlich, weil man allein vom Drüberfahren ein Halswirbelschleudertrauma bekommen kann. Vielleicht auch schon, wenn man die Straße nur ansieht. Durch die heißen Sommer und die oft kühlen Winter ist der Asphalt an vielen Stellen zerbrochen, Unterspülungen haben tiefe Kuhlen und Löcher im Belag hinterlassen, und das die vielen LKW handtiefe Spurrinnen hinterlassen haben, macht die Sache nicht besser. Ich versuche so gut es geht um die größten Schlaglöcher rumzukurven, aber alle zu vermeiden ist schlicht unmöglich. Immer wieder kracht die Renaissance in Löcher und Querrillen, jedesmal tut es einen heftigen Schlag durchs ganze Fahrwerk, jedesmal leide ich mit zusammengebissenen Zähnen mit.
Leider kommt man in der Nordtoskana nur auf der SS01 wirklich voran. Die Alternative wäre, bei Tempo 50 über Dorfstraßen zu schleichen, die in ähnlichem Zustand sind wie die Strada Statale. Die Sonne ist hier unerbittlich und zerbröselt selbst die besten Straßen in wenigen Jahren.
Egal. Ich genieße die Fahr trotzdem. Es ist warm, die Sonne scheint und das Beste: Das Motorrad springt nach der gestrigen Reparatur völlig problemlos an und läuft wie eine Eins.
Nach 80 Kilometern, kurz vor Pisa, geht die SS 01 fast nahtlos in eine mautpflichtige Autobahn über, und ab da ist der Straßenbelag allererste Sahne. Kann man für den Preis auch verlangen, die 140 Kilometer zwischen Cecina und Levanto kosten mich fast 17 Euro Maut.
An der Ausfahrt kommt es zu unerwarteten Problemen. Der Mautautomat will das Ticket nicht annehmen, und ich muss das Motorrad rückwärts aus der Mautspur herausschieben. Hinter der Maschine steht bereits ein SUV, darin eine Frau mit Sonnenbrille, die guckt wie eine Eule. Italien produziert anscheinend eine nie versiegende Anzahl an sonnenbebrillten Eulen in großen Autos, und alle fahren mir hinterher.
Sei´s drum. Ich bin von San Vincenzo aus fast 200 Km nach Norden gefahren. Hier liegen die Cinque Terre. Das sind fünf kleine Fischerdörfer, die hier in die Felsen der Steilküste kleben.
Irgendwie sind die Dörfer Weltkulturerbe geworden und Pflichtprogramm für jeden Ligurientouristen. Schon 2010, bei meinem allerersten Besuch in der Region fragte die Gastwirtin, ob ich in die Cinque Terre wollte. Meine Antwort damals war “Hä?”. Ich hatte von den Cinque Terre noch nie gehört, aber außer mir scheint die jeder zu kennen.
Die Küste geht direkt in die Berge über, deshalb sind die Dörfer vom Land aus schwer zu erreichen. Der beste Weg dorthin ist ein Wanderweg, der Corso Azurro. Der ist so beliebt, dass Eintrittskarten für ihn verkauft werden. Betreten kann man ihn nur über eine Personenvereinzelungsanlage. Ein Wanderweg mit Schranke! Allerdings würde es mir in Motorradanzug und Stiefeln schwer fallen 10 Stunden zu wandern. Deshalb nehme ich das zweitbeste Reisemittel nach den eigenen Füßen: Den Zug.
Die 5 Dörfer liegen zwischen La Spezia und Levanto und sind mit einer Bahnlinie verbunden. Alle 30 Minuten fährt ein Zug, sogar wenn die italienische Bahn eigentlich streikt. Der Bahnhof in Levanto hat große und kostenlose Parkplätze, deshalb fahre ich den an. Die Renaissance bleibt hier zurück, zwischen Vespas und Apes. Im Topcase wird der Helm eingeschlossen, die schwere Jacke muss ich wohl oder übel mitschleppen.
Im Bahnhof gibt es einen extra Cinque-Terre-Infocounter, an dem man eine Wanderkarte, gute Ratschläge und die 5Terre-Card bekommt. Für 8 Euro bekommt man die kleine Karte, mit der man den Wanderweg begehen darf. Für 16 Euro darf man auch alle Züge, Busse und sonstwas in der Region nutzen.
Kurze Zeit später sitze ich im Zug, gemeinsam mit Unmengen von amerikanischen und französischen Touristen. Das verläuft sich auch nicht mehr, denn jedes der 5 Dörfer ist winzig, und vollkommen überlaufen von Besuchern. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie das zur Hauptsaison im Juli und August ist.
Das Wiesel hat auch seinen Spaß und streckt die Nase in die frische Seeluft.
Ich gondele mit dem Zug von einem Dorf zum nächsten. Das geht ganz gut, meist fährt man einfach durch einen Berg, am Ende des Tunnels befindet sich schon der nächste Bahnhof, und der liegt meist schon mitten im Ort. So sind es denn stets nur wenige Schritte, um in Vernazza den markanten Hafen zu erreichen, oder in Riomaggiore den zentralen Piazza Viagnioli, oder in Monterosso al Mare die Aussichtsplattform auf die Felsküste.
Vier der fünf Dörfer ducken sich in Felseinschnitte. Corniglia ist die Ausnahme, das Dorf thront hundert Meter über dem Meer auf einer Klippe. Da kann man über eine schier endlose Treppe hochlaufen, wenn man irre und/oder gut zu Fuß ist. Oder man nimmt den Shuttlebus, der einen in 15 Minuten hoch auf den Berg bringt.
Mal Ausblick von der Klippe, mal Felsbucht: Die Dörfer der Cinque Terre bieten abwechselungsreiche Eindrücke. Aber in der Summe bin ich unterwältigt. Letztlich ist es überall das gleiche: Meist alte Häuser, wie man sie überall an der ligurischen Riviera findet. Davor drei Nippesläden und vier Restaurants, alle überteuert. Rundrum hunderte von Touristen.
Der Wanderweg, so kann ich aus der Entfernung sehen, ist so voll, dass die Leute quasi im Gänsemarsch hintereinander her laufen. Als ich selbst ein Stück laufen will, ist das nach wenigen hundert Metern wegen Steinschlag gesperrt.
Nee. Keine Ahnung, wer die Cinque Terre zum Pflichtprogram erhoben hat, für mich ist das hier nichts. Ja, es ist toll anzusehen, wie das Wasser an die Felsen klatscht. Aber das gibt es an anderen Stellen in Ligurien auch, und das ohne Millionen von Touristen drumrum. Vielleicht würde ich anders denken, wenn ich hier wandern würde. Aber vermutlich würden mir dann die ganzen anderen gehörig auf den Saqcue gehen.
Gegen Mittag bin ich bereits zurück in Levanto. Dort fahre ich nicht direkt in Richtung Schnellstraße, sondern mache einen Abstecher an die Küste. Das Motorrad parkt auf der breiten Strandpromenade unter Palmen, während ich mir ein dickes Eis im “Il Porticciolo” gönne. Meiner Meinung nach ist das Fruchteis hier das beste der Welt, und das kommt so: Es gibt drei Familien, die hier Gelato machen und seit mehr als 100 Jahren versuchen, sich dabei gegenseitig zu übertrumpfen. Dadurch wurden sie besser und besser, bis zur Weltklasse.
Nach dem verdienten Eis gebe ich der ZZR die Sporen und steuere in die Berge. Die Gegend ist wie gemacht zum Motorradfahren, die Strecken sind kurvenreich und die Verkehrsdichte mäßig. Ist halt letztlich doch sehr abgelegen, dieses Ligurien. Trotzdem das Fahren so nett ist nehme ich wieder die Autobahn, um zurück nach San Vincenzo zu kommen. Dort haue ich mich den Rest des Tages an den Strand. Es ist nämlich Strandwetter, dass muss man ausnutzen.
Auf dem Weg nach Hause besuche ich noch den Supermarkt an der Ecke. Der hat was ganz neues: Kunden mit Kundenkarte dürfen ihre Artikel gleich während des Einkaufs Scannen. An der Kasse wird aus dem Lesegerät der Endpreis übermittelt. So spart man sich eine Minute für das Scannen der Einkäufe.
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