Hinter den Kulissen des Miniatur Wunderlandes
Schön, dass ich dieses Blog führe. So konnte ich schnell mal nachgucken, wann ich das letzte mal im Miniatur-Wunderland in Hamburg war. Gefühlt war das vorletztes Jahr, aber das Blog sagt: Das ist schon vier Jahre her! Seitdem hat sich einiges getan auf der größten Modellanlage der Welt.
Selbst wenn man kein Verhältnis zu Modelleisenbahnen hat, beeindruckt das MiWuLa. Die Anlage ist wirklich gigantisch, sie füllt jetzt zwei komplette Stockwerke in einem alten Kaffeelager in der Hamburger Speicherstadt aus. Der Harz, Hamburg, Mitteldeutschland, die USA, Skandinavien, die Schweiz und, im Oktober erst eröffnet, Italien sind hier mit ihren wichtigsten Merkmalen nachgebaut. In den USA gibt es z.B. den Grand Canyon, Las Vegas und Miami zu sehen, jeweils auf ´s Wesentliche reduziert und wiedererkennbar.
Das MiWuLA kennt sogar Tag- und Nachtwechsel. Alle 12 Minuten wird es für 3 Minuten Dunkel, und in dieser simulierten Nacht sehen manche Teile der Anlage erst richtig toll aus.
Im Abschnitt von Hamburg ist sogar schon die Elbphilharmonie eröffnet. Und geöffnet: Ds Gebäude klappt auf und gibt einen Blick ins Innere frei.
Das Auge kann die Fülle an winzigsten Details des MiWuLas gar nicht fassen. Es ist ein gigantisches, dreidimensionales Wimmelbild, bei dem es auf jedem Quadratzentimeter was zu entdecken gibt. Viele der Miniaturszenen erzählen in einem Bild eine ganze Geschichte.
Manchmal sind es Geschichten aus dem Alltag…
…manchmal spielen sich ganze Dramen ab…
…und manchmal wird es superschräg, wie bei diesen Aliens, die im Amerika-Abschnitt unweit von Roswell ein altes Flugezeug umbauen zu… äh.
Hier schlagen Brecher an den Strand:
Und im Sonnenblumenfeld gibt es gleich mehrere Geschichten zu entdecken.
Manchmal wird es auch mystisch.
In Skandinavien bspw. werden an verschiedenen Stellen Runen gefunden, und an manchen Orten gibt es sogar Elfen zu sehen.
Der Detailgrad der Anlage ist wirklich unglaublich, und immer wieder stelle ich mir unwillkürlich die Frage, wie dieses oder jenes wohl gemacht wurde. Um das zu beantworten bin ich mit Hinnerk hinter den Kulissen des Miniaturwunderlandes unterwegs. Es geht durch winzig schmale Laufwege hinter und unter der Anlage entlang. Hier, im Verborgenen, liegen die “Schattenbahnhöfe”, in denen 1.200 der insgesamt 2.000 Züge der Anlage stehen.
Sechs Personen im Leitstand braucht es, um die Anlage am Laufen zu halten.
Das meiste steuern die Computer, aber die Leute im Leitstand müssen kontrollieren ob wirklich alles fährt. Pro Tag müssen sie dutzende Male ausrücken und entgleiste Züge wieder auf die Spur setzen, verklemmte Weichen gängig machen und verirrte Autos einfangen. Um auf die Anlage zu kommen gibt es verschiedene Wege. Während ich mit Hinnerk untwegs bin, sehe ich, wie sich ein Mitarbeiter auf ein Rollbrett legt und damit auf dem Boden bis zu einem Teil der Anlage gleitet, in dem es eine verborgene Klappe gibt. Die öffnet der Mitarbeiter und steckt den Oberkörper hindurch. “An der Oberfläche ist das ein See”, erläutert mein Guide, “er ist also gerade ein Seemonster. Andere Teile der Anlage sind von unten nicht so gut zugänglich, da müssen wir dann schon mal durch die Landschaft laufen. Wenn das nötig wird, leuchten Lichter auf und zeigen uns genau die Stellen, auf die wir treten können.”
Die Autos fahren ganz allein über die Anlage und folgen dabei in den Straßen eingelassenen Drähten. Wird ein Auto zu langsam, weil der Akku schlapp macht, fährt es von alleine hinter die Kulissen und dort in eine Ladestation. Die sieht aus wie eine Brücke. Kommt das Auto darin zum stehen, wird es von zwei Kupferplatten umgriffen. Jedes Auto hat statt Außenspiegel Ladekontakte, über die es aufgeladen wird.
Ist der Akku voll, kehrt es zurück auf die Anlage und zieht dort wieder seine Bahnen. “Bei sehr kleinen Autos reicht eine Akkuladung ein Tag”, sagt Hinnerk. “Aber der Coca-Cola-Weihnachtstruck, zum Beispiel, mit seinen 150 LEDs – der fährt maximal 20 Minuten. Deshalb fährt der nur Nachts raus. 3 Minuten fahren, 12 Minuten in der Ladestation.”
Eine der aufwendigsten Konstruktionen ist der Airport. Hier starten und landen Flugzeuge, in dem sie hinter den Kulissen in Position gefahren werden. Von unten klinken sich dann zwei Stäbe vorne und hinten den Rumpf ein. Diese Stäbe bewegen das Flugzeug über die Landebahn und lassen sich separat aus- und einfahren – auf diese Weise wird das Flugzeug vom Boden gehoben und Start- und Landewinkel simuliert.
Außer normalen Flugzeugen gibt es noch drei Specials: Die “Bumblebee”, eine dicke Hummel, das Space Shuttle und den Millenium Falcon. “Der steht aber dauernd in der Werkstatt”, brummt Hinnerk, “macht ständig Probleme, die Schrottmühle”. Der Computer randomisiert die Starts, so dass sich nicht voraussagen lässt wann eines der Specials abhebt oder landet. Als ich vielstimmiges Gelächter aus dem Besucherraum höre, ist klar: Gerade dreht draußen die Hummel eine Runde.
“Wir bauen nur Berge, wenn wir was verstecken wollen”, sagt Hinnerk. “Außer in der Schweiz. Bauste ne Schweiz ohne Berge, haste Ostfriesland. Ist klar, ne?” Gerade sitzen wir unter dem Schweizer Gebirge, und Hinnerk erzählt allgemeines über die Technik. Wieviele Tausend Kilometer Kabel und Schienen hier verbaut sind. Oder das teilweise alle 50 Zentimeter Rauchmelder verbaut sind, weil schon der kleinste Schwelbrand schlimme Folgen haben kann.
Oder dass das Team der Techniker und Modellbauer immer wieder neue Lösungen entwickelt, die so noch niemand gebaut hat. Dazu gehört das Wasser im Schiffsbecken, das so exakt gekühlt wird, dass es nicht verdunstet und damit Schimmelbildung auslösen kann, aber auch der Vulkan, der neuerdings auf der Anlage ausbricht. Monatelang hatte man mit Förderbändern und kinetischem Sand experimentiert. Nach eingen Tausend Ausbrüchen verlor der aber immer wieder seine Konsistenz und verklebte die Bänder. Deshalb verwendet man jetzt bewegliche Kunststoffgurte, die von hinten beleuchtet werden.
Hinnerk hat auch noch andere Stories auf Lager. Zum Beispiel die der Charity-Aktion, bei der Grundstücke im MiWuLa zur Auktion gestellt wurden. Am Ende bezahlte ein Bieter über 11.000 Euro für ein Grundstück mit ca. 15 Zentimeter Seitenlänge. Das behält er jetzt lebenslang und darf es bebauen wie er möchte. Bei dem Preis und der Größe heißt das, dass der Quadratmeter rund 150.000 Euro kostet. Das MiWuLa ist damit das teuerste Bauland der Welt!
Am meisten beeindruckt Hinnerk aber, wie seine Chefs, die Zwillinge Gerrit und Frederik Braun, drauf sind. “Die geben den Modellbauern einen Abschnitt und sagen: Mach was Du willst, es muss nur passen. Das einzige, was wir hier nicht machen, sind Krieg und Not und Elend. Aber bei allem was hier gemacht wird, wird nicht gespart.” Davon kann ich mich selbst überzeugen, als wir uns hinter der Anlage an der Wand entlangdrücken.
Ich blicke von hinten auf die Landschaft und dabei Bereiche, die die normalen Besucher von vorne nie sehen können. Selbst im Verborgenen, auf der Rückseite von Häusern, hinter Brücken und Bergen gibt es kleinste Details und Miniaturgeschichten. Auf der Veranda eines Hauses streitet sich eine Katze mit einem Hund um den Inhalt einer umgestürzten Mülltonne, merkwürdige Figuren klettern an Fassaden rum und Hinterhofmärkte finden statt. Da Besucher das hier nie sehen, könnteman es auch weglassen – das wäre wirtschaftlich. Aber so ticken die Leute im MiWuLa nicht. Sie machen das hier auch aus Spass und für das eigene Vergnügen – obwohl das MiWuLa ein echtes Unternehmen mit mittlerweile 360 Angestellten ist.
Hinter einer Brücke beseitigt die Mafia Spuren.
Auf dem Vulkan steht ein Schneeman herum, der von Mönchen besucht wird.
In einem Olivenhain wird schwer gearbeitet…
…während nebenan beim Weinfest schon gesoffen wird:
In einer Höhle wachsen Magic Mushrooms unter UV-Licht. Diese Höhle ist nur von hinten zu sehen, von der Besucherseite ist das lediglich ein überwachsener Wasserkanal.
In Skandinavien ist in einem, nicht von Besuchern einsehbaren Teil der Anlage, der Weihnachtsmann in einem Eisberg gefangen.
“Man muss positiv verrückt sein, um hier zu arbeiten”, sagt Hinnerk. Das erklärt dann auch den Eisbären mit dem Schal, oder das Geisterschiff, das versteckt hinter einem Eisberg liegt und nur ganz selten auf die Anlage fährt, durch einen Eisberg zu fahren scheint und dann wieder verschwindet.
Dabei wird es von einem Magneten an einer Kette, der unter der Tischplatte ist, über das Wasser gezogen.
Immer wieder wird geliebt und gefeiert, in nahezu jedem versteckten Winkel. Auf der Rückseite eines Hauses in der Toskana nehmen zwei Damen ein Sonnenbad.
Auf einem Marktplatz in San Gimignano, den Besucher nicht einsehen können, erliegt eine Gruppe Mönche dem Charme einer Tänzerin.
Im geheimen Weihnachtet es sogar schon. Wenn man genau hinsieht, entdeckt man überall Anzeichen. Auf einer Wäscheleine hängt das Weihnachtsmannkostüm zum Trocknen:
Manche Figuren scheinen ein Eigenleben zu entwickeln, wie diese Nonnen, die anscheinend eine Pause vom Job in der Miniaturwelt machen.
Die Nonnen sind schon Teil des neuen Italienabschnittes, und MAN, der ist gelungen! Ein Jahr Planung, 4 Jahre Bauzeit und 4 Millionen Euro haben die neuen 190 Quadratmeter gekostet. Unterschiedlichste Landschaften gehen hier ineinander über, von Südtirol bis Apulien ist alles mit dabei, wenn auch wild durcheinandergewürfelt. So steht das Castel del Monte aus Apulien neben dem Vesuv aus Neapel, aber wer wird hier schon kleinlich sein? Ich war schon an fast allen diesen Orten und habe sie auf den ersten Blick wiedererkannt.
Wenn es Nacht wird über Pompeji beginnt die Erde zu beben und der Vesuv bricht aus!
Ein Stück weiter ist die Amalfiküste zu sehen, inklusive des dort üblichen Verkehrschaos.
Ruhiger geht es am Teutonengrill in Rimini zu:
Dieses Castell findet sich auf einer Insel vor Neapel:
An die “Spaghettiwestern” der 70er erinnert diese Westernstadt, die eine Filmkulisse ist. Hier wird gerade ein Film gedreht, und wer genau hinguckt, sieht einige bekannte Szenen und Figuren:
Besucher, die genau hingucken, entdecken Lucky Luke:
Was man nur von meiner Warte aus sehen kann: Hinter den Kulissen sitzt Jolly Jumper, Lucky Lukes sprechende Pferd, und lernt seinen Text! Während es von Groupies angemacht wird).
Ein Stückchen weiter fällt mir die Kinnlade runter. Kaum ein Besucher weiß, was dieser Abschnitt von Italien sein soll. Ich schon. Das ist der Park der Monster, der versteckt im Latium bei Bomarzo liegt. Auch der ist detailliert nachgebaut, bis hin zum schiefen Haus!
Überhaupt ist im MiWula-Italien fast alles in Handarbeit entstanden. Hinnerk sagt: “In anderen Abschnitten sind auch mal Standard-Bausätze verbaut, so Häuser und sowas. Aber hier nicht. Unsere Leute sind vor Ort gereist und haben tausende Aufnahmen gemacht, von der Sorte, wie sie kein normaler Tourist macht. Anhand derer sind alle Gebäude und Landschaften dann einzeln nachgebaut worden”.
Das sieht man. Vom Latium geht es in die Cinque Terre. Da war ich ja nun gerade erst, und kann bestätigen: Die sind gut getroffen!
In Südtirol gibt es riesige Apfellagerhäuser zu bestaunen.
Und in der Toskana gibt es erstaunlicherweise keinen schiefen Turm von Pisa, dafür San Gimignano. Ich freue mich, dass man auf das Naheliegenste und Trivialste verzichtet und dafür Perlen umgesetzt hat.
Zu guter letzt geht es nach Rom. Der Bahnhof Roma Termini ist gigantisch. Direkt nebenan liegen die Spanische Treppe, der Vatikan, das Kolosseum und das Monumento Emmanuele Vittoriano II. Durch die Stadt fließt natürlich der Tiber.
Wenn man genau hinschaut, dann entdeckt man auch in Rom irre Details. Die sixtinische Kapelle ist recht offensichtlich. In deren Hinterhof wird gerade das Papamobil repariert.
Jetzt wissen wir auch, wer die Exorzismus-Experten des Vatikans sind!
Warum ein Eisbär bildhauert, weiß ich nicht. Aber der Apple of Eden aus den vatikanischen Museen ist ein bemerkenswertes Detail, genau wie der Trevi-Brunnen in dem man auf Anita Eckberg leider verzichtet hat).
Nächstes Jahr soll Venedig noch angebaut werden, dann ist der letzte, verfügbare Platz zugebaut. Und dann? “DANN”, bollert Hinnerk, “DANN geht es richtig los! Wir sind die beliebteste Touristenaktion Deutschlands, sagt eine Umfrage. Wir kriegen von der Stadt Hamburg mittlerweile alles, was wir wollen. Als die hörten, das wir Platzprobleme bekommen, haben die im Nebenhaus einen Pachtvertrag nicht verlängert. Das heißt: Kommendes Jahr bekommen wir ein zweites Gebäude! Zwischen dem und diesem hier liegt zwar ein Fleet, aber darüber bauen wir eine Brücke. Und dort drüben ensteht dann… England! Wir haben noch Pläne bis 2025, und bis dahin fällt uns bestimmt noch mehr ein!”
Da bin ich mir sicher. Auf jeden Fall ein guter Grund wieder hier her zu kommen. Bis zum nächsten Mal werde ich aber nicht wieder vier Jahre warten. Sechs Stunden habe ich heute hier verbracht, und trotzdem nur einen winzigen Teil der versteckten Geschichten, Witze und Anspielungen gefunden. Da lohnt sich die Rückkehr, zu diesem größten Wimmelbild der Welt. Auch, wenn man vielleicht mit Modelleisenbahnen gar nichts am Hut an.
8 Gedanken zu „Hinter den Kulissen des Miniatur Wunderlandes“
Ich werde verrückt. 🙂
Ist das gut oder schlecht?
Einfach toll!! Hoffentlich müssen wir unseren Besuch dort nicht mehr allzu lange aufschieben. Der Bericht und die Bilder machen neugierig und begeistern.
Ich habe für Euch vorgetestet:-)
Großartig! Jetzt will ich da hin!
Hamburg war ich ja auch noch nicht, freu mich jetzt schon 😉 (Und dann wird auch gleich noch der König der Löwen mitgenommen…) Noch mehr Tipps?
Sag Bescheid, König der Löwen will ich auch rein 🙂
Ansonsten ist in Hamburg natürlich Hafenrundfahrt, alter Elbtunnel und Reeperbahn Pflicht. Ich gucke ausserdem gerne in die Deichtorhallen und das Museum für Kunst und Gewerbe, die haben immer tolle Ausstellungen.
Genial beschrieben und bebildert. Auch wenn ich es selbst schon mehrmals gesehen habe. Es hier noch einmal lesen und sehen zu können macht es perfekt.
Wenn ich verrückt werde, hängt da immer ganz viel dran. 🙂