Motorradreise 2016 (7): Sommer in Siena
Die Sommerreise mit der Renaissance.
Donnerstag, 16. Juni 2016, San Vincenzo
Schon ist eine ganze Woche in San Vincenzo vorbei. Ich verabschiede mich von Licio und Franca und I Papaveri, dann geht es mit der, wieder bepackten, Renaissance gen Norden.
Ungefähr 40 Kilometer vor Pisa gibt es eine weite Hügellandschaft mit Feldern, umschlossen von Bergketten. Da will ich hin, denn auf Luftbildern habe ich da einen See entdeckt, der da eigentlich nicht sein dürfte.
Und tatsächlich, auf einem Schild am Straßenrand steht zu lesen, dass der “Lago di Santa Luce” künstlich ist und von den Bauern angelegt wurde um die Felder zu bewässern. Er ist vor allem: Schön. So eine Wasserfläche inmitten der sonnenverbrannten Felder, das sieht toll aus.
Ich steuere das Motorrad über die weite Ebene, die nach Westen hin durch eine Bergkette begrenzt wird. Von der Bergstraße aus hat man einen tollen Ausblick auf die lichtüberflutete, goldene Landschaft. Kein Wunder, dass der nächste Ort “Santa Luce”, heiliges Licht, heisst.
Dann geht es über die Strada Statale an Pisa vorbei und nach Florenz.
Der Stadtverkehr dort ist die Hölle, wie immer. Die Stadt selbst ist von Touristen überlaufen, ebenfalls wie immer. Wie immer kann ich mich in dem kleinen Modeladen der Familie Evangelisti nicht entscheiden und verlasse das Geschäft am Ende mit gleich 4 neuen Krawatten.
Die Sammlung an Seidenkrawatten mit der Florentiner Lilie als Muster ist mittlerweile so gewachsen, dass wirklich von nahezu jeder Farbe was im Schrank ist. Diese Farben sind es, die diese Langbinder so besonders machen. Sie leuchten und ändern sich, je nach Lichteinfall.
Der Arno führt Hochwasser, ein deutliches Zeichen, dass es in den vergangenen Tagen nicht nur in Deutschland viel geregnet hat. Am linken Ufer ist noch eine große Baustelle zu sehen. Hier ist vor einigen Wochen die Straße auf einer länge von einigen hundert Metern eingestürzt. Zum Glück in der Nacht, und zum Glück nur auf dem Parkstreifen. Aber für dutzende Autobesitzer war es eine unangenehme überraschung, am Morgen ihr Fahrzeug in einem tiefen Graben wieder zu finden, der am Vorabend noch nicht da war.
Vom Einkaufsbummel in Florenz geht es nach Süden, und am Abend läuft das Motorrad in Siena ein und parkt vor dem “Casa Brescia”, einem alten, toskanischen Steinhaus.
Stefano, jetzt schon im 5. Jahr mein Gastgeber hier, begrüßt mich. Auf die Frage nach seinem Wohlbefinden verdreht er die Augen, seufzst theatralisch und stösst hervor “Ich bin so müde, so viel Arbeit, dass kann ein einzlener Mensch gar nicht ertragen”. Ich kann nicht an mich halten und breche in Gelächter aus, denn dieses Leiden an der Welt höre ich schon seit 5 Jahren. Wenn Stefano leidet, geht es ihm gut.
Später am Abend bin ich in der Innenstadt von Siena. Christina, die Besitzerin des kleinen, aber SEHR feinen Haushaltswarenladens “Il Casale” freut sich mich zu sehen, greift unter den Tresen und holt ein großes Paket heraus mit Tischtüchern und Servietten, die sie für mich zurückgelegt hat. Die sind aus dicht gewebtem, schwerem Stoff und bedruckt mit Mustern aus der Zeit der Renaissance, in Farben auf Mehlbasis.
Schön sind die alle, nur ist das Paket leider zu groß, um es auf dem Motorrad bis nach Deutschland zu transportieren. “Kein Problem”, sagt Christina und macht einen Postversand fertig.
Auch Bruno freut sich mich wieder zu sehen und erkundigt sich gleich, wie lange ich diesmal in der Stadt bin. Bruno führt ein Lokal mit der anerkannt schlechtesten Küche von Siena. Lediglich die Pici, eine Art dicker Spaghetti, sind mit Wildschweinsoße genießbar.
Ich lasse den Abend auf dem Campo ausklingen. Die Steine sind noch warm von der Sonne, und ich sitze am Rand des Platzes und beobachte, wie hier gechillt, entspannt, getratscht, gestritten und geliebt wird. Siena, die Stadt, die für mich wie keine andere den Sommer verkörpert, hat mich wieder.
Und amerikanische Touristen gibt es natürlich auch hier. Die trinken an den seltsamsten Orten Rotwein bis zum Rausch und denken, dass wäre italienischer Lifestyle.
Das wenig planvolle der vergangenen Woche setzt sich in den kommenden Tagen in Siena fort. Ich habe kaum Programm, ich will hier nur ein wenig abhängen und dabei ungeplant Dinge entdecken. Einzig eine Führung hatte ich vorab gebucht, durch den Dom von Siena.
Der Dom von Siena – “ein Zuckerbäckermeisterwerk, das seinesgleichen sucht”- so oder so ähnlich steht es in jedem schlechteren Reiseführer. Tatsächlich ist das Ding ziemlich einzigartig, schon ob des Größenwahns, den es verkörpert (die Geschichte dazu hatte ich hier schon mal aufgeschrieben). Beeindruckend ist auch die Organisation, mit der die Besucherströme durch Haupthallen, Bibliothek, Krypta und Museum geschleust werden. Man kann alles zuammen buchen, der auch einzeln, mit oder ohne Touren. Neu ist in diesem Jahr die Porta del Cielo-Tour, die unter das Dach des Domes und auf Außenterassen führt. Das ist beeindruckend anzusehen, und was ich gar nicht gedacht hätte: Die Stützkonstruktion für das schwere, steinerne Dach ist tatsächlich immer noch aus Holz!
Die Tour ist wirklich beeindruckend, bietet sie doch Ein- und Ausblicke, die es so sonst nirgendwo in Siena gibt.
Wieder auf dem Boden mache ich noch einen kurzen Abstecher in das Innere des Doms. Die Fußböden und Decken sind immer wieder beeindruckend.
Notiz: In der Krypta sind die Schnellkassen, an denen man Karten abholen kann. Treffpunkt für die Tour ist die Ecke der Säulenreihe vor dem Eingang zum OPA-Kassenhaus.
Dann Besuch im Museo die Siena – riesig, beeindruckend, endlich fertig renoviert…. bis zu 4 Etagen unter die Erde erstreckt sich der riesige Bau. Dort unten gibt es sogar ganze Straßen, über die früher Pferdekutschen Lebensmittel in das Krankenhaus brachten.
Die heiligen Hallen sind beeindruckend und immer wieder überraschend illuminiert und dekoriert.
Wo bei meinem letzten Besuch Steve McCurrys Meisterwerke leuchteten, steht heute nur eine sehr kleine Fotoaustellung mit relativ uninspirierenden Bildern aus einem Township Südafrikas und eine Austellung alter Contradenflaggen. Nunja.
Natürlich darf auch ein Ausflug in die Crete Senese nicht fehlen, das wenig besiedelte Land südlich von Siena. Das hier ist die Toskana, wie man sie von Postkarten kennt: Sanfte Hügel, weite Felder, Bauernhäuser mit zypressengesäumten Zufahrten. Der Witz dabei: Obwohl das hier die absoluten Touristenmotive sind, gibt es hier keine Touristen! Hier gibt es nur endlose, einsame, kurvige Straßen, über die die ZZR dahinfliegt.
Hier zu Fahren ist die pure Freude, und so wie die Kawasaki zwischen den Feldern dahingleitet, flottieren meine Gedanken davon. Ich denke an nichts mehr, bin eins mit dem Motorrad, fliege allein auf einem endlos scheinenden Asphaltband dahin. So weit und offen wie die Landschaft ist plötzlich der Geist, eine Zen-artige Trance, in der Maschine und Körper eins werden. Meditatives Motorradfahren.
Kurz vor der Grenze zum Latium, der Region von Rom, drehe ich um. Das Wetter wird schlechter, und das Asphaltband der SR2 ist hier dann doch nicht ganz so endlos, sondern gesperrt. Da verbringe ich doch lieber noch einen Abend in Siena, genieße die Wärme, die in den engen Gassen steht, lausche den Straßenmusikern und saueg die entspannte Atmosphäre in mich auf.
Bestimmt eine MIB-Basis. Anders kann ich mir nicht vorstellen, was dieser Raum mit den Münztelefonen und der geheimnisvollen Tür sein soll.
Nächste Woche: Der geheime Tempel
Zurück zur Vorwoche: Von der Bildfläche verschwunden.
Ein Gedanke zu „Motorradreise 2016 (7): Sommer in Siena“
Schöner Einblick – in Deine Krawattensammlung. Aber Du solltestetwas mutiger werden, was die Muster angeht 😉