Freitag, 14. Oktober 2017, Cefalù
Das B&B „Villa Rosa“ in Cefalù liegt auf einem Felsen, an dessem Fuß eine stark frequentierte Bahnstrecke und eine vielbefahrenen Straße vorbeiführen. Davon bekomme ich in der Nacht aber nichts mit und wache erst auf, als Dario seinen altersschwachen Citroen anlässt um zum Bäcker zu fahren.
Wenig später hustet sich der Citroen zurück den Berg hinauf, und als ich gerade aus der Dusche komme klappert Dario auf der Terrasse vor meinem Zimmer mit Tellern. Der Ausblick vom Frühstückstisch auf der Veranda ist fantastisch: Über eine Jasminhecke (und eine Fernsehantenne) blicke ich auf´s offene Meer hinaus, während eine frische, aber warme Brise weht.
Ein kleines Buffet bietet nicht nur Käse, Wurst und Konfitüre, sondern auch Feigen, Tomaten und Kaktusfrüchte aus dem eigenen Garten. Während ich Kaktus kaue, bringt Dario eine Macchina, einen Espressozubereiter, an den Tisch. Ein ganzes Kännchen Espresso, nur für mich! Fantastisch!
Ich werfe den Rucksack ins Auto und verabschiede mich von Dario und von Cefalù. Heute geht es zurück auf Start, zurück zu dem Punkt, von dem aus ich meine Sizilienerkundung begonnen habe: Nach Palermo. Aber nicht auf direktem Weg. Weit in der Peripherie der größten Stadt auf der Insel beginnt eine Ringstraße, die ich nutze um zu einem Viertel um die Stadt herum zu fahren.
Ich bin überrascht, wie schlimm und beängstigend der Verkehr selbst auf dieser äußeren Kraftfahrstraße ist. Die Autos und Rolle bilden teilweise in eine Richtung bis zu fünf Spuren, wo eigentlich nur Platz für drei ist, der Verkehr geht nur im Schrittempo voran.
Noch öfter als ohnehin schon werfe ich Blicke in die Rückspiegel. Ein Motorroller verhält sich seltsam, deshalb beahlte ich ihn im Auge. Schon seit knapp hinter dem Ortsschild summt eine verbeulte Vespa dicht neben dem Twingo her, während der Fahrer immer wieder schnelle Blicke in den Innenraum wirft. Er scheint auszuchecken was auf der Rückbank liegt. Nichts, natürlich, und selbstverständlich sind alle Türen verriegelt – eine Vorsichtsmaßnahme, die ich von Modnerd übernommen habe. Aber auf dem Beifahrersitz liegt das Daypack, und das sieht der Vespafahrer. Dann überholt er und verschwindet im Verkehrsgeknäul. OK, vielleicht bin ich paranoid, und der hat nur zufällig immer wieder ins Auto geguckt.
Ich arbeite mich langsam voran, immer bemüht die richtige Mischung aus Forschheit und Vorsicht zu finden. Ohne forsches Zufahren kommt man nicht voran, ohne Vorsicht kracht es. Zusammenstöße gehören in Palermo aber anscheinend genauso zum Autofahren wie in Neapel. Kein Wagen mit einheimischem Kennzeichen ist ohne Kratzer und Dellen.
Tatsächlich sehe ich sogar, wie ein Autofahrer mit der Stoßstange auf seinen Einfädelwunsch aufmerksam macht. Er fährt kurz und langsam den Wagen vor sich an, dann grüßt er freundlich und alle fahren weiter als wäre gerade nichts geschehen. Sowas kann ich nicht brauchen, ich hätte die Kaution für den kleinen Twingo schon gerne in voller Höhe wieder.
Während ich noch auf den Stadtverkehr fluche, sehe ich den Rollerfahrer wieder. Er steht wartend am Straßenrand und fixiert den Twingo mit Blicken. Ich fixiere ihn und fahre weiter. Er startet seine Vespa und hängt sich an mein Heck. Zum Glück führt mich mein Weg von der verstopften Stadtautobahn runter und auf einen Zubringer. Der ist allerdings noch schlimmer verstopft, und plötzlich, an einer Ampel, ist der Rollerfaher wieder neben meinem Auto, guckt den Twingo an, schaut dann zu einem anderen Roller am Straßenrand und macht eine „Andiamo!“, eine „los geht´s“-Geste mit der rechten Hand.
Ich hatte von Rollerüberfällen gelesen, bei denen im Stau plötzlich links und rechts Roller auftauchen, Türen und Kofferraum aufreißen und das Gepäck klauen. Aber diese Überfälle leben vom Überraschungsmoment. Ich bin fast ein wenig enttäuscht von der mangelnden Raffinesse. Ich nehme Blickkontakt mit dem Rollerfahrer auf und deute mit zwei Fingern auf meine Augen, dann in seine Richtung. „Ich sehe Dich“. Er gibt Gas und verschwindet, ich sehe ihn nicht wieder.
Die Straße führt nach Süden, und sofort hinter dem Ortsschild von Palermo hört das Verkehrschaos wieder auf. Die Fahrt nach Monreale ist frei, und wenig später parkt der Twingo auf einem großen Platz vor den Mauern des, 8 Kilometer vor Palermo gelegenen, Bergdorfes.
Das Dörfchen zieht jedes Jahr Tausende von Besuchern an. Der Grund: Die Kathedrale, die eine sehr besondere Innenausstattung hat. Sizilien wurde ja irgendwie von jedem irgendwann mal erobert. Nacheinander zogen Spanier, Araber, Römer und Griechen hier ein. Die Siziliener liessen die Besatzer machen und gingen weiter ihrem Tagewerk nach. So erklären sich die römischen, maurischen und griechischen Ruinen auf der Insel. Die Kathedrale ist aber ein voll erhaltenes Bauwerk in einem normannisch-byzantinisch-arabischem Baustil, und DAS ist wirklich eine besondere Mischung.
Im Inneren ist die Kirche zu einem Großteil vergoldet, und das resultierende, warme Licht erinnert an St. Marco in Venedig oder die Aya Sofia in Istanbul. Außerdem gibt es Muster, die mich an den hohen Norden erinnern – direkt neben Verzierungen aus dem arabischen Raum. Die Kathedrale ist ebenso verwirrend wie atemberaubend schön. Zusammen mit ihrer schieren Größe fühle ich mich so wie in der Sagrada Familia in Barcelona, die ist genauso verwirrend und groß. Ja, das beschreibt es vielleicht am Besten: Die Kathedrale von Monreale ist eine Mischung aus St.Marco und der Sagrada Familia. Kein Wunder, dass so viele Touristen hier her kommen.
Der Besuch währt nur kurz, dann nehme ich Kurs durch die Berge auf Punta Raisi mit dem Flughafen. Heute ist der Tag des Abschieds, die Wege vom Twingo und mir trennen sich jetzt. Ich tanke noch an der Essotankstelle in der Nähe, dann gebe ich den Wagen bei der Autovermietung am Flughafen ab. Die Abgabe passiert superfix. Der Mitarbeiter läuft kurz um den Wagen rum, checkt den Kofferraum nach illegalen Müllhalden, macht sein Häckchen auf dem Abgabebeleg und schon soll ich gehen. Zwar gibt es nichts zu beanstanden und ich habe wirklich keinen einzigen, neuen Kratzer in die Kiste gefahren, aber trotzdem werden erstmal weitere 200 Euro auf meiner Kreditkarte blockiert. Wegen der Sicherheit, wissen schon.Ich verabschiede mich in Gedanken von dem tapferen, kleinen Auto. Wir haben in den vergangenen sieben Tage EINIGES durchgemacht, und ich hätte nicht gedacht, dass er das so wegsteckt. Ist ein gutes Auto. Hoffnungslos untermotorisiert und viel zu schwer, aber handlich und stoisch. 1.486 Kilometer bin ich in den vergangenen sieben Tagen mit dem roten Spielmobil über die Insel gefahren, fast 200 mehr als geplant.
Ich wandere hinüber zum Abfertigungsgebäude. Ich will den Zug nach Palermo nehmen, aber dooferweise ist die Bahnstation unter dem Flughafen wegen Renovierung geschlossen.

Abflughalle. Oh, eine Steve McCurry-Ausstellung ist in der Stadt. Na, DIE verfolgt mich ja auch überall hin.
Nee, da nehme ich lieber den Bus. Der fährt um die Ecke ab, und zwar zuverlässig alle halbe Stunde. Da kostet die Fahrt nur 5,50 Euro, und der Bus ist klimatisiert und hat sogar WLAN.
Über eine Schnellstraße geht es von Punta Raisi nach Palermo. Ich drücke mir die Nase am Fenster platt und staune über die vielen, hohen Wohnsilos die überall stehen. Hässliche Betonblöcke, in jedem Hunderte von Wohnungen.Wer Göttingen kennt: Das hier ist Groner Landstraße 9a, mal 10.000. Wieviele Einwohner hat Palermo eigentlich? Weiß das jemand? Kann das jemand wissen?
Nach 45 Minuten Bus steige ich am Bahnhof Palermo Centrale aus.
Mit dem Rucksack auf dem Rücken wandere ich rund zwei Kilometer zurück, bis zu meiner Unterkunft. Auf dem Weg dahin laufe ich die Hauptstraße entlang und komme schon an etlichen Sehenswürdigkeiten vorbei. Ich mache „oh“ und „ah“, als ich die große Oper sehe:
…und das Rathaus…
…und die vier Ecken…
…und das Teatro Poliema Garibaldi:Meine Unterkunft findet sich in einem alten Palazzo, einem Wohnhaus knapp 5 Minuten hinter dem Teatro Garibaldi, dem berühmten Veranstaltunghaus. Hier haben Federica und Marco, zwei junge Akademiker, das B&B „Centro900“ eingerichtet. Ich kenne sowas schon aus Rom: Eine Palazzowohnung, die über 100 Quadratmeter groß ist, wird in 3 bis 4 Einzelzimmer aufgeteilt und vermietet.
Mein Einzelzimmer liegt zum Innenhof hinaus, genau wie ich es mag. Die Aussicht ist bescheiden, aber: Es gibt keinen Straßenlärm! Lediglich das Summen der Klimaanlagen ist zu hören.
Das Zimmer ist fast ein kleines Apartment, mit eigenem Flur und einem hübsch eingerichteten Hauptraum. Alles an der Innenausstattung ist neu, aber die Ikea-Möbel sind mit floralen Mustern verziert, und Mucha-Plakate säumen die Wände. Auch das Bad ist modern, wenn auch handwerklich schlecht gebaut. Was mich am meisten irritiert: Es gibt kein Toilettenpapier. Hm. Die italienische Abwassertechnik ist legendär schlecht. Ist es hier in Palermo vielleicht so schlimm mit verstopfenden Rohren, das die Leute statt Klopapier ausschließlich das Bidet nutzen? Eine Gelegenheit zu fragen habe ich nicht, meine Gastgeber haben das Haus verlassen. Das tue ich auch.
Ich laufe noch ein wenig durch die Stadt, bewundere hier mal barocke Architektur und verlaufe mich da mal im Hafen.
Was mir sofort auffällt: Palermo ist eine Mischung aus sehr dichter Besiedelung und Verfall. Jeder Quadratmeter wird bewohnt, selbst in alten Stadtmauern sehe ich Fenster mit Licht dahinter. Manchmal stehen Wohnhäuser direkt neben Ruinen, und manchmal ist ein Flügel eines Mietshauses eine Ruine, während der andere noch bewohnt wird.
Um halb neun ist es schon Dunkel, aber es sind noch fast 35 Grad. Dabei ist es ordentlich windig, ein heißer, trockener Wind wirbelt durch die Straßen. Es fühlt sich an, als würde ich in den engen Gassen gegen einen Föhn anlaufen. Mir gefällt das – in Deutschland sind gerade 25 Grad weniger und Nieselregen. Warm und trocken gefällt mir viel besser als nass und frierend. Was ich nicht weiß: Der heiße Wind ist der Scirocco, der heute Nacht aus Afrika zu Besuch nach Palermo kommt.

Qualmende Küche, mitten auf der Straße. Street Food ist seit jeher fester Bestandteil von Palermos Kultur.

Spät am Abend stelle ich dann noch fest, dass ich die Fernbedienung meiner VIRB-Kamera weg ist. Bestimmt ein Dutzend Mal habe ich gedacht „vergiss die nicht im Auto“! – und jetzt ist mir das in der Aufregung und Hektik der Rückgabe doch passiert! Die Remote ist klein und so ans Lenkrad des Twingos gegurtet gewesen, dass sie wie ein Teil vom Auto aussieht. Aufgrund der guten Tarnung ist es völlig ausgeschlossen, dass Mitarbeiter von Hertz die von selbst finden.
Leider ist die Filiale nur per Fax oder Telefon zu erreichen. Nach zwei erfolglosen Versuchen per Webservice ein Fax zu versenden, rufe ich doch dort an und habe einen Mitarbeiter am Telefon, denn schon das Aufschreiben meines Namens vor unüberwindbare Hindernisse stellte. Keine Chance, dass ich das Gerät jemals wiedersehe. Ich ärgere mich über mich selbst -Sachen vergessen, das passiert mir normalerweise nicht. Aber ach, egal – hey, ich bin in Palermo!
Tour des Tages: Von Cefalú über Monreale zum Flughafen, dann mit dem Bus nach Palermo, rund 170 Kilometer.
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Tolle Kirchen, vor allem mit dem vielen Gold, welches aus redlichen Quellen „ehrlich“ erworben wurde. Wurde ja auch im Land viel geschürft davon, ähnlich wie in Spanien. Ich jedenfalls mache mir nen Kopp darüber und denke meinen Teil.
Leider….leider wäre man der endgültige Ar….h, Selbstjustiz zu üben, um in deinem Fall beim Zugriff mal die verbeulte Vespa richtig an anderen Autos zu quetschen.
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Palermo sieht toll und spannend aus! Und als Empfehlung für zukünftige Touren: Malta ins Auge fassen. 🙂
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Malta steht schon auf der Liste, allerdings erst weiter hinten. Ist halt so klein, dass der Unterhaltungswert bzgl. Fahren sich stark in Grenzen hält. Zum Glück gibt es noch größere Inseln im Mittelmeer.
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