Die Präsidentin

Ein spannendes Wochenende liegt hinter uns. Die AFD hat den langfristigen – und sehr cleveren!- Strategieentwurf von Frauke Petry abgelehnt und sie geschasst. Stattdessen wurden rechte Symobolfiguren auf´s Podest gehoben und ein Kurs beschlossen, in dem sich auch der Rechtsextreme Bernd Höcke umarmt fühlt. Damit dürfte die Wutbürgerpartei in sich zusammenfallen. Statt einer gefährlichen, rechten Bürgerpartei mit Joan d´Arc-Gallionsfigur wird sie nun eine kleine Faschistenpartei bleiben, die irgendwann das gleiche Schicksal wie die NPD erleiden wird. Zu recht.

In Frankreich ging es dieses Wochenende um ungleich mehr, die erste Runde der Präsidentenwahl sind durch. Übriggeblieben sind zwei Kandidaten, die sich beide nicht als Frontfiguren einer klassischen Partei, sondern als Anführer einer Bewegung sehen. Sowohl Emmanuel Macron als auch Marine Le Pen inszenieren ihren Wahlkampf als einen Sturm auf das politische System, das keine Antworten mehr auf heutigen Fragen liefert. Macron ist politisch in der eurofreundlichen Mitte zu verorten, Le Pen ist eindeutig rechtsextrem.

Am 07. Mai steht die nächste Runde der Präsidentschaftswahlen an, die Stichwahl zwischen Macron und Le Pen. „Frankreich wählt zuerst mit dem Herzen, dann mit dem Verstand“, heisst es allerorten. Das sei schon immer so gewesen, erklärte mir neulich noch ein Franzose, erst setze man an der Wahlurne ein Zeichen, dann wähle man die Peson, die besser sei für das Land. Deshalb, so die beruhigenden Worte, sei es VÖLLIG AUSGESCHLOSSEN, dass Marine Le Pen Präsidentin Frankreich würde. Nun, genauso war es völlig ausgeschlossen, dass ein Land die EU verlässt. Oder das Trump Päsident würde. Wir haben in den zurückliegenden 10 Monaten zu viele Dinge gesehen, die völlig ausgeschlossen waren.

So wird es auch bei den Präsidentschaftswahlen. Denn was die Leuten mit den beruhigenden Worten nicht auf dem Schirm haben ist die überwältigende Menge an frustrierten Nichtwählern.

Am 07. Mai bleiben viele Mitte-Links-Wähler aus Protest der Urne fern, während die Rechtsextremen überaus motiviert sind die Vorsitzende des Front Nationals in den Elysee-Palast zu bringen. Am Ende reicht es für eine dünne Mehrheit: Das neue französische Staatsoberhaupt heisst Marine Le Pen.

Noch bevor sich das Land von dem Schock erholt hat, beginnt Le Pen Schlüsselpositionen in Politik und Medien mit Parteimitgliedern des Front National zu besetzen. Innerhalb der ersten sechs Monate beginnt sie eine regide Abschottungspolitik. Unter ihrer Führung werden die Grenzen geschlossen, gehen die Behörden gegen Einwanderer vor, die Wirtschaft wird auf eine „Frankreich zuerst“-Politik verpflichtet, Unabhängigkeitsbestrebungen von Kolonien mit Waffengewalt unterdrückt.

Polizei und Geheimdienste nutzen die volle Bandbreite der Überwachungsmittel, die ihnen schon Francois Hollande und Manuel Valls nach den Terroranschlägen von Paris gegeben haben, um Datenbanken von „Systemfeinden“ zu erstellen. Darunter fallen unter Le Pen auch Journalisten und linke Aktivisten, die nun massenweise wegen Terrorverdachts verhaftet werden. Anfang 2018 gibt es ein Referendum, bei dem Frankreich darüber abstimmt den Franc wieder einzuführen. Gleichzeitig beginnen Gespräche, die das Ziel verfolgen, Frankreich aus der EU und der Nato zu führen. Kanzlerin Merkel, gerade frisch wiedergewählt, und Präsidentin Clinton verurteilen das hart und gehen gegen Frankreich vor.

Moment, Präsidentin Clinton? Ja! Denn NOCH spielt sich der letzte Absatz nur in dem Buch „Die Präsidentin“ ab, was deutlich vor der Präsidentschaftswahl in den USA geschrieben wurde (und die Wahl Trumps war ja, wir erinnern uns, VÖLLIG AUSGSCHLOSSEN).

Das ist Science Fiction. Normalerweise beruht Science Fiction auf Physik und kommt dann irgendwo bei Raumschiffen und Robotern raus, aber HIER werden Wirtschafts- und Sozialwissenschaften als Grundlage herangezogen. Die Graphic Novel geht mit großem Ernst der Frage nach, unter welchen Bedingungen Le Pen gewählt werden könnte und welche Auswirkungen ihre Politik hat. Dazu sind die Autoren das Wahlprogramm des „Front National“ durchgegangen und haben auf der Basis der dortigen Versprechen Projektionen aufgestellt und Studien ausgewertet. Die Geschichte wird fakten- und prognosebasiert und mit real existierenden Personen und ihren Positionen erzählt. Das Ergebnis ist ein erschreckend plastisches Bild einer zusammenstürzenden Demokratie und die Entstehung eines Failed State mitten in Europa.

„Die Präsidentin“ beschreibt eine faktenbasierte und wirklich real denkbare Geschichte, die ganz exakt Le Pens Agenda folgt. Das beschrieben Vorgehen ähnelt in vielen Punkten dem, was Trump aktuell tut, und wirkt damit noch erschreckender. Es wird sehr deutlich gemacht, was die Folgen der rechtsextremen Regierung wären – nach der Lektüre des Buches kann niemand mehr sagen, er habe von nichts gewusst.

Von den Ideen und dem exakten Vorgehen her ist „Die Präsidentin“ ein gutes Buch. Weniger gelungen ist leider die graphische Gestaltung, was bei einer Graphic Novel schon störend ist. Die Zeichnungen sind schmutzig und manchmal sogar rundheraus schlecht. Bekannte Personen erkennt man gerade noch so, viele Illustrationen und Fotocollagen sind aber auf niedrigem Niveau.

Unschön auch, dass der Lesefluss ständig durch Einschübe unterbrochen wird. Manche davon sind historische Abschweifungen, die durchaus interessant sind – ich hätte nicht gewusst, dass der „Front National“ aus einer Bewegung ehemaliger Nazianhänger mit dem Namen „Neue Ordnung“ hervorgegangen ist. Gar nicht funktionieren tuen die fiktionalen Einschübe. Es gibt einen Subplot um eine ehemalige Resistance-Oma, die fassungslos dabei zusehen muss, wie in ihrem Land wieder gegen Ausländer und Juden vorgegangen wird und darum Blogautorin wird. Diese Nebenhandlung ist leider völlig überflüssig. Ich verstehe die Intention: Sie soll anhand von normalen Personen die Auswirkungen der Politik verdeutlichen. Durch die ungelenke Inszenierung, die hölzernen Dialoge und die unglaubwürdige Umsetzung funktioniert das aber hinten und vorne nicht, reisst den Leser immer weieder aus der Geschichte und ist schlicht ärgerlich.

Seltsam ist auch das Ende des Buchs. So glaubwürdig und realistisch bis dahin alle Szenarien durchdekliniert wurden, zeigt das Ende der Geschichte Marine Le Pen als bloßes Werkzeug noch viel finsterer Interessen. Sie hat dafür gesorgt, dass Staat, Wirtschaft und Gesellschaft zusammenbrechen, sie hat „den Fuchs in den Hühnerstall gelassen“ – damit hat sie ihre Ziele erreicht. Einen Plan für die Zeit nach der Zerstörung der Instutionen und der Isolierung Frankreichs hat sie nicht, nun übernehmen andere. Am Ende steht sie vor der Frage, was sie nun tun wird. Marine Le Pens Antwort: „Ich weiß es nicht“.

Die Präsidentin (2016)
Francois Durpaire
Verlagshaus Jacoby & Stuart
104 Seiten, 19,95 Euro

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