Ich werfe den ersten Stein

„80 Prozent aller Teenager bis 16 Jahren haben etwas getan, was strafbewährt zu ahnden wäre, mithin ein Verbrechen darstellen“, sagt der Jurist und guckt in die Runde. Unsere Gruppe besteht aus 20 Personen, die letzten Minuten hat der Jurist uns was von Kriminalitätsstatistiken erzählt. Dass die seit 1993 sinken, kontinuierlich, Jahr für Jahr. Und das mit den Jugendlichen. Besonders Jungs stellen Unfug an, aber nur bis sie 16 sind, danach hört das abrupt auf.

„Gehen Sie mal in sich. Melden Sie sich, wenn Sie noch NIE ein Verbrechen begangenhaben. Haben Sie nie etwas geklaut, eine Kneipenschlägerei angefangen, Vandalismus oder Fahrerflucht begangen?“

Ich melde mich.
Und gucke verblüfft in die Runde.
Ich bin tatsächlich der einzige. Die Gruppe besteht aus Akademikern, die meisten sind klassische Schlipsträger, ungefähr 1/3 Frauen. Manche treten von einem Fuß auf den anderen, ein paar verkreuzen die Arme vor der Brust und schauen zu Boden, einer blickt versonnen in die Ferne und grinst dabei leicht.

Ich bin einigermaßen erstaunt. Wie kann das denn sein? Bin ich wirklich so eine Ausnahme? Ich habe tatsächlich nie eine Schlägerei angefangen – wenn man clever ist, bekommt man andere dazu sich zu prügeln. Vandalismus ist Zeitverschwendung, Fahrerflucht und Diebstahl gehören sich ohnehin nicht. Ich handele nicht unbedingt nach der Kantschen Maxime („„Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ Er ist im System Immanuel Kants das grundlegende Prinzip der Ethik.“), aber stets nach dem Motto „Was ich nicht will, dass man mir tu, füg ich keinem anderen zu“.

Anscheinend bin ich damit ziemlich alleine.
Erstaunlich.

Kategorien: Ganz Kurz | 7 Kommentare

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7 Gedanken zu „Ich werfe den ersten Stein

  1. Carom

    Ich, Jahrgang aus den 60ern mit inzwischen recht respektabler Karriere, komme auf diverse Straftaten (Cannabiskonsum, Ruhestörung, Einbruch, Sachbeschädigung, Graffiti, Diebstahl… alles immer im strafrechtlich eher unerheblichen, allerdings für die Geschädigten ärgerlichen Rahmen), alle bis zum zarten Alter von Anfang 20 begangen… Und seitdem nichts mehr, null, niente, noch nicht mal Knöllchen (dann würde ich andere gefährden, und das ist nicht mein Stil). Meine Mittäter von damals sind heute Steuerberater, IT-Chef im Konzern, Chefkoch, sowas, und auch alle weitab von irgendeiner strafbaren Handlung (soweit ich weiß, klar).

    Ich vermute, Ihre Mitsassen hatten es in dem Moment nicht so mit der Ehrlichkeit, was ein interessantes Licht auf die Nichtmelder wirft: Wer etwas verbirgt, hat Angst vor Konsequenzen. Und solches Rumgeeier, solches Ausweichen, solches Verleugnen von Tatsachen finde ich bei gestandenen Leuten, die vermutlich in vielen Rollen Vorbild sind, bedenklich.

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  2. Dochdoch, die waren ja ehrlich und haben es zugegeben, eben durch Nichtmeldung. Mich hat halt erstaunt, dass jeder was auf dem Kerbholz hatte.

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  3. Hat der Jurist Diebstahl angegeben, ist es schon einer, wenn ich mir aus der Firma nen popeligen Kugelschreiber bewußt einstecke. Solches aber fast öffentlich zuzugeben, ist für die Meisten ethisch/moralisch nicht möglich. Hauptsache, die Fassade ist clean.
    Ich bekenne mich schuldig, euer Gnaden. Aber nur bis zum 16. Lebensjahr. Bin ich jetzt frei von Jugendsünden und rehabilitiert innerhalb der ach so gesetzkonformen Gesellschaft?
    Über meine „Verbrechen“ nach dem 16. hülle ich mal den Mantel des Schweigens. Aber da ging die Luzi erst ab.

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  4. modnerd1138

    Ich frage mich gerade, ob ich mich hätte melden müssen oder nicht. Ich habe auch nie eine Straftat begangen, jedenfalls nicht wissentlich. Was bleibt:

    – Einmal Wurst, einmal einen Schalter geklaut (weil ich diese gedankenlos in die Tasche gesteckt habe und erst später wieder gefunden habe),
    – Sachen als Kind kaputt gemacht im Dorf,
    – einmal zu betrunken Auto gefahren.

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  5. Als Kind nachts Chips geklaut – im elterlichen Gasthaus, zählt das?
    Ansonsten Verkehrsübertretungen, ohne Fahrerflucht.
    Bin mir nicht bewusst etwas strafrechtlich relevantes begangen zu haben…

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  6. DL650R

    Zählt dazu auch „Raubkopieren“? Dann frage ich mich wer das in den 1980ern – also zu Zeiten der Homecomputer – nicht gemacht hat. Schechtes Gewissen deswegen? Och nö, die Geschichte zeigt doch, dass die „Raubkopierjäger“ am Ende die noch größeren Verbrecher waren.

    https://de.wikipedia.org/wiki/G%C3%BCnter_Freiherr_von_Gravenreuth

    Dabei habe ich ja für meinen C16 noch brav Spiele gekauft. Doch als es dann hieß „für den haben wir nichts mehr. Lohnt sich nicht. Nur C64 und Amiga.“, habe ich einen Amiga gekauft … und auf dem dann niemals irgendetwas an Software. :-)=)

    Heute ist der Amiga längst verkauft und der C16 (irgendwann mal durch einen kompatiblen plus/4 ersetzt) ist noch da und ich freue mich nach so langer Zeit heute wieder ab und an richtig gute, neue Software kaufen zu können.

    http://www.psytronik.net/newsite/index.php/plus4

    Oder ist damit physische Gewalt gemeint? Dann hätte ich mich auch gemeldet.

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  7. @DL650R: Gedacht und gemeint waren in dem Moment tatsächlich Schlägereien, Diebstahl, Sachbesschädigung. Du hast recht, wäre mit Raubkopiererei eingefallen, wäre ich auch schuldig gewesen. Amiga und so, wissen schon. Als Homecomputerbesitzer waren Leute wie Gravenreuth natürlich die Hassfiguren.

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