Reflexion auf Steroiden: Passivlichtsystem

Eine Joggerin, mitten in der Nacht, auf der unbeleuchteten Waldstraße. Zum Glück hat sie reflektierende Nähte an ihrer Laufhose, die sehe ich aus 300 Metern Entfernung. Als ich sie mit dem Auto überhole, plötzlich der Schreck: Da ist noch eine Läuferin! Ganz in schwarz, praktisch unsichtbar. Zum Glück läuft das Leuchtwunder außen, trotzdem habe ich einen mittleren Herzkasper.

Sichtbarkeit ist im Straßenverkehr ist ein extrem wichtiges Thema. Es gibt keine andere Möglichkeit, mit so wenig Mitteleinsatz die eigene und die Sicherheit von anderen so deutlich zu erhöhen. Reflektierende Elemente und Signalfarben an Kleidung und Fahrzeug kosten quasi nichts, erhöhen aber die Sichtbarkeit signifikant.

Auch als Motorradfahrer kann man so einiges tun, um die Sichtbarkeit zu erhöhen. Was sinnvoll ist, ich persönlich aber nicht trage, sind diese neongelben Warnwesten. Meine (schwarze) Textilkombi hat rundherum reflektierende Besätze, aber in so eine grellfarbene Weste bekommt mich keiner rein.

Was ich dagegen super finde ist mikroprismatisches Markierband. Das ist ein selbsttklebendes, reflektierendes Geweband. Wer bei dem Stichwort an die die Reflektoraufkleber denkt, die wir in den 80ern an Schulranzen hatten oder an Reflektoren, wie man sie von Fahrrädern kennt, der ist auf dem Holzweg. Mit diesen Funzeldingern hat mikroprismatisches Band nichts gemein. Zum einen ist es technisch anders aufgebaut, zum anderen reflektiert es um ein vielfaches stärker. Normale Reflektoren wirken gegen die Leuchtkraft von Mikroprismen wie Kerzen, die mit einem Flutlichtscheinwerfer verglichen werden. Das Zeug ist Reflexion auf Steroiden.

Mikroprismatisches Band reflektiert Licht in mehreren Ebenen und aus unterschiedlichsten Winkeln, wie ein Prisma eben. Die reflektierenden Flächen sind, anders als bei normalen Reflektoren, fast spiegelnd und daher viel heller. Selbst schwaches Streulicht wird von diesem Band eingefangen und so zurückgeworfen, das es wirkt, als wäre es selbst eine Lichtquelle. Diese Art von Band wird zur Markierung von LKW-Silhouetten gedacht, kommt aber nicht bei flächendeckend zum Einsatz. Was vermutlich an den Kosten liegt. Das Kram ist teuer. Auf Ebay kostet der laufende Meter zwischen 6 und 10 Euro, das ist mal nicht ohne.

Ich habe dieses Band vor Jahren entdeckt, als ich mich über meine GIVI-Koffer geärgert habe. Der italienische Hersteller geht normalerweise immer die Extrameile bei seinen Produkten, aber bei den Koffern hatte man statt echter Reflektoren nur silberfarbene Aufkleber verwendet. Sollen sowas? Diese Fake-Reflektoren sind auch an den neuen Koffern dran, die ich neulich erst erstanden habe:

Da reflektiert genau gar nichts. Das geht deutlich besser, also Scotch 3M Diamondgrade Konturmarkierung nach ECE 104 bestellt.

Das Band ist schwer zu verarbeiten. Gemacht ist es halt, um auf LKW-Planen und Aufbauten zu kleben, also auf einem flexiblen, Wind- und Wetter ausgesetzten Untergrund. Dementsprechend stark ist die Klebeseite. Als ich vor 4 Jahren zum ersten Mal mit dem Band arbeitete, habe ich eine Schere verwendet. Die musste alle 20 Zentimeter mit Aceton gereinigt werden, so dermaßen klebt das. Dieses Mal war ich schlauer und hatte vorab ein Skalpell und ein Metalllineal besorgt.

Mit diesem Werkzeug heißt es dann: Messen, anzeichnen, schneiden. Messen, anzeichnen, schneiden. Immer und immer wieder.

Das Band ist 55 Milimeter breit. Die äußeren Ränder sind für mich auf einer Breite von 1mm nicht zu gebrauchen, vom Mittelteil brauche ich Streifen zu 23mm Für den kleinen Koffer und 35mm für den großen. Jede Kofferbeklebung besteht aus 7 Teilen, die Milimetergenau passen müssen. Ich habe nicht auf die Uhr gesehen, aber allein diese Mess- und Schneidarbeiten werden so um die 8 Stunden gedauert haben.

Ergebnis Zwischenstand.

Die Reflektoren-Fakes habe ich auf den Koffern gelassen, die bekommt man nicht ab. Ich habe allerdings Lufteinschlüssen und Falten aus denen rausgeschnitten.

Dann wird alles gründlich mit Alkohol gereinigt.

Danach kommt die Fummelarbeit. Das Aufkleben des Bandes muss absolut präzise passieren, und weil der Klebstoff so stark ist, lässt es sich von Sekunde 1 an nicht mehr korrigieren. Versucht man es doch, bricht das Band. Ist mir mehr als einmal passiert, zum Glück war der Verschnitt eingeplant.

Auch die schmalen Zierstreifen an den Seiten der Koffer werden entfernt und durch Reflexband ersetzt.

Nach insgesamt ca. 10 Stunden und lauten Fluchorgien ist alles fertig beklebt, allerdings sehen die Stoßkanten unschön aus.

Um die zu kaschieren und das Ganze etwas edler zu machen, wird scharzes Ducttape auf einen Reststreifen Markierband geklebt.

Daraus werden schmale Streifen geschnitten…

…die dann auf die Übergänge gesetzt werden:

Fertig! Die nach hinten gerichteten Flächen sind rot, die vorderen und die Zierstreifen an den Seiten sind weiß.

So, und was bringt das Ganze nun? Wie eingangs beschrieben: Das mikroprismatische Band fängt selbst schwächstes Streulicht ein und wirft das so zurück, als würde es selbst von innen leuchten. Meine so veredelten Koffer haben also quasi ein Passivlichtsystem. Auf Fotos lässt sich das nur sehr schwer einfangen, aber hier der Versuch mit dem Unterschied vorher/nachher. Ist ein wenig plakativ, weil halt doch ein Blitz verwendet wurde, aber auch der macht die Wirkung deutlich:

Vorher:

Foto mit Blitz.

Nachher:

Die Arbeit war nervig und hat keinen Spaß gemacht, aber das Ergebnis spricht für sich: Wie breit das Motorrad mit den Koffern ist, lässt sich so viel besser erkennen – und die Sichtbarkeit insgesamt wird auch deutlich erhöht.

Kategorien: Motorrad | 8 Kommentare

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8 Gedanken zu „Reflexion auf Steroiden: Passivlichtsystem

  1. Ja, das ist das, was ich als Quadrate habe. Preislich liegt das genauso, ist aber für meinen bisherigen Bedarf leichter zu verarbeiten gewesen. 😉

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  2. schnorpser

    Sehr feine Arbeit – sieht sehr gut aus! Die Wirkung ist auch klasse.

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  3. Stephan

    ich glaube an diese Fummelarbeit werde ich mich vor meinem Schweden-Urlaub auch noch begeben.
    Wo hast du (oder Max) das Zeug her? Bekommt man das nur über Amazon oder hat man da auch beim örtlichen Motorrad- (oder LKW-) Zubehörhändler gute Chancen?

    Gefällt 2 Personen

  4. Gekauft habe ich es über ebay bei verschiednenen Anbietern. Am Schnellsten und Günstigsten war „Reflexfolie_de“ aus Leipzig. Die haben auch eine eigene Website https://reflexfolie.de/Konturmarkierungen/

    Bestellt man über ebay mehrere Artikel gleichzeitig bei denen, fallen nur ein Mal Versandkosten an (man bekommt per Paypal überflüssig gezahlte zeitnah zurückerstattet). Hier ist der ebayShop: https://www.ebay.de/sch/reflexfolie_de/m.html?_nkw=&_armrs=1&_ipg=&_from=

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  5. Stephan

    Mal ne ganz doofe Frage…ist das überhaupt zulässig oder müsste ich da im Zweifelsfall 20€ an den „Freund und Helfer“ „spenden“ da ich andere als die erforderlichen und zugelassenen Lichttechnischen Anlagen verwendet habe?
    Mal abgesehen davon, dass ich lieber 5x diese „Spende“ leisten würde, als 1x von einem Blindfisch der meint ganz nah an mir vorbei fahren zu müssen abgeräumt zu werden

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  6. Ich hatte vorab in die StVO geguckt. Reflektoren, und seien sie noch so stark, sind keine Beleuchtung, Solange nach hinten rot und vorne weiß ist, ist alles gut. Auslegungssache ist bei meinen Maschinen das Weiße an den Seiten. Man könnte denken, dass die Orange sein müssten. Da alte Moppeds aber nicht verpflichtet sind seitlich orange Reflektoren zu tragen, dürfte egal sein 🙂

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  7. Stephan

    ich mein nur, weil in der StV*Z!*O (§49a Abs.1) steht:
    „Als lichttechnische Einrichtungen gelten auch […] rückstrahlende Mittel“
    Aber falls hier ein Polizist mitlesen sollte, der zufällig irgendwo nördlich des Erzgebirges (bis hoch an die Ostsee) Motorräder kontrollieren möchte…ich habe natürlich nicht vor die von mir mit Reflektionsfolie versehenen Koffer auf öffentlichen Straßen zu verwenden *hust* und die Reflektoren waren natürlich auch schon vorher dran und ich hab sie nur durch leistungsfähigere ersetzt *doppelhust*

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  8. Jupp, der Absatz stellt aber ab auf lichttechnische Einrichtungen direkt am KFZ. In unserem Fall sind die Einrichtungen aber nicht am Fahrzeug, sondern an den Koffern. Also kein *HUST*en nötig 🙂

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