Wer hat uns verraten…?

Martin Schulz ist gerade in Göttingen.

Göttingen ist nicht ganz ohne, was Kandidaten für die Bundestagswahl angeht: Thomas Oppermann (Fraktionschef SPD) und Jürgen Trittin (Grüne) haben hier ihren Wahlkreis. Und nun ist gerade Der Martin Chulz in der Stadt.

Irgendwie tut er mir ein wenig leid. In seiner Zeit als Chef des Europaparlaments habe ich ihn als guten Mann erlebt: Demokrat, streitbar, pragmatisch. Und für die bundesdeutsche SPD ist er ohnehin ein Glücksfall: Frei von den Verfehlungen der Partei in den letzten Jahre konnte er quasi aus Brüssel einschweben und sich gleich in den Wahlkampf stürzen. Genützt hat es freilich nichts, nach einem kurzen Populartätsschub stürzte Schulz in den Umfragen ab wie nichts Gutes.

Die Situation ist ja auch nicht einfach: Merkel hat sich auf jedes Thema gesetzt, was irgendwie rot oder grün ist. Vor allem aber ist es seine Partei, die Schulz wie ein Bleiklotz am Bein hängt. Es mag ja sein, dass die SPD in der Großen Koalition sozialdemokratische Anliegen wie Mindestlohn, Mütterrente oder Rente mit 63 durchsetzen konnte, nur: Belohnt wird sie dafür nicht. Die Lorbeeren setzt sich Merkel auf´s Haupt. Was dem Wähler im Gedächtnis bleibt sind die Schattenseiten der GroKo.

Was von der SPD bleibt, ist das Bild der Partei, die…

…Gegen den Wunsch der Wähler und nur um der Macht Willen in eine große Koalition eingestiegen ist und dadurch die Demokratie in Deutschland nachhaltig beschädigt hat.

… die illegale Vorratsdatenspeicherung (mehrfach!) mitgetragen hat.

… bereitwillig Grundrechte geopfert hat um „Sicherheit“ zu produzieren.

…in der GroKo Merkel beim Verwalten des Status quo geholfen, aber kaum etwas selbst gestaltet hat: Kein Einwanderungsgesetz, keine Digitalpolitik, keine Verkehrspolitik zustande gebracht hat.

Meine Verbitterung über diese Fehlleistungen sitzt tief. All das sind Dinge, wegen denen allein die SPD schon unwählbar geworden ist. Und anstatt jetzt einen ordentlichen Richtungswahlkampf zu machen, der mitsamt dem neuen Kandiaten frischen Wind bringt, kommt die SPD wieder nur mit der Phase „Soziale Gerechtigkeit“ um die Ecke, spart es sich aber lieber zu erklären, was das sein soll.

Nein, für so ein Verhalten – Demontage der Demokratie in der Vergangenheit, Visionslosigkeit in der Zukunft – wählt man eine Partei nicht.

Ich warte ja darauf, dass eine smarte, linke Politikerin à la Macron den Durchmarsch probt und die großen Parteien als das demaskiert, was sie aktuell sind: Rauchende Ruinen. Daran ändert auch ein Chulz nichts. Ganz im Gegenteil: Wenn man seinen Wahlkampf so anschaut, könnte man meinen, er hat sich schon geschlagen gegeben.

Kategorien: Betrachtung, Politik | 6 Kommentare

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6 Gedanken zu „Wer hat uns verraten…?

  1. ja ist schon traurig, was die SPD als einstige , ja einstige Arbeiter Partei hergibt. Heiße Luft. Dieser Schulz Effekt, am Anfang, ich habe ihm misstraut und recht behalten. Die Probleme im eigenem Land werden ja kaum noch angerührt, lieber denkt man global und dabei am Bürger vorbei. Ja Frau Merkel dreht sich immer nach dem Wind und nimmt dann gemütlich Platz —- ist dir eigentlich bekannt…. siehe Wikipedia …Agitation im Staatssozialismus[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

    Zwei Jungen beim Erstellen einer Pionier-Wandzeitung
    In kommunistischen Parteien und Staaten ist die Funktion des Agitators gegebenenfalls sogar ein Amt (siehe Abteilung Agitation). Angela Merkel etwa war in den 1980er-Jahren FDJ-Sekretärin für Agitation und Propaganda an der Akademie der Wissenschaften der DDR. In der DDR gab es bereits an den Schulen die Position des Agitators. Ein oder auch mehrere Schüler, meist Junge Pioniere, jeder Klasse waren dafür zuständig, durch Wandzeitungen und die politische Kommunikation über die in den staatlichen Medien publizierte und öffentlich herrschende Meinung zu informieren und frühzeitig meinungsbildend auf das Klassenkollektiv einzuwirken. In der alten Bundesrepublik hingegen stellte der § 130 StGB die „Anreizung zum Klassenkampf“ unter Strafe, ab 1970 die Volksverhetzung.

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  2. schnorpser

    Leider gibt es auch kein Mittel in unserer „Demokratie“, Parteien für nicht eingehaltene Wahlversprechen entsprechend zu „honorieren“. Es dauert immer 4 Jahre, bis der Wähler erneut seine Stimme abgeben kann. Und da der Deutsche lieber still vor sich hin jammert, ohne seinen (geringen) Einfluss auf die Politik zu nutzen (Wahlbeteiligung), wird sich wohl auch mit der kommenden Wahl nicht viel ändern. Da beweißen die Franzosen mehr Rückrat und machen ihrem Unmut Luft – auf der Straße und bei der Wahl.

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  3. Leandrah: Ja, der Schulz-Zug ist schnell gegen die Wand gefahren.

    Schnorpser: Stimmt, die Franzosen sind da anders sozialisiert.

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  4. Finde euer politisches System ohnehin sehr faszinierend. Auch wenn wir unseren Regierungsmitglieder sicher auch so manches vorzuwerfen haben, funktioniert das hier irgendwie viel zufriedenstellender. Wählen können wir zwar auch eher selten, aber dafür stimmen wir wenigstens häufig ab. Vielleicht gibt uns das einen Teil der Kontrolle zurück, oder irgendwas in der Art? Es scheint jedenfalls zu klappen. Oder liege ich falsch?

    Ich hätte mich über Chulz auch sehr gefreut, aber mittlerweile ist er mir durch den lustlosen und biederen Wahlkampf immer unsympathischer geworden. Meine Freundin fand als sie neulich sein Konterfei von der Laterne grinsen sah, dass er die freundliche Ausstrahlung eines pädophilen Onkels hätte und vielleicht ist das wohl das Beste, was er aus diesem Wahlkampf herausholt.

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  5. Naja, repräsentative Demokratie ist echt schon das Beste, was die Menschheit bislang zustande gebracht hat. Bei Euch funktionieren Volksentscheide nur, weil ihr eine lange Tradition darin habt und ein kleines, aber sehr reiches Land seid. Und trotzdem müsst ihr Euch dauernd mit „macht die Grenzen dicht“ und anderen Dingen rumschlagen. Das kann schnell schiefgehen – siehe Brexit. Das sind so Themen, da WILL ich gar nicht, dass da jeder drüber abstimmen kann, weil nämlich 95% der Leute gar nicht durchdringen, was die Abstimmung bedeutet.

    Von daher ist das Regierungssystem in Deutschland schon OK. Es funktioniert aber nur dann wirklich richtig gut, wenn es eine starke Opposition gibt. Das war defakto nicht der Fall, in den letzten Jahren hatten wir eine große Koalition, die praktisch alles machen konnte, aber kaum etwas zustande bekommen hat und völlig ohne Kontrolle agierte. Und das ist Schuld der SPD. Die Quittung bekommen sie nun: Sie haben Mutti Merkel Alternativlos gemacht.

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  6. Nun, wenn repräsentative Demokratie Tradition hat und etwas Alltägliches ist, wird sie auch nicht verwendet um ein Zeichen zu setzen oder jemanden abzustrafen (was beim Brexit oder Trump ja auch der Fall war), weil das gar keine Wirkung hat. Wenn hier die Deppen wieder lärm machen, macht die andere Seite eben auch Lärm. Siehe Durchsetzungsinitiative.

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