Reisetagebuch Motorradtour 2017 (1): Komm´, wir fahr´n ins Ötzi-Land!

Reisetagebuch Motorradtour 2017 (1): Komm´, wir fahr´n ins Ötzi-Land!


Nachdem der Versuch einer Motorradreise im Juni spektakulär gescheitert ist, unternimmt Herr Silencer im September einen neuen Anlauf. Erstaunlicherweise fehlt die Lust auf Urlaub, und verreisen will er auch nicht. Das Schnee angesagt ist, ist nur einer der Gründe.

Samstag, 16. September 2017, Mumpfelhausen bei Göttingen.

Schon vor dem Weckerklingeln bin ich wach. Wieder schlecht geschlafen, wieder wirre Träume. So geht das schon seit Wochen. Kaum eine Nacht mehr als fünf, sechs Stunden Schlaf, dafür lange Arbeitstage und durchgearbeitete Wochenenden. Selbstausbeutung. Aber ich weiß wofür ich das tue und das es gut ist. Und ab heute ist Urlaub.

Ich tappe ins Bad und sehe mich im Spiegel an. Ein sehr weißes, verquollenes Etwas blickt zurück. Ich sehe müde aus. Die letzten Wochen haben ihren Tribut gezollt, und zu viele Essenstermine und wenig Zeit und Muße für Sport haben mehr als die normalen 5 Kilo zu viel auf den Rippen hinterlassen. Ich bin ziemlich am Ende mit der Bereifung, nervlich und körperlich. Ein Hustenanfall lässt die Wände wackeln. Werde ich jetzt auch noch krank? Die letzten Tage habe ich auf einer Konferenz mit Dutzenden von hustenden und schniefenden Leuten verbracht.

Ein Schwall kaltes Wasser ins Gesicht, dann eine halbe Tasse löslichen Kaffee und der Blick aufs Thermometer. Draußen sind gerade mal 5 Grad. Will ich wirklich daraus? Ich hab ein ganz ganz schlechtes Gefühl. Wann bin ich das letzte Mal gefahren, als es so kalt war? Früher, mit der Honda, da galt die Faustregel: Bis fünf Grad geht´s, alles darunter wird schmerzhaft. Nun, das ist 20 Jahre her. Seitdem ist die Schutzkleidung besser und wärmer geworden. Aber meine Knochen älter.

Wenn ich ehrlich bin, habe ich gerade gar keine Lust weg zu fahren. Keine Lust auf Urlaub. Eine Motorradreise ist anstrengend und fordernd, und ich bin gerade einfach nur müde. Die Welt soll mich in Ruhe lassen, ich will mich einfach wieder in mein warmes Bett kuscheln. Der Gedanke ist verlockend: Einfach hier bleiben, drei Wochen lang die Raufasertapete angucken und bloß nicht aus dem Haus gehen. Wirklich verlockend.

Drei Wochen unter der Kuscheldecke, das wär´s jetzt.
Während ich diesen Gedanken nachhänge gucke ich aus dem Küchenfenster in den grau-kalten Morgen, der sich mehr nach November als nach September anfühlt.
Hier bleiben. Nichts tun.
Das sollte ich machen.

In genau diesem Moment kommt die Sonne raus. Gleich wirkt die Welt etwas energiereicher. Ich horche tief in mich hinein, aber da ist immer noch keine Urlaubslust. Kein Reisefieber. Keine Vorfreude auf neue Orte und Menschen. Da ist nichts, was mich antreiben würde. Ich spüre nur Leere.

Lediglich ein fernes Echo deutet eine Vermutung von Fernweh an. Ich konzentriere mich auf dieses Echo, aber es wird nicht stärker. Ich habe in den letzten Monaten alles gegeben, und jetzt ist nichts mehr in mir. Hier bleiben. Nichts machen.
Einfach ins Bett legen und drei Wochen pennen.

Dann bricht eine meiner weniger guten Charaktereigenschaften durch. Ich werde ungeduldig, mit mir selbst. Ich verliere die Geduld mit dieser waschlappigen Rumjammerei, die mich gerade befallen hat. Selbst wenn dieses ferne Echo nur eine Vermutung von Fernweh ist, warum gehst Du dem nicht nach? Und zwar JETZT. Was sollen diese Gedanken an ein Absagen der Reise? Du wirst ohnehin fahren, früher oder später, also krieg den Hintern hoch und mach Dich auf den Weg! Jetzt!

Ich ziehe langsam die Motorradklamotten an und mache die Wohnung abreisefertig.

In der Garage unter dem Haus steht die V-Strom, vollgetankt und mit gepackten Koffern. Seit Tagen schon.


Die ZZR ist schon vollgetankt und geputzt unter einer Staubplane eingewintert. Wenn ich wiederkomme wird es bereits Mitte Oktober sein, vermutlich ist dann schon kein Wetter mehr zum Motorradfahren. Wenn Du wiederkommst? Falls du wiederkommst! , fügt eine Ecke meines Denkens hinzu. Ein paar Tausend Kilometer im Straßenverkehr sind halt gefährlich, mit dem Motorrad besonders, machen wir uns nichts vor. Auf jeder Fahrt kann was passieren, haben wir ja im Juni gesehen.

Ich schiebe sie ins Tageslicht und checke den Sitz der Koffer, dann schwinge ich mich auf die große Maschine. Das rechte Bein ächzt, und ich merke, wie ich fast einen Krampf bekomme. Man, bin ich unfit!

Samstag Morgens um 09:00 Uhr ist in Götham nicht viel los, und rasch bin ich auf der Autobahn. Die A7 ist die Nord-Süd-Achse Deutschlands, und ich werde sie jetzt zum ersten Mal wirklich ganz bis zu ihrem Südende fahren.

Einmal A7 bis zum Ende.
Im strahlenden Sonnenscheint röhrt die V-Strom über die Bahn. Die Wetteraussichten der letzten Tage sahen bescheiden aus, aber heute Morgen ist das Wetter toll, freue ich mich Leider hält die Freude nicht lange, schon nach 50 Kilometern verdunkelt sich der Himmel. In den Kasseler Bergen hängen Wolken fest, und schlagartig wird es klamm und kalt. Sieben Grad, sagt das Garmin, definitiv zu wenig um schön zu sein.

Unter dem Fahreranzug aus Cordura trage ich Merinounterwäche und eine Fleecejacke, das schützt ganz ordentlich. An den Bergen festhängende Wolken sind nur eine Variante nasser Luft, von der dieser Tag vielfältige Variationen bereit hält. Kaum kommt die Suzuki aus den Wolken heraus, schiebt sie eine Luftsäule in klammen Bodennebel hinein. So geht es weiter. Ich sehe Nebelschwaden, Nebelbänder, Nebel, flockigen Nebel, diffusen Nebel, dichten Nebel, schnell ziehenden Nebel, stehenden Nebel, Nebelsuppe, Nebel, der aus Löchern in Feldern aufsteigt und Hochnebel.

Alles ist kalt und feucht und eklig, und ich mache immer öfter die Griffheizung an. Dann strahlt für einen kurzen Moment trockene Wärme von den Lenkerenden des Motorrads in meine Hände, und alles wird erträglicher. Aber nicht lange, denn die V-Strom hat eine mickrige Lichtmaschine und ich will nicht, dass mir die Heizung die Batterie leersaugt.

Hessen ist komplett trüb und nebelig, und erst beim Überqueren der Grenze zu Bayern lässt sich die Sonne kurz wieder blicken. Das ist ein magischer Moment, denn die Quarzstückchen in der Autobahndecke beginnen im Sonnenlicht zu glitzern und zu funkeln.

Aber nicht lange, dann schwappt wieder kalter Nebel über der A7 zusammen, und die Welt verliert wieder schlagartig alle Farben und wird grau und düster.

Nebel. Überall.
Gegen 14:30, nach fünfeinhalb Stunden Fahrt, die nur durch zwei kurze Toiletten und Tankpausen unterbrochen wurden, wird die Landschaft plötzlich idyllisch. Ssatte, grüne Wiesen, schläfrig herumliegende Rinder, schiefe Holzschuppen. Ganz klar, das hier ist das Allgäu! Und Zack, ist es auch wieder weg. Plötzlich tauchen große Berge aus dem Nebel auf. Steile Felswände, und schon in wenigen Metern Höhe liegt Schnee auf den Gipfeln. Das ist Tirol! Ich bin in Österreich!

Aber auch die Freude währt nicht lange, denn unvermittelt stehe ich mitten in einem Stau. Einem Megastau, da geht echt gar nichts. Überholen ist auch nicht möglich, denn der Gegenverkehr ist dicht. Vor mir liegt etwas, dass der Fernpass heisst – und an dem staut sich offensichtlich gerade alles. Eine Stunde stehe ich mir die Füße und Reifen platt, dann geht es langsam weiter. “Willkommen im Gurgltal” steht auf einem Schild, und ich kann mir ein Lachen nicht verkneifen.

Dann kommt das Ötztal, und es ist quasi nicht möglich zu verpassen wo man ist. Überall weisen große Schilder auf Attraktionen für Touristen hin, und immer führen sie den Namen der berühmten Gletschermumie im Titel. Es gibt die Ötzi-Welt für Kinder, das Ötzi-Museum, das Ötzi-Dorf und sogar ein Ötziland. Klingt alles sehr befremdlich für meine Ohren. “Komm, wir fahr´n ins Ötziland nach Wakaluba.”

Wann wurde Ötzi entdeckt?, grübele ich, während ich die V-Strom über Landstraßen und vorbei an grünen Wiesen manövriere. 2001? Nein, muss früher gewesen sein. 1999? Könnte sein. Ich kann mich noch genau dran erinnern was der Fund für eine Sensation war, alle haben darüber berichtet. Ötzi war medial die wichtigste Person, über Monate. Dann komme ich an einem Schild vorbei, auf dem die Jahreszahl des Fundes steht. 1991. Plötzlich komme ich mir sehr alt vor.

Wenige Minuten später heißt es: Graue Wand voraus! Das hatte ich schon eher erwartet, alle Motorradfahrer, die mir entgegenkamen, trugen eine Regenkombi. Der Regen hat sich hier, im Ötztal versteckt um mir kurz vor dem Ziel aufzulauern. Das ganze Tal ist voller grauer Wolkenmasse, und schnell halte ich an, reiße die Rolle mit den Regensachen auf und winde mich in Regenjacke und -Hose. Schlagartig ist mir wärmer, weil die zusätzliche Schutzschicht den Wind besser abhält.

Regen voraus!

Die letzten 30 Kilometer ziehen sich. Im starken Regen und bei mittlerweile wieder nur noch 6 Grad Celsius ist es doppelt ärgerlich, dass nur noch deutsche Touristen unterwegs sind, die sich nicht trauen einen Trecker zu überholen. So zieht sich die letzte halbe Stunde. Aber immerhin, auf Anhieb finde ich meine Unterkunft, die Pension “Jaqueline” in Sölden. Das liegt ganz am Ende des Ötztals, direkt am Fuß eines Berges. Ein Wintersportort. Kinogänger kennen Sölden aus dem letzten Bond-Film. Hier liegt die seltsame Glasstation, in der Bond in “Spectre” die Tochter von Mr. White aufsucht.

Als ich vor der Pension parke, ruft mich eine Frau “Wollen sie in die Garage?” Ich nicht, aber die V-strom würde sich freuen! Ein großes Rolltor fährt hoch, und ich lenke die nasse Suzuki in ein wahres Luxusappartment.

Geschützt vor dem kalten Regen winde ich mich aus der Regenkombi und trage die Koffer ins Haus. Das ist überaus gepflegt, mit weinroten Teppichen ausgelegt und vor allem: Die Heizung läuft, es ist warm!

Die Dame, die mich in die Garage gelotst hat, ist die Besitzerin. Sie ist hoch professionell, und empfiehlt mir sogar ein nahegelegendes Restaurant für das Abendessen. Das Zimmer ist groß und frisch renoviert. Ich schäle ich mich aus den Motorradsachen, nehme eine heiße Dusche und schlüpfe dann in Jeans und Trekkingschuhe. Minuten später strolche ich die Hauptstraße von Sölden entlang. Es regnet nicht mehr, aber die klamme Kälte ist noch da. Im Winter ist es hier bestimmt schöner, wenn alles eingeschneit ist. Sölden ist voll auf Wintertourismus ausgelegt, überall sind Sportgeschäfte und Sportbars, und eine große Seilbahnstation steht mitten im Ort.

Es regnet, es ist kalt, und vermutlich kann ich mir die morgige Station jetzt schon abschminken. Aber erstmal gönne ich mir einen Restaurantbesuch. Immerhin ist heute der erste Urlaubstag. Folgerichtig klingt der Abend bei einer Pizza Diavola im “Nud´ltopf” aus. Ich bin der einzige Gast, und genauso leer wie das Restaurant fühle ich mich.

11 Gedanken zu „Reisetagebuch Motorradtour 2017 (1): Komm´, wir fahr´n ins Ötzi-Land!

  1. Noch’n Mitleser. An der Verringerung der Elektrozugreifung arbeite ich derzeit. Da an der Strombeleuchtung alles gedoppelmobbelt ist, würde es reichen, die Hälfte davon per Schalter lahmzulegen um die gewünschten Zusatzverbraucher wenigstens zeitweise mit Energie zu versorgen ohne Gefahr zu laufen, daß die Lichtmaschine nicht das liefert, was angenommen wird.
    Ganz elegant wäre diese Lösung mit einem Relais, was aber leider alles nicht ausschließt, daß Lahmlegung diverser Leuchten nicht der gerade legal-korrekte Weg wäre.

  2. Nur eine Option. Mit den 2 Xenons, die hier herumliegen, wären es schon mal 40 W weniger. Die übrigen Lichtlein auf LEDs käme die Ersparnis auf ca. 60 W.
    Ich versuche aber, auf legalem Weg zu bleiben. Die eine Kontrolle mit Ankündigung zur
    Betriebserlöschung reicht mir.
    Fazit, wenn es nicht legal-real möglich ist, wäre eine Griffheizung optional gestorben.
    Stimmt schon, ich lege Wert auf viel Licht, da man sonst in der Optik der Tagfahrleuchten untergeht und leichter übersehen wird. Von daher war die Flashfunktion der Chinaleuchten schon auffällig.

  3. Albrecht: Scheinwerfer abschalten ist quatsch, LED-Hauptscheinwerfer gibt´s nicht. Aber ich kann Dir sagen, dass selbst in der Standardkonfiguration eine Griffheizung kein Problem ist – zumindest wenn Du die nicht dauerhaft im “Start”-Betrieb hast.

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