Vorauseilende Verharmlosung

Vorauseilende Verharmlosung

Herr Heiler (rechts) sieht einem gewissen Hitler sehr ähnlich – nur das Bärtchen fehlt.

Wenn Videogames nicht als Kulturgut angesehen werden, verharmlost das Nazis und beschädigt die Erinnerungskultur.

Paragraph 86 des Strafgesetzbuches stellt die Verwendung verfassungswidriger Symbole unter Strafe. Mit Hakenkreuzfahne oder SS-Rune auf dem T-Shirt durch die Gegend zu marschieren ist eine Straftat, wer es dennoch tut, kann dafür bis zu drei Jahre in den Bau kommen. Und das ist auch gut so.

Denn eine der wenig gewürdigten Stärken der deutschen Gesellschaft ist unsere Erinnerungskultur. Wir haben uns mit den Kriegsverbrechen zum großen Teil auseinandergesetzt und sie aufgearbeitet. Ja, es gibt Große Lücken, und oft würde man sich mehr Details und größere und ernsthaftere Tiefe wünschen, aber die Gräuel sind Bestandteil des Schulunterrichts, und wir erinnern aktiv an die Schrecken des Krieges, während es Denkmäler, die z.B. die Nazigrößen verherrlichen, schlicht nicht gibt. Das Verbot der Nazisymbole ist auch ein Ausdruck dieser Erinnerungskultur. §86a StGB verhindert, dass diese Symbole im Alltag auftauchen, damit sie dadurch nicht wieder schrittweise normal werden.

Erlaubt sind solche Symbole lediglich in Kunst und Wissenschaft. Bei der Wissenschaft ist das logisch, denn eine historische Dokumentation mit Aufnahmen aus der NS-Zeit, bei der jedes Hakenkreuz ausgeblendet wird, funktioniert nicht. Bei der Kunst ist es schon komplizierter. Filme gelten als kulturelle Güter, weshalb z.B. in „Indiana Jones” oder „Inglourious Basterds” Hakenkreuze vorkommen dürfen.

Nicht als kulturelle Güter zählen Computerspiele, Nazisymbole dürfen darin nicht vorkommen. Das war in der Vergangenheit auch nur für absolute Fans von Originalen ein Problem, denn ob in einem Ballerspiel ohne Story ein Gegner nun eine Hakenkreuzbinde trägt oder nicht, ist dann auch echt mal egal.

Nicht egal ist es aber, wenn das Spiel eine Narration hat, und durch die Zensur Charaktere, Figuren und sogar die Erinnerungskultur selbst beschädigt wird. Genau mit diesem Fall müssen sich Medienwissenschaftler und Gesellschaft aktuell auseinandersetzen. Die Rede ist von “Wolfenstein: The New Colossus”. Das Spiel enthält sehr viel Handlung, allein die Zwischensequenzen (Filme!) gehen über eine Stunde. Die Handlung spielt in einer alternativen Zeitlinie in den 60er Jahren. Die Nazis haben den Krieg gewonnen und Amerika annektiert. Der weiße Mittelstand konnte sich mit der Naziideologie rasch anfreunden, nennenswerten Widerstand leisten nur die Verfolgten und Unterdrückten: Juden, Farbige, Behinderte, allesamt mit einem hohen Frauenanteil. Die Geschichte des Spiels ist die Geschichte dieser Figuren und wie sie langsam einen Widerstand aufbauen.

Hersteller Bethesda hat speziell für den deutschen Markt eine eigene Fassung von “Wolfenstein” rausgebracht, auf der jeder Hinweis auf Nazis getilgt ist. Auf Bannern, Fahnen und Armbinden prangt nun ein Dreieck, andere Symbole sind durch Platzhalter ersetzt. Bei diesen optischen Änderungen bleibt es aber nicht, denn aus Angst vor der deutschen Rechtssprechung wurde wirklich JEDER Verweis auf die NS-Zeit entfernt.

Aus dem “mein Führer” wurde der “mein Kanzler”, aus Hitler wurde “Herr Heiler” (und ihm wurde der Bart entfernt), aus “Deutschen” wurden “Germanen” und aus “arisch” “germanisch”. Kann man soweit machen, aber ab hier wird es seltsam: Aus “KZs” werden simple “Gefängnisse” und aus Menschen, die wegen ihres jüdischen Glaubens verfolgt werden, macht die deutsche Fassung statt “Juden” schlicht “Verräter”, und eine jüdische Abstammung wird zu einer polnischen. Das ist nicht nur genau das Gegenteil der Erinnerungskultur, das ist auch beleidigend. Und es hat massive Auswirkungen auf´s Spiel, ist doch die Hauptfigur plötzlich kein Jude mehr, sondern einfach nur ein Pole mit einer Verräterin als Mutter. Bei den Nebenfiguren wird es nicht besser: Der Wissenschaftler Seth, der im original jiddisch spricht, wird der Akzent und seine jüdische Identität ganz weggenommen.

Ich bin nicht der Meinung, dass man um der Authentizität Willen jeden Shooter mit Hakenkreuzen vollkleistern muss, aber hier liegt der Fall anders.
Da jeder WEISS, dass es sich bei den Bösen im Spiel, Symbolik hin oder her, um Nazis handelt, die Charakter und Figuren der Verfolgten in der Deutschen Version aber um ihre Identität und damit den Grund der Verfolgung beraubt werden, haben wir hier die seltsame Situation, dass durch die harte Überauslegung der Gesetzeslage eine Verharmlosung stattfindet. Juden in ein Vernichtungslager zu bringen ist ein Verbrechen, aber Verräter in ein Gefängnis zu stecken irgendwie nicht, oder? Das hat Auswirkungen auf das ganze Spiel: “Wolfenstein” ist im Original zutiefst antifaschistisch, darf das aber in der deutschen Version nicht sein.

Der leichte Weg wäre es nun, dem Hersteller von “Wolfenstein” vorauseilenden Gehorsam und eine Überauslegung der Gesetzeslage vorzuwerfen. Allein, wer kann es Bethesda verdenken? So ein Triple-AAA-Spiel kostet einen dreistelligen Millionenbetrag in der Produktion und der deutsche Markt ist wichtig. Ausserdem gibt es schlechte Vorerfahrungen: Die 2009er Fassung von Wolfenstein wurde komplett verboten, weil vergessen wurde, in einem Werbetrailer für das Spiel ein Hakenkreuz zu entfernen.

Nein, ich glaube das Problem geht tiefer. Wir haben hier den Fall, dass Gesetze, die das Gedenken an die Gräuel des Kriegs schützen sollen, dazu führen, dass eine Verharmlosung stattfindet. Das kann nicht richtig oder gut sein, und ich denke, dass sich im Jahr 2017 der Gesetzgeber langsam mal mit der Tatsache auseinandersetzen muss, dass Videospiele Teil unserer Kultur sind und als solche auch zur Persönlichkeitsformung und Bildung beitragen.

Videospiele sind Kulturgüter und müssen für sich das gleiche Recht in Anspruch nehmen dürfen das auch Filmen zusteht. Ansonsten sorgen die Gesetze, die das Erinnern bewahren sollen, für eine Verharmlosung der Vergangenheit. Damit berauben sie uns mittelfristig einer unserer gesellschaftlichen Stärken und beeinflussen langfristig Politik und Gesellschaft in eine Richtung, die wir nie wieder einschlagen wollen.

Ein Gedanke zu „Vorauseilende Verharmlosung

  1. Ich weiss noch, wie ich zum ersten Mal davon erfahren habe, als ein Simpsons-Comic nicht übersetzt wurde vor ein paar Jahren, weil drin zuviele Hakenkreuze vorgekommen wären, als dass man alle hätte wirkungsvoll rausnehmen können (war glaube ich storytechnisch dann zu elementar, keine Ahnung). Und wie schockiert ich war, dass Comics offenbar nicht zu den Kulturgütern zählen (gut, über Simpsons-Comics kann man da jetzt wirklich streiten, but you get the idea).

    Ich glaube, auch bei Inglourious Basterds war das ein Thema, nicht im Film, aber auf dem Steelbook musste das Hakenkreuz entfernt werden. Weil das ja dann nicht mehr Teil eines Kunstwerks sondern Verpackung ist. Crazy World. Gleiches geschah auch bei I Killed Adolf Hitler, wo das Hakenkreuz auf dem deutschen Cover mal eben dem Text weichen musste: http://www.reprodukt.com/produkt/alben/ich-habe-adolf-hitler-getotet/ (imho aber sehr geschickt gelöst).

    Ich glaube, in dieser Hinsicht tut noch viel Umdenken Not, aber ob das so schnell geschieht (in einer Zeit wo Gamer und Comicleser noch viel zu oft in die Nerd-Ecke gesteckt werden) wage ich zu bezweifeln.

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