Reisetagebuch Motorrad 2017 (3): Ölspurensucher für ein Motorradgespenst

Im September 2017 ging es mit der V-Strom 650 auf Tour. Dies ist das Tagebuch der Reise. Heute: Geister, funkensprühende Aufsetzer, generelle Unlust und die Taufe eines bis dato namenlosen Motorrads.

Die Konferenzgäste stehen in kleinen Grüppchen in einem Wald und unterhalten sich. Es ist Nacht und dunkel, aber die Gäste scheinen gar nicht zu merken wie absurd das ist – warum sind die nicht in am Konferenzort? Ich laufe auf eine Gruppe Gäste zu um sie zum richtigen Ort zu geleiten, als es hinter mir knackt. Ich drehe mich um und sehe, wie etwas auf mich zugerast kommt. Ich renne los, weiche Bäumen aus und stolpere über Büsche. Dann schrecke ich hoch.
Nur ein Traum. Es rauscht. vermutlich hat die Nachbarin von oben wieder ein nächtliches Bad genommen und lässt gerade das Wasser ab. Wie lange noch, bis ich aufstehen und zur Arbeit muss?

Montag, 18. September 2017

Wieder sickert nur ganz langsam die Erkenntnis in mein Bewusstsein: Ich muss heute gar nicht zu Arbeit. Und das hier ist auch nicht meine Wohnung. Ich bin nicht zu Hause, sondern 1.200 Kilometer entfernt in einer Blockhütte auf einer Forellenfarm. Das Rauschen ist das vom Wind in den Bäumen, nicht das Badewasser der Nachbarin.

Ich rutsche halb und falle mehr aus dem Bett und tappe ins Bad. Es ist erst kurz nach sechs. Offensichtlich fällt mir die Entspannung sehr schwer, anders ist das dauernde Träumen von der Arbeit und die kurzen Schlafphasen nicht zu erklären. Nach einem Tag wie gestern, an dem ich es bei schlimmsten Wetter über die Alpen geschafft habe, hätte ich erwartet, dass das Hirn andere Dinge zu sortieren hat. Stattdessen spielt es mir im Traum Gespräche mit Arbeitskollegen vor, über Dinge, die lange erledigt sind.

Ich lüpfe den Vorhang an der Tür. Ja, die V-Strom steht immer noch draußen und mit der Nase fast im Zimmer.

„Guten Tag, ich würde mit Ihnen gerne über Motorräder sprechen.“

Es regnet nicht, es stürmt nur. Der Wind reißt wir irre an den Bäumen. Ich lege mich nochmal ins Bett und mache die Augen zu, da höre ich, wie neben mir ein Schlüssel im Schloss gedreht wird und sich jemand räuspert. Ich bleibe still liegen und lausche ins Dunkel.

Ich bin nicht erschreckt, ich weiß, was das ist. Als ich am Vorabend gefragt hatte wo das Frühstück serviert wird, hatte Giulietta auf eine Tür am Ende des Zimmers gedeutet und gesagt „einfach da durch“. Mein Blockhüttenzimmer ist keine richtige, alleinstehende Hütte, sondern hat eine Verbindung zum Haupthaus.

Gestern Abend hat keiner der drei Schlüssel, die sie mir gegeben hat, diese Tür geöffnet. Ich wette, jetzt ist das anders.

Trotzdem bleibe ich noch ein wenig liegen und genieße die Bettwärme, die sich wie ein Kokon um mich legt und das Rauschen des Sturms noch gemütlicher macht. Um kurz vor acht packe ich dann meine Sachen, ziehe mich an und probiere die Schlüssel. Jetzt lässt sich einer im Schloss drehen, die Tür geht auf und ich stehe in einem fantastischen Frühstückszimmer.

Sechs Tische für je vier Personen stehen darin, eine Wand wird von einem großen Panoramafenster eingenommen, dass auf die Berge hinausblick. Daneben ist das zweitgrößte Süßes-Frühstück-Buffet aufgebaut, dass ich je gesehen habe. Harte Kuchen mit Konfitüre in 5 Ausführungen, 10 Variationen Kekse, süßer Zwieback, mit Nutella garnierte Törtchen… ein Diabetiker würde allein beim Anblick dieses Tresens einen Zuckerschock bekommen.

Hinter dem Tresen steht eine mollige Frau unbestimmbaren Alters und guckt mich an wie eine Eule. Italien produziert ja einen nie versiegenden Strom an Eulenfrauen, und die hier ist ein Prachtexemplar. „Moin“, sage ich auf italienisch, dann mache ich große Augen und lobe die Auswahl des Süßtresens als fantastisch und so noch nie dargewesen. Die Dame atmet hörbar auf. Sie hilft hier nur aus, weil Giulietta die Kinder zur Schule bringt, erklärt sie, und hatte befürchtet, dass sie mit mir englisch reden müsste. Nee, muss sie nicht. Das bricht das Eis, sie lächelt und fragt, was ich trinken möchte. Espresso, natürlich. Ich muss heute noch weit fahren und habe keine Zeit und keine Lust auf Pinkelpausen.

Aus dem Kariessortiment suche ich mir was aus von dem ich hoffe, dass es mit Pudding gefüllt ist. Italiener haben es drauf Sachen fluffig und locker aussehen zu lassen, aber meistens sind die Kuchen oder das Brot dann hart wie Stein. So mögen sie das, ich nicht. Jetzt lande ich aber einen Volltreffer, das Ding, das ich zum Tisch getragen habe, ist voller Vanillepudding. Geil.

Die Frau guckt mich an und fragt „sind sie mit dem Motorrad unterwegs“? Ich nicke. „Dummes Wetter dafür“, sagt sie. Ich muss grinsen, denn sie vermeidet anscheinend echte Schimpfwörter. Ich finde das niedlich. Sie guckt aus dem Fenster, vor dem die Bäume vom Wind nach links und rechts gepeitscht werden. Sieht ein wenig aus als ob sie rumhampeln. Wie weiland der singende Busch in „Drei Amigos“: Beim Gedanken an die Szene muss ich grinsen. Vielleicht bringen die Bäume draußen ein Ständchen, und wir hören es nicht, weil das Fenster schalldicht ist?

„Der Sturm ist heftig“, sagt die Frau und wieder finde ich ihre Wortwahl niedlich, denn sie sagt wörtlich „Der Wind ist wütend“.
„Ja“, mümmele ich zwischen zwei Bissen, „Aber wenigstens regnet es nicht“.

In diesem Moment fängt es an zu regnen.
Als hätte jemand vor dem Panoramafenster eine Dusche angestellt.
Ich schließe die Augen und bin leicht genervt.

Wieder ist die Regenkombi angesagt.

Nach dem Frühstück erfolgt der Einstieg in die Regenkombi, dann steuere ich die V-Strom vorsichtig aus der Forellenfarm hinaus und auf die Bergstraße.

Der Sturm schiebt Regenwolken wie im Zeitraffer durch das Gebirge. Die dicken Wolken ritzen sich die Bäuche an den Bergkämmen und bluten dichten Regen herab. Ich trage wieder meine Regenkombi und habe den Helm zugeklappt, mir ist der Regen egal.

Mit der selbstgefälligen Gemütlichkeit ist es schlagartig vorbei, als ich auf der Straße etwas schillern sehe. Öl! Eine Spur aus kleinen und großen Ölflecken verläuft genau in meinem Fahrweg. Sofort ziehe ich die Suzuki zur Seite und behalte die Spur im Auge.

ÖLSPUR!

FUCK. Die ist von einem Motorrad. Muss sie sein. Wenn ein Auto Öl verliert, ist die Spur ungefähr immer an der gleichen Stelle der Fahrbahn. Die Tropfspur hier verläuft kreuz und über die Straße, holt vor Kurven aus und wird zum Kurvenradius enger. Ich folge der schillernden Fährte mit den Augen und versuche gleichzeitig nicht auf ihr zu fahren oder sie zu kreuzen, was nicht einfach ist. Gerade das kreuzen lässt sich vor engen Kurven kaum vermeiden.

Nach einer Zeit merke ich, dass ich anhand der Größe und dem Abstand der Ölflecken sehr genau abschätzen kann, wie der andere gefahren ist. Nicht der beste Motorradfahrer, stelle ich fest. Vor Kurven holt er zu weit aus und lenkt zu früh ein, und in Linkskurven kommt er zu weit in die Fahrbahnmitte. Anhand des Abstands der Öllachen kann ich erkennen, wo er beschleunigt und wo gebremst hat. Der Typ konnte nicht nur keine Kurven fahren, er hat auch vor jeder massiv abgebremst und anschließend wie irre beschleunigt.

Ich kann vor meinem inneren Auge den anderern Fahrer sehen. Wie ein Geist fährt er vor mir her und erzählt mir die Geschichte seiner Fahrt. Meine Fantasie stellt ihn als einen der Angeberfahrer von gestern dar. Ich hasse ihn sofort.

Die Probleme, die mir die Hassfigur bereitet, sind erheblich. Er hat seine Ladung mit ordentlicher Streuung abgeworfen und ist zwischendurch immer wieder Schlangenlinien gefahren, so dass ich immer wieder durch die Ölspur muss. Dazu kommt: Die Straße ist supereng und windet sich in Kehren die Berge hinauf, da ist nur minimaler Spielraum. Immer wieder MUSS ich auf der Ölspur fahren, und das tue ich mit zusammengebissenen Zähnen und im ersten Gang und so aufrecht wie möglich. Verdammter Mist, die Kurven hier könnten so nett zu fahren sein. Zusammen mit dem guten Asphalt wäre das her sogar ein Kurvenparadies! Aber mit dem Öl auf der Straße ist es purer Stress und kippelige Rumeierei.

Kurven fahren bei Ölteppich macht keinen Spaß.

Gut, dass hier oben kein Verkehr ist, denke ich.
Und habe plötzlich einen Linienbus vor und einen Fiat Qubo drei Zentimeter hinter mir.

Also: Es ist kalt. Es regnet in Strömen. Der Wind reisst wie blöd an der V-Strom herum, die eine riesige Angriffsfläche bietet. Ich fahre eingekeilt zwischen zwei Fahrzeugen auf einer regen- und ölnassen Straße, und seitdem der Höhenmesser über 1.200 Meter ist, fahren wir in den Wolken, mit Sichtweite um die 20 Metern.

Kurvenreiche Straße von den Bergen nach Levanto.

Komfortzone ist anders, und ich bin froh, als nach einer halben Stunde der Bus abbiegt und mit ihm auch das öltriefende Motorradgespenst. Die Ölspur verschwindet im Nebel, und ich kann wieder ordentlich fahren.

Der Höhenmesser zählt wieder runter, es wird wärmer, dann tauchen erste Ortschaften aus dem Nebel auf, der schließlich verschwindet.

Ich fahre entspannter und tauche die V-Strom tiefer in die Kurven, als es plötzlich kracht und die Maschine abrupt ein Stück zur Seite gestoßen wird. Nur wenige Zentimeter, aber durch die Aufrichtbewegung komme ich fast auf die Gegenfahrbahn. In einem Sekundenbruchteil habe ich das Geräusch identifiziert und weiß, was das war: Der Unterfahrschutz hat aufgesetzt. Meine Strom liegt tiefer als eine Standardversion, und anscheinend darf ich in abfälligen Kehren nicht so tief runter. Etwas vorsichtiger fahre ich weiter.

Ich habe die apuanischen Alpen gequert und bin in Ligurien. Und wo ich schon mal hier bin, fahre ich nach Levanto, wo es das beste Eis der Welt gibt. Ich fahre mit der V-Strom auf die Strandpromenade und parke direkt am Meer.

Levanto, langjährig Lesende kennen die Geschichte schon, hängt mit der Nase im Meer und mit dem Hintern den Bergen. Hier ist es im Winter sehr einsam, und so kam es, dass mehre Familien in einen Wettstreit traten, wer wohl das beste Eis herstellte. Alle drei haben es zur Meisterschaft gebracht, aber das beste Eis gibt es im „Il Porticioli“ direkt an der Strandpromenade. Zumindest das beste Fruchteis, ander Sorten können die nicht so. Ihr neuestes Experiment „Torta di Mele“, Apfelkuchen mit Rosinen, ist nett, aber zu süß und mit zu viel Zimt. „Frutta die Bosco“ oder „BANANA!“ hingegen sind die Offenbarung.

Ich gucke auf´s Meer raus und genieße das beste Eis der Welt. Dabei muss ich aufpassen das ich nicht wegfliege, denn ein heftiger Wind peitscht vom Meer gegen die Küste.

Ein Bedürfnis tut Dringlichkeit kund, und auch dafür gibt es hier eine schöne Lösung. Die Bar Roma ist jetzt komplett neu eingerichtet, aber man kann immer noch für einen Euro einen verdammt guten Kaffee an der Bar genießen und erwirbt sich damit das Recht, die Toilette benutzen zu dürfen.

Auf dem Rückweg zum Motorrad probiere ich noch ein Eis bei Familie zwei, die deutlich experimentierfreudiger ist als die Familie vom „Porticioli“. Und sie haben einen Pinguin im Firmenlogo!

Ich wähle einige Kreationen, die mir so noch nicht untergekommen sind. Die Hipstersorte „Basilikum“ ist seltsam und schmeckt wie, nun, kaltes Basilikum. Unspektakulär. Ricotta mit Feige ist total langweilig, und der „Kuss der Damia“ entpuppt sich als Schokoeis mit Macadamiasplittern. Nee, dann lieber BANANA!

Basilikumeis!

Ich überlege wo ich jetzt hin will. Richtig Lust habe ich eigentlich auf gar nichts. Auf dem Programm stand ein Besuch in Carrara, in einem Museum in den berühmten Marmorsteinbrüchen, die nicht weit von hier sind. Aber da ist mir gar nicht nach nach, und das Wetter sieht in der Region auch nicht gut aus. Vielleicht die Käserei in Fauglia besuchen und einkaufen? Nee, die werden Mittagspause haben wenn ich dort eintreffe.

Eigentlich, muss ich mir eingestehen, habe ich auf gar nichts Lust. Ich will keine Leute treffen, ich will nichts neues Lernen. Ich will meine Ruhe haben, nur ich, das Motorrad und das Fahren durch schöne Landschaft. Alles andere kann mich mal, dazu bin ich viel zu müde und unmotiviert.

Weiter geht´s!

Ich blicke zum Himmel. Der ist gischtverhangen, denn der Wind peitscht das Meer gegen die Strandmauern und sorgt für einen deutlich erhöhten Salzgehalt der Luft, was sich auch an an gesprenkelten Brillengläsern ablesen lässt. Die Regenwolken hängen immer noch in den Bergen, und so puhle ich mich wieder in die Regenkombi, bevor ich die Fahrt fortsetze.

Die führt durch das Bergland von Ligurien und viele kleine Ort und Dörfer. Schnell vorankommen tut man hier nicht, aber ich habe Zeit und niemand treibt mich.
Nur fahren, einfach fahren und den Kopf frei kriegen und nie ankommen.

Besonders schön ist übrigens der große Tank der Suzuki, stelle ich fest. Die Kawasaki ZZR 600 hatte mit 16 Litern zwar auch ein ordentliches Volumen, aber mit dem musste ich immer sehr genau planen und überlegen wann ich wo wie tanke. In Italien ist taktisches Tanken nötig, weil zwischen 12 und 16 Uhr die Tankstellen Mittagspause machen und die Tankautomaten nie das tun, was man von ihnen will. Bei der ZZR musste ab 250 Kilometern eine Tankstelle gesucht werden, ab 300 ging die Maschine in die Reserve.

Die V-Strom schafft mit ihrem geringerem Verbrauch und dem 22 Liter fassenden Tank locker 400 Kilometer bis ich überhaupt nur daran denken muss zu tanken. Sehr entspannend. Wie die ganze Maschine überhaupt sehr entspannend ist – Sitzhaltung, Wetterschutz, das gutmütige Kurvenverhalten, das Wegschlucken von Bodenunebenheiten –
alles super, wie ich immer wieder feststelle. Das ich dafür eben nicht in einer Kehre das nervige und stinkende Wohnmobil überholen kann, weil die Suzuki nicht über die Leistung der ZZR verfügt – geschenkt.

Es geht an Massa Cararra und Fort dei Marmi vorbei, daran schließen sich endlos weitere Orte an. Dieser Teil der ligurischen Riviera ist ein gigantischer, ineinander verschmolzener Vergnügungsstrand. Hotel an Hotel an Tennisplatz an Restaurant an Kino an Minigolfanlage… die Straße führt daran entlang und ist endlos und Tempo 50 und ich langweile mich zu Tode. Im Juli und August tobt hier das Leben, jetzt ist alles wie ausgestorben.

Ich setze einen Kurs auf die Berge und bin kurz darauf in Pisa, dann geht es durch das Pisano Orciano. Das ist eine weite Hügellandschaft voller Felder. Im Juni wogt hier Getreide und die Landschaft ist warm und golden. Jetzt, im September, ist alles grau. Die Felder sind schon abgeerntet und gepflügt. Die Hügel bestehen aus grauen Erdbrocken und Regenglocken liegen über dem Land. Dennoch ist es schön.

Ich cruise über die Straße und lasse den Blick schweifen und schreie plötzlich laut SCHEISSE. Direkt vor mir auf der Straße liegt eine Metallplatte, so groß wie ein Bierdeckel, aus der ein Dorn hervorsteht. Ich sehe das Ding an, und weil man IMMER dorthin fährt wo man hinguckt, fahre ich genau darüber, merke das Huppeln am Vorderrad, dann wird das Teil hochgeschleudert, schlägt gegen den Motorschutz und schließlich nehme ich es auch noch mit dem Hinterrad mit.

SCHEISSE! Haben die Reifen was abbekommen? Das fehlt mir noch, dass ich so kurz vor dem Ziel eine Reifenpanne habe. Ich kann hier nicht anhalten um nachzusehen, die Straße ist eng und ohne Haltemöglichkeit. Aber genau für diese Situationen hat die V-Strom ja Sensoren. Ich rufe über das Navi die Daten von den Reifen auf. Der Druck Vorne und Hinten ist noch OK und ändert sich nicht, es wurde also zumindest nichts stark beschädigt. Fünf Kilometer weiter kann ich endlich halten und die Reifen untersuchen.
Sehen gut aus, aber der Motorschutz hat eine heftige Macke. Was immer das war, ich hatte mehr Glück als Verstand das es mir nicht die Reifen aufgeschlitzt hat.

Ich steuere auf die Strada Statale 1, die Schnellstraße, die parallel zur Küste verläuft. Die ist so legendär schlecht das man ein Schleudertrauma nur vom drüberfahren bekommt, wenn die Federung des Moppeds hart ist. Mit der Reiseenduro sind die Macken der sonnenzerbrochenen Straße dagegen belanglos. So lange ich die tieferen Schlaglöcher meide, in denen problemlos ein Fiat Punto auf Nimmerwiedersehen verschwinden könnte, ist alles gut.

Es regnet wieder, aber irgendwie ist mir alles egal, auch das.

Bei San Vincenzo Nord fahre ich ab, tanke, entledige mich der Regenklamotten und lege dann die letzten Meter zu „I Papaveri“ zurück. Ich halte vor dem Tor und Licio, der Besitzer des Anwesens, winkt mir aus dem Garten zu und kommt auf mich zu.

Wir begrüßen uns wie alte Freunde, und dann dann kommt Franca auf mich zugestürmt, die Dame des Hauses. Sie fällt mir um den Hals, küsst mich auf beide Wangen, dann macht sie dicke Backen. „Ist DAS dein neues Motorrad? Diese große Schwarze? Die ist ja riesig, guck dir diese Front an!“ Ich muss lachen, denn Franca benutzt das Wort „circonferenza“, was auch „Vorbau“ bedeuten kann. Sie sieht ehrlich zweifelnd aus, ob ich diese Kiste bewegen kann.

Angekommen auf „I Papaveri“

Beim Caffé tauschen wir uns kurz aus. Heute bin ich der einzige Gast, aber die Saison, erzählt Franca, wäre gut gewesen. Seitdem die Türkei als Urlaubsland ausfällt haben sie hier sehr viele Gäste, aber nicht immer angenehme. Dieses Jahr seien viele Russen, Slowaken und Ungarn hier gewesen, und das sei „horribile“ gewesen. Auseindersetzungen, Besäufnisse, Schäden an den Appartments. Am Liebsten hätte sie Schweizer Gäste, die machten nie Probleme. Bei Deutschen… nun, da käme es drauf an. „Worauf?“, will ich wissen. Sie blickt ernst. „Woher in Deutschland kommst Du?“ „Aus der Mitte“, sage ich und merke, wie meine Antwort Franca in Verzweifelung stürzt. Zögerlich sagt sie dann: „Nun, ganz ehrlich: Es ist ein Unterschied, ob die Leute aus Ost- oder Westdeutschland kommen. Die aus Ostdeutschland sind viel schwieriger.“ Ich muss grinsen.

Das schöne daran Urlaub dort zu machen, wo man sich schon auskennt: Man weiß, wo alles ist, und muss sich nicht groß orientieren. Nach einem kurzen Ausflug in den nahegelegenen Supermarkt packe ich die Koffer aus und verteile mein Kram in dem luxuriös-riesigen Appartement mit dem schönen Namen „Principessa“. Die Prinzessin ist eigentlich für 5 Personen gedacht ist und hat ein riesiges Wohnzimmer, eine Küchenecke, ein großes Schlafzimmer und zwei überdachte Sonnenterrassen. Diesen Luxus nenne ich nun wieder eine Woche meine Wohnung. Tatsächlich ist es ein wenig wie nach Hause kommen. Anscheinend denke nicht nur ich so. Erst spät entdecke ich neben der Küche eine Flasche Wein und daneben eine handgeschriebene Notiz von Franca an der Wand: „Willkommen zurück zu Hause“.

Dann wird ein Topf Nudeln gekocht, und ich mache es mir gemütlich.

Ich sitze noch lange am Küchentisch, trinke etwas von dem Begrüßungswein und schreibe Tagebuch. Dann fallen mir Francas Worte wieder ein. Wie hatte sie die V-Strom genannt? „Die große Schwarze mit dem Vorbau“. Ich muss grinsen. Fahrzeuge müssen sich ihren Namen bei mit verdienen, und der Name muss zu ihnen kommen.

Die Suzuki und ich, wir haben jetzt wirklich schon was mitgemacht in den sieben Monaten, die wir uns kennen, sinniere ich vor mich hin. Sie „Frau Strom“ zu nennen ist doof, weil JEDER V-Strom-Fahrer seine Kiste so nennt. Nein, meine Suzuki hat sich einen eigenen Namen verdient, und gerade hat der passende sie gefunden. Ich greife mein Weinglas und gehe vor das Appartement, wo die große Schwarze im Schein der Lampen steht.

Ich tippe einen Finger in den Chianti und lege ihn auf die Stelle zwischen den Scheinwerfern, dann murmele ich „Ich taufe Dich auf den Namen… Barocca.“

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Kategorien: Motorrad, Reisen | 8 Kommentare

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8 Gedanken zu „Reisetagebuch Motorrad 2017 (3): Ölspurensucher für ein Motorradgespenst

  1. Schöner Name. Meine heißt „wumm“. Tja PS…..es ist ein hundertstel Bruchteil des
    Reisemoments, wo ich mir mehr Bumbs wünsche: Strecke übersichtlich, griffig und
    möglichst frei von zweibeinigen Geschwindigkeitsdetektoren in blauer oder grüner Farbwahl.
    Bei deinem bisherigen Reisewetter mit Wasser und Ölgewürz als Straßenpeiler
    verbietet sich doch von selbst Geschwindigkeit über Physik.
    Schaust du in der Fe.-Wohng. TV oder installierten Film? Habe zwar Zattoo auf dem Pad installiert, im Ausland nutzt mir das aber nichts, wenn das INet die Daten nicht dahin leitet.

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  2. Meist schaue ich gar kein Fernsehen. Falls doch, dann hänge ich das Netbook an den Fernseher oder ich streame von einer SD-Karte, die im MiFi steckt und und gucke Aufzeichnungen von Zuhause.

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  3. tomtomsprinter

    erkläre mir mal bitte wie ein Motorrad eine Ölspur legen soll, ohne dabei selber mit dem Hinterrad drauf auszurutschen? Die Ölspur war sicherlich nicht von einem Motorrad.

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  4. Das weiß der Herr… weil? Natürlich kann ein Mopped Öl verlieren und eine Spur hinterlassen ohne sofort selbst wegzurutschen. Ich spreche aus eigener Erfahrung:
    Mir ist bei einer Honda mal der Schlauch zum Kühler geplatzt. Ich habe Damals in kurzer Zeit irre viel Öl verloren ohne mich langzulegen.

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  5. tomtomsprinter

    Der „Herr“ fährt seit vierzig Jahren Motorrad und hat als junger Mensch KFZ Schlosser gelernt. Ich staune immer über Dein Selbstbewusstsein. Jemand der eigentlich keine Ahnung hat, schreibt in seinem Blog über Motorräder als wüsste er Bescheid.

    Besser wäre, und den Hinweis hast Du ja schon einige male bekommen, Du würdest Dich auf Deine Reisegeschichten und vielleicht noch auf die Werbung für Deine Matratzengeschäfte beschränken. Mit politischen Themen und Fachthemen zum Motorrad disqualifizierst Du Dich leider regelmäßig.

    Ansonsten, super Geschichten.

    Eins noch, weil ich gerade dabei bin. Versuche doch mal nicht alle Menschen zu beleidigen und als Idioten darzustellen nur weil Du ihr Handeln nicht verstehst.

    Gruß
    Tom Haida

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  6. UI, 40 Jahre Erfahrung und nie ist Dir ein ölendes Mopped untergekommen? Da gratuliere ich zu, das ist wirklich Glück!

    Es tut mir wirklich Leid, wenn regelmäßig Artikel in diesem Tagebuch nicht den subjektiven Qualitätsstandards entsprechen. Es ist nicht meine Absicht, den Blutdruck von unschuldigen Lesern in gefährliche Regionen hochzudrücken. Zum Ausgleich und zur Beruhigung empfehle ich den Rest des Internets: Auf Seiten wie 4chan oder gutefrage.net finden sich ausschließlich qualifizierte Meinungen, geäußert von gutriechenden Menschen. Auch zu Moppedthemen.

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  7. tomtomsprinter

    Von meinem Blutdruck war keine Rede. Der wird von Dir nicht beeinflußt, dann würde ich Deinen Blog auch nicht mehr lesen. Deine Reiseberichte sind ja auch kurzweilig.
    Ich habe schon einige ölende Mopeds erlebt.
    Aber dein geplatzter Kühlerschlauch wird ja keine Kilometer lange gefährdende Ölspur verursacht haben und Du hattest Glück, dass es Dir offensichtlich nicht das Hinterrad eingesaut hat.
    Gerade auf nassen Straßen reichen schon ein paar Tropfen um das ganze spektakulär aussehen zu lassen. Aber das weißt Du ja alles.

    Nichts für ungut.

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  8. lieber tomtomsprinter
    für jemanden, dessen imbezillität sich in aussagen wie „ich bin so und so erfahren“ oder „du solltest nicht…“ obwohl jener sich bis dahin nicht im mindesten hat, erschöpft, verhältst du dich ein bißchen mau; du selbst solltest dich überprivilegiert fühlen, die reiseberichte, welche dir vermitteln, was dir an gleicher stelle nicht im mindesten auffiele, lesen zu dürfen, anstelle dich in peanuts im befruchtungsstadium zu ergehen.
    zugegeben: Herr Silencer macht es dem typ allesundnichtsspezialist nicht leicht, ihn eines ‚g’schichtls‘ zu überführen, da er dummerweise durchblicken läßt, so rein gar nichts am moppet selbst machen zu wollen – oder sogar zu >können<, falls ich ihn richtig verstehe.
    was ich selbst dir allerdings mit der leichtigkeit meines seins bzw eines meiner moppets erklären kann: ein hinterrad bzw -reifen wird nur dann beschmutzt, wenn die teile öl auf/annehmen. eines meiner moppets hat eine der ölablaßschrauben so weit seitlich angeordnet, daß tropfendes öl nicht mal dann an ein nachfolgendes teil könnte, wenn es die dazu richtige kurvenlage hätte – auf dem knie vielleicht, aber das wird zb bei nebel, regen oder unbekanntem terrain selten eingesetzt – außer vllt von typen, welche meinen, motorraderfahren zu sein, hieße, seine beginnende altershalsstarsinnigkeit fälschlicherweise als erfahrung einzustufen – mit solchen umgebe ich mich jedoch nicht.
    sollte diese erkenntnis eine neue erfahrung für dich sein, freute mich dies – denn dann besteht immerhin die chance, redundante empfehlungen, welche mit dem reisebericht nicht im mindesten, mit gschaftlhuberei jedoch unbedingt zu tun haben, hier erfreulicherweise nicht mehr lesen zu müssen.

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