Reisetagebuch London 2016 (2): The Full Monty
Im Februar 2016 sind Silencer und das Wiesel in London unterwegs. Heute fÀllt Karneval aus, was aber niemand bemerkt, es gibt eine Tour durch Dungeons und Museen, und am Ende des Tages steht Nudelsalat.
Montag, 08. Februar 2016
Es stĂŒrmt das ganze Wochenende durch, und auch am Montag ist es windig. Aber nicht nur in London, auch auf dem kontinentalen Festland stĂŒrmt es. Die Natur verhindert damit in Deutschland eine von Menschenhand geschaffene Katastrophe: Den Karneval. Der fĂ€llt wegen des Wetters aus.
Aber das kĂŒmmert in London niemanden. London ist ohnehin Hauptstadt von Geh-mir-nicht-auf-den-Sack-Land. Bestes Beispiel: U-Bahn. Londoner unterhalten sich nicht in der Tube. Unterhalten tun sich nur Touristen. Der Londoner sitzt da und macht die Augen zu, liest Zeitung oder notiert handschriftlich Dinge in seinem, Leder gebundenen, Organizer. Mitreisende werden ignoriert und nicht mal angesehen.
Das macht sich auch in den U-Bahnhöfen bemerkbar: In keiner anderen Stadt kollidiere ich so oft mit Leuten. Der Trick ist nĂ€mlich, ganz deutlich in die Richtung zu gucken, in die man tatsĂ€chlich gehen will. Schaut man links oder rechts an ihnen vorbei, nehmen andere Menschen nehmen das unbewusst wahr und gehen aus dem Weg. Das ist ein ganz unbewusster Vorgang, eine zwischenmenschliche Kommunikation, die wir gar nicht bewusst mitbekommen- auĂer, wenn das System mal nicht funktioniert. Das ist z.B. dann der Fall, wenn wir uns versehentlich direkt angucken – zack, stehen wir plötzlich voreinander und trippeln anch links und rechts und sind verlegen. Das “Ich guck an Dir vorbei und du bemerkst das” klappt eigentlich ĂŒberall – nur in London nicht, weil die Leute hier einander nicht ins Gesicht sehen. Jeder ist ganz in seiner eigenen Welt. Es ist, als sei man von Geistern umgeben.
An der Haltestelle Embankment spuckt mich der Underground an die OberflĂ€che. Ein kurzer Spaziergang ĂŒber die Golden Jubilee BrĂŒcke und vorbei am London Eye, dem Riesenrad, dann stehe ich vor der ehemaligen County Hall. Das riesige GebĂ€ude direkt an der Westminster Bridge wird heute nicht mehr von der Verwaltung genutzt. Es beherbergt verschiedene GeschĂ€fte, ein Aquarium und den London Dungeon.
Der ist neu, erst seit 2013 residiert er in der alten County Hall. 2001 habe ich den VorgĂ€nger besucht. Daran kann ich mich nicht mehr wirklich erinnern, habe aber ein diffuses GefĂŒhl, dass das damals ĂŒberraschend gut war.
Auch dieses Mal bin ich angenehm ĂŒberrascht. Leider darf man keine Fotos machen. Zusammen mit einer Gruppe von rund 30 Personen wird ins Innere des GebĂ€udes gefĂŒhrt, durch auf alt getrimmte TĂŒren, dann wird es Dunkel. An den WĂ€nden sind KĂ€fige mit echten Ratten aufgebaut, und ein Kerkermeister weist uns den Weg.
Nach einem Abstieg ĂŒber Treppen und einen alten Aufzug geht es weiter in ein Boot, das durch die Dunkelheit schaukelt. Immer wieder kommt es an schaurigen szenen vorbei, wie dem VerrĂ€tertor, an dem abgetrennte und sehr echt aussehende Köpfe hĂ€ngen. Dann rumpelt es, das Boot wird hochgehoben und gleitet rĂŒckwĂ€rts an einen Anlegesteg. ganz schön verwirrend, wenn man im Stockdunkel gar nicht mehr weiĂ, wie und wohin man sich bewegt.
Ab jetzt geht zu FuĂ weiter, zu einzelnen Stationen aus Londons Geschichte, die mal schaurig, mal lustig umgesetzt sind. Von den mörderischen Vorlieben einzelner Könige geht es ĂŒber den Gunpoweder-Plot und die Pest, Sweeney Todds Barbiersalon und Jack the Ripper bis hin zur eigenen Hinrichtung – die sich als Freefall im Dunkeln entpuppt. Rund eineinhalb Stunden dauert das Ganze, und ich habe meinen SpaĂ dabei.
Direkt neben dem London Dungeon liegt ĂŒbrigens die berĂŒhmte TĂŒr aus dem Bondfilm “Die another Day”. Als Pierce Brosnan darin verschwindet, findet er dahitner ein Geheimlabor von Q.
Zwischen Dungeon und Bondlabor liegt das Sea Life Aquarium und, ganz neu, “Shreks Welt”.
Die gucke ich mir aber nicht an, ich wandere nach Lambeth. Der Stadtteil liegt sĂŒdlich von Westminster, am SĂŒdufer der Themse.
Hier ist eine von drei AuĂenstellen des Imperial War Museum (IWM), das in einem mĂ€chtigen und dĂŒsteren Bau untergebracht ist.
Betritt man das alt wirkende GebÀude, steht man plötzlich in der Lobby eines Wolkenkratzers. Zumindest wirkt es so, der Raum ist aus Beton und so groà und so hoch, das echte Flugzeuge darin von der Decke hÀngen. An den WÀnden ziehen sich Galerien entlang, die einzelne AusstellungsrÀume beherbergen.
Das IWM wurde im ersten Weltkrieg gegrĂŒndet und ging auf die Initiative von Privatpersonen zurĂŒck, einem deutschen Industriellen, einem englischen Lord und dem Waffenkurator des Tower of England. Die Regierung sah in dem Museum ein Propagandainstrument und förderte es finanziell. Als sie herausfand, dass die Museumsmacher auch zeigen wollten, wie Krieg Gesellschaften verĂ€ndert und soziale Schichten betrifft, war man dort not amused, aber es war zu spĂ€t.
Bis heute zeigt das Museum einerseits KriegsgerĂ€t und BeutestĂŒcke aller Art, zum anderen aber auch die zivilgesellschaftlichen Ănderungen in Kriegszeiten – wenn auch auf niedrigem Level.
Unter den Exponaten sind wirklich interessante StĂŒcke, die ich hier nicht vermutet hĂ€tte. Ein Jeep des ersten “Embedded Journalist” aus dem Golfkrieg, zum Beispiel.
Blauhelm-GerÀt:
Ein Mosaik, dass im Golfkrieg aus Bagdad geklaut wurde:
Das ist aber nicht das einzige BeutestĂŒck:
Allerlei KriegsgerÀt aus allen möglichen Kriegen:
Das hier ist ds Auto von General Montgomery. Er glaubte daran, dass es die Moral der Truppen steigert, wenn sie den Tag mit einem erstklassigen FrĂŒhstĂŒck beginnen. Deshalb bestellt man in britischen Restaurants einen “Full Monty”, wenn man ein FrĂŒhstĂŒck mit allem drum und dran haben möchte.
Das IWM hat noch zwei weitere AuĂenstellen in London. Eine davon sind liegt unter dem Regierungsviertel, das mit KriegsdenkmĂ€lern gespickt ist. Hier das Mahnmal zum Gedenken an den Einsatz der Frauen im zweiten Weltkrieg.
Unweit davon geht es in den Untergrund, denn hier kann man die zweite Aus0enstelle des Imperial War Museums besuchen. Es geht unter die Erde, in die Cabinets War Rooms, eine Reihe von Bunkern in denen Churchill wÀhrend des zweiten Weltkrieges mit seinem Kommandostab unterkam.
Eine bis zu 3 Meter dicke Stahlbetonplatte sollte die ehemaligen KellerrĂ€ume unweit von Downing Street 10 vor Bomben schĂŒtzen, hĂ€tte das bei einem Volltreffer aber vermutlich nicht vermocht. Zu hinimprovisiert sind die darunterliegenden Konstruktionen, schlieĂlich handelt es sich nur um LagerrĂ€ume aus Backstein, verstĂ€rkt mit HolzstĂŒtzen.
Es ist ein beklemmendes GefĂŒhl, durch diese Anlagen zu streifen, in denen mit Puppen und allerlei Requisiten Szenen aus der Zeit des zweiten Weltkriegs dargestellt sind. Die RĂ€ume erzĂ€hlen Geschichten – von FunksprĂŒchen und FrontverlĂ€ufen, von Hektik und Verzweifelung, von Anspannung und Angst und schweren Entscheidungen.
Churchill hasste den Bunker und schlief selbst nur 3 Mal dort unten. Der Grund: Es gab keine sanitĂ€ren Anlagen, und Churchill badete zwei Mal am Tag – ein Mal morgens und einmal am spĂ€ten Nachmittag, nach seinem Mittagsschlaf. Im Bunker arbeitete er nur.
Manchmal erzĂ€hlen die Exponate auch persönliche Geschichten. Wie diese drei ZuckerwĂŒrfel, die ein Wing Commander in seinem Schreibtisch versteckt hatte.
Die Gesellschaftlichen Auswirkungen zeigt das Museum durch Exponate aus der Zeit des “Blitz”, der Fliegerangriffe der Deutschen auf London. Bunker fĂŒr FamilienhĂ€user und Propagandaschilder mit Aufrufen, u.a. mehr zu stricken.
Unweit der Churchill War Rooms liegt die National Gallery. Der Weg dahin ist interessant. GegenĂŒber von 10, Downing Street liegt der St. James Park, und dort gibt es… Pelikane?
Vor der Nationalgalerie liegt der Trafalgar Square. Hier halten Löwen am Fuà der NelsonsÀule wacht.
Nicht nur das ĂuĂere der Galerie ist beeindruckend.
Im Inneren findet sich eine der tollsten GemĂ€ldesammlungen, die ich je gesehen habe. Angefangen bei den tollsten Renaissancewerken ĂŒber barocke Juwelen bis hin zu Van Goghs, Monets und andere: Toll-Toll-Toll. Viele Werke kenne ich aus BĂŒchern, hier sehe ich sie in echt.

Ich laufe den halben Nachmittag durch das groĂe GebĂ€ude und bin beeindruckt von den Malereien von Canaletto:
Bei diesem Bild gefĂ€llt mir, was der Gelehrte auf seinem SchriftstĂŒck stehen hat: “Schweig still, es sei denn Du hast etwas besseres von Dir zu geben als Stille”. Das sollte ich mir auf Karten drucken und an Labertaschen in die Hand drĂŒcken.
Mittlerweile bin ich schon seit mehr als 8 Stunden unterwegs, es ist kurz nach 17.00 Uhr. Jetzt ist Shopping angesagt, oder zumidest Gucking. Ich besuche Orbital Comics, den vermutlich bestsortieren Comicladen Londons. Hier Arbeite Riot Rogers, aber heute ist sie leider nicht da. Schade, ich hÀtte der Cosplayerin gerne mal zu ihrer tollen Arbeit gratuliert.
Weiter geht es zu Stanford Maps, wo ich einige Reproduktionen alter Landkarten kaufe, und dann zu Forbidden Planet, dem gröĂten Comicspielzeugladen den ich kenne. Hier gibt es alles an Comic- und Filmmerchandise, von Star Wars ĂŒber Assassins Creed bis hin zu Doctor Who.
Kaufen tue ich allerdings nichts. Stattdessen decke ich mich in einem Tescos mit Nudelsalat und Obst aus der Convenienceabteilung ein, dann fahre ich zurĂŒck nach Paddington und streife noch ein wenig durch das Viertel. London ist alt, das merke ich immer wieder, und freue mich an den kleinen SkurriliĂ€ten, die sich durch die Jahrhunderte gerettet haben. Wie den Stachelschwein-Pub.
Der Tag in der Ăbersicht: Erst ans Ufer der Themse und in den London Dungeon, dann nach Lambeth ins Imperial War Museum, danach ins Regierungsviertel und schlieĂlich zur National Gallery, Shoppen im Westend und zurĂŒck nach Paddington.
ZurĂŒck zu Teil 1: Strike!
Weiter zu Teil 3: Die seltsame Begegnung mit der Frau in der Nacht
Ein Gedanke zu „Reisetagebuch London 2016 (2): The Full Monty“
Diesen Drop Ride musste ich mir gleich ansehen im Dungeon – gut dass man das auch auslassen kann. Sowas mach ich nie wieder (Universal Studios Paris, 2017) – das orientierungslos sein, zusammen mit dem Fallen ist so gar nicht meins! đ aber das Dungeon könnte ich mal besuchen.