Soll ich die jetzt nehmen oder nicht? Ich merke, dass ich vor Nervosität zittere. Zwei Schritte zurück. Einer vor. Wieder das gleiche Ergebnis. Verdammt.
Kaum jemand kennt alle Teile der „Harry Potter“-Geschichte. „Moment“, werden jetzt viele sagen, „ich habe alle sieben Bücher gelesen und alle 8 Filme gesehen!“ Tja, mag sein, aber es gibt ACHT Bücher, und das letzte ist nicht verfilmt worden.
Das Siebte endet kurz nach dem Sieg über Voldemort, in der letzten Szene verabschieden Harry und Ginny Potter ihr Kind am Bahnsteig nach Hogwarts. Das achte Buch spielt 19 Jahre später. „Harry Potter and the Cursed Child“ ist allerdings kein Roman und kein Film. Es ist ein Drehbuch für ein Theaterstück, und das lief bis vor Kurzem nur an einem Ort auf der Welt: Dem Palace Theatre in London.
Man denke in diesem Zusammenhang an einen neuen Star Wars-Film, der nur in einem Kino auf der Welt läuft. Das gibt eine kleine Vorstellung davon, wie gewaltig der Andrang auf die Karten ist. Mittlerweile läuft die Produktion zwar auch in New York und Melbourne, aber dennoch ist die Nachfrage riesig. Erschwerend kommt hinzu: Die Geschichte ist so episch, dass ein Theaterbesuch nicht reicht, um sie zu in Gänze erleben. Man muss tatsächlich zwei Vorstellungen besuchen, jede gut 150 Minuten lang, um alles zu sehen. Fast 6 Stunden braucht es, um „The Cursed Child Part I & II“ zu sehen.
Das Palace Theatre veröffentlicht alle drei Monate Karten für die Vorstellungen in einem Jahr, zu beziehen nur Online und in Minuten ausverkauft. Heute war es wieder soweit, es gab Karten für den Zeitraum Februar bis April 2019. Der Buchungsvorgang war… eine interessante Erfahrung.
Die Harry-Potter-Produktion arbeitet mit zwei Ticketvertrieben zusammen, die beide unter dem Webauftritt http://www.harrypottertheplay.com arbeiten, aber leicht unterschiedliche Buchungseiten haben. Die ATG-Seite ist etwas übersichtlicher, auf der Seite von Nimax hat man dafür mehr Optionen.
Wer Tickets haben möchte, abonniert am besten den Newsletter auf der Website, dann wird man rechtzeitig informiert wann der Verkauf startet. An einem Tag X geht es dann um 11:00 Uhr los, um eine Chance zu haben muss man 30 Minuten vorher auf der Seite sein. Dort betritt man einen virtuellen Warteraum, während ein Timer runtertickert.
Kommt er bei Null an, geht es los: Alle Wartenden bekommen eine Nummer, die willkürlich zugelost wird. Die Nummer gibt die Position in der Warteschlange an. Ich muss zugeben: Ich bin nervös. Ich bin allerdings auch derjenige, der bei Ebay-Auktionen drei Sekunden vor Schluss vor Adrenalin kaum aus den Augen gucken kann. Werde ich dieses Mal Karten bekommen? Falls nein, werde ich ein Jahr warten müssen bis zum nächsten Versuch.
Das Buchungssystem läuft stabil, die Seite ist erreichbar und reagiert flüssig. Das ist bei so vielen, gleichzeitigen Aufrufen auch schon eine Kunst für sich. Ich bin in zwei Browsern eingeloggt. Während meine eine Identität Platz 90.489 bekommt, hat die andere Glück: Platz 175. Man sieht übrigens jederzeit wie viele Personen vor einem sind, und wie lange es ungefähr dauert, bis man dran ist.
Kommt man in die Buchungseite, hat man bei Nimax 5 Minuten, bei ATG 15 Minuten Zeit. Nun gilt es zunächst auszuwählen: Möchte man beide Teile an einem Tag oder an aufeinanderfolgenden Tagen sehen? Oder doch nur ein Ticket für einen Teil? Dann muss das Datum gewählt werden. Auf der ATG-Seite sucht man sich jetzt eine Preiskategorie aus, dann bekommt man vom System die besten Plätze zugewiesen – oder das, was der Computer dafür hält.
Auf der Nimax-Seite kann man sich zumindest aussuchen, ob man im Parkett oder auf einem der Balkone sitzen möchte, aber auch hier ist dann der Platz vom Buchungssystem vorausgewählt. Man bekommt übrigens in beiden Vorstellungen denselben Platz. Ist der also mies, ärgert man sich gleich zwei Mal darüber.
Klick-Klick-Klick, ich möchte beide Teile an einem Tag, im Februar 2019… „Superplätze in I19“, meldet die Website. Ja, nee, glaub ich nicht.
Ich habe nämlich nebenbei die Website „Seatplan“ offen. Die kann ich uneingeschränkt empfehlen, die ist für London eines meiner wichtigsten Planungsinstrumente. Auf Seatplan.com sind von fast allen Londoner Locations die Sitzpläne abrufbar. Aber nicht nur das: Nutzer der Seite können Rezensionen und Bilder zu jedem einzelnen Platz posten. Im Besten Fall kann man auf Seatplan also genau sehen, wie der Blick auf die Bühne ist.
„I19“ liegt im „Dress Circle“, dem ersten Balkon. Recht weit weg von der Bühne, und oben drüber wölbt sich schon der nächste Balkon, der Grand Circle. Das Bild ist von seatplan.com:
„Ist nicht so toll“, schreiben die Rezensionen. „Lieber einen Platz weiter unten nehmen“. Und: „Platz war für mich OK, aber ich habe auch nur 10 Pfund für die Karte bezahlt. Gepriesen sei Last Minute, hehe“, schreibt einer. Nun, billig sind die Tickets im regulären Verkauf mal nicht. Die Preislage, in der der Computer mir gerade Plätze sucht, liegt bei 70 Pfund. Für Londoner Verhältnisse ist das günstig, aber dazu kommen noch 5 Euro Gebühren, und man braucht halt zwei Tickets, und schon ist man bei 150 Pfund, was aktuell 170 Euro sind. Dafür kann man 10 mal ins Kino gehen.
Ich gehe nochmal zwei Schritte zurück und wähle nochmal, aber wieder bietet mir der Computer nur I19 an. Oder einen Platz im Parkett, aber da ist die Gefahr groß, dass ein großer Mensch vor mir sitzt und ich 6 Stunden lang einen Hinterkopf begutachten kann. Nein, wenn, dann Balkon. Aber so meilenweit von der Bühne entfernt?
Der Timer tickert langsam runter, ich muss mich entscheiden…
Kurz darauf habe ich tatsächlich die I19-Tickets für HP8. An meinem Wunschdatum. Aber halt auf einem nicht optimalen Platz. Aber hey, es geht noch schlimmer, Seatplan hat auch Bilder vom „Balcony“. In dessen letzter Reihe muss man schwindelfrei, man guckt gefühlt senkrecht und aus großer Höhe auf einen kleinen Ausschnitt der Bühne. DAS sind schlechte Plätze.
Wie ein befriedigender Kauf fühlt sich das trotzdem nicht an. Aber ein nicht-ganz-so-doller Platz besser ist als keiner, oder?
Wrong. Später am Tag kam die Erkenntnis: Ich fahre nicht nur, aber auch wegen dieses Stücks nach London. Dann sollte das Erlebnis besser ein Gutes sein.
Am Abend, als der Ansturm auf die Website vorbei ist und das Buchungssystem wieder ohne Warteschlange arbeitet, klicke ich mich nochmal durch den Bestellprozess.
Aha, jetzt sind bei Nimax auch die besonders guten Karten auswählbar! Das Preisband „Premium“ enthält die Karten, die man WIKRLICH will. Gute Sicht auf die Bühne, praktisch nicht verbaubar. Und tatsächlich noch für mein Wunschdatum erhältlich!
Schnell klicke ich mir die und fühle kurzzeitig den Endorphinrausch. Der endet, als die Bezahlung mittendrin scheitert, weil meine Kreditkarte mit einer App authorisiert werden möchte, die ich gerade nicht auf dem Handy habe.
Ich bin kurz am Boden zerstört, aber nicht lange, denn tatsächlich hatte ich das verkehrte Datum ausgewählt. An meinem Wunschdatum gibt es keine Premiumkarten. Aber eine Woche vorher…
Lange Rede, kurzer Sinn: JETZT habe ich nicht nur irgendwelche Karten, sondern sogar richtig gute. Leider nicht an meinem Wunschdatum, aber dicht dran. Und dieser Blick auf die Bühne ist es wert, das Datum der Reise zu verschieben:
Puh, spannender Tag. An dessem Ende steht nun fest: Ich fahre im Februar 2019 wieder mal nach London. Und ich werden den achten Teil von Harry Potter sehen.
Auch wenn ich gerade viel Geld ausgegeben habe: Ich freu mich! Jetzt muss ich mich nur noch darum kümmern, dass ich die zuerst geklickten I19-Karten erstattet bekomme. Denn in Summe 350 Pfund wäre selbst für das tollste Theaterstück der Welt zu viel…
Ich drücke dir die Daumen dass das klappt mit dem Erstatten!
Und ich hab The cursed child gelesen 🙂 bin gespannt was du zum Stück sagst. Karten waren mir zu viel Stress/zu teuer.
LikeLike