Reisetagebuch Städtetour (8): Supermond legt Venedig trocken!!1!
Februar 2018: Tag acht der Städtereise südlich der Alpen. Heute mit einem Phoenix, einer Kristallziege und Nereïden.
16. Februar 2018
Trocknete ein Supermond Venedig vor einigen Wochen aus? Das behauptet zumindest dieser seltsame Artikel von strangeounds.org vom 02. Februar und illustriert das dann auch noch mit einem Bild:
Von einem “ungewöhnlich trockenen Jahr” ist in dem Artikel die Rede, und von “Wasserständen auf rekordverdächtigem Niedrigstand”, die nun in Kombination mit einem Supermond dafür gesorgt hätten, dass die Gondeln traurig am Boden ausgetrockneter Kanäle lagen.
Ich bekomme über das Internet ums Verrecken nicht raus, ob die Geschichte stimmt. Was macht man da? Man fragt jemanden, die sich damit auskennt! In diesem Fall frage ich Frau Eckert, die in Venedig jede Ecke kennt und auch das tolle Blog “Unterwegs in Venedig” betreibt.
Frau Eckert antwortet auf meine Frage nach dem Wahrheitsgehalt dieser Meldung postwendend und findet deutliche Worte. “Natürlich ist das grober Unfug und Socialmediamist sondergleichen”, schreibt sie, und dass es bei Ebbe, insb. bei Wintermonden, völlig normal sei, das die kleinsten Kanäle trocken liegen. Nur würden heute die Leute Bilder davon machen, die auf Facebook stellen, und irgendwelche anderen denken sich einen Text dazu aus.
Guck an, das wußte ich noch nicht! Also, das mit den trockenen Kanälen, das mit dem Mist auf Facebook schon. Außerdem weist Frau Eckert darauf hin, dass auch der ganze Rest des Artikels Unfug ist, angefangen von Verkehrten Einwohnerzahlen bis hin zu der krassen These, dass die Stadt Venedig die Abwanderung der Einwohner durch Tourismus kompensieren muss – dabei ist es umgekehrt, der Tourismus vertreibt die Einwohner, denn die Vermietung einer Wohnung als Air BnB bringt 3-10 mal so viel Geld wie ein fester Mietvertrag. Traurig, aber wenigstens weiß ich nun, dass kein Supermond die Stadt ausgetrocknet hat. Danke, Frau Eckert!
Nach einem kurzen Frühstück zwischen einer Gruppe kichernder Teenagerinnen mit Bierdeckelgroßen Brillengläsern verlasse ich das Caprera und wandere zum “Teatro la Fenice”, dem “Theater des Phönix”.
Das heißt so, weil es schon zwei Mal aus seiner eigenen Asche wieder auferstanden ist. Beim letzten Brand, 1996, wurde nahezu alles, bis auf die Außenmauern, zerstört. Sieben Jahre und 6 Millionen Arbeitsstunden mit 24/7-Arbeit später steht nun wieder was zum Angucken. Das Theater ist ganz im Stil des Rokoko gehalten. Die klaren Linien der Treppenhäuser sind elegant.
Im Kontrast zu der kühlen Eleganz des Foyers ist der Innenraum der Oper überbordend und prächtig.
Von hoch unter der Decke blicken Nereïden auf die Besucher herab. Nereïden? Das sind freundliche Meeresnixen aus der griechischen Mythologie, die die Verbundenheit Venedigs zur See darstellen sollen. Vermutlich brauchte man einfach nur wieder einen Vorwand um nackte Brüste unterzubringen.
Ich habe noch nie eine Oper gesehen, aber Opernhäuser habe ich schon einige besucht. Jedes hatte eine ganz spezielle Besonderheit: Die legendäre Opèra Garnier in Paris besitzt ein hirnverbiegendes Treppenhaus, und in Palermo kann sich die Dachkuppel wie eine Blume öffnen. In Venedig liegt der Haupteingang am Wasser, und unter jedem Sessel ist eine Lüftung.
In einem Nebenflügel sind Bilder von Maria Callas, der legendären Sängerin, ausgestellt. Sie hat lange am Teatro la Fenice gearbeitet.
Auch kleine Konzerträume kann man während des Rundgangs besuchen. Der Audioguide entführt dabei in eine andere Welt. Vor meinem inneren Auge nehmen Könige in Logen Platz und Paare wirbeln während rauschender Empfänge über die Tanzfläche.
Nach dem Theaterbesuch überlege ich, was ich als nächstes tue. Nur was mir Spaß macht, so viel steht fest. Ich kann Venedig mittlerweile ganz ohne Stress genießen. Ich muss nichts mehr sehen, ich kann in aller Ruhe entdecken. In meiner Tasche steckt noch eine Karte für den Besuch des Dogenpalasts. Soll ich das machen? Die Tour habe ich immerhin schon 2012 gemacht, und so viel wird sich ja nicht geändert haben.
Falsch gedacht! Es hat sich viel geändert. Neue Räume im Palast wurden geöffnet, die Tour geht nun auch durch das Gefängnis und über die Seufzerbrücke, und das dumme Fotoverbot ist gefallen – man darf alles fotografieren!
Der Rundgang umfasst verschiedene Rats- und Besprechungsräume, die Waffenkammer, den Kerker, die Seufzerbrücke und das Justiziariat. Die Pracht der Ratsräume ist unfassbar. Hier ist zu merken, das Venedig über viele Jahrhunderte eine der reichsten Nationen der Welt und dies das Zentrum ihrer Macht war.
Die Kerker unter dem Dogenpalast riechen nach Folter und leid. Dabei war das hier noch die angenehme Unterbringung. Wem der Doge wirklich was wollte, der wurde unter in Kammern unter dem Bleidach des Palasts gesperrt und dort langsam gegart.
Ein Durchgang hat Durchbrüche. Das ist doch wohl nicht… doch, tatsächlich: Ich stehe gerade im Inneren der Seufzerbrücke! Die heisst so, weil lautes Seufzen das letzte war, was man von den Delinquenten hier hörte.
Durch die Schreibstuben geht es zum Ausgang.
Gegen Mittag mache ich mich auf den Weg nach Norden und stehe unvermittelt vor der Scuola di San Marco. die ist sogar geöffnet, und ich werfe einen Blick hinein. Überraschung: Das Gebäude ist nun ein Teil und Zugang zu einem Krankenhaus.
Ich habe mich in den Norden der Stadt verlaufen. Wo ich schonmal hier bin, geht es nun vom Fondamente Nove aus es mit dem Vaporetto nach Murano, der Insel der Glasbläser.
Die alten Venezianer haben auf ihren Kreuzzügen ja alles, was sie gut fanden, geklaut und nach Venedig gebracht. Dazu gehörten auch Glasbläser, die fortan in Venedig Dienst tun mussten. Nachdem aber mehrfach Feuer ausbrachen und Teile der Stadt vernichteten, lagerte man die Glasbläserwekstatten auf eine separate Insel aus. Auch heute wird hier noch großartige Glaskunst gemacht, auch wenn die Läden, die die Kanäle säumen und vollgestellt sind mit kitschigen Glastieren, das nicht vermuten lassen.
Hier ist nicht nur alles echt, sondern vieles auch überaus kunstvoll gearbeitet. Drüben in Venedig gibt es allen Ernstes Läden, die auch bunten Glasschmuck verkaufen, der aber aus China importiert wurde.
Heute Nachmittag ist nicht viel los auf Murano. Etwas verdöst liegen die breiten Kanäle in der Sonne. Ein paar Jugendliche heizen mit einem Motorboot durch die Gegend, ansonsten ist es ruhig. Ich genieße die Ruhe, als ich am Wasser Spazieren gehe. Über mir kreischen Möwen, die ich ab und an mißtrauisch beäuge.
Irgendwann nehme ich den Wasserbus zurück nach Venedig und laufe noch ein wenig durch die Straßen.
Am Markusplatz habe ich ein schönes Geschäft entdeckt: Fabris verkauft hier seit 1934 feine Tuchwaren.
Im Inneren ist der Laden vollgestopft mit Schränken und Schachtel und Kisten, bis unter die Decke. Ich entscheide mich für eine schöne, rot leuchtende Krawatte aus dem Schaufenster, und darf miterleben, wie die Verkäuferin plötzlich beginnt auf Leitern zu steigen und in schwindelerregender Höhe Kisten und Schachteln zu durchsuchen. Minutenlang sucht sie, dann kommt sie zurück zum Tresen, legt etwas neben die Krawatte und schlät die sorgfältig in Papier ein. “Ich kann ihnen doch die Krawatte nicht ohne das passende Einstecktuch verkaufen”, sagt sie. Ich glaube, ich habe einen neuen Lieblingskrawattenladen.
Dann wird es Nacht in Venedig, und der Puls der Stadt schlägt ein wenig langsamer. Ich versuche einem Nachtmarathon aus dem Weg zu gehen, bei dem Leute mit Stirnlampen durch das Dunkel der Gassen rennen.
Dann kehre ich zurück ins Caprera und beginne zu packen. Morgen Nacht geht es nach Hause, das wird ein Abenteuer. Abenteuerlich ist auch die Party der chinesischen Brillenmädchen am Ende des Gangs. Glücklicherweise kennt die Familie, die das Hotel betreibt, hier keine Berührungsängste. Nach 22 Uhr klopft der Rezeptionist an der Tür des Partyzimmers und sorgt für Ruhe. Gutes Hotel. Sehr zu empfehlen.
Tour des Tages: Ein Mal rund um den Fisch.
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2 Gedanken zu „Reisetagebuch Städtetour (8): Supermond legt Venedig trocken!!1!“
diese Pracht im Dogen-Palast……
Venedig geht auch immer 🙂