Reisetagebuch 2018 (13): Unterirdisches Disneyland
Mit dem Motorrad auf Sommertour. Heute wird es unterirdisch, in der zweitgröĂten Schauhöhle der Welt und unter einer Höhlenburg.
Dienstag, 03.07.2018, irgendwo im Wald, Slowenien
Ich wache auf und bin fĂŒr einen Moment ohne Orientierung. Ein holzgetĂ€felter Raum mit einem Tisch in der Mitte ? Das ist doch kein Hotelzimmer, wo bin ich denn hier?! Dann fĂ€llt es mir wieder ein: Ich bin in einer kleinen HĂŒtte, mitten im Wald, in Slowenien.
Schnell springe ich aus dem Bett und packe meine Sachen. Vor dem Cottage steht die V-Strom.
Etwas oberhalb fĂŒhrt der Weg aus dem Wald heraus. Schilder machen darauf aufmerksam, dass der Campingplatz ĂŒber eine eigene Höhle verfĂŒgt, die man nach Absprache besichtigen kann. Ich muss Schmunzeln. Höhlen hat HIER wohl jeder in seinem Hinterhof.
Auf einem asphaltierten Platz stehen mehrere HĂ€uschen. Eines beherbergt einen winzigen Supermarkt, eines die Anmeldung des Campingplatzes und ein gröĂeres ein Restaurant, in dem nun FrĂŒhstĂŒck fĂŒr die GĂ€ste bereit steht. Dort stĂŒrze ich einen Kaffee hinunter.
Der Campingplatz schlĂ€ft noch, als ich zurĂŒck zum Motorrad marschiere. Neben der Maschine steht schon ein Wagen voller Putzmittel, und im Cottage klötert es. Die Reinigung des HĂ€uschen hat schon begonnen.
Warum ich hier, mitten im Wald ĂŒberachtet habe? Nun, in der NĂ€he einer Touristenattraktion ĂŒbernachten und morgens gleich als Erster da sein, das hat ja gestern an den Plitvicer Seen schon gut geklappt. Also mache ich das heute doch gleich noch einmal. Ich schwinge mich in den Sattel der Barocca und steuere sie aus dem Wald heraus und den Berg hinab.
Dann fahre ich einmal links rum, und ZACK stehe ich vor DER SehenswĂŒrdigkeit Sloweniens: Der Postojna-Höhle.
Das unterirdische Höhlensystem, das auch als Adelsberger Grotte bekannt ist, ist die zweitgröĂte Besuchshöhle der Welt, nach einer in den USA.
Allein schon der Vorplatz ist riesig. Ich lasse die V-Strom auf einem gigantischen Parkplatz zurĂŒck und laufe durch einen kleinen Park auf das EingangsgebĂ€ude vor der Grotte zu.
Rechts steht ein Betonkomplex, der LadengeschĂ€fte und ein Hotel beherbergt. “Ăbernachten an der Adelsberger Grotte – ein unvergesslicher Besuch” verspricht das. TatsĂ€chlich hĂ€tte ich hier beinahe ĂŒbernachtet, aber dann habe ich diese niedliche Cottage entdeckt. Auch wenn auf dem Dach der HĂŒtte nachts Eichhörnchen Steptanz geĂŒbt haben war das schöner (und gĂŒnstiger) als dieser Bunker.
Ich habe den Vorplatz beinahe fĂŒr mich allein. Es ist kurz vor 09:00 Uhr und noch nicht viel los. Sehr gut!
Die frĂŒhe Uhrzeit hat aber auch Nachteile. An einem Sammelpunkt treffen sich Gruppen verschiedener NationalitĂ€ten fĂŒr FĂŒhrungen. Am Schild mit der britischen Fahne stehen zwei Dutzend Leute. Am Schild mit der Deutschen Fahne steht genau eine Person. Ich.
“WĂŒrde es ihnen was ausmachen…”, fragt die FĂŒhrerin. “Nein”, sage ich und schlieĂe mich der englischsprachigen FĂŒhrung an. Die muss sich nicht die MĂŒhe machen nur wegen mir eine PrivatfĂŒhrung zu veranstalten.
Wenig spĂ€ter wird die Gruppe in den Berg gefĂŒhrt. In einem blitzend weiĂen, von LED-Strahlern erhellten Raum steht eine brandneue Schienenbahn. Nachdem alle Platz genommen haben, fĂ€hrt sie los. Die Bahnen, die ich so fĂŒr Höhlentouren kenne, zuckeln und rumpeln und quietschen langsam vor sich hin. Diese hier nicht: Diese Bahn zuckelt nicht ins Innere des Bergs, sie rast.
In so schneller Fahrt geht es durch enge Stollen und weitrĂ€umige Höhlen, dass man meinen könnte in einem FahrgeschĂ€ft eines VergnĂŒgungsparks zu sein. Die Hallen, durch die die Bahn rast, sind riesig – viele davon von der Decke bis zum Boden voll mit Tropfsteinen, von denen manche Höhle froh wĂ€re auch nur einen einzigen als Attraktion zu haben. Hier fliegen Sie an einem vorbei.
Die Postojna-Höhlen sind mit einer GesamtgröĂe von 24 Kilometern die gröĂten Showhöhlen Europas. Hier wurde die Wissenschaft der Höhlenkunde, die Speleologie, erfunden. Als man im 19. Jahrhundert merkte, dass man fĂŒr den Eintritt in die Höhle Geld nehmen konnte, wurde sie in Rekordzeit fĂŒr Besucher umgebaut. Sogar ein Postamt wurde hier unten eingerichtet, und ein Saal fĂŒr Tanzveranstaltungen. Durch den rast die Bahn auch, von der Decke hĂ€ngt immer noch ein Kronleuchter.
Als die Bahn stoppt, steigen alle aus. Der FĂŒhrer, ein dicker, gemĂŒtlicher junger Mann, sagt, dass man hier so viele Fotos machen darf wie man möchte. Könne man doch eh nicht verhindern, einer wĂŒrde doch immer fotografieren, da könne man es halt auch einfach erlauben. Sehr moderne Einstellung!
Dann wird er aber ernst und sagt, dass bitte niemand die Tropfsteine berĂŒhren soll. FĂŒr mich ist das selbstverstĂ€ndlich, denn an den Stellen, an denen man den Tropfstein berĂŒhrt, hinterlĂ€sst man Hautfett – und das verhindert das Wachstum des Steins fĂŒr mehrere Hundert Jahre.
Der FĂŒhrer hat noch nicht ausgeredet, als ich aus der letzten Reihe ein entzĂŒcktes Kieksen höre und wie eine Frau sagt: “Guys, you gotta touch this dripstone, it feels amaaaaaaazing!” Ich verdrehe die Augen. Spot the Americans, denke ich.
Die Höhle ist dann aber auch wirklich amazing. Riesige SĂ€le, gigantische Tropfsteine – das hier wirkt wie eine Tropfsteinhöhle auf Steroiden. Als hĂ€tte jemand ein Bild einer normalen Tropfsteinhöhle gesehen und dann diese hier 10 Mal ĂŒbertrieben gemacht. Das hier ist die Disneylandversion einer Tropfsteinhöhle.
Hier gibt es sogar Topfstein-“Spaghetti”.
Der FĂŒhrer erzĂ€hlt nicht viel, nur, dass sich hier im Krieg Menschen versteckt und weiter BrĂŒcken gebaut haben, um noch tiefer in den Berg zu kommen. Nein, das hier ist keine Lehrstunde. Das hier ist ein Spaziergang unter Tage. Der FĂŒhrer und seine beiden Kollegen achten nur darauf, dass niemand verloren geht und keiner in eine der unterirdischen Schluchten fĂ€llt. Ein Minimalprogramm, aber hier ist das wenigstens Konzept – anders als bei der FĂŒhrung in der Grotta Castellana, die unfreiwillig vorne und hinten auseinandergefallen ist und richtig schlecht war.
Das Maskottchen der Höhle ist ĂŒbrigens ein “Drachenbaby”, das hier ĂŒberall zu finden ist, auf Hinweisschildern und Andenken genauso wie als Comicfigur.
Bei diesem Maskottchen handelt es sich nicht um einen erfundenen Drachen, sondern um eine geschickte Vermarktung eines Grottenolms! Ja, wirklich, das allgegenwĂ€rtige “Drachenbaby” ist in der RealitĂ€t ein Proteus Anguinus. Das augenlose Tier wird bis zu 30 cm lang und sieht aus wie ein weiĂer Aal mit nicht ganz fertig ausgebrĂŒteten Ărmchen und Beinchen. Weil er ein wenig wie ein Embryo aussieht, ist die direkte Ăbersetzung seines kroatischen Namens auch “Menschenfischlein”. Buah, gruselige Vorstellung.

Wahrlich keine Schönheit, aber im Dunkeln sieht ihn ja niemand. Das Besondere an dem Grottenolm, der nur hier, im dinarischen Karst, lebt, ist nicht nur, dass er sein Leben in völliger Dunkelheit verbringt, er kann auch bis zu 100 Jahre alt werden. Warum, weiĂ niemand so genau. Vermutlich fĂŒhrt ein Leben in Dunkelheit und Ruhe zu verlangsamter Alterung. Der HöhlenfĂŒhrer erzĂ€hlt, dass der Grottenolm einen extrem verlangsamten Metabolismus haben kann. Wenn ich ihn richtig verstehe, sagt er, dass das Herz des Tieres im Energiesparzustand nur alle paar Stunden mal schlĂ€gt, und nur alle 10 Jahre muss er etwas fressen. Man stelle sich das vor, 100 Jahre alt zu werden und nur 10 Mal im Leben was essen mĂŒssen! Ich bin immer noch nicht sicher, ob das cool oder ein Albtraum ist.
Dabei ist der Grottenolm recht empfindlich, was seine Umgebungstemperatur angeht. Schon wenige Grad Schwankung in der Wassertemperatur zieht Unfruchtbarkeit nach sich. Der Olm mag seine Höhle gerne immer gleich.
Da kommt es natĂŒrlich gar nicht gut, dass eine Firma fĂŒr elektrische Kondensatoren mitten im Einzugsgebiet der Unterirdischen FlĂŒsse das Grundwasser mit Plastikweichmachern und Arsen verseucht. Die EU versucht den Lebensraum zu schĂŒtzen, bislang aber nur mit mĂ€Ăigem Erfolg. FrĂŒher haben die Betreiber der Höhle die Tiere auch an Reisende verkauft, weshalb u.a. Charles Babbage so einen hatte. Das ist aber zum GlĂŒck jetzt verboten. Beim Höhlenbesuch kann man die Grottenolme ab in einem Vivarium betrachten.
Nach rund eineinhalb Stunden geht es durch ein schmiedeeisernes Tor wieder an die OberflÀche und ich atme tief durch.
Unter Tage war es mit 9 Grad kĂŒhl, aber diese Luftfeuchtigkeit macht mich in den Motorradklamotten fertig. Als ich mich umsehe, merke ich, dass es jetzt ordentlich voll ist. Trauben von Besuchern marschieren auf den Höhleneingang zu, und im Sekundentakt fahren Wohnmobile und Busse auf den Parkplatz. Guter Moment um wieder abzuhauen.
Ich sattele die V-Strom und fahre nach Nordwesten. Allerdings nur 10 Kilometer, dann stelle ich das Motorrad schon wieder ab.
Der kleine Ort Predjama besteht nur aus einem Dutzend HĂ€user, die sich an die fast senkrechte Flanke eines Berges ducken. Ăber dem Ort liegt ein groĂer Wald, unterhalb des Ortes sind steile, grĂŒn bewachsene HĂ€nge, die in eine Schlucht abkippen. Diese Schlucht lĂ€uft auf ein Bergmassiv zu, in dessen schroffen FelswĂ€nden der Eingang einer groĂen Höhle zu sehen ist, und in dieser Höhle steht… eine Burg!
Ja, wirklich. Eine ganze Burg, die in der Felswand und in der Höhle steht. Irrer Anblick.
Ich stehe noch mit offenem Mund vor dem Motiv, als mir Leute auffallen, die in der Sonne sitzen und aussehen, als ob sie auf etwas warten. Dann sehe ich das Schild “Sammelpunkt HöhlenfĂŒhrung hier”. HĂ€? Die FĂŒhrung findet doch nur einmal am Tag statt und hĂ€tte vor einer halben Stunde starten mĂŒssen. Hat die VerspĂ€tung?! Ich hatte es ja nicht zu hoffen gewagt, weil ich eigentlich auch schon zu spĂ€t dran bin, aber… “Kann ich noch mit?”, frage ich eine junge Frau in einem KassenhĂ€uschen. Sie nickt, tippt dann auf einer Rechenmaschine herum, subtrahiert hier was, addiert da eine Umsatzsteuer und möchte am Ende den krummen Betrag von 9,81 Euro haben. Ich stelle keine Fragen.
Mit einem Ticket in der Tasche geselle ich mich zu den wartenden Leuten. Kaum fĂŒnf Minuten spĂ€ter kommt ein junger Mann in der Kleidung eines SpelĂ€ologen, mit Funktionsklamotten und derben Bergstiefeln, auf uns zu. Er stellt sich als Alwin vor und als ĂŒberaus schlecht gelaunt heraus. Barsch raunzt er die Gruppe an, dass sie ihm folgen soll. Wir steigen einige Treppen hinab, die in den Berghang eingelassen sind, bis zu einem kleinen, rundum verglasten Besuchercenter.
Hier stempelt Alwin unsere mein Ticket geradezu gewalttĂ€tig ab. Wirklich, er haut mit einem Stempel so doll auf die Eintrittskarten, als wollte er eine Ratte erschlagen. Dann wirft er sichtlich genervt allen einen Helm in der GröĂe “One Size fits Nobody” zu, drĂ€ngt uns aus dem BesuchergebĂ€ude heraus und marschiert auf einem Weg parallel zum Hang auf die Felswand zu. Alwin schlĂ€gt einen forschen Schritt an, und die Gruppe, von denen einige noch mit den Helmen kĂ€mpfen, stolpert hinterher.
Ăber dem Laufweg dreut die Felsenburg, wĂ€hrend ich weiter unten in der Schlucht Stege sehen kann, die zu HolztĂŒren fĂŒhren. Zu so einer fĂŒhrt uns Alwin und sperrt mit einem groĂen, schmiedeeisernen SchlĂŒssel auf.
Durch die schwere EichentĂŒr geht es hinein in eine Höhle. Die wurde frĂŒher von den Burgbewohnern als Pferdestall genutzt, zumindest zum Teil. Burg mit Tiefgarage, soso.
Die Höhle fĂŒhrt vom FluĂbett am Grund der Schlucht einmal die ganze Felswand hinauf und bis zur Burg, sagt Alwin. Sie ist nicht touristisch erschlossen, weshalb es kein elektrisches Licht gibt und die Wege nicht ausgebaut oder umfangreich gesichert sind. An seinem Tonfall kann man hören, dass Alwin der Auffassung ist, dass wir selbst schuld sind – zuallererst daran, dass wir hier sind, und wenn uns was passiert, erst recht. Und das er arbeiten muss, daran sind wir auch schuld.
Der Boden ist wirklich uneben, ĂŒberall liegen Felsen und Geröll herum. Auch Basen von Stalagmiten sind noch zu erkennen, die man wohl zertrĂŒmmert hat um Platz fĂŒr die Pferde zu schaffen. Im ehemaligen Stallbereich sehe ich RuĂ, wo frĂŒher mal Fackeln in Ringen steckten. AuĂerdem gibt es jede Menge Graffiti, kleine Zeichnungen und NamenszĂŒge, darunter Jahreszahlen. “Gero, 1679”, steht an einer Stelle. Ja, Junge, Du hast Dich hier echt verewigt.
Hinter den Stallungen wird die Höhle schnell sehr eng. In teils gerade mal 50 Zentimeter breiten GĂ€ngen fĂŒhrt der Weg steil nach unten oder in auch mal fast senkrecht nach oben.
Der Aufstieg ist nichts fĂŒr schwache Nerven. Es ist absolut dunkel, nur die Helmlampen sorgen fĂŒr Orientierung. Metalleitern sind ĂŒber AbgrĂŒnde gelegt und fĂŒhren Kamine hinauf. Die Stufen und GelĂ€nder sind glitschig, wegen der hohen Luftfeuchtigkeit in der Höhle. Im Licht der Helmlampe kann ich einzelne Wassertropfen in der Luft schweben sehen. Dieser grobkörnige Nebel bildet Muster und Strömungen, die im Helmlicht leuchten, wĂ€hrend ich hindurchgehe. Das sieht wunderschön aus und fĂŒhlt sich fast an, als wĂ€re ich unter Wasser.
Es lenkt auch davon ab, dass die Rumkletterei hier unten nicht ungefĂ€hrlich ist. Anders als die Adelsberger Grotte ist das hier kein Disneyland. Es lenkt mich auch davon ab, dass ich schon wieder Schwitze wie ein Ăchel, denn natĂŒrlich trage ich hier die luftdichte und schwere Airbagjacke. Die Kletterei ist anstrengend, und die hohe Luftfeuchtigkeit macht das gleich nochmal heftiger.
Nach einer Stunde spĂŒre ich frische Luft. An den WĂ€nden hĂ€ngen FledermĂ€use – ein weiteres, sicheres Zeichen, dass der Ausgang in der NĂ€he ist.
Alwin hat mittlerweile etwas bessere Laune, vielleicht, weil niemand aus der Gruppe genervt hat, durch dummes Rumgelaber oder gebrochene Knochen. Die FĂŒhrung endet damit, dass Alwin eine groĂe HolztĂŒr öffnet. Ich blinzele ins Tageslicht und versuche mich zu orientieren. Ich stehe auf einem schmalen Pfad, der links von einer Felswand, recht von einem Abgrund begrenzt wird. Von hier aus sehe ich auf die DĂ€cher der Burg hinab.
Wir sind echt im Berg an der Festung vorbei geklettert und ĂŒber ihr rausgekommen! Die letzte Tagesaufgabe ist es nun also den Berghang herabzusteigen, ohne sich jetzt noch was zu brechen oder runterzufallen. Ist fĂŒr mich eine Kleinigkeit – mein Lieblingsspielplatz als Kind war ein alter Kalksteinbruch in der NĂ€he meines Elternhauses. Ich kann steile Pfade ohne jeglichen Halt genauso laufen wie ich ungesichert in senkrechten FelswĂ€nden klettern kann, und gegen die bröckelnden SteinbruchwĂ€nde ist das hier ein StĂŒck Kuchen.
An der Burg angekommen miete ich mir einen Audioguide und ziehe auf eigene Faust durch die Festung. Der Audioguide ist leider einer von der schlechteren Sorte. Keine Ahnung was manche Hersteller reitet, dass die jeden Track mit Atmo oder Kirchengesang einleiten mĂŒssen. Ich jedenfalls bin genervt, dass vor jeder ErklĂ€rung erstmal eine halbe Minute SchmiedehĂ€mmern, Pferdegewieher oder was sich der Autor sonst so als “authentische” BurggerĂ€usche vorgestellt hat, anhören muss. Das ist verschwendete Lebenszeit.
AuĂerdem ist der Guide extrem umfangreich und kleinteilig. Immerhin eine coole Geschichte hat er aber doch auf Lager. Die vom Raubritter Erasmus von Luegg. Der tötete zu Beginn des 15. Jahrhunderts im Streit einen Verwandten Friedrich des III und zog damit den Zorn des Kaisers auf sich. Er flĂŒchtete vor der Todesstrafe in die Höhlenburg, die daraufhin belagert wurde.
Die Belagerung zog sich mehr als ein Jahr hin, und im Laufe der Zeit wurden die Belagerer irgendwann selbst recht demotiviert. Aber irgendwann musst die Strategie doch aufgehen und Erasmus rauskommen, weil es ja nur einen Weg in die Burg gab, und den Burgbewohnern sicher die Nahrungsmittel ausgehen mĂŒssten. Da liess sich ein sichtlich wohlgenĂ€hrter Erasmus auf den Burgmauern sehen, grĂŒĂte freundlich, verhöhnte die Belagerer und bedarf sie von oben mit frischem Obst und gebratenem Ochsenfleisch.
Die Belagerer glaubten ihren Augen kaum. Wo hatte Erasmus nach Monaten der Belagerung frisches Obst, GemĂŒse und Fleisch her? DafĂŒr konnte es nur eine logische ErklĂ€rung geben: Erasmus war ein mĂ€chtiger Zauberer! AngsterfĂŒllt wurde die Belagerung abgebrochen und RĂŒckzug angeordnet. Erasmus lachte sich ins FĂ€ustchen, denn natĂŒrlich waren die Lebensmittel durch das weitverzweigte Höhlensystem rangeschafft worden, das an mehreren Stellen AusgĂ€nge in die umliegenden WĂ€lder hatte.
Am Ende erwischte es Erasmus aber doch. Ein Diener verriet ihn 1484 an seine Feinde und gab ein Signal, als der Ritter auf dem Abort saĂ. Dort wurde er dann von Steinkugelgeschossen erschlagen. Beim ScheiĂen vom Blitz getroffen, sozusagen. Die Lokusbombardierung ist aber unbestĂ€tigt, es kann auch sein, dass es sich um eine Legende fĂŒr Touristen handelt.
Die Burg wurde im Laufe der Jahrhunderte vielfach umgebaut und erweitert. Ihre heutige Form bekam sie 1570.
Ich muss schon wieder Pausen machen, weil mir der SchweiĂ in die Augen rinnt und durch die Klamotten rinnt. So habe ich wenigstens genug Zeit, die eigenartige Konstruktion zu bewundern. Burg und Höhle gehen an vielen Stellen ineinander ĂŒber, und ĂŒber der letzten Burgzinne klafft eine Spalte, die Eingang zu einer Felsenkapelle ist.
Als ich wieder am Motorrad ankomme, bin ich körperlich durch. Es ist schon wieder ĂŒber 30 Grad heiĂ, dazu die Anstrengung und die schwere Jacke – ich freue mich regelrecht drauf, jetzt nur auf dem Motorrad und im Fahrtwind zu sitzen. Handschuhe, Helm, Jacke… Oh, was ist das denn? Das Airbagsystem in der Jacke startet? Einfach so? Na warte, denke ich. Das Schönwetter machen wird dir nichts nĂŒtzen, ich werde den Werkstattermin ĂŒbermorgen nicht absagen. Gut, dass ein Logbuch im Inneren der Jacke alle Fehlfunktionen speichert. Da kann spĂ€ter nicht der VorfĂŒhreffekt zuschlagen.
Anna bootet sich in den Helm und meldet freie Fahrt, empfiehlt aber eine schnellere Route. Ne, lass mal. Ich habe die Strecke heute mit Absicht super kompliziert ĂŒber kleinste BergstraĂen festgelegt. Ich habe heute viel Zeit und auch Lust, langsam durch Slowenien zu gurken und was vom Land zu sehen.
Meine Route ĂŒber fĂŒhrt teilweise sogar ĂŒber unbefestigte StraĂen. Die Barocca tuckert dann ĂŒber Wirtschaftswege und quer durch die dichten und urigen WĂ€lder, und ich habe einen HeidenspaĂ daran, dass Motorrad ĂŒber diese Pisten zu steuern.
Weniger spaĂig sind zwei Dinge: 1. Holztransporter. Von denen gibt es leider VIELE, und sie bestehen immer aus einem Laster mit AnhĂ€nger. Lang und breit, da kommt man auf den engen BergstraĂen nicht einfach dran vorbei.
Zum GlĂŒck sind die Fahrer alle freundlich. Auf ĂŒberschaubareren Streckenabschnitten bremsen sie und machen den Weg frei. Das gehört sich hier wohl so, und das ist toll.
Nervding Nr. 2 sind die Baustellen. In Slowenien wird StraĂenbau nicht StĂŒck fĂŒr StĂŒck, sondern StraĂenweise betrieben. Da fehlen dann z.B. ĂŒber die gesamte LĂ€nge einer StraĂe die oberen Deckschichten, so dass es 10 Kilometer nur ĂŒber Schotter oder Sand geht. Ătzend.
Aber auch das geht irgendwann vorbei.
Am Nachmittag komme ich im Triglav Nationalpark an, ein Gebirgszug mitten in Slowenien. Dort gibt es einen groĂen See, den Bohinjsko Jezero, der nur ĂŒber eine ZufahrtsstraĂe zu erreichen ist, weil er von Bergketten umsĂ€umt ist.
Und meine GĂŒte, ist auf der StraĂe was los. Das hier ist wohl ein beliebtes Urlaubsgebiet. Ăberall parken Autos, sommerlich gekleidete Menschen schlendern an der Uferpromenade entlang und ĂŒberall stehen Schilder, die auf Badegelegenheiten hinweisen.
Ich will nicht baden, ich will lieber hoch hinaus. Ich lasse die Barocca zurĂŒck und fahre mit einer Seilbahn den Berg hinauf bis zum Vogel Center.
Von hier hat man einen fantastischen, wenn auch heute etwas dunstigen Blick ĂŒber den See und die Berge.
Das Vogel Center ist eine Skianlage. Jetzt, im Sommer, liegen hier aber nur KĂŒhe faul in der Sonne rum.
Oh je, der hat sich verlaufen und findet da nie wieder raus:
Ich fahre wieder runter und steuere die ZufahrtsstraĂe wieder zurĂŒck bis in den Ort Bohinjska Bistrica. Dort betanke ich die Maschine und suche dann meine Ăbernachtung fĂŒr heute auf, die Villa Bistrica. Schon wieder eine Villa. Damit habe ich es auf dieser Reise irgendwie.
Leider ist das Restaurant im Erdgeschoss des kleinen Familienhotels geschlossen, aber die Wirtin hat einen Tip fĂŒr mich, den ich gerne befolge. Im “Mateusz” gibt es Draftbiere mit skurrilen Namen und eine interessante Speisekarte, die unter anderem “Trockenfleisch” fĂŒhrt. Das muss ich probieren! Leider entpuppt es sich nur als Kasseler, was sehr langweilig ist. Lustig sind dagegen Sauerkraut und Kartoffelbrei, die zu festen Kugeln komprimiert serviert werden. Alles ist sehr lecker, aber auch sehr fett.
TotmĂŒde falle ich ins Bett. Langer Tag. Sorgen macht mir das Wetter morgen: Regen kommt ĂŒber das Land und wird meine weitere Fahrt begleiten.

Bild: Google Earth 2018
11 Gedanken zu âReisetagebuch 2018 (13): Unterirdisches Disneylandâ
gerne gelesen
Also eines muss man Dir lassen, Deine Berichte sind schon der Hammer. Danke auch fĂŒr die groĂe MĂŒhe, die Du Dir machst. Das ist nciht sebstverstĂ€ndlch.
Gruss
Lupo
Sau geiler Bericht đ … hat SpaĂ gemacht ihn zu lesen und zu lachen gab`s auch was.
Die Burg ist ja der Hammer und nur 822 km von hier đ
Also ich wĂ€re gerne so ein Drachenbaby, denn dann wĂŒrde mir nicht irgendwann
ne Lokusbombardierung drohen, so oft wie ich momentan drauf sitze đ
DANKE !!
Danke fĂŒr die schönen Bilder von Postojna und Predjama, da mĂŒssen wir auch noch mal wieder hin! Die FĂŒhrung mit Alwin haben wir beim letzten Mal verpasst, dafĂŒr brauchte man noch eine spezielle Voranmeldung. Die Höhle am Campingplatz ist ĂŒbrigens auch durchaus sehenswert…
Gerne, danke fĂŒrÂŽs MItlesen!
Kawa, hat Dich Montezumas Rache erwischt? Dann gute Besserung!
ssuchi: Ihr habt da aber nicht ĂŒbernachtet, oder?
Doch, wir waren da damals mit dem kleinen Zelt.
Ach, guck an đ
Klasse Bericht, insbesondere was die Höhlen und Burgen betrifft. So was fand/finde ich auch immer ungemein spannend und du bringst das rĂŒber als wĂ€re man dabei. Die Fahrt in der Bahn wirkt da ja noch professioneller, als das was die Bayern in Bad Reichenhall aufgezogen haben.
Nur, mit dir wĂŒrde ich nicht unterwegs sein wollen, wenn ich lese “Ich kann steile Pfade ohne jeglichen Halt genauso laufen wie ich ungesichert in senkrechten FelswĂ€nden klettern kann”. Da bist du ja so drauf wie der Gleich, bei dessen Bericht ich mir schon fast im sicheren Sessel vor dem Rechner aus Angst in die Hose machen wollte: https://www.mojomag.de/2018/11/auf-gratwanderung/
Schön. Jetzt weiĂ ich, was noch sehenswert ist, wenn die Tour in etwa daran vorbeifĂŒhrt.
DL650R: Gratwanderung? Cool!
Albrecht: Unbedingt. ABER. Um das anzugucken muss man anhalten. Mit dem Mopped durchbĂŒgeln geht nicht. đ
Ne, mit dem Mopped DURCH die Höhle war woanders:
https://www.youtube.com/watch?v=-6cvniVlHF8