Reisetagebuch Sardinien (6): Supermond

Reisetagebuch Sardinien (6): Supermond

Herbstreise nach Sardinien. Heute langweile ich mich in Sassari, treibe wehmütig im Wasser und bestaune einen Supermond.

Dienstag, 23. Oktober 2018, Habitat, Tempio Pausania
Eine Minute vor dem Weckerklingeln aufgewacht. Ha, ich hab´s noch drauf. Keine Geräusche aus dem Nebenzimmer, die beiden Deutschen schlafen wohl noch.

Sachen zusammenklatern. Morgenroutine abspulen. Mittlerweile hat auf dieser Reise alles seine Routine und jedes Ding seinen Platz. Diese Selbstorganisation ist wichtig für mich. Ich habe es gern, wenn jedes Ding an seinem Ort ist. Nicht, weil ich ein Pedant bin, sondern weil ich sonst unvermittelt Dinge denke wie Wo ist der Schlüssel? Wo habe ich mein Portemonnaie?

Solche Fragen stelle ich mir nicht. Nie. Ich habe noch nie einen Schlüssel (dauerhaft) verloren oder ein Portemonnaie irgendwo liegen lassen oder sowas. Manchmal ist es gut, immer die Ausnahme zu sein. Mir passiert NIE das, was allen anderen passiert. Das ist meistens doof, aber manchmal auch gut. Eine Chance von 1:1.200.000 für eine Hautveränderung oder eine seltene Erkrankung? Sensationell schlechte Augen? Dumme Ereignisse, die nur einer Person unter 1.000.000 passieren? Nehme ich alles mit. Mir passiert immer das, was anderen nicht passiert. Dafür ist mir noch nie ein Mobiltelefon runtergefallen und gesplittert.

Wobei die Selbstorganisation gelernt ist. Ich habe mal beinahe einen Schlüssel verloren und fast was vergessen. Das passiert mir jetzt nicht mehr. Weil: Routine. Ich gucke am Ende sogar in die Dusche, ob ich mein Duschgel wieder eingesteckt habe.

So, das kommt hierhin und das dahin und fertig. Ich trete vor die Tür meines Zimmers, die in den Frühstücksraum mündet. Giovanella hat hier Erstaunliches angerichtet, neben allen möglichen Frühstückszutaten gibt es schön angerichtetes Obst.

Sie begrüßt mich strahlend. “Caffé Americano, oder? Und möchtest Du ein Ei? Deutsche wollen immer Ei, ja?” Ich muss lachen.

Tatsächlich ist das seltsame Frühstücksverhalten der Deutschen für Gastgeber immer ein Riesenproblem auf Bewertungsportalen. Man kann deutschen Gästen besten Service bieten und ihnen ein blitzblankes fünf-Sterne Zimmer mit Riesenbad und allem Schisselaweng hinstellen, wenn das Frühstück nicht so ist wie zu Hause, hagelt es negative Bewertungen.

Ich wehre ab, “Nein, danke, bitte nur ein Caffé Doppio”. Giovanella lächelt und dreht sich um. Als sie in der Küche verschwindet, murmelt sie “Heilige Mutter Gottes, ein Vernünftiger”.

Ich sitze am Frühstückstisch und zerpflücke dabei frischen Brioche mit den Fingern, um mir dann die einzelnen Brocken in den Mund zu stecken. So frühstückt man in Italien. Süß, zerpflückt und dazu Caffé. Vor der bodentiefen Fensterfront zieht Nebel durch den Korkeichenhain.

Kurze Zeit später schultere ich den Rucksack und trete hinaus in die kühle Morgenluft.

Als ich in den Cinquecento steige, fällt mir was ein. Ich bin schon den fünften Tag mit der Kiste unterwegs, zusammen haben wir jetzt schon über 1.000 Kilometer abgespult. Eigentlich bräuchte der mal einen Spitznamen. Zum Glück benamsen sich italienische Autos von selbst. Der erste Mietwagen von Modnernd und mir hatte das Kennzeichen Ed-I. Eddi! Und der hier:

FL-O. Floh! Das passt sogar zu seiner Größe!

Der Floh kurvt um die Giulietta der anderen Gäste behände herum, dann steuere ich ihn durch den Korkeichenwald und hinaus auf die Landstraße.

Der Morgenverkehr in Tempio Pausiana ist dicht und schnell, aber alle fahren routiniert. Berufsverkehr, die Leute machen das jeden Tag. Ich muss nur so tun, als sei ich ein Pendler auf dem Weg zur Arbeit, also schlecht gelaunt gucken und einfach Gas geben, und komme gut durch.

Wenige Kilometer vor dem Ortsschild scheint die Morgensonne durch das Tal des Mondes, das Valle della Luna. Die bizarren Gebirgszüge geben einen deutlichen Hinweis, woher der Name komme.

Am Rand einer Bergkette spargeln Windräder vor sich hin. Die habe ich doch beim Anflug aus der Luft gesehen!

Dreißig Minuten entfernt, an der Küste, liegt Castelsardo. Das ist ein Ort mit einer Riesenfestung. Eigentlich gegründet im Jahr 1500 von der Familie Doria aus Genua. Ja, die mit der Andrea Doria!

Ich lasse den Fiat stehen und klettere den Burgberg hinauf. Alles super in Schuss hier oben, die Burg ist eine touristische Sehenswürdigkeit und zudem ein Museum. Aber selbst wenn das nicht so wäre: Allein schon der Ausblick lohnt sich! Ich setze mich auf die Burgmauer, und gucke einfach nur stumm auf den Hafen hinab.

Die Aussicht von der Festung herab ist wirklich toll.

Donnerkuppel? Nein, Markt- und Sozialplatz mit Beleuchtung.

Ich wandere ein wenig in der Festung herum, die auch das nationale Museum für Intreccia ist, wie Korbware hier heißt. Mir war nicht klar, dass die nationale Identität von Sardinien auch durch Nordafrika geprägt ist. Hier lerne ich es, den die Kunst des Intreccia haben Einwanderer von dort mitgebracht. Vor vielen Jahrhunderten ist sie Bestandteil der sardischen Kultur geworden. Mit Intreccia kann man fast alles bauen: Tierfallen, Fischreusen, Boote, Schüsseln, Hüte, Untersetzer, christliche Kreuze, Schmuck… all das ist hier ausgestellt, in einem neuen Museum, in dessen klimatisierten Räumen Musik aus Game of Thrones läuft. Wie passend!

Ein Stück von Castelsardo liegt der Roccia del Elephante, der Elefantenfelsen. Ich habe keine Ahnung, warum der so genannt wird.

Eine Stunde ins Landesinnere liegt Sassari, die Provinzhauptstadt.

Bild: Google Earth 2018

Sassari ist nach Cagliari die zweitgrößte Stadt Sardiniens. Ich bugsiere den Fiat durch den Stadtverkehr und in ein unterirdisches, viel zu enges Parkhaus. Naja, zu eng ist relativ: Es ist gebaut für Autos wie den Fiat 500, nicht aber für die vielen SUVs, die hier überall weit über die eingezeichneten Begrenzungen stehen.

Mehrfach begegne ich solchen Panzern auf der Wendelrampe abwärts. Dann müssen beide Wagen maximal runterbremsen und sich zentimeterweise aneinander vorbeischieben. SUVs sind echt eine unverschämte Platzverschwendung in unser aller Städte, eine maximalegoistische Herangehensweise an Individualverkehr.

Ich atme tief durch, als der Floh schließlich steht. Perfekt eingeparkt, zwischen zwei Kleinwagen. Silencer, Einparkgott!*

Ich hätte schon zwei Ebenen früher einen Parkplatz bekommen können, aber das hätte bedeutet, neben SUVs zu parken – und ich will es mir nicht leisten, das die den Fiat in den engen Parklücken beim Ausparken zerbeulen.

Sassari ist ein wenig wie Genua: Gänzlich untouristisch, geschäftig, unspektakulär.

Schön ist die Piazza d`Italia, die von Palmen gesäumt wird und über die eine Statue von Vittorio Emanuele II grimmig Wacht hält. Manche der Palazzi am Rand des Platzes sehen venezianisch aus. Vor dem Rathaus steht eine V-Strom.

Über einer Ladenstraße hängen Schaukeln in der Luft. Warum? Man weiß es nicht.

Ein kleiner Hund sitzt an einem Zebrastreifen und wartet geduldig. Keine Ahnung auf was.

Guter Junge!

Das mit dem “geschäftig” ändert sich schlagartig um 13 Uhr. Mit dem ersten Schlag der Kirchturmglocke rasseln Rolläden herunter und Geschäfte werden abgeschlossen.

Von jetzt auf gleich ist gar nichts mehr los, nur Schülerinnen und Schüler und Studentinnen und Studenten fluten die Straßen, und mein Fluchtreflex setzt ein. Bloß weg hier!

Vor dem Weg hier sei der Parkautomat! Ich dachte ja, ich kenne alle Varianten, aber die hier noch nicht. Das Ticket enthält einen QR Code, der gescannt werden will. Der Automat hat viele Öffnungen und Schlitze, die alle mit seltsamen Piktogrammen zur Einführung von Dingen auffordern.

Ich versuche das Ticket in einen Schlitz zu stecken, dessen Beschriftung mir plausibel vorkommt. Funktioniert aber nicht. Hier vielleicht? Auch nicht. Verdammt, muss man hier erst irgendwas drücken? Oder reiben? Der Designer dieses Automaten hat einen Platz in einem der inneren Ringe des Infernos verdient, ärgere ich mich, als ich eine Stimme hinter mir höre. “No, No, my friend.”

Ich blicke mich um. Ein Schwarzafrikaner, der direkt vor dem Automaten rumlungert, hat mich angesprochen und lächelt nun breit. Ein Helfer. Sowas kenne ich schon. Manchmal stehen solche Helfer, oft Afrikaner oder Rentner, an Orten rum, die insbesondere für Fremde verwirrend sind. Sie sind dort um zu, uhm, helfen. Bei der Parkplatzsuche zeigen sie einem freie Parklücken und weisen einen ein, oder sie verraten einem, dass man HIER besser nicht parkt, weil dauernd kontrolliert wird aber DORT gibt es einen Parkplatz, und JETZT braucht man kein Parkticket weil Montag ist oder keine Saison, oder sie zeigen einem, wie Fahrkarten gelöst oder Automaten bedient werden. Das ist oft wirklich nützlich. Helfer sind nicht angestellt, und für ihre Leistung verlangen sie auch nichts. Klar freuen sie sich, wenn man ihnen für ihre ungewollte Dienstleitung etwas gibt. Deswegen machen sie das letztlich ja auch. Deswegen, und weil für viele alles besser ist, als arbeitslos abzuhängen. Aber sie sind auch nicht böse, wenn man ihnen nichts gibt.

“Yo! Ya see, my friend, taken da ticket, presse here, scan here, insert coin here… no, not there! HERE! Yo! Ya did it, my friend! Don´t forget ya change and wait, the thing will printen a receipt.”

Die 2 Euro, die ich ihm in die Hand drücke, hat sich der Helfer verdient, auch wenn das Parkticket selbst nur 1,80 gekostet hat. Egal. Der hat mir echt geholfen und dabei auch noch geredet wie Jar-Jar-Binks!

Vorsichtig steuere ich den kleinen Fiat aus dem Parkhaus heraus und in den Stadtverkehr, den wie nach einigen absurden Verkehrsführungen hinter uns lassen.

Weiter geht es Überland, das hier recht trostlos ist. Verbrannter Sand und Maccia, die dornigen, knotigen Büsche des Ödlandes.

Bild: Google Earth 2018

Zur Küste hin ziehen Raffinerien von ENEL und TOTAL vorbei. Alles unspektakulär. nicht nur die Stadt, auch die Region scheint mir etwas langweilig. Herzklopfen bekomme ich lediglich, als ein Audi Kombi mit Folie statt Rückscheibe mich in einem Kreisel rechts überholt und dann so heftig schneidet, dass er beinahe mit dem Fiat kollidiert. Ich bin zu weit außen gefahren, der Audifahrer hatte angenommen, ich wollte an der übernächsten Ausfahrt raus und hat mich im Kreisel rechts überholt. Boah, DAS war knapp!

Kurz nach diesem Moment bin ich in Stintino, einem winzigen Ort an einem der zahllosen Caps. Ich parke den Fiat am Hafen. Fischerboote dümpeln an der Kaimauer. Eine kleine Yacht hängt an einem Kran und wird von einem Arbeiter mit einem Hochdruckreiniger gesäubert. Die Gischt erzeigt Regenbögen in der Sonne. Ansonsten ist es ganz ruhig. Es ist erst früher Nachmittag, der Ort schläft noch.

Am Hafen steht eine Reihe Häuser, bei denen man nicht feststellen kann, wo das eine aufhört und das andere anfängt. Aber eines davon ist das Bed&Breakfast “Sul Porto”, und hier bin ich heute untergebracht.

Der Eingang befindet sich in einer Nebengasse, und ich werde herzlich von einem jungen Mann namens Giorgio begrüßt.

Sein Bed and Breakfast “Sul Porto” (“Überm Hafen”) tut genau das, was der Name sagt: Es überblickt den winzigen Hafen.

Ich lade mein Zeug ab, dann lege ich mich auf´s Bett, stelle den Wecker auf 20 Minuten und mache die Augen zu. Ich höre den Lärm im Hafen, das Wummern des Hochdruckreinigers, das dumpfe Läuten von Bootsglocken. Ich denke an die Fahrt heute Vormittag. Nach 15 Minuten dämmere ich weg und denke nichts mehr, schlafe aber auch nicht. Nach 19 Minuten wache ich wieder auf, leicht bematscht, aber erholt.

Ich packe meine Sachen und fahre zum Strand “La Pelosa”**. Keine Ahnung was das heißt und zu faul um nachzugucken. Überall stehen Schilder “Parkticket ziehen!”, aber die Parkautomaten sind bereits abgebaut und zum Schutz gegen das Wetter irgendwo eingelagert.

Vor der Küste steht ein alter Wachturm. Hinter einer Biegung erhebt sich das Capo Falcone, das von schräg oben und mit zusammengekniffenen Augen aussieht wie ein Falke. Oder so.

Capo Falcone. Ist das wirklich ein Falke?
Bild: Google Earth 2019

Ich wandere an den Strand, an dem noch erstaunlich viel los ist. Vor allem deutsche und französische Familien. Gut, dass ich eine Badehose unter der Jeans trage. Ich packe meinen Kram aus, entkleide mich und springe ins Wasser. Naja, eigentlich muss man erstmal ziemlich lange waten, bis das Wasser überhaupt bis zur Hüfte reicht. Also, SEHR lange. Man muss quasi erst eine Wanderung über das Wasser machen, bis es überhaupt irgendwann mal mehr als knöcheltief ist. Sehr familienfreundlich.

Egal, als ich endlich bis zu den Schultern drin bin, ist es erst kühl, dann herrlich. Das Meer ist glasklar, leider heute ohne Wellen, der Wind kräuselt das Wasser nur ein wenig. Ich treibe im warmen Wasser und fühle mich wohl. Ah, noch ein letzten Mal in diesem Jahr im Meer baden. Leicht wehmütig denke ich daran, dass die nächste Gelegenheit dafür frühestens in acht Monaten kommt.

Bild: Google Earth 2018

Wieder in Stintino nehme ich eine lange Dusche, dann wandere ich durch den Ort. Das dauert nicht lange, er ist winzig. Ich würde ganz gerne was essen, aber die meisten Restaurant haben geschlossen, und die, die geöffnet sind, sagen mir nicht zu.

In einem Tante Emma-Laden kaufe ich eine Packung Cracker und eine Dose Bier und setze mich am Hafen auf eine Bank. Dort sehe ich der Sonne beim Untergang zu.

Als die Sonne weg ist, wird es schlagartig kühl. Ich bleibe trotzdem noch sitzen. Zu faszinierend ist der große, gelbe Mond, der sich jetzt über die Dächer der Häuser schiebt.

Die Bilder sind aus der Hand mit einer kleinen Reisekamera, einer Lumix TZ61, geschossen.

Langsam schlendere ich zurück zur Pension. Was für ein angenehm unaufgeregter Tag,.

Direkt vor dem Fenster meines Zimmers steht der Cinquecento. Er schläft schon.

Besuchte Orte, die vom heutigen Tag in Orange.
CC BY SA 4.0, Erstellt von Conte di Cavour, Ortseintragungen von Silencer

*) Tatsächlich bin ich im Einparken so dermaßen schlecht, das Gelegenheiten wie diese, wo es doch mal gut klappt, feiern muss
**) Es bedeutet “haarig” oder “pelzig” und ja, so habe ich später auch geguckt. Ein haariger Strand? Igitte. Hätte ich das vorher gewusst, ich wäre da vielleicht nicht hingefahren.

6 Gedanken zu „Reisetagebuch Sardinien (6): Supermond

  1. Rüdiger & Natira: Merci!

    Miki: Ich habe mittlerweile einen Miki-Alarm. Sobald Du in den Keller gehst, bimmelt mein Handy. Kein Scherz. Nein, vergessen habe ich das nicht… Aber ich mag auch das Wort “Cinquecento” so gerne. 🙂

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