Reisetagebuch Sardinen (7): Möpperkopp

Reisetagebuch Sardinen (7): Möpperkopp

Herbstreise nach Sardinien. Heute stürme ich das Kap der Jagd, wundere mich über Korallen und sitze unter Olivenbäumen.

Mittwoch, 24. Oktober 2018, B&B Sul Porto, Stintino
Aufstehen, Morgenroutine, Sachen packen. Dann betrete Ich den Frühstücksraum des “Sul Porto”, der wortwörtlich über den Hafen von Stintino blickt. Sehr hübsch. Ich bin nicht alleine, außer Besitzer Giorgio ist noch ist noch ein junges Paar Mitte 20 im Frühstücksraum.

Die beiden kommen aus Deutschland, sitzen am Nebentisch und muffeln vor sich hin. Also, eigentlich muffelt nur er. Entweder stimmt der Kaffeepegel noch nicht, oder er ist schlecht drauf, weil sich seine Freundin mit dem überfreundlichen und fröhlichen Georigio zumindest rudimentär auf Englisch unterhalten kann, für den Möpperkopp aber alles übersetzen muss. Mit Georgio habe ich nur italienisch gesprochen, das Mufflon hat also nicht mitbekommen, dass ich ihn verstehen kann.

Umso ungehemmter möppert er herum, beklagt sich über die Konsistenz der Brötchen, findet den Kaffee zu bitter, die Konfitüre zu süß und den Kuchen zu hart. Seine Freundin versucht die Stimmung zu heben, in dem sie ihm Reiseziele für den heutigen Tag vorschlägt. “Guck mal, Hase, hier könnten wir hin fahren!”, flötet sie und hält ihm einen Reiseführer hin. Der Miesepeter schaut kaum hin “Bäh. Ne Höhle? Wer willen sowas?” “Oder hier, guck, Strand!” “Geh weg, da hamwa wieder Sand in jeder Ritze”. “Oder hier, ein Wanderweg zu einem Turm?” “Bei der Hitze durch die Gegend latschen um ein paar kaputte Steine anzugucken? Hast Du sie noch alle?!” – Manche Menschen sind auch in jungen Jahren schon Nörgelrentner.

So geht das weiter. Das Wetter ist ihm nicht recht, die Unterkunft auch nicht, und überhaupt war das alles hier ja IHRE Idee und deshalb muss ER jetzt so leiden. Sie sieht irgendwann nur noch betreten zu Boden. Giorgio versteht nicht, was gesprochen wurde, merkt aber, das etwas nicht stimmt. Also erkundigt er sich auf englisch, ob alles in Ordnung sei. Die Blonde antwortet in Dreiwortsätzen, das es kein Problem gäbe. Das versteht wiederum ihr Freund nicht, der denkt, dass sie mit Giorgio flirtet und noch schlechtere Laune bekommt.

Alter, denke ich. So eine Beziehung ist doch toxisch. Manche Leute sind auch echt nur zusammen, weil sie Angst vor dem Alleinsein haben. Oder ist der Möpperkopp nur hier so schlecht drauf, weil er im Ausland ist und sich hilflos fühlt, weil der die Sprache nicht versteht? Tja. Bildung ist so wichtig für Integration und bessere Laune. Mit mehr Bildung würden Menschen wie der Typ da ihre Umwelt und sich selbst nicht so vergiften, und die Welt wäre besser. Hm. Interessante Theorie. Da werde ich nochmal ein paar Stunden drüber nachdenken. Zeit genug dafür werde ich in den kommenden Tagen haben, viel Programm steht nicht mehr auf dem Zettel.

Der Morgen ist kühl und sonnig. Ich werfe den Rucksack in den Floh, den Fiat 500, der am Hafen parkt, dann spaziere ich noch ein wenig an der Promenade entlang und genieße das Sonnenlicht. Herrlich. In Deutschland hat gerade das Schmuddelwetter eingesetzt. Hier ist noch Sommer.

Vierzig Minuten von Stintino entfernt ragt ein gigantischer Felsen ins Meer, das Capo Caccia, das Kap der Jagd.

Bild: Google Earth 2019

Ich steuere den Fiat dort hinauf, schmiere mich mit Sonnenschutz ein und schlendere dann zu einer jungen Angestellten des Nationalparks. Sie lehnt in einiger Entfernung von einem Tickethäuschen an der Brüstung des Parkplatzes, raucht und blickt auf´s Meer hinaus. Die junge Frau und das Meer. Hemingway in zeitgemäß.

“Ich hätte gerne eine Eintrittskarte”, sage ich. Sie wendet den Blick von der See ab und fragt “Cash oder Kreditkarte?” “Egal”, sage ich. “Dann Cash, unten zahlen. Beeil Dich”, sagt sie und deutet auf ein Schild. “Führung um 10:00 Uhr” steht da. Ich blicke auf die Uhr. Es ist 09:59. “Du brauchst 10 Minuten”, sagt die Frau und lacht. “Na los, das schaffst Du noch”.

Ich kneife die Augen zusammen, dann ziehe ich den Gurt des Daypacks fester und renne los. Ich sprinte durch ein Tor, hinter dem direkt eine fast senkrechte Steintreppe beginnt.

Am Ende der Treppe sind weitere Treppenstufen in den Fels gehauen. SIEBENHUNDERT, steht auf einem Schild, das Herzkranken und Menschen mit Gehbehinderungen rät, sich besser eine andere Beschäftigung zu suchen.

700 Stufen! 200 Mehr als im Vatikan, denke ich und lasse meine Füße die Führung übernehmen. Die Treppe ist steil und manchmal krumm und schief. Wenn ich auf die Stufen blicke, stolpere ich bestimmt. Aber die Füße wissen, was sie tun. In rasender Geschwindigkeit flitze ich die Treppe hinab, die einfach kein Ende nehmen will. Immer zwei Stufen auf einmal, hoppel-hoppel-hoppel. Die Treppe macht eine Biegung, hinter der ich fast mit zwei Deutschen kollidiere, Mutter und Tochter, die hier gemütlich entlanglangschlurfen. Ich stolpere kurz, fange mich, springe an ihnen vorbei und bin weg.

Der Steinweg und die Treppe sind in die Felswände der Steilküste gebaut und führen einmal um die Klippen herum und immer tiefer und tiefer bis zum Meer hinab. Eine lange Passage ist fast waagerecht. Meine ungeübten Beinmuskeln zwicken und die Lunge brennt, aber ich renne weiter. Bei sowas packt mich ja der Ehrgeiz. Ich will auch immer den Zug noch kriegen, wenn es eigentlich heißt, dass der nicht mehr zu kriegen sei. Meine Füße fühlen sich bleischwer an. Soll das so? Keine Ahnung, ich jogge nie. Der Reiz des Laufens hat sich mir nie erschlossen.

Ich versuche an was Schönes zu denken, aber alles was mir einfällt ist “Verdammt, ich habe die Kamera im Auto vergessen”. Egal, weiter.

Warum muss das bei mir eigentlich immer in so knappen Sachen enden? Noch um eine weitere Kurve und da! Ist endlich ein Spalt im Gestein.

Keuchend komme ich in einer großen Höhle zum stehen. Die Uhr zeigt 10:05. Die Meeresbrandung schlägt an den Eingang der Höhle. Etwas abseits, geschützt vor der Gischt, steht ein kleiner Tresen, dahinter ist der ausufernde Lockenkopf einer weiteren Angestellten zu sehen. “Kann ich noch…?”, frage ich außer Atem. “Ja, musst Dich aber beeilen”, sagt La Scapigliata, die Wuschelköpfige, und drückt mir ein Ticket in die Hand.

Ich laufe weiter, eine Treppe hoch und dann kann ich nicht mehr laufen. Zum einen, weil das der Weg nicht mehr hergibt, der nun ganz schmal wird. Zum anderen, weil ich erstmal staunen muss.

Ich stehe in der Grotta del Nettuno, der Neptunhöhle. Gigantische Stalagtiten aus Kalkstein hängen von der Decke. (Merksatz: “Die Titen hängen, die Miten Steigen”. Haha.). In der Mitte der Höhle sind Stalagtiten und Stalagmiten zu Stalagnaten zusammengewachsen. Diese Säulen sind hier so riesig, das an ihnen selbst weitere Tropfsteine hängen. Irre. Völlig irre. Auf dem Boden schwappt Salzwasser in einem See umher. Sagenhaft. Wie im Märchen.


Nach kurzer Zeit habe ich die Gruppe eingeholt. Der Führer sieht aus wie ein alternder Schlagersänger und spricht seinen, in langen Jahren auswendig gelernten Text so, als ob er ein Hörbuch einsprechen würde. Das ist angenehm zu hören, aber völlig langweilig. Zumal er kaum was Interessantes sagt. Meine Brille beschlägt, und mein ganzer Körper badet in Schweiß. In der Höhle hat es fast 20 Grad, und eine Luftfeuchtigkeit von 98 Prozent. Alter Schwede. Die Führung ist Banane, aber die Höhle ist toll. Früher haben hier die Mönchsrobben gelebt, aber seit 1995 sind die verschwunden.

Nach 20 Minuten ist der Rundgang schon vorbei, die Höhle ist schön, aber nicht groß. Am Eingang sehe ich den Bootssteg. Die meisten Besucher landen hier per Boot an, vom nahegelegenen Alghero aus. Das muss ein tolles Erlebnis sein, so mit dem Boot auf diese riesigen Felsen zuschippern und dann in der Höhle anlegen. Aber das hätte mindestens den halben Tag gedauert, deshalb habe ich die Variante mit der Treppe gewählt.

Uh, die Treppe! Mist, die muss ich ja jetzt wieder hoch! Für den Rückweg brauche ich deutlich länger als 6 Minuten, und dabei schnaufe und rumpele ich. Die Treppenstufen sind hoch, und ich bin, seien wir ehrlich, gerade in äußerst schlechter Form. Viel Arbeit, wenig Bewegung, das hat Spuren auf den Rippen hinterlassen. Als ich wieder den Parkplatz erreiche, bin ich schweißdurchtränkt und fast am Kollabieren.

Ich bin froh, als ich die Tür des Fiats hinter mir zuziehen und mich in den Sitz fallen lassen kann. Der Rückweg bietet noch einmal fantastische Ausblicke.

Alghero ist ein Hafenstädtchen und nach den beiden Großstädten Cagliari und Sassari und neben der Hafenstadt Olbia die bekannteste sardische Stadt. Ich parke den Cinquecento am Hafen. Mitten auf dem ansonsten leeren Parkplatz kann sogar ich einparken. Ein kleiner Hund sieht mir interessiert dabei zu.

Zu Fuß spaziere ich in die Altstadt. Die liegt mitten in einer Festungsanlage. Palmen säumen die dicken Festungsmauern.

Skurrile Konstruktion.

Die Innenstadt von Alghero ist nicht besonderes groß, aber deutlich touristischer als Sassari und wesentlich hübscher. Kleine Gassen sind mit Kieseln ausgelegt und voller Geschäfte und Restaurants.

Überall hängen Laternen, die aus Stoffresten und Fahrradrädern gemacht sind.

Überall wird hier Schmuck aus Korallen verkauft. “Echte Sardische Arbeit, 100%, mit Zertifikat”. Ja, ja. Aber das die Korallen dafür aus Japan kommen, verschweigen die Händler. Auf Sardinien dürfen schon seit Jahrzehnten keine Korallen mehr abgebaut werden.

Bild: Google Earth 2019

Nach zwei Stunden rumspazieren habe ich keine Lust mehr und kehr zurück zum Auto. Der Parkplatz ist immer noch leer, nur mitten drin steht der Fiat. Genau neben den hat sich das einzige andere Fahrzeug gestellt, ein Wohnmobil. Und zwar so dicht, dass ich die Fahrertür nicht aufbekommen. Ich fasse es nicht. Was soll sowas? Egal, ich ärger mich nicht, sondern klettere über die Beifahrerseite ins Cockpit.

Dann steuere ich Floh durch den Stadtverkehr, der um diese Zeit nur schleicht, weil hier ausschließlich Touristen oder Rentner oder verrentete Touristen unterwegs sind. Die fahren auch schon mal verkehrt rum durch Kreisel oder in Schrittgeschwindigkeit über die Küstenstraße. Zum Glück ist der Floh schnell an diesen Tüten vorbei, und ich fahre Richtung Süden an der Küste entlang.

Das Capo Caccia aus der Ferne.

Die Straße ist, wie so viele hier, spektakulär. Spektakuläre Aussicht, und spektakulär gut in Schuss. Keine Schlaglöcher, keine Risse, einfach nur formidabler, grober Asphalt. Ein Motorradparadies.

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Die Landschaft hier sieht anders aus als weiter nördlich. Sand, rote Felsen und dornige Büsche lassen die Szenerie eher aussehen wie in Spanien. Auch als USA-Double könnte die Region herhalten. Gibt es wohl sardische Spaghettiwestern?

Kakteen mit Grafiftti.

An einen Berg drückt sich Bosa. In der Altstadt ist jedes Haus ein einer anderen Farbe gestrichen, das Dorf leuchtet bunt in der Sonne. Oben auf dem Berg ist ein altes Castell.

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Ein modernes Veranstaltungszelt steht im Innenhof. Benutzt wird es wohl nicht mehr, der Holzboden ist verfault und stellenweise eingebrochen.

Viel zu sehen gibt es im Castell nicht, aber die Aussicht ist schön und im Innenhof stehen Olivenbäume. Unter die setze ich mich und lese.

Gegen 17: 00 Uhr ist es an der Zeit, die Unterkunft auszusuchen. Heute: Ein Agriturismo mit Osteria. Ach, da freue ich mich schon drauf. Ich war auf dieser ganzen Reise noch nicht ein Mal essen, aber wenn das Restaurant quasi unter dem Schlafzimmer liegt…

Bild: Google Earth 2019

Leider bin ich allein auf dem Hof. Ich bin der einzige Gast, und der Koch hat gerade nur die Küche feucht durchgewischt und macht jetzt Feierabend. Er könnte mir was zu essen machen, sagt er, aber… “Nessun Problema”, sage ich. Für einen allein die Küche anzuschmeißen, das lohnt nicht. Er lächelt erleichtert, drückt mir den Zimmerschlüssel in die Hand, zeigt mir noch wo vor dem Haus der Haustürschlüssel versteckt ist und weg isser. Ich bin ganz alleine in dem großen Haus.

Von meinem Zimmer habe ich einen schönen Ausblick über die Hochebene hier.

Als das Licht bereits beginnt golden zu werden, fahre in den Nachbarort und suche mir dort eine Supermarkt.

Supermärkte sind die Freunde der Individualreisenden, allerdings muss man genau hingucken. Es gibt wenig Essen in italienischen Supermärkten, die nicht oder nicht lange gekühlt werden müssen und ohne jede Zubereitung verzehrfertig sind. Nicht alles bekommt man in jeder Supermarktkette.

Folgendes Trash-Essen kann man in den Märkten gut kaufen:

  • Conad: Tabouleh von Sacla, Fertigsuppen von Dimmiso.
  • Coop. Haben in den größeren Märkten eine Theke mit frischer Pizza.
  • PAM: Haben in manchen Läden eine Heißtheke mit heißen, fettigen Fertiggerichten. Von Ofenkartoffeln bis Röstbraten.
  • MD: Eingeschweißte Toastecken, die Tramezzino. Belegt meist mit Schinken und Mayo oder Thunfisch in allen Variationen.
  • LIDL: Lidl ist der Freund aller Deutschen, denn hier gibt es zuverlässig deutsches Graubrot, ohne das wir Deutschen im Ausland ja bekanntlich nach wenigen Wochen kaputtgehen. Außerdem gibt es Tramezzino und Becher mit Tabouleh und eine Frischbacktheke mit Pizzini.
  • Eurospin: Die Königin unter den Supermärkten, wegen der Backtheke, die es nur in größeren Märkten gibt. Frische Pizza in erstklassiger Qualität, Wurst im Blätterteigmantel, Puddingtörtchen – Großartig.

Im Ort Macomer finde ich einen Conad. Dann gibt es heute Abend halt Suppe.

Ja, Paprika gibt es nicht nur in Normform.

Wieder zurück am Agriturismo stelle ich fest, das ich mit dem draußen versteckten Schlüssel zwar rein komme – aber ich kann nicht die Tür wieder abschließen und ihn gleichzeitig draußen deponieren. Und nun? Tür die ganze Nacht offen stehen lassen, oder abschließen und dann kommt keiner mehr rein? Ach, egal. Wenn ich eh der einzige Gast bin, MUSS hier auch keiner mehr rein. So, Tür zu, Affe tot.

Draußen ist es bereits dunkel, und wieder steigt ein riesiger Mond auf. Kurz nachdem er am Horizont erscheint ist er gelb, dann strahlt er in fahlem Weiß.

Besuchte Orte, am heutigen Tag in blau. CC BY SA 4.0, Erstellt von Conte di Cavour, Ortseintragungen von Silencer

5 Gedanken zu „Reisetagebuch Sardinen (7): Möpperkopp

  1. Genialer Bericht, ich bin mal wieder mitgereist. Die Höhle haben wir uns nicht angesehen. Wir standen oben in Motorradkleidung und konnten uns für kein Geld der Welt dazu durchringen, die Stufen in den Klamotten wieder hochzugehen.

    Und ja, die Straße an alghero ist für Motorradfahrer der Hammer, dass man ich dir bestätigen. 😉

    In bosa haben wir unser Nachtquartier aufgeschlagen, aber nicht im Zentrum. Vorher kam mein kleines Pech mit dem Reifen dazu, so dass alles etwas knapp wurde. Also haben wir uns an dem Abend für Strand und Baden statt Kultur entschieden…. Durch deine Bilder konnte ich diese Lücke nun auch schließen… 🙂

    Sehr schön….

  2. Danke für die Reise in die Vergangenheit und die vielen tollen Bilder! Hach, was ist es doch schön auf dieser Insel… *seufz*
    Aber: da sieht man mal wieder, was man bei einer Motorradtour so alles verpasst!

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