Nicht politikverdrossen genug

Ein junger Mann setzt sich hin, guckt sich mal die Politik der letzten 20 Jahre an, und was er findet, regt ihn einigermaßen auf. Darüber macht er ein Video, in dem er über die, in seinen Augen, wichtigsten Verfehlungen spricht. Da ein Großteil davon die CDU/CSU zu verantworten hat, trägt das Video den Titel „Die Zerstörung der CDU“, Jugendsprache für „Kritik an der CDU“. Sechs Tage später und drei Tage vor der Europawahl hat das Video fast acht Millionen Aufrufe und 150.000 Kommentare.

Auch SPD und AfD bekommen darin ihr Fett weg, aber tatsächlich dreht sich er Großteil um die CDU. Die Kritik bezieht sich auf Klimaschutz, Umverteilung und die offensichtliche Inkompetenz von Politikerinnen, die nicht mal rudimentäres Verständnis von ihrem Aufgabengebiet mitbringen und dennoch Ministerin sind. Das trägt Rezo, wie sich der junge Mann nennt, sachlich und ruhig vor. Jede einzelne Aussage, die er trifft, ist mit einer Quelle hinterlegt und verlinkt, die meisten Aussagen sind mit einem entsprechenden Videausschnitt versehen.

Und obwohl das Video mit einer Stunde Laufzeit eigentlich zu lang ist für die Plattform Youtube, wo Videos meist nicht länger als 8 Minuten dauern, erreicht es innerhalb von 6 Tagen sieben Millionen Aufrufe. Hier ist es:

Interessant ist die Reaktion der CDU. Die reagiert nämlich, für Internetverhältnisse, lange Zeit gar nicht. Als die Reichweite des Videos steigt und es immer öfter geteilt wird, beginnen einzelne Politiker damit rumzupöbeln, beschimpfen das Video als „Fake News“ und machen sich über Rezos blaue Haare lustig, nach dem Motto „Der Youtube-Vogel hat doch eh keine Ahnung“. Das war erwartbar, denn das ist auch einer der Punkte, die Rezo beklagt: Der respektlose Umgang der CDU mit politikinteressierten Jugendlichen, wie er gerade erst in der EU-Urheberrechtsdebatte zu bemerken war. Statt Argumente auszutauschen, fingen gestandene Politikerinnen von CDU und sogar den Grünen an, laut und hysterisch herumzupöbeln und persönlich zu werden.

So machte es auch die CDU-Vorsitzende Kramp-Karrenbauer, die nicht inhaltlich auf das Video eingeht, sondern miesepetrig raunzte „Ich habe mich gefragt, warum wir nicht eigentlich auch noch verantwortlich sind für die sieben Plagen, die es damals in Ägypten gab.“ Für eine CHRISTLICHE Politikerin ein erstaunliches Unwissen, es waren immerhin 10 Plagen.

Nach 5 Tagen kündigte die CDU an, mit einem eigenen Video antworten zu wollen. Man setzte den jüngsten Bundestagsabgeordneten vor die Kamera, drehte einen Tag lang, Schnitt eine ganze Nacht durch – und warf das Ergebnis am Ende in die Tonne. Das „Amthor-Video“ wird auf Twitter schon als ähnlich mysteriös besprochen wie das Bernsteinzimmer: Niemand wird es jemals sehen.

Stattdessen veröffentlichte man einen offenen Brief, in dem in typischen Nullsätzen geschwurbelt und Rezo „zum Dialog“ eingeladen wurde. Kann man machen, muss man aber ganz klar sehen: Thema verfehlt. Denn das ist genau der Punkt von Rezos Video: In Dingen wie dem Klimawandel gibt es keine zwei Meinungen, die man ausdiskutieren kann. Damit macht er sich unangreifbar, und die CDU kann dagegen nicht an – wie genau soll sie denn begründen, dass sie Kohlekraftwerke bis 2038 laufen lassen will, um 20.000 Arbeitsplätze zu retten, wenn sie in den letzten Jahren durch ihre Politik 80.000 Arbeitsplätze im Bereich der erneuerbaren Energien vernichtet hat?

Interessant ist jetzt die Reaktion der klassischen, CDU-nahen Printmedien. Die FAZ stellt Rezo in die rechte Ecke und spricht von „Propaganda“. Damit unterstellt sie direkt mal, dass das Video aus Falschinformationen besteht, und Rezos Handeln gelenkt wird. Noch besser aber ein Kommentar, in dem Autor, der das Video offensichtlich nicht gesehen hat, sinngemäß herumheult, das „Immer der Beifall bekäme, der rumpöbelt, und wer am lautesten pöbelt, der kommt ins Fernsehen“.

Rezos Video hat aktuell fast acht Millionen Aufrufe. Darauf kommt die Tagesschau an sehr guten Tagen. Aber das Jugend von heute sich tatsächlich für Politik interessiert und dafür weder Fernsehen noch gedruckte Zeitungen braucht, das kommt im Weltbild von Politikern und Journalisten wohl nicht vor.

Kategorien: Meinung | 2 Kommentare

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2 Gedanken zu „Nicht politikverdrossen genug

  1. Sehr guter Artikel!

    Rezo ist einer von den ganz hellen und überlegten / überlegenen Köpfen – nicht nur in der Youtube-Szene. Dass die etablierten Dateien nun derartig aufgerüttelt werden – zumindest hoffe ich das – ist top!

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  2. zwerch

    Ich mag den jungen Mann, er bringt´s auf den Punkt. Applaus!

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