Momentaufnahme: Juni 2019

Herr Silencer im Juni 2019

Urlaub!!

Wetter: Heiß.


Lesen:

Matt Ruff: The Mirage [Kindle]
Weitergelesen: Die Welt in einer alternativen Zeitlinie: Die USA sind eine zerstrittene Ansammlung christlich-fundamentalistischer Staaten, während die Aarabische Welt geeint und modern ist. Am 09. November 2001 steuern christliche Fanatiker Flugzeuge in zwei Wolkenkratzer in Baghdad. Diese Anschläge an 11/9 verändern die Welt für immer. Die Araber gehen mit aller Härte gegen die christlichen Terroristen vor. Eine Antiterror-Spezialeinheit nimmt in Baghdad christliche Terroristen fest, die steif und fest behaupten, dass die ganze Welt ein Trugbild, eine Mirage, sei – in Wirklichkeit wären an 9/11 Flugzeuge von Muslimen in amerikanische Wolkenkratzer geflogen worden. Als Beweis dafür zeigen die Verhafteten Ausschnitte von seltsamen Zeitungen vor. Wer hätte schon je von der „New York Times“ gelesen?

Ich hatte ja schon im Vormonat darüber geklagt, dass das Buch VIEL zu lang ist. Das Worldbuilding ist genial, aber Matt Ruff verliert sich in Nebenschauplätzen und den Seitengeschichten von unbedeutenden Nebenfiguren, die allesamt keinen Charakter haben. Im Ernst, KEINE der handelnden Figuren ist mir mit Namen und Eigenschaften im Gedächtnis geblieben. Am Ende kippt die Story dann auch noch ins Übersinnliche und hantiert mit Geistern und Dschinns herum.

Das ergibt im Kern dann durchaus einen Sinn, aber das Buch trägt so dermaßen viel Speck mit sich herum, dass man den kaum findet. Obwohl das Taschenbuch die Silencer´sche 450-Seiten Regel einhält („Jeder Roman über 450 Seiten ist schlecht lektoriert und zu lang“), hätte ein gutes Lektorat eigentlich zwei Drittel des Werks streichen müssen, weil: Unfug. Matt Ruff ist immer dann richtig gut, wenn er nicht mehr als 150 Seiten schreibt (Wie in der Multiple-Persönlichkeiten-Story „Set this House in Order“ oder der Novelle „Bad Monkeys“.

Was bleibt: Die Erinnerung an eine tolle, auf links gedrehte Alternativrealität, in der Figuren wie Saddam Hussein, Osama Bin Laden, Timothy Veigh, Donald Rumsfield und andere ganz andere Rollen einnehmen als in unserer Welt, dabei aber im Kern die bleiben, die sie sind. Das ist Gänsehauterzeugend unangenehm.

Herr Sonneborn geht nach Brüssel

Im Jahr 2014 tritt der Satiriker Martin Sonneborn mit seiner Partei „Die PARTEI“ bei der Europawahl an. Zu seiner eigenen Überraschung bekommt er genug Stimmen und geht als Abgeordneter nach Brüssel. Ihm zu Seite steht sein treuer Büroleiter Hoffmann, Vorname: Dustin. Gemeinsam finden sie sich in den Politbetrieb der EU ein.

Ich habe das Buch verschlungen. Was Sonneborn hier vorlegt, ist kein plumper Versuch, sich über die EU lustig zu machen. Im Gegenteil, mit großem Ernst wird hier beschrieben, wie Prozesse in der EU ablaufen, welche Rituale und Traditionen dort gepflegt werden, und welche Charaktere die tatsächlich Macht in Europa haben und auf wessen Geheiß sie handeln. In chronologischer Reihenfolge lässt Sonneborn die Leser an seiner ersten Legislaturperiode teilhaben. Während der macht er sich schnell Feinde, u.a. den cholerischen Cheflobbyisten von Bertelsmann, Elmar Brok (der Nebenbei einer der mächtigsten CDU-Politiker ist, darin aber keinen Interessenkonflikt erkennen kann) oder den SPD-Politker Jo Leinen, dem Sonneborn einen Empfang wegkapert und der wegen der PARTEI eine Änderung des Wahlrechts herbeiführen will, oder auch die AFD-Abgeordnete, die Sonneborn nur „Beatrix von Strolch“ nennt.

Während der 5 Jahre,. die das Buch umfasst, erlebt man bei Sonneborn eine Veränderung. Stimmte er Anfangs gaga-mäßig immer abwechselnd mit Ja und Nein für alles mögliche, begreift er im Laufe der Zeit, das selbst seine fraktionslose Stimme manchmal das Zünglein an der Waage sein kann. Gemeinsam mit Ska Keller von den Grünen und Julia Reda von den Piraten fängt Sonneborn an, die alten weißen Lobby-Männer wie Oettinger und Brok aufzumischen und mit seinen Mitteln auf Demokratiedefizite und ungerechte Auslegungen aufmerksam zu machen, bis am Ende sogar Merkel der Deckel wegfliegt und die Bundesregierung gegen Sonneborn intrigiert.

„Herr Sonneborn geht nach Brüssel“ ist ein politisches Buch, dass lehrreich ist, weil es abstrakte Prozesse in verständlicher und anekdotischer Form darstellt. Sehr vergnüglich, sehr unterhaltsam. Ich freue mich schon auf die Fortsetzung: Sonneborn wurde gerade wiedergewählt und darf eine zweite Amtszeit in Brüssel verbringen.


Hören:


Sehen:

A private War [Prime Video]
Marie Colvin ist eine begnadete Kriegsreporterin. Für die Sunday Times berichtet sie aus Krisengebieten wir Ost-Timor, dem Libanon oder dem Kosovo. Dabei mäandert sie zwischen der Sucht nach dem Thrill, der selbstauferlegten Verantwortung über die Grausamkeit der unbeachteten Kriege berichten zu müssen, wenn es sonst niemand tut, und einer ständigen Traumatisierung ob des Gesehenen, die sie mit Sex und Alkohol zu kompensieren versucht. 2012 wird Colvin in Homs getötet.

Ich weiß schon, was der Film leisten möchte. Klappt aber nicht. Das liegt zum einen daran, dass sich die Produzenten nicht wirklich auf eine Richtung festgelegt haben. Für eine Dokumentation ist zu viel Drama drin, für ein gutes Biopic ist aber die Strukturierung zu unklar.

Außerdem hätte es echt eine andere Hauptdarstellerin sein dürfen. Rosamund Pike müsste eigentlich den Film tragen, kriegt das aber nicht hin. Immer wieder sehen wir sie in unglaubwürdigen Trainingsmontagen schreiben, saufen und ficken, unverständliche Dinge murmeln und dann wieder durch Kriegsgebiete taumeln. Aber statt hier eine besessene Journalistin zu sehen, sehen wir nur Rosmund Pike, wie die sich eine besessene und verbitterte Journalistin vorstellt. Dabei kriegt sie es aber nicht mal hin eine Zigarette richtig zu halten. Meine Güte, was hätte eine Schauspielerin wie Sigourney Weaver aus dieser Rolle gemacht!

Wichtiges Thema, aber der Film taugt leider nicht – trotz der guten Kritiken allerorten.

Venom [Prime Video]
Tom Hardy kommt mit schwarzem Glibber in Berührung, der erst ihn auffrisst, dann anderen den Kopp abbeißen will.

Belangloser Actionreißer mit langen Durchhängern. Tonal kann sich der Film nicht entscheiden, was er eigentlich sein möchte. So oszilliert er zwischen Buddymovie, Thriller, Superheldenstreifen und Horrorfilm. Tom Hardy overacted dabei so dermaßen, dass er die Grenze zur Comedy mehr als einmal überschreitet.

Entscheiden konnte man sich wohl auch nicht, für welches Publikum „Venom“ eigentlich sein soll. Die Comicvorlage ist krass gewalttätig. Aber anstatt hier im ab 18-Fahrwasser von „Deadpool“ oder „Logan“ eine Gewaltorgie aufzumachen, in der links und rechts die appen Köppe rumfliegen, zielt der Film auf ein PG13-Rating. Dementsprechend wird immer brav weggeblendet, wenn Venom zum Massaker ansetzt. Das ist brav und… langweilig. Für eine ordentliche Umsetzung hätte einen Paul Verhoevens gebraucht, bekommen wir hier eine weichgespülte Version a la W.S. Anderson.

Stellenweise unterhaltsam und definitiv nicht so schlimm, wie es ein Nicht-Marvel-Film abseits des MCU befürchten ließ, aber weit davon entfernt das Geld für eine Kinokarte wert zu sein.

Der Kissenmann [Theater im OP]
Der Schriftsteller Katrurian K. Katurian wird verhaftet und verhört. Der Vorwurf: Er soll Kinder auf grauenvolle Arten getötet haben – genau, wie er es zuvor in seinen Geschichten beschrieben hat. Die Polizisten, die Katurian verhören, ist jedes Mittel recht um ein Geständnis aus Katurian zu pressen. Selbst Folter und die Gefangennahme von Katurians zurückgebliebenem Bruder schreckt die Beamten nicht. Bald verschwimmen Realität und Geschichten. Sind Katurian und sein Bruder das Produkt eines schrecklichen Experiments? Am Ende läuft es auf eine letzte, fürchterliche Geschichte hinaus: Die des Kissenmanns. Ein freundliches Wesen, das nur aus Kissen besteht und das Leiden von Menschen nicht ertragen kann. Deshalb reist der Kissenmann in der Zeit zurück, um besonders leidende Menschen noch in ihrer Kindheit zum Selbstmord zu überreden.

Grotesk, fürchterlich, aber auch hoch spannend und sehr, sehr faszinierend. „Der Kissenmann“ überrascht praktisch alle zwei Minuten und ist auf eine ähnliche Weise fesselnd wie einst das Schweigen der Lämmer: Es ist fürchterlich, aber man kann nicht wegsehen. Das hat natürlich System, der Autor Martin McDonagh ist ein Meister in der Verbindung von Gewalt und schwarzem Humor. Aus seiner Feder stammen u.a. „Brügge sehen und sterben“ und „Three Billboards outside Ebbing, Missouri“.


Spielen:

Machen:

Motorradreise!


Neues Spielzeug:

Archiv Momentaufnahmen ab 2008

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