Burned Hand

„Burned Hand teaches Best“ sagen die Engländer, „die verbrannte Hand lehrt am Besten“. In meinem Fall ist das umgekehrt.

Neulich, an einem Samstag Abend: Ich bin mit der Renaissance auf dem Weg ins Theater. Das Motorrad summt durch die warme Abendluft, als ich plötzlich denke: Ich müsste mal in der Firma vorbeigucken. Da hat eine neue Kollegin angefangen. Heute ist Samstag, und sie war das erste Mal ganz alleine. Sie müsste jetzt schon Feierabend gemacht haben, aber vielleicht sollte ich mal gucken ob alles OK ist?

Kurz an die Jackentasche gefasst: Kein Schlüssel für die Arbeit dabei. Ach egal, denke ich mir, wird schon alles OK sein. Theater fängt immerhin in 45 Minuten an.

Doch der Gedanke lässt mir keine Ruhe. Ist wohl wirklich alles OK? Kurz vor dem Ziel halte ich die ZZR an, wende und flitze 10 Kilometer zurück nach Hause, hole die Schlüssel zur Firma und fahre dort vorbei.

Sieht alles OK aus, die neue Kollegin ist schon weg, aber alles ist in Ordnung. Im Rausgehen komme ich an der Kaffeeküche vorbei. Da drin steht so eine kleine Pantryküche, wie man sie aus Studentenbuden kennt. So ein altes Ding, eine Kombination aus oben Spüle und zwei Kochplatten und unten Kühlschrank und Putzmittelschrank. Was ist das denn? Glimmt da ein kleines Licht auf der Vorderseite? Ist das immer an?

Ich gehe näher ran und schirme die Leuchte mit der Hand ab. Doch, die glimmt. Tut sie das immer, wenn der Kühlschrank läuft? Habe ich noch nie drauf geachtet. Oder ist eine der Kochplatten an? Beide Platten werden nie benutzt und sind mit Edelstahlabdeckungen versehen. Sieht alles normal aus, zumindest glüht da nichts oder so. Ich sehe mir die Regler der Kochplatten auf der Vorderseite des Herds an. Beide stehen auf Null.

Mit einer schnellen Bewegung berühre ich mit einer Fingerspitze die Vordere der beiden Platten und ziehe dann sofort die Hand zurück zurück. Heiß ist die Platte nicht. Ich berühre sie schnell mit zwei Fingern, dann lege ich die ganze Handfläche auf. Nein, die ist nur Lauwarm. Das kann vom laufenden Kühlschrank kommen. Vermutlich ist das bei der hinteren Platte auch so, denke ich und lege die Handfläche auf die größere der beiden Herdplatten.

Noch bevor die Nerven den Schmerz ans Hirn weitergemeldet haben, hören die Ohren das Zischen, das die Handfläche auf der heißen Herdplatte verursacht. Dann kommt der Schmerz. Ich höre mich selbst laut schreien, unkontrolliert und tief, wie ein Tier, dann reiße ich die Hand zurück und torkele vom Herd weg. Ich begreife, was da gerade geschehen ist, springe zum Wasserhahn und drehe das kalte Wasser auf.

Die Handfläche, die ich in den Wasserstrahl halte, ist knallrot. Sofort fliessendes Wasser ist wichtig, denn sonst verbrennt die Haut im Inneren weiter, auch wenn sie schon von der Hitzequelle getrennt ist. Jetzt stellt sich ein pulsierender Schmerz ein. Noch kann ich klar denken. Ich fummele das Handy aus der Tasche, lasse die Sprachassistentin meine Abendverabredung anrufen und sage den Theaterbesuch ab.

Dann besehe ich mir die Drehregler am Herd. Der von der hinteren Platte ist ganz locker und fällt ab, als ich dagegenstupse. Anscheinend ist der schon mal abgefallen, und jemand hat ihn verkehrt wieder aufgesetzt. Und zwar so, dass er um 180 Grad versetzt war. Er stand auf null, die Herdplatte lief aber auf drei. Vorsichtig schütte ich Wasser auf die Edelstahlbdeckung. Es zischt, als das Wasser augenblicklich verdampft. Ich drehe am Reger herum, bis die kleine Lampe ausgeht. Dann stehe ich eine weitere Minute an der Spüle und kühle die schmerzende Hand, bis ich das Wasser abdrehe und zum Motorrad laufe. Vielleicht bleibt nicht viel Zeit bis der Schock einsetzt, dann will ich lieber zu Hause sein.

Den Handschuh wieder anzubekommen ist kein Problem, Gas geben aber schon. Jeder Dreh am Gasgriff tut höllisch weh. Zum Glück muss ich nur 10 Minuten fahren. Zu Hause stelle ich die ZZR in die Garage und laufe in meine Wohnung. Dort angekommen, versuche ich so vorsichtig wie möglich den Motorradhandschuh wieder auszuziehen. Die Hand ist schon stark angeschwollen, und vor Schmerzen steigen mir die Tränen in die Augen, während ich langsam den Handschuh abziehe. Hautfetzen bleiben am Leder zurück. Dann halte ich die Hand so schnell wie möglich wieder unter fließendes Wasser und ziehe mir einen Küchenstuhl heran, während ich auf das Einsetzen des Schocks warte.

Der bleibt weitgehend aus, nur ganz kurz wird mir jetzt ein wenig schwindelig. So, und nun? Jetzt stehe ich hier, die Hand tut wie irre weh, sobald ich sie unter dem fließenden Wasser weg nehme. Soll ich ins Krankenhaus fahren? Vorsichtig besehe ich mir die Handfläche. Die ist in voller Fläche verbrannt und knallrot, bis auf da, wo sich bereits Blasen bilden. Das ist gut. Blasen sind gut.

Ich habe 10 Jahre in der Systemgastronomie gearbeitet und alle Arten von Verbrennungen gesehen. Blasen sind gut, denn dann ist noch Haut da, die Blasen werfen kann. Ernsthaft. Verletzungen durch Friteusenfett, bspw, sind viel schlimmer, denn dann wird die Haut nicht verbrannt, sie verschmort einfach. Da ist dann nichts mehr was Blasen werfen oder später heilen könnte. Da hta man dann einfach ein Loch im Körper. Gerade weil ich schon so viel gesehen habe, Verbrennungen, Verschmorungen und Verätzungen, kann ich auch sehen, dass das hier viel schlimmer aussieht, als es ist.

Die Verbrennung ist großflächig, ja, aber nicht tief. Krankenhausbesuch lohnt nicht. Alles, was ein Arzt jetzt machen könnte, wäre das Kühlen mit fließendem Wasser zu empfehlen. Fließend übrigens deswegen, weil das Bewegungsgefühl die Nerven beruhigt. Gefühlt schreit nämlich gerade jeder Nerv vor Schmerz, und nur die Ablenkung durch kühles, bewegtes Wasser hilft dabei, ihn fast auf Null zu bringen. Eiskalt darf das Wasser übrigens auch nicht sein, weil man sonst Gefahr läuft, die Körpertemperatur zu stark zu senken. Und Eiswürfel wären ganz falsch, weil man sich damit zusätzlich zu Verbrennungen auch noch Erfrierungen einhandeln könnte.

Irgendwann schlafe ich vor Erschöpfung auf dem Küchenstuhl ein, die verbrannte Hand immer noch in der Spüle.


Die folgende Woche ist die Hölle. Erst ist die ganze Handfläche und alle Fingerspitzen eine einzige Ansammlung von Blasen, dann hinterlasse ich überall abgefallene Hautfetzen. Aber immerhin hatte ich recht, es war nur die oberste Hautschicht. Die Schmerzen sind schon am nächsten Tag nicht mehr schlimm und schon nach wenigen Tagen ganz weg.

Trotzdem: Scheißspiel. 10 Jahre Systemgastronomie, in denen ich an und in 180 Grad heißen Friteusen und riesigen Clamshell-Grills rumhantiert habe. 10 Jahre, in denen ich Leute an diesen Geräten und deren Reinigung ausgebildet habe. Unburned hand teached best. Und seit 25 Jahren bügele ich Hemden. NIE habe ich mich so riesig verbrannt, und jetzt, in einem Moment der Unachtsamkeit, habe ich quasi diese eine Szene da aus Indiana Jones nachgespielt. Schön Blöd.

Trotzdem, so eine verbrannte Hand ist ein geringer Preis im Gegensatz zu dem, was die laufende Herdplatte noch hätte anrichten können.

Kategorien: Ganz Kurz | 9 Kommentare

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9 Gedanken zu „Burned Hand

  1. :-O

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  2. zwerch

    Aaauuuuuuuuuuuuuu…

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  3. Autschnnnn….

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  4. Ali

    Schon ein Verbrennen an einem der Finger tut höllisch weh. Kann es dir gut nachfühlen.

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  5. …und plötzlich kommt mir mein linkes Auge völlig harmlos, fast schon belanglos vor – und ich denke an das Amulett von Indy. 😀

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  6. natira

    Verdammt! Das ist schmerzhaft (ich erinnere mich an ein Erlebnis in meiner Kinderzeit mit einer umfallenden Kanne voll mit heißem Krümel-Kaffee). Respekt, dass Du Dich auch noch um das Herdproblem kümmern konntest (was das angeht, hattest Du aber eine verflixt gute Intuition; das Gerät ist hoffentlich nicht mehr in der Firma).

    Das alles hätte insgesamt auch noch ganz anders ausgehen können, puh. Ich drücke die Daumen, dass Heilung weiter gut verläuft.

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  7. Alles schon wieder gut, der Vorfall ist schon sechs Wochen und der Abdruck des Plattenrands verschwindet langsam. Das Gerät gibts noch, aber die Drehregler sind demontiert, damit nicht nochmal jemand aus versehen dagegenstößt und unabsichtlich die Platten anschaltet.

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  8. rudi rüpel

    Silencer, die Firma hätte abfackeln können. Du bist ein Held! Hast, für wen auch immer, deine Hand ins Feuer gelegt.
    LIEBEn Gruß

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  9. „Hand ins Feuer gelegt“, das gefällt mir, Rudi!

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