Alpine Stars Tech Air-System in der Praxis: Zwei Saisons-Update
Disclaimer: Ich habe den Tech-Air-Kram selbst und ganz regulär zum Ladenpreis gekauft. Ich habe keine Geschäftsbeziehungen zu Alpine Stars, und dies ist auch kein Kooperations- oder Werbartikel. Sowas verpöne ich.
Bereits erschienene Beiträge:
- Erste Erfahrungen (und das Drama der Kaufentscheidung)
- Erfahrungen nach 7.500 Kilometern (zur Verarbeitung und Fahrgefühl)
Das war nun die zweite Saison, die ich mit einem Airbagsystem am Körper Motorrad gefahren bin.
Funktionsweise
Zur Erinnerung: Das Tech Air von Alpine Stars besteht aus einer Weste mit einem Rückenpanzer. In diese Weste ist rundrum der Airbag eingearbeitet, im Rückenprotektor sitzen Gaspatronen, Akku, Sensoren und ein Rechner. Der wertet permanent die Daten von mehreren Sensoren im Rücken und an den Schultern aus. Stellt der Computer plötzliche Veränderungen von Lage und Beschleunigung fest, die dem Datenmodell eines Unfalls entsprechen, löst der Airbag aus und schützt den gesamten Oberkörper inkl. der Brust und dem Hals.
Die Weste kann nicht allein getragen werden, sondern muss in eine für das Tech-Air vorbereitete Jacke eingeknöpft werden. Es gibt verschiedene Modelle, von der Rennkombi bis hin zur Tourenjacke mit integriertem Trinksystem. Allen gemein ist, dass sie über Magnetschalter am Frontreissverschluss und drei LEDs am linken Ärmel verfügen. Der Magnetschalter teilt dem Rechner in der Airbagweste mit, dass die Jacke geschlossen ist und damit das System aktiviert werden kann. Die LED zeigen den Status des Systems (Aus/Kalibriert gerade/An/Störung) und den Batteriezustand an. Ich verwende das Tech Air in einer Valparaiso, das ist die leichte Tourenjacke von Alpine Stars. Hervorragend verarbeitet, Lederbesatz an sturzgefährdeten Stellen.
Im Gegensatz zu Airbagsystemen anderer Hersteller bietet das Tech Air einige Vorteile:
- Keine Reißleine zum Motorrad (wie z.B. bei Helite), dadurch schnellere Auslösung bei Unfällen
- Keine Sensoren am Motorrad (wie z.B. bei Dainese), mit einem Tech Air kann man jede Maschine fahren
- Verschiedene Jackenmodelle verwendbar, je nach Geschmack und Einsatzzweck
Bei jede Start des Systems, also bei jedem Schließen der Jacke, prüft und kalibriert der Computer erst einmal alle Sensoren, dabei blinkt am linken Arm die grüne LED. Leuchtet sie dauerhaft, was in der Regel nach 15-45 Sekunden passiert, ist das System aktiviert. Der Akku hält rund 30 Stunden, selbst wenn man jeden Tag 8 Stunden fährt, muss er erst nach 3 Tagen ans Netz.
Soweit zur Funktionsweise, jetzt meine Erfahrungen mit dem Tech Air
Kilometer 0.000, Februar 2018: Anschaffung
Das Tech Air und ich hatten einen seltsamen Start. Erstmal habe ich ewig gebraucht, um die für mich passende Größe zu finden, denn die Jacken sind sehr körperbetont geschnitten und dementsprechend eng. Die Valparaiso hat zudem noch zwei Innenfutter (Membran und Thermofutter), die sie nochmal enger machen. Eine Nummer größer sieht dann aber gleich wieder aus wie ein Mehlsack, mit zu langen Armen und schlappernden Ärmeln. Das ganze Drama ist hier nachzulesen.
Kilometer 6.000, Juli 2018
Während der ersten Saison fiel das System nach rund 6.000 Kilometern aus. Der Rechner brach während der Kalibration ab, Grund dafür war ein ausgefallener Gyro-Sensor. Ärgerlich, aber eigentlich ein gutes Zeichen: Wenn das System sich nicht hundertprozentig sicher ist, dass alles funktioniert, dann startet es erst gar nicht.
Ich habe dann die Airbagweste bei Alpine Stars gelassen und bekam sie zwei Wochen später repariert und mit neuem Steuercomputer und verbesserter Software zurück.
Kilometer 8.000, Oktober 2018
Zum Saisonende 2018, auf meiner letzten Fahrt bevor die Motorräder eingewintert wurden, meldete wieder ein Sensor einen Fehler. Nur ein Mal, ansonsten funktionierte er. Ich fragte den Alpine Stars Tech Air Kundendienst, der superfix ist, nach seiner Meinung. Kein Grund zur Sorge, aber wenn ich Lust hätte, dann solle ich das Teil doch einschicken. Habe ich gemacht, mitsamt der Valparaiso Jacke.
Die bei Louis gekaufte Jacke nämlich noch von einer ersten Generation und hatte noch nicht den gelben Klettverschluss am Magnetschalter, der heute das Markenzeichen des Tech Air ist. Ohne den ist das Schließen des Magnetschalters aber eine ziemliche Fummelei.
Im Dezember 2018 kam ein Paket aus Italien zurück. Die Weste war überprüft worden. Fehler gab es keine, aber weil es mittlerweile eine bessere Akkuversion mit einem anderen Ausfallschutz gibt, hatte man mir den einfach mal eingebaut und die Software upgedatet. In die Valparaiso-Jacke hatte die Näherei von Alpine Stars einen Klettverschluss eingenäht. Alles kostenlos.
Kilometer 15.000, Juni 2019
Es geht durch Regen. Es geht durch glühende Sonne bei Temperaturen über 40 Grad. Und dann geht es durchs Gelände und plötzlich so der Gedanke: Können heftige Stöße und Stürze bei niedrigen Geschwindigkeiten eigentlich den Airbag auslösen? Können sie nicht, bestätigt Alpine Stars später. Das System erkennt Geländefahrten und löst nicht bei Schlaglöchern aus, und auch Umfaller können haben keinen Effekt.
Kilometer 20.000, Oktober 2019
Das Tech Air hat die Saison 2019 ohne Probleme überstanden. Mit dabei: Eine Fernreise, die sowohl Regen bis auf die Haut als auch zwei Wochen Temperaturen weit über 30 Grad brachte. Jetzt geht die Weste zum Check, der alle zwei Jahre notwendig ist. Alpine Stars prüft dabei das gesamte System auf Dichtigkeit und Funktion und erneuert die Gaskartuschen. Das kostet 99 Euro bei denen, dafür verlängert sich dann die Herstellergarantie um zwei Jahre. Das geht maximal fünf mal, man hat also bei regelmäßigen Inspektionen 10 Jahre Herstellergarantie.
Meine Meinung nach zwei Saisons:
Das Alpine Stars Tech Air ist technisch auf einem guten Stand. Gerade für Gelegenheitsfahrer in Deutschland kann ich es uneingeschränkt empfehlen. Anfangs zieht man es an, guckt ob die Lampe grün ist und fährt los, später vergisst man sogar diesen Kontrollblick. Das ist sicherlich das Beste, was man über so eine Technik sagen kann: Man vergisst sie einfach. Das ist super.
Weniger super ist das System für Motorradreisende, gerade in warmen Gefilden. Die Weste wiegt zwei Kilo, die Jacke auch, mit ein wenig Geraffel in den Taschen hat man plötzlich 4,5 Kilo zusätzliches Gewicht, was man erstmal bewegen muss.
Beim Ausflug ins Eiscafe auf der Tagestour ist das nicht schlimm, wenn man damit aber im Hochsommer durch Städte wandert, dann merkt man das heftige Gewicht sehr deutlich.
Dazu kommt: Der Airbag staut wie eine Plastiktüte die Hitze in der Jacke. In Bewegung auf dem Motorrad ist das gerade noch erträglich, dank der guten Lüftung. Ist man aber zu Fuß unterwegs, stirbt man darin den Hitzetod.
Außerdem nimmt die Weste den Schweißgeruch an, der irgendwann auch nicht mehr rausgeht. Als Reisender stinkt man nach einigen Tagen wie eine Güllegrube. Klar, das kann auch bei anderen Jacken passieren, aber für den Preis möchte ich ein Innenfutter mit Antimüffelionen oder so.
Von daher: Wer auf´s Geld achten muss oder Fernreisen unternimmt, für den ist das Tech Air nichts.
Für die normale Durchschnittsfahrerin oder den Durchschnittsfahrer ist das Tech air aber ein tolles Ding und vermutlich das am einfachsten zu nutzende System auf dem Markt. Der Anschaffungspreis ist hoch, dafür bekommt man aber erstklassige Qualität, Premiumerstellerservice und hohen Schutz.
Wer Geld in sein Hobby stecken kann, dem sei gesagt: Bevor Du Dir das dritte Paar LED-Scheinwerfer oder irgendwelchen Killefitt an Deine GS schraubst, denk doch mal über eine Investition in ein Tech Air nach.