Reisetagebuch Motorradtour 2019 (7): Die Hölle der Amalfitana

Dienstag, 18.06.19, Faicchio, Kampanien

Die Amalfitana gilt als eine der schönsten Straßen der Welt. Warum eigentlich?
Das frage ich mich schon, seitdem ich das erste Mal da war. 2011 war das, mit Modnerd am Steuer eines Mietwagens, ich saß als Beifahrer daneben.

Amalfitana? Was ist das denn?

Südlich von Neapel liegt der Ort Amalfi direkt am Meer, weshalb die Gegend dort auch Amalfiküste heißt. Es ist eine Steilküste, deren grobe Felsen senkrecht ins Meer fallen. In diese Felsen sind auf Terrassen ganze Orte gebaut, mit klingenden Namen wie Positano, Ravello oder Maiori. Die Orte sind durch eine Straße verbunden, die kunstvoll und in mühsamer Arbeit aus dem Felsen gehauen und gesprengt wurde.

Diese Straße trägt die nüchterne Bezeichnung SS163, aber unter diesem Namen kennt sie niemand. Wenn aber ihr Spitzname fällt, dann seufzen die Menschen und gucken sehnsüchtig in die Ferne. „Amalfitana! Ahhh!“ Warum? Weil die Amalfitana eben einen Ruf als eine der schönsten Straßen der Welt hat. Aber als schöne Straße habe ich sie bislang nicht erlebt.

Die Lage der Amalfitana: Auf der Südseite einer Landzunge, auf der auch Sorrento und vor dessen Küste Capri liegt.
Bild: Google Maps 2020.

In meiner Erinnerung ist die Amalfitana über weite Strecken mehr Gasse als Straße. Eine enge Gasse, die sich Lastwagen, Busse, PKW, Motorradfahrer, Radfahrer, Esel (die werden als Transport zu den Häusern im Hang benutzt) und Fußgänger teilen.

Sie führt in absurden Kurven und Knicken um Felsen und Häuser herum – so absurd, dass ein Bus, der um eine enge Kurve fährt, auf die andere Fahrbahnseite schwenkt und dabei den Gegenverkehr blockiert – was andere aber nicht von dem Versuch abhält, sich doch noch irgendwie vorbei zu quetschen.

Das Resultat ist so, wie man es erwarten kann: Nichts geht mehr, die Fahrzeuge blockieren sich gegenseitig und müssen dann zentimeterweise vor- und zurückmanövrieren, um irgendwie aus diesem Deadlock wieder rauszukommen. Dieses Blockadespielchen schien bei meinem ersten Besuch eher Regel als Ausnahme zu sein. Gefühlt stand der Verkehr an jeder zweiten Kurve. Wenn er dann doch mal etwas schneller floss, wurde unser Mietwagen in halsbrecherischen Manövern auf nicht einsehbaren Abschnitten von Minibussen überholt, was für mehr als einen Schreckmoment sorgte.

Eng.
Laut.
Überfüllt.
Die aufgeheizte Luft voller Abgase.
An jeder Ecke klemmten Reisebusse oder LKW in Kurven fest.

Nein, die Amalfitana hat keinen guten ersten Eindruck bei mir hinterlassen. Nicht mal die Aussicht war supertoll, was aber auch daran lag, dass ich wenig davon sah – wir fuhren die Straße nämlich in der verkehrten Richtung, von Süden nach Norden und von Osten nach Westen, also auf der Fahrspur, die an den Felsen entlangführt. Rechts Felsen, links eine endlose Schlange Fahrzeuge, von vorne und hinten Kamikazebusse. Nein, das machte damals alles keinen Spaß, nicht mal als Beifahrer.

Jetzt, mit mehr deutlich mehr Erfahrung und im Sattel des Motorrads, will ich nachsehen ob mein damaliger Eindruck vielleicht verkehrt war. Auf jeden Fall bereite ich mich mental für heute schon mal auf auf das Schlimmste vor, als ich am Morgen in Faicchio unter einem Kastanienbaum noch schnell einen Caffé trinke.

Als ich in den Sattel der Barocca klettere, steht Alberto schon mit Schubkarre und Strohhut wieder vor seinen Beeten und ruft „Buon viaggio!“, gute Fahrt.


Die erste Stunde meines Reisetages ist noch nett, die führt durch das Hinterland. Nervig ist, das die breite, gut ausgebaute Straße nur mit Tempo 60 befahren werden darf und überall geblitzt wird. Permanent funkt mir Anna Warntöne und Hinweise in den Helm, die sie aus einer europäischen Blitzerdatenbank zieht.

Tatsächlich stehen alle paar Kilometer Starenkästen herum. Anna hat eine Trefferquote von 90 Prozent – das bedeutet aber auch, das sie jeden zehnten Blitzer eben nicht kennt. Wenn jetzt ALLE Verkehrsteilnehmer langsam fahren würden, wäre das eine gemütliche Fahrt. Leider wissen natürlich die Einheimischen von 100 Prozent aller Blitzer und fahren zwischen diesen schneller und drängeln dann. Aber egal, davon lasse ich mich nicht aus der Ruhe bringen. Die Straße ist kurvig, die Ausblicke schön, da kann man auch mal langsam fahren.

Bild: Google Maps 2019.

Unterwegs komme ich an Berghängen vorbei, die voller grüner Haselnusssträucher sind. Im wahrsten Sinne des Wortes bergeweise Haselnüsse.

Na, irgendwo muss ja die Grundlage für Nütella wachsen, denke ich. Erst später werde ich erfahren, das die meisten Nüsse dafür aus der Türkei kommen – eine Tatsache, die den Faschisten Salvini so dermaßen auf die Palme bringt, das er Nütella in Italien für unpatriotisch erklärt. Faschos sind so unfassbar doof.

Das Motorrad steuert über eine Bergkette, und dann liegt plötzlich der Vesuv vor mir. Dahinter, zur Küste hin, wuchert Neapel, einem Krebsgeschwür gleich. Das ist mein Top-1-Ort in Italien, an dem ich nicht, niemals und unter keinen Umständen Motorrad fahren möchte. Die fahren da nämlich Auto nach Gehör, oder so wie andernorts Autoscooter auf dem Rummel gefahren wird. Deshalb ist mein Plan für heute, die Stadt weiträumig zu umfahren.

Zwischen der Bergkette und Neapel stehen Rauchsäulen in der Luft. Müllentsorgung auf neapolitanische Art. Ganz egal was, von Olivenbaumschnitt bis hin zu Autoreifen oder Altöl, alles wird verbrannt.

Eigentlich führt meine Route gaaaaaanz weit um Neapel herum. Ich hatte gedacht ich sei vor Neapel sicher, wenn ich mich auf der Landseite des Vulkans halte.

Bild: Google Earth 2019

Was ich nicht wusste: Neapel ist VIEL größer als ich dachte. Ich dachte immer, die Stadt sei nur auf der Nordseite des Vesuvs, aber tatsächlich ist sie schon ein Mal ganz um den Vulkan herumgewuchert.

Das ist völliger Wahnsinn. Ich hatte ja schon mal aufgeschrieben, was passieren wird, wenn der Vesuv ausbricht. Man beachte die Wortwahl: „Wenn“ der Vesuv ausbricht, nicht „falls“. Denn das er ausbrechen wird, das ist unstrittig. Die Frage ist nur wann. Dabei sprechen wir nicht von geologischen Zeiträumen: Der Druck in der Magmakammer steigt seit Jahren, und seriöse Wissenschaftler gehen davon aus, dass es in ein paar Jahren wieder soweit sein wird.

Eigentlich hätte ich heute Morgen auch die phlegräischen Felder besuchen wollen, das ist ein Gebiet westlich von Neapel. Jahrzehntelang waren die Dampfgeysire und der Schwefelgeruch eine Touristenattraktion, aber seit vergangenem Jahr darf niemand mehr dort hin: Der Boden ist so heiß und instabil, das es unter den letzten Touristengruppen, die die Felder besucht haben, Tote gegeben hat. Das ganze Gebiet ist dicht umbaut, die phlegräischen Felder liegen praktisch mitten in einer Stadt. Genau wie der Vesuv selbst.

4,4 Millionen Menschen leben an und unter dem Vesuv, in einem Gebiet, das eigentlich Sperrgebiet sein sollte. Die Vorwarnzeit für einen Ausbruch beträgt aktuell 4 Tage. Lassen sich so viele Menschen in vier Tagen evakuieren? Ich denke nicht. Es wird hunderttausende Tote geben, und das weiß man in Italien eigentlich. Die letzten Wissenschaftler, die lautstark Alarm schlugen, wurden allerdings von Berlusconi in den Knast gesteckt und mundtot gemacht.

Hier kann man übrigens nachlesen, wie ich vor einigen Jahren auf den Vesuv gekraxelt bin.

Wieder im Hier und Jetzt: Ich habe sehr sorgfältig versucht um Neapel herumzuplanen, um bloß nicht in den höllischen Stadtverkehr zu kommen. Das hier ist eigentlich auch nicht Neapel sondern Nocera, und das liegt südlichöstlich des Vesuvs. Aber alles ist hier so dicht besiedelt, dass ein Ort in den anderen übergeht.

Jetzt ist wirklich deutlich zu merken, das wir im Süden von Italien sind. Es wird auch mal ohne Helm gefahren, und zum Teil fahren drei Personen auf einer Vespa. Mutter am Lenker, Papa hinten drauf, Kind dazwischen. Oh, vier Personen, muss ich mich korrigieren, als ich sehe, das Muttern nur die rechte Hand am Lenker hat und im linken Arm ein Baby im Strampler hält, das mit großen Augen den entgegenkommenden Verkehr anglotzt.

Verkehrstechnisch geht es hier genauso ab wie in der Gemarkung der Großstadt, der Verkehr ist superdicht und ein einziges Chaos. Hier steht alles, hier fließt nichts. Eine große Kreuzung ist ein Knotenpunkt, an dem so gar nichts mehr geht. Aus vier Richtungen treffen Straßen aufeinander, es gibt keine Ampeln, Vorfahrtsregeln irgendwie auch nicht, jeder fährt nur auf Sicht und nach Verständigung mit den anderen Verkehrsteilnehmern. Das artet in völliges Chaos aus, weil gleichzeitig alle versuchen gegenseitig umeinander herum zu fahren. Ich mache innerlich drei Kreuze, als ich endlich da durch bin.

Weiter geht es freilich nicht wirklich. Auch hinter der Monsterkreuzung stehe ich im Stau und schwitze mich tot. Es sind 38 Grad, sagt Anna, und natürlich trage ich die volle Schutzkleidung. Damit bin ich hier der Exot, aber nur in FlipFlops, T-shirt und Shorts, wie die Rollerfahrer hier unterwegs sind, würde ich mein Lebtag nicht fahren.

Die verbeulten Rollerchen schlängeln sich abenteuerlich um die Autos herum. Mit dem Motorrad geht das nicht. Das Hinterteil der Barocca mit den Koffern dran ist so ausladend, dass es fast die doppelte Breite eines Rollers erreicht. Durchschlängeln ist damit meist nicht möglich.

Zumal ich nicht nur auf die Autos achten muss, sondern auch auf die unfassbar schlechte Straße. Die bestehen nur aus Flicken und Schlaglöchern, und die sind teils so tief, das man einen Integralhelm darin verstecken könnte. Echt, kein Witz. Einmal falle ich fast um, weil sich beim Anhalten genau unter meinem linken Fuß ein solches Riesenschlagloch befindet und ich ins Leere trete.

Fast vier Stunden koche ich in diesem Stadtverkehr vor mich hin, der sich im Stop-And-Go einmal um den Vesuv und dann in Richtung Sorrento schiebt. „Sorrento“ heißen ja viele Restaurants in Deutschland, und ich will mal sehen, was an diesem Sehnsuchtsort der italienischen Folklore dran ist.

Scheint ein hübsches Städtchen auf einer Klippe zu sein, mit netten Gassen und Häusern. Aber davon bekomme ich kaum was mit – der Verkehr steht auch hier, und wo sich keine Autos langschieben, ist jeder freie Platz von Touristen überlaufen.

Vorsichtig navigiere ich durch die Massen, als ich plötzlich merke wie, wie meine Konzentration in sich zusammenfällt. Ich kann das wirklich körperlich spüren. Es ist, als ob etwas aus meinem Bewusstsein, aus meinem Vorderkopf raus und in Richtung Erdboden fällt.

Zack, ist sie weg, die Konzentration, und ich bin kurz irritiert und kriege nicht alles mit, was um mich rum passiert. Wo ich sonst die Bahn jedes Radfahrers beobachte und jeden Fußgänger wahrnehme und meinem Bild vom Straßenverkehr hinzufüge, gibt es plötzlich blinde Stellen. Nur für einen Moment, für einen Sekundenbruchteil, aber das Signal des Körpers ist deutlich: Ich muss bald anhalten, was trinken und Pause machen.

In Sorrento geht das leider nicht. Ich reiße mich zusammen und kriege wieder Konzentration hin. Nur Foto machen und schnell weg hier. Ich halte auf einer Promenade mit einer Brüstung, die den Strand überblickt.

Ich nehme nicht mal den Helm ab. So, Foto im Kasten. Nur schnell wieder weg hier. Wobei das mit dem „Schnell“ nicht geht, weil: Verkehr, Einbahnstraßen und Gassen, die teils so eng sind, dass selbst das Motorrad nur knapp durchpasst.

In echt ist es enger, nur dank Weitwinkelkamera sieht das hier gut aus.

Hinter Sorrento, an der äußersten Spitze der Halbinsel, sind zwar die Straßen nicht besser, aber es ist zumindest ruhiger hier und der Verkehr weniger dicht. Die Aussicht ist dafür umso schöner.

Hier höre ich zum wiederholten Mal ein Geräusch vom Hinterrad. So ein schabendes Rasseln und Mahlen. Das tritt auf, wenn ich über eine Unebenheit fahre. Was ist das? Die Kette? Oder doch das Radlager? Das ist ja meine alte Furcht, das unterwegs das Radlager kaputt geht. Aber wenn es das wäre, dann würde es doch dauernd rasseln und klackern, und nicht nur bei Unebenheiten, oder? ODER??

Ich halte am Rand der Straße, trinke erstmal eine der Feldflaschen aus dem Topcase leer und werfe Traubenzucker ein. Dann checke ich die Lage und höre in mich hinein. Ich bin seit sechs Stunden unterwegs, gefühlt fünf davon im Stau. Es ist 35 Grad heiß, der Schweiß läuft mir in einem fast ununterbrochenen Strom über Gesicht und Körper. Ich bin schon ziemlich erschöpft. Die Entscheidung fällt leicht: Ich möchte mir die Hölle von Amalfi, also dem Ort, heute nicht mehr geben. Dafür reicht die Kraft nicht mehr.

Ich weise Anna an, die nächsten Stationen der Route zu überspringen und gleich zur heutigen Unterkunft zu steuern. Bringt nur wenig, stelle ich gleich darauf fest. Der Weg ist der gleiche, um zur Unterkunft zu kommen muss ich ein Mal nach Amalfi rein, drehen und dann in die Berge zur Unterkunft. Einen direkteren oder überhaupt irgendeinen anderen Weg gibt es nicht, und so fahre ich kurz darauf doch die Costa Amalfitana entlang.

Bild: Google Maps 2019

Zwischendurch verfahre ich mich auch noch. Einmal falsch abgebogen, schon bin ich unterwegs auf einer Straße zum Meer hinab. Da es nur die eine Straße gibt und die eine Sackgasse ist, muss ich tatsächlich hinter Nerano wenden und wieder zurückfahren.

Bild: Google Earth 2019

Der Asphalt der Amalfitana ist gut und die Straße schwingt sich wirklich spektakulär an den Felsen entlang. Bringt nur nichts, denn die Kurven kann man einfach nicht vernünftig fahren. Zum einen kommen ständig Fahrzeuge entgegen, die die Kurven so fahren, dass sie zur Hälfte in meine Fahrbahn ragen. Würde ich die Kurven hier nach Lehrbuch anfahren, nach 100 Metern würde ich an der Schnauze eines SUVs kleben. Nein, da halte ich lieber die Maschine so senkrecht wie möglich und entgehe so auch den SITA-Bussen, die hier so weit um die Kurven schwenken.

Zum Zweiten ist der Verkehr so dicht, dass es meist nur mit Tempo 30 voran geht – außer, wenn mal wieder jemand ein- oder ausparken möchte, nicht um eine Kurve kommt oder einfach mal die Landschaft bewundern möchte, dann steht alles. Das passiert ständig. Mit anderen Worten: Die Amalfitana ist genau so, wie ich sie in Erinnerung hatte. Laut, voll, verstopft.

Auf den wenigen Abschnitten, wo es doch mal voran geht und kein Gegenverkehr kommt, kriege ich die Barocca nicht in die erforderliche Schräglage. Die Maschine ist tiefergelegt und setzt nicht zwar sofort, aber dennoch deutlich früher als eine normale V-Strom auf, und die Kurven hier sind so eng, dass das passieren würde. So gut die Maschine durch die Tieferlegung im Stand rangierbar ist, so viel Probleme macht die Absenkung beim Kurvenfahren.

Die Küste selbst ist übrigens übelst zugeschandelt, überall sind Häuser in den Felsen. Wenn man hier also etwas bewundern möchte, dann zuvorderst den Erfindungsreichtum und das Konstruktionsgenie der Hausbauer.

Besser wird das alles erst, als ich von der Küstenstraße weg und in die Berge steuere. In engen Serpentinen geht es bis auf 700 Meter hoch.
Dort liegt Agerola, und dort befindet sich das B&B Casanova, meine heutige Unterkunft.

Bild: Google Earth 2019

Ich bin erleichtert, als ich nach einer abenteuerlichen Fahrt erst in die Berge und dann die letzten Meter über einen kurvigen Bröckelweg mit unglaublichem Gefälle und Betonkanten endlich das Motorrad auf dem Parkplatz des Bed & Breakfast abstellen kann. Das Haus hatte ich auf Google Street View danach ausgesucht, ob es einen ebenen Parkplatz für das Motorrad gibt. Hat es, auch wenn der auf dem Dach des darunterliegenden Hauses ist.

Ein Hund guckt mich träge an. Dem ist auch zu heiß.

Wo ist bloß der Eingang? Während ich ums Haus streiche, kommt eine alte Dame in Kittelschürze angewackelt. Sie grinst mich zahnlückig an und fragt etwas in einem heftigen Dialekt, den ich nicht verstehe. Als sie mein ratloses Gesicht sieht, grinst sie noch breiter und sagt in dialektfrei „Du musst runter, nicht hier oben. Unten!“.

Dann lacht sie wieder und zieht mich hinter sich her eine Treppe hinab, die sich rings um das Haus zieht bis zum Kellergeschoss. Falls man bei einem Haus, das an der Seite eines Berghangs hängt, überhaupt von Keller sprechen kann. Das Haus ist mehrere Etagen an den Felshang gebaut, und selbst vor dem „Keller“ gibt es eine Terrasse mit einer Wiese.

Dann steht eine junge Italienerin vor mir. Sie ist einen Kopf kleiner als ich, sehr schlank und trägt eine Hornbrille. In Kombination mit dem sorgfältigen Make-Up der Augen wirkt das sehr Wow.

„Buona Sera“, sage ich, „Sono vostra ospite per sta notte. Ho una prenotatione su booking“. Sie mustert mich und sagt dann „Nicht ganz schlecht“ in fast akzentfreiem Deutsch. Ich bin verblüfft, das bemerkt sie und lächelt. „Angenehm, willkommen. Mein Name ist Maria“, sagt sie und verdreht die Augen, „Wie auch sonst, wir heißen hier alle Maria, Süditalien, weißt Du.“

„Und woher kannst Du so gut deutsch?“, frage ich. „Ich bin in Köln großgewachsen. Meine Mutter ist Sizilianisch, mein Vater kommt in Neapel. Ich bin nur wieder hier, weil mein Mann eine Stelle im Rathaus von Agerola genommen hat“, sagt Maria. Auch wenn ihr Deutsch fast akzentfrei ist, ihre Wortwahl ist immer mal wieder ganz leicht neben dem, was man eigentlich sagen würde. Das ist witzig und hat Charme. „Komm, ich zeige Dir mein B&B“, sagt Maria.

Ich bewundere die frisch renovierten und modern eingerichteten Zimmer des B&B. „Das mache ich mir alles selbst“, sagt Maria. „Ich stecke hier mein eigenes Geld rein, dann soll auch alles schön sein.“ Und schön ist es.

Abends laufe ich die steile Bergstraße hoch bis in den Kern von Agerola. Von einem Aussichtspunkt blicke ich über das Meer. Man kann kaum unterscheiden, wo das Meer in den Himmel übergeht.

Maria hat mir Restaurant „Leonardo“ empfohlen. Auf der Terrasse sitzen schon viele internationale Gäste. Ich sehe Deutsche und Japaner, und irgendwo ist eine Horde Amerikaner, die lautstark zu hören, aber nicht zu sehen ist.

Japanisches Bier?

Ich gönne mir eine „Pizza mit lokalen Zutaten“ und bekomme einen Belag mit einer Mischung aus Salsicce, grober Wurst, Gorgonzolakäse und Spinat, dazu ein lokaler Rotwein.

Angenehm angeschickert vom Wein laufe ich später durch die warme Nacht zurück zum Bed & Breakfast.

Es ist kurz nach 22:00 Uhr, aber Agerola ist jetzt erst so richtig zum Leben erwacht. Junge Paare flanieren Händchenhaltend durch die Straßen, Familien sitzen beim Abendessen vor ihren Häusern, Kinder spielen Fußball auf der Straße.

Als ich aus dem Ort raus bin und wieder auf der Bergstraße hinab zum B&B, sehe ich überall in den Felsen die Lichter von Häusern und Dörfern. Die Nachtluft duftet nach Jasmin, der hier überall blüht. Ich liebe diesen Duft, und auf dieser Fahrt begleitet er mich schon seit San Vincenzo. Anscheinend duftet im Juni ganz Italien nach Jasmin. Gibt Schlimmeres.

Tour des Tages: Von Faicchio um den Vesuv, über Sorrento und die Amalfitana entlang bis Agerola. Nur 166 Kilometer, aber 7 Stunden Fahrzeit.
Bild: Google Earth 2020.

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Kategorien: Motorrad, Reisen | 9 Kommentare

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9 Gedanken zu „Reisetagebuch Motorradtour 2019 (7): Die Hölle der Amalfitana

  1. Uff …hab ganz schön mitgelitten mit diesem Tag.
    Geheimtip: in Faicchio bleiben, anstatt den Großraum Neapel zu befahren 😉 …
    Apropos: mitschwimmen, Herr Silencer, mitschwimmen, Und keine Angst ;-! Neapel ist nur Prishtina in groß – mehr Blech in Deiner unmittelbaren Nähe hast Du da auch nicht… ;}
    Du hast wirklich nix getrunken, 5 Stunden im Schwitzkasten sitzend … das ist gefährlich; aber gut, daß Du Deinen Körper nicht ignorierst – ich bin drauf gedrillt, das zu tun – deswegen habe ich auf Reisen IMMER das Camelbag angehängt am Rucksack außen; selbst wenn es kocht und man den heißen Schluck der im Schlauch ist kaum schlucken kann: es ist Flüssigkeit…
    Das Problem ist, daß Du den Panzer gar nicht ausziehen und ordentlich verstauen kannst, dazu müßtest Du einen vierten Koffer mithaben – (a href=https://www.schraegesleben.at/)Versya(/a href), die, obwohl erzbergrodeowilde Crosserin, aber auch Obfrau der WIMA ist, findet ihn gut und hätte wohl auch gern so ein Ding zum Reisen, wie sie mir vor Kurzem erzählte und falls ich sie richtig verstand – aber die fährt am Liebsten im Regen, soweit ich das ihrer Webseite entnehme, auf der sie fortlaufend eben von ihrem letzten ‚Sommer‘ zu berichten beginnt … 😉
    Wie ging es da mit den offenen Stellen am Fuß ? So viel Feuchtigkeit einen ganzen Tag lang tut nicht gerade gut, schätze ich…
    Anna hat Dich beschissen. Laut Karte hättest Du doch ab Castellamar die SS366 nehmen können und hättest den ganzen Archipel abgeschnitten, wärest direkt auf B&B gestoßen… das ist doch keine Sackgasse…
    Aber gut: es war ein gutes Training für den Golf von Kotor und ich wollte es auch nicht glauben, daß es da so schlimm ist und bin ihn ein zweites Mal gefahren – im Winter !! … gleiches Ergebnis. 2 Unfälle auf 25 Kilometer, tststs… Die Italiener käönnen wenigstens fahren… Aber Du wirst ihn bestimmt auch fahren wollen, das machen alle Touristen so … 😉 Tip: wenn man nicht (mehr) will, gibt es eine Fähre (fast ganz) querdurch … falls Du einmal … Cheap Running Gag, Du weißt schon…
    lch denke, ich bleibe im Sommer bei U-Leibchen, vorzugsweise aus Baumwolle, starrem MX-Panzer und MX-Leibchen darüber, als Bekleidung bei Schweißwetter – es müssen ja nicht bloß FlipFlops, kurze Hose und ärmelloses Flanierzeugs sein. Overdressed ist man im lokalen Verkehr immer, egal ob man als mitteleuropäischer Moppettreiber herumfährt oder als versprengter Geländeheini. Aber nix is gut, wobei der Organismus schlapp macht wegen Hitzestau. Und ich werde auch weiterhin kein GPS verwenden – denn meine Karte lügt (beinahe) nie … ;-!!!

    Is awa natürlich wieder ein toller Bericht – sonst käme es nicht rüber, wie Du Dich gefühlt hast an diesem grenzwertig harten Tag, wo im Süden nirgends vor 19 Uhr das Leben beginnt.

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  2. Es besteht ein Unterschied zwischen „keine Angst vor Mitschwimmen“ und dem Eingehen unnötiger Risiken. Ich kann italienisch fahren, Mitschwimmen selbst im Stadtverkehr von Palermo: Kein Problem. aber Neapel ist was eigenes. Kein Auto ist dort ohne Beule. An der Ampel wird nur angehalten, wenn es knirscht, weil man dem Vordermann aufgefahren ist. Bei meinem letzten Besuch dort lag ein blutender, weil frisch angefahrener, Fußgänger vor mir auf dem Gehweg. Ganz abgesehen von einer Massenprügelei mitten im Berufsverkehr, derer Zeuge ich war. Nein, das möchte ich nicht freiwillig, und wenn Pristina auch so ist, dann möchte ich auch das nicht.

    Camelbak habe ich mir bislang gespart, mit der Begründung: Wenn ich zum Trinken nicht mehr anhalten, mache ich ja gar keinen Stop mehr 🙂

    Beschissen hat Anna mich nicht. Mir ist ja erst eingefallen, das ich keinen Bock mehr habe, als ich schon ein Mal ums Cap rum war, kurz vor der Straße nach Nerano. Castellamare liegt ja im Norden, ich war schon auf der Südseite.

    Baumwolleibchen… Ich kann nach wie vor nur Albrechts Tip mit Merino weitergeben. Das Zeug ist geil- sehr leicht, trocknet schnell, und das Beste: riecht auch nach Tagen des Tragens nicht, waschen völlig unnötig.

    Die kaputten Fersen waren tatsächlich kein Problem – ich bin ja nicht rumgelaufen, und ein paar Tage ist das schon her.

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  3. zwerch

    Was für eine To(rt)ur. Ich wäre da wahrscheinlich nie angekommen…

    Die Merinowäsche (erhältlich z.B. bei „Dilling“ oftmals zu reduzierten Preisen) kann ich inzwischen auch empfehlen. Allerdings mag ich sie nicht mehr bei Temperaturen über 30 Grad. Auch wenn man sie wirklich nicht waschen muss!

    Das mit dem Konzentrationsverlust ist mir auch schon passiert, aber wirklich nur ein Mal. Warum ich meine Gewohnheit, wenigstens alle 1 – 1,5 Stunden anzuhalten und zu trinken, missachtet habe – keine Ahnung… kommt ganz sicher nicht mehr vor!

    Meine Bewunderung bezgl. der Unterkünfte steigert sich von Mal zu Mal. Schon weil ich selbst das untrügliche Talent habe die ranzigsten Buden für das meiste Geld zu finden 😀

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  4. Bei Temperaturen über dreißig Grad möchte man eigentlich gar nichts mehr tragen 🙂

    Gute Unterkunft finden ist eigentlich ganz einfach: Man suche auf booking nach der billigsten Unterkunft über 8,0 und lese dann die Kommentare. Wenn sich darin die Deutschen über das Frühstück beschweren, ist es was authentisches 🙂 Die meisten meiner Unterkünfte in Südeuropa so um die 25 bis max. 40 Euro.

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  5. Silencer: Nichts mehr tragen… siehst du, hier kommt das nasse Baumwoll-Leibchen ins Spiel: Es kühlt permanent, auch im Stand und bei Fahrtaufnahme – herrlich, der Luftzug, ohne daß mann Gefahr läuft sich zu verkühlen, denn die Rücken/Brustpanzerung (sic!) und der integrierte Nierengurt verhindern das in Verbindung mit dem -möglichst hellen- MX-Leibchen … auch bei 90. Mehr macht meine Mühle selten im Urlaub … 😉

    Ich hab Napoli nicht soo wild erlebt, eher ähnlich Mailand – alle Zweiräder nach vorne wenn’s staut und immer GP-Tempo … deines hört sich an wie Istanbul. Schlimm. Flucht.
    Prishtina ist wie Paris: hart aber fair. Ein Touri, welcher sich als Hardliner gibt, wird als solcher akzeptiert und behandelt. Das Gesetz der Straße halt … 😉

    Leg dir ein Camelbag zu 😉 Kannst es ja im Köffer mitführen; und bei köfferlösen Touren isses dann auch dabei – auf dem Rücken only.

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  6. ssuchi

    Wenn ich das so lese kann ich die Amalfitana wohl von meiner ToDo-Liste streichen.
    Erinnert mich übel an die 66 südlich von Opatija, angeblich eine der schönsten Küstenstraßen von Kroatien: ähnlich furchtbar bezüglich des Verkehrs, auch in der „richtigen“ Richtung nicht schön. Und der Golf von Rovinj war genauso schlimm, ich sage nur Bus-Bus-Bus…
    In Istrien kann man nur im Landesinneren vernünftig Motorrad fahren, da ist es unspektakulär, aber ruhig und hübsch.

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  7. @ssuchi: „…übel an die 66 südlich von Opatija…“
    Weshalb es eine der schönsten Küstenstraßen Kroatiens sein soll, kann ich genausowenig nachvollziehen, wie deinen Eindruck, dort könne man nicht fahren wegen ‚Verkehr’… es ist eine Küstenstraße wie andere auch und jene zwischen etwa Krk und Zadar ist ungleich reizvoller – südlich Opatija sieht man nix anderes als Cres, Losinj, Unije und vllt noch Susak – aber sehr klein, zumindest ab dem ‚Schornstein‘ … 😉
    Bitte was fährst Du denn ? HD oder einen Camper ? Bei letzterem verstünde ich …
    Ich fahre dort zu allen Jahreszeiten. Auch mit dem Polo hatte ich mit ‚Verkehr‘ noch nie Probleme – da ich zumeist jedoch mit dem Moppet ebenda unterwegs bin, frage ich mich (und dich ;)), wo die Schwierigkeit sein soll, Schleicher zu überholen. Was fährst du denn ? Eine 125er ? Ich fahre 350ccm mit 27 PS.
    Es gibt seit etwa 10 Jahren auch die Autostraße außen rum um Istrien 😉 … die Straßen innerhalb Istriens sind daher tatsächlich schön zu fahren, weil die Kroatis ‚Presser‘ sind, die lieber einen Umweg machen, den dafür aber mit Vollgas – vonwegen Tempolimit; vergiß‘ es … 😉 – und der Grip ist annehmbar gut.
    Und ja: streich‘ die Amalfitana besser von der Liste bzw übe zuvor auf der Jadranska Magistrale im Sommer. Da lernst Du, daß man Kugeln und Busse einfach überholt (auf jeden Fall mit einem Moppet und damit beinahe überall – Sperrlinien sind im Süden eben nur Empfehlungen) … mach’s wie die Kroaten, die fahren gut und sicher – soll heißen: sie können abschätzen, ob das nun geht oder nicht und blockieren die Schnelleren, Erfahreneren nicht, sondern fahren vorne weg – häng‘ dich einfach an, wenn du das Gefühl hast, der Vordermann macht Platz für den Nachkommenden nach dem Einscheren – gute Fahrer machen das nämlich, denn die haben Überblick … 😉 — und ja: versetzt fahren bitte im Pulk *kicher*.

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  8. Olpo: Nö, keinen Camelbak. Der Rückenpanzer mit den Airbag trägt nach hinten schon so dermaßen auf, das passt nichts mehr drüber. Und wenn doch, sehe ich aus wie eine Kugel.

    Mailand habe ich ähnlich herausfordernd erlebt wie Bonn (Übersetzung ins österreichische: Schladming), kein Problem. Selbst in Istanbul schien mir der verkehr machbar – ich bin geschaffen für zügiges Fahren im Strom, viel Gucken und mutig da hin fahren, wo och hin will. Aber Neapel? Ne.

    ssuchi: Ich kenne von Kroatien nicht so viel, aber die 66 hört sich nach Deiner Beschriebung tatsächlich ähnlich an. Ich fand die E65 auch schön und gut fahrbar, aber das hängt vielleicht auch von der Jahreszeit ab. Ich kann mir vorstellen,dass zur echten Urlaubszeit es da auch nicht mehr schön ist.

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  9. ssuchi

    Die E65 ist traumhaft, ein ganz anderer Schnack: tolle Ausblicke, wenig Verkehr, breit genug zum „Durchschlängeln“ und immer mal ein gerades Stück zum gefahrlos Überholen. Meine R1200R ist mit Koffern zu breit, um auf engen Straßen „in der Mitte“ durch zu passen. Und auf „gut Glück“ oder „südländisch“ überhole ich nicht. Erst recht nicht mehr, seit ich auf der E65 Zeuge eines tödlichen Motorrad-Unfalls geworden bin…

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