Reisetagebuch Motorradtour 2019 (9): Ein Tag am Meer

Donnerstag, 20. Juni 2019, Maierà
Die Sonne scheint, vom Meer weht eine angenehme Brise herüber, Maierà blinzelt ins Morgenlicht.

Das Frühstück im Hotel „La Vista“ findet auf der gleichen Außenterrasse statt, auf der gestern auch das Abendessen serviert wurde. Statt in den Sonnenuntergang blickt man dabei nun über die Küstenlinie, von der die Morgensommersonne langsam den letzten Dunst wegbrennt. Selten habe ich für einen Frühstückskaffee eine schönere Aussicht gehabt.

„Toll, oder?“ sagt Jutta, die hinter mir aus dem Hoteleingang gekommen ist und sich nun an den Tisch mit ihrer Zimmernummer setzt. Es ist etwas merkwürdig, dass jeder Gast einen eigenen Tisch hat, an dem jeweils wirklich nur eine Person sitzt. Immerhin stehen die Tische so eng, dass wir uns gut unterhalten können.

Jutta zählt auf, wo sie noch überall und als nächstes hin möchte. Bei der Aufzählung fehlt natürlich die Amalfi-Küste nicht. Sie bekommt ganz verträumte Augen, als sie den Namen nennt. Gut, soll sie ihre Erfahrung dort machen, ich verderbe ihr nicht den Spaß, in dem ich ihr vorher erzähle, was sie dort erwartet.

Als Thomas und seine streitenden Kinder auftauchen, ist es an der Zeit für mich zu gehen. Ich hänge die Givi-Koffer in die Motorradhalterungen, starte erst Anna und dann den V-Twin und rolle kurz darauf mit der V-Strom aus der Einfahrt des Hotels hinaus auf die Bergstraße.

Kakteen und Olivenbäume säumen die Straße , die in sanften Kurven aus den Bergen heraus und hinab ans Meer führt. Erst kann ich noch von oben auf die Küstenorte hinabsehen, kurz darauf fahre ich direkt am Wasser entlang.


Der Himmel ist fast wolkenlos, das Meer glitzert und die Strände, die hier aus feinem, weißem Sand bestehen, sind praktisch leer. Dieser Teil von Italien ist wunderschön, liegt aber schon südlich von Neapel im „Mezzogiorno“. Das ist praktisch ein anderes Land.

Alles nördlich von Rom ist wirtschaftlich und vom Lebensstandard her weit entwickelt. Alles südlich von Neapel ist, überspitzt gesagt, das vergessene und abgehängte Armenhaus Italiens. Schlechte Wirtschaftsdaten, hohe Arbeitslosigkeit, Landflucht junger Leute, heruntergekommene Infrastruktur. Notiz am Rande: Es heißt ja immer, gerade die Armen und Verzweifelten würden Rechts wählen. Das stimmt aber nicht. Hier im Süden hat der Faschist Salvini, der uns morgen noch ausführlich beschäftigen wird, nicht viele Wähler. In Italien wie auch in Deutschland ist es die Mittelschicht in den wohlhabenden Regionen, die die Rechtsextremen wählen.

Hier im Süden ist auch der Tourismus noch hinterher, weshalb es noch schöne und nicht überlaufene Stellen gibt. Auch die werden immer weniger – die Generation der Boomer aus Mitteleuropa, besonders die Niederländer und die Deutschen Mitte 60 bis Mitte 70, sind ja megamobil und verbringen teils ganze Jahreszeiten im Mezzogiorno. Hier ist halt das Wetter gut und die Preise niedrig.

Bild: Google Maps 2019

Ein Besuch in Cosenza steht eigentlich auf dem Programm, aber auf Rumlaufen in einer Stadt ich habe keine Lust dazu, merke ich gerade. Ich möchte lieber die schöne Küstenstraße weiterfahren. Mit 70 dahingleiten, auf´s Meer blicken, mehr will ich gar nicht. Für alles andere ist es eh zu warm, es hat schon um 09:00 Uhr 28 Grad. In Cosenza wollte ich die Burg angucken und Eis essen, aber letzteres kann ich auch bei meinem nächsten Stop tun.

Weiter südlich wird die kleine Küstenstraße zu einer Art Autobahn am Wasser. Rauchsäulen stehen über der Landschaft. Die stinken erbärmlich, und ich habe keine Ahnung was die hier verbrennen. Pflanzen? Plastikmüll? Altöl? Vermutlich alles.

Ich steuere das Motorrad von der Küstenstraße weg und in die Berge. Auch hier Olivenbäume, Kakteen und dichtes Grün wie bei einem Urwald. Die Straße wird klein und eng, aber der V-Strom macht weder das noch der schlechte Straßenbelag mit die zahlreichen Schlaglöchern was aus.

Bei einer Pinkelpause guckt mich dieser Geselle an:

OK, vielleicht etwas Ranzoomen. Dieser Kamerad hier:

Weiter geht es über eine Hügelkuppe und zack, sehe ich den Ort Lamezia Terme. Hier gucke ich kurz ob das Hotel „La Mimosa“ noch steht. Tut es. Wer Abends mit Ryan Air in Lamezia ankommt: Im „Mimosa“ kann man gut und sehr günstig essen und übernachten.

La Mimosa liegt nur wenige Kilometer vom Flughafen von Lamezia Therme.
Bild: Google Earth 2019.

Dann geht es weiter bis Tropea. Der Küstenort liegt gerade mal 170 Kilometer südlich von Maierà, von wo ich heute morgen aufgebrochen ist.

Bild: Google Maps 2020.

Tropea liegt auf einer Klippe, die aber nicht direkt am Meer ist. Vor den Felsen, auf denen die Stadt thront, gibt es einen schmalen Küstenstreifen.

Hier stehen Palmen und etwas, was wie ein lichter Wald aussieht, umgeben von Mauern. Das ist ein Campingplatz, der direkt am Meer liegt, und auf den biege ich nun ein.

Direkt hinter der Einfahrt steht ein Hain von Feigenbäumen, die einem geschotterten Platz Schatten spenden. Kaum rollt die Barocca darauf aus, springt schon ein Männlein hinter einem Baum hervor, baut sich vor dem Motorrad auf und schaut mich böse an.

„Sie können hier nicht parken“, ruft er auf italienisch, „Nur mit Reservierung!“.
„Guten Tag“, sage ich in aller Ruhe und klappe den Seitenständer aus, „kein Problem, ich habe eine Reservierung für heute.“
„Ohne Reservierung ist hier Parkverbot!! Sie dürfen hier nicht stehen! Es sei denn, sie hätten reserviert!“, ramentert das Männlein und funkelt mich weiter böse an. Hat der mich nicht verstanden?
„Sicher habe ich reserviert“, sage ich, „was denken sie denn?“ Ich drücke auf die Taste am Helm, die normalerweise das Sonnenvisier hochschnellen lässt. Aber da tut sich nichts, das Visier klemmt.

„Dieser Parkplatz ist nur für Gäste mit Reservierung!!!“, geifert das Männlein und durchdolcht mich mit grimmen Blicken.
„Na, dann ist ja gut, dass ich eine Reservierung habe“, sage ich.

„Wer hier ohne Reservierung parkt, kriegt Ärger!!!!“, droht Rumpelstilzchen.
Alter, was stimmt mit dem nicht? Das wird mir langsam zu doof hier. Das Männlein funkelt mich böse an und schimpft weiter. Im Hintergrund läuft ein großer Typ mit verspiegelter Sonnenbrille durch die Szenerie.

Das Männlein dreht sich zu der Sonnenbrille um und sagt in einem Ton, der deutlich macht, das er mir kein Wort glaubt: „Der hier sagt, er hat eine Reservierung“. Der Sonnenbrillenmann guckt mich an und beobachtet, wie ich mit dem Helm kämpfe. Verdammt, das Sonnenvisier will einfach nicht aufgehen. So kriege ich den Helm nicht mal vom Kopf.

„Name“, raunzt der Sonnenbrillenmann. Ich nenne meinen Namen, dann buchstabiere ich ihn nochmal. Der Sonnenbrillenmann zieht ein Büchlein aus der Tasche und blättert darin herum.

Das böse Männlein lässt mich nicht aus den Augen. „Keine Reservierung… kein Parken…“, presst er durch geschlossene Zähne hervor. „Das erwähnten sie schon“, sage ich und verdrehe die Augen. Das sieht er aber nicht, wegen des Sonnenvisiers.

Der Sonnenbrillenmann hat derweil zu Ende geblättert, nickt in meine Richtung und sagt zu dem Männlein „Der hat wirklich eine Reservierung.“

Das Männlein ballt die Fäuste, zieht einen Flunsch, dreht sich auf dem Absatz um und marschiert grußlos davon. Der Sonnenbrillenmann sagt „Bleib hier“ und geht ebenfalls weg.

Ich steige vom Motorrad und drücke am Helmvisier rum. Endlich mach es „Klack“ und der Sonnenschutz verschwindet in der Helmschale. Da ist wohl Scirocco-Sand in die Mechanik gekommen.

Nach einigen Minuten kommt der Sonnenbrillenmann wieder und drückt mir einen Schlüssel in die Hand. Der Schotterplatz wird gesäumt von einem Flachbau, der in einzelne Zimmerchen unterteilt ist, jedes mit einem eigenen Eingang und einer kleinen, abgeteilten Veranda davor. Wie Strandreihenhäuschen.

Der Sonnenbrillenmann deutet auf eines der Häuschen und sagt „das da“, dann weist er mich an, wie ich das Motorrad stellen soll. „Aber Vorsicht vor den Früchten“ sagt er und deutet auf die Bäume, die voller Feigen hängen.

„Die machen dem Motorrad nichts“, sage ich, „aber wenn ich SO parke und ein Auto stellt sich davor, komme ich hier nicht weg.“ Der Sonnenbrillenmann grinst und meint „Silvio passt schon auf, dass sich niemand da hinstellt“. Silvio ist offensichtlich das wütende Männlein. „Zumindest niemand ohne Reservierung“, sage ich. Der Sonnenbrillenmann lacht und wird immer freundlicher.

Er verschwindet wieder kurz, und als er zurück kommt, hat er einen Besenstil dabei, an dessen Ende mit Panzerband eine Plastikflasche mit abgeschnittenem Boden befestigt ist.

Mit diesem selbstgemachten Obstpflücker angelt er zwei Feigen vom Baum, die er mir zuwirft. Dann sagt er auf Deutsch: „Sehrrrr gesund! Auch die Blätter. Die Griechen rollen darin Gehacktes ein. Ich mache Tee daraus.“ Dann grinst er breit und geht weg.

Woah! Frische, reife Feigen! Könnte ich kiloweise essen! Sowas Leckeres bekommt man in Deutschland gar nicht zu kaufen.

Ich lade die Koffer vom Motorrad und lasse mich aufs Bett fallen. Ich habe ein Sechsbettzimmer ganz für mich allein, mit Klimaanlage, Dusche und Kühlschrank!

Es ist erst kurz nach 13:00 Uhr, ich war nur vier Stunden mit dem Motorrad unterwegs. Ich schlüpfe in Jeans und Hemd, dann mache ich einen Spaziergang. Direkt neben dem Campingplatz ist ein Felsen, und darauf steht eine Kirche, das Santuario di Santa Maria dell Isola di Tropea, das Wahrzeichen von Tropea.

Ich klettere die steilen Stufen zur Kirche hinauf. Hinter den Felsen ist feinster Sandstrand und hellblaues Meer, und es ist kaum was los!

Die Kirche selbst ist mehr eine Kapelle, spartanisch ausgestattet, aber mit einem tollen Blick auf die Stadt und das Meer.

Aah, das Meer. Ich will auch ins Wasser. Für alles andere ist es eh zu heiß.

Ich könnte mich jetzt einfach so in den Sand hauen, aber so wie die Sonne hier vom Himmel bretzelt, ist der vermutlich brennend heiß – und so ganz ohne Schatten wäre der Sonnenbrand vorprogrammiert, LSF 50 hin oder her.

Kurzentschlossen mache ich etwas, was ich noch nie zuvor getan habe. Die Italiener nennen es „Ombrellone, lettini e Doccia“ – ich miete mir tatsächlich einen Sonnenschirm mit Liege, wie so ein dekadenter Schnösel. Egal, heute gönne ich mir das mal.

Den Rest des Nachmittags verbringe ich am und vor allem im Meer. Das Wasser ist herrlich, sauber und frisch. Wenn ich nicht gerade in langen Zügen an der Wasserlinie entlang schwimme, liege ich auf meiner Liege rum und lese. Um mich herum ist das Publikum bunt gemischt. Junge Mütter in Bikinis haben kleine Kinder in den Armen, Senioren dösen in Liegestühlen vor sich hin, Jugendliche spielen Wasserball. Alles ganz entspannt und stressfrei. Herrlich!

Gut, dass ich seit San Vincenzo eine Paar Billigbadelatschen spazieren fahre. Die Dinger stinken zwar ekelerregend nach Chemie, aber jetzt kann ich sie brauchen.

Gegen 17:00 Uhr gehe ich die 100 Meter vom Strand zu meinem Häuschen und will erstmal mit einer kräftigen Dusche den Sand loswerden. Daraus wird aber nichts, denn die seltsame Dusche, die so konstruiert ist, dass sie die Kloschüssel gleich mit duscht, nieselt nur lahm vor sich hin. Noch schlimmer: Der Bodenablauf ist dicht. Trotz des armseligen Gepladderes habe ich im Nu das Badezimmer zentimeterhoch unter Wasser gesetzt.

Ich trete vor das Strandhäuschen. Puh, ist das immer noch warm. Genau gegenüber der Einfahrt zum Campingplatz führt eine Treppe die Felswand hinauf.

Dort oben liegt Tropea, das muss ich mir ansehen. Jutta hatte was von 200 Stufen erzählt, aber es sind nur 109 und damit gerade 13 mehr als im Hotel in London. Also durchaus machbar, selbst bei der Hitze. Toll ist natürlich der Ausblick, je höher ich die Treppe hinaufsteige, desto mehr Bilder muss ich machen.

Ich schlendere durch die Stadt. Obwohl es schon später Nachmittag ist, wirkt hier alles noch sehr verpennt. Vermutlich wegen der Wärme.
Tropea ist für zwei Dinge bekannt: Rote Zwiebeln, die hier zu Zöpfen verschlungen und in dieser Form verkauft werden…

… und Pistazien-Tartufo-Eis. Das will ich in der besten Gelateria am Ort essen, im Caffe del Corso. Leider ist es hier gerade ausverkauft. Egal, dann gibt es nur Pistacchio pur. Auf der alten Stadtbrüstung sitzend genieße ich das Eis und den Ausblick auf´s Meer.

Den ganzen Tag Schwitzen und Schwimmen macht hungrig, und deshalb kaufe ich mir auf dem Rückweg zwei Arancini Calabrese. Ich liebe die tennisballgroßen, frittierten und mit Fleisch gefüllten Reisbälle, die eigentlich aus Sizilien stammen. Aber das ist ja auch nicht weit weg.

An einer Schlachterei gibt es Werbung für ´Nduja, eine Spezialität der Region. Sieht aus wie Salami, ist aber nicht fest, sondern zum Streichen und sehr scharf. Lecker.

Und einen Puff gibt es hier auch. Der verkauft Liquids für e-Zigaretten.

Ich klettere die Treppen wieder hinab, ziehe mich in mein Strandhaus zurück und schmeiße die Klimanlage an.

Langsam abkühlend schreibe ich ein wenig Tagebuch und kümmere mich um die Ausrüstung. Die Motorradkameras werden sorgfältig gesäubert, und ich versuche den Sand aus der Mechanik des Helmvisiers zu bekommen. Das ist nur so mittelerfolgreich, der Entriegelungsknopf klemmt bei gut jedem zweiten Versuch wieder fest. Ich seufze, lege den Helm weg und trete durch die Holztür auf die kleine Veranda. Es ist mittlerweile dunkel geworden. Ein tropisch warmer Windhauch streicht vom Meer über die Feigenbäume. Tropea liegt leuchtend auf seinem Felsen. Ich beschließe, noch einmal die 109 Stufen zu erklimmen.

Die Hitze steht noch in den Gassen und ich bin schweißüberströmt, als ich oben in der Stadt ankomme. Jetzt ist in den Straßen richtig was los, und ich lasse mich treiben. Die Leute holen jetzt das Leben nach, das tagsüber im Energiesparmodus lief. Geschäfte sind hell erleuchtet und gut besucht, Touristen und Einheimische sitzen in Cafés und Restaurants, und die Bewohner von Häusern gehen bei offenen Fenstern und Türen ihren Hausarbeiten nach.

Die Puppe ist gruselig.

Besonders schön anzusehen ist die Kapelle auf ihrem Felsen.

Bis spät in die Nacht bleibe ich auf einer Brüstung der Stadtmauer sitzen und genieße die warme Nachtluft und diesen Ausblick.


In der nächsten Woche Teil 10: In der Asche von Riace
Zurück zu Teil 8: Bloß weg hier!

Kategorien: Motorrad, Reisen | Ein Kommentar

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Ein Gedanke zu „Reisetagebuch Motorradtour 2019 (9): Ein Tag am Meer

  1. Sag‘ ich doch immer: weniger Kilometerfressen und mann sieht gleich noch mehr 😉

    Die Spätzeit mit der wabernden Wärme und dem Lebensgefühl, dem eigenen und dem Erleben der anderen, konnte ich beinahe körperlich mitspüren… dieses ganz bestimmte Gefühl gibt es nur in den Ländern des europäischen Südens, egal in welchem Land, und sonst nirgends auf der Welt.

    Das andere: das ist tatsächlich die Mafia, südlich Napoli ist sie omnipräsent; die Allesverbrenner waren vllt noch Mitglieder der Camorra, der freundliche Spiegelglasträger sicher ein Mitglied der Ndrangheta, der weltweit mächtigsten italienischen Mafia-Organisation.

    Bin gespannt, was du im Aspremonte erleben wirst.

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