Reisetagebuch 2019 (14): Italian Highway
Sommertour mit dem Motorrad. Heute mit einer Wiederholung.
Dienstag, 25. Juni 2019, Pomarico
So.
Das war also Süditalien, denke ich, als ich in der Morgensonne auf der Dachterasse stehe und über die Weite der Basilicata schaue.
Den Norden Italiens kenne ich ja ohnehin quasi auswendig, und mit den Fahrten im vergangenen und diesem Jahr war ich nun auch in jeder Region im Süden. Nicht nur Kreuz und quer und mittenmank, sondern auch ein Mal ganz drum rum. ich bin jetzt zusammengenommen zwischen 2012 und 2019 auch einmal ganz um die gesamt Küstenlinie des Stiefels gefahren, von Ventimiglia im Nordwesten einmal ganz runter, um die Stiefelspitze herum, an der Schuhsohle entlang, um den Hacken und dann an der Ostküste wieder zurück. Diese Tour hat die letzte Lücke geschlossen, und nun war ich zumindest in jeder größeren Stadt in Kampanien, Kalabrien, Basilicata und Apulien. Gut, bis auf Potenza, aber da will auch niemand freiwillig hin.
Heute geht es wieder gen Heimat, und ehrlich gesagt bin ich darüber ein kleines Bisschen froh. Seit fast drei Wochen bin ich auf Tour, jeden Tag bei Temperaturen zwischen 32 und 40 Grad. Das laugt auf die Dauer ein wenig aus und dämpft die Lust am Entdecken von Neuem. Nein, heute ist ein guter Zeitpunkt, um nicht noch weiter weg zu fahren (was auch geografisch gar nicht ginge), sondern so ganz langsam den Heimweg anzutreten.
Wobei… “langsam” gen Heimat ist gut. Ich habe mir vorgenommen, bis morgen Abend 1.000 Kilometer zurückzulegen. Heute bin ich ganz am Ende des italienischen Stiefels, morgen will ich in der Nähe von Venedig sein. Und das alles ohne Autobahnen zu benutzen, nur über Landstraßen. “16 Stunden und 43 Minuten”, rechnet Anna mir als Dauer der Fahrt vor. Na dann. Heutige Etappe fast 500 Kilometer, rund siebeneinhalb Stunden. Netto, ohne Pause.
Ich kicke den Seitenständer weg, starte den V-Twin und steuere die Barocca vom Hof des Colle di Siesto. Mach´s gut, Gasthof, ich komme bestimmt irgendwann mal wieder.
Vom Berg runter, auf dem Pomarico liegt, und drauf auf die Landstraße. Ich fahre ganz bewusst ziemlich genau in der Mitte des Stiefels nach oben, das kenne ich noch nicht.
Der erste Abschnitt führt durch Apulien. Die Region ist ja größtenteils flach wie ein Brett und damit eigentlich in Sachen Motorradfahren die langweiligste Region Italiens, aber ich muss sagen: Die goldenen Kornfelder, die Höfe und winzigen Orte auf ihren Hügelchen und diese Straße, die schnurgerade bis zum Horizont führt, das hat schon was.
Fahrtechnisch gibt es hier natürlich nichts zu tun als den Lenker festzuhalten. Ich stelle Annas Audioverbindung aus und lege mir stattdessen einen Podcast in den Helm. So lausche ich der “Lage der Nation” und ähnlichen Sendungen, während die V-Strom schnurgeradeaus fährt.
Am Wegesrand wachsen komische Pflanzen. Erst denke ich, der Straßengraben riecht seltsam, weil es so nach Toilette riecht. Tatsächlich sind es aber diese Pflanzen, die mein Twitter als Aaronstab identifiziert und die versuchen mit Aasgeruch Tiere anzulocken.
Geradeausfahren, Hirn abgeschaltet, Podcast hören. So geht mehrere Stunden lang, in denen ich auf der Straße fast alleine bin. Geradeaus bis zum Horizont. So muss das auf einem amerikanischen Highway sein. Der Asphalt ist gut, die Sonne scheint, und mit nur knapp 25 Grad sind die Temperaturen sehr erträglich.
Erst gegen Mittag komme ich wieder in anspruchsvollere Gebiete. Meine Route knickt nach Westen ab, auf die Bergkette des Apennin zu.
Ab dem Moment, wo ich in den Bergausläufern bin, geht es weiter nach Norden. Ich fahren quasi das bergige Rückgrat Italiens entlang.
Auch das zieht sich, bis ich am frühen Nachmittag plötzlich wieder Landschaft und Orte erkenne. Ich bin schon in den Abbruzzen!
Jetzt gönne ich mir eine kurze Pause am Straßenrand.
Meine Güte, da bin ich ja schneller vorangekommen als gedacht. Bald schon geht es nach Westen, Richtung L´Aquila. Gegen 15:00 Uhr werde ich dann schon am Tagesziel sein, und dann war es das auch schon für heute. Hm. Ehrlich gesagt habe ich noch gar keine Lust darauf, dass die Motorradfahrt schon wieder vorbei ist. Wo kriege ich noch zwei Stunden mehr Fahrt her? Oh, Moment… Was ist hier in der Nähe? Ich lasse Anna mehrere verschiedene Routen durchrechnen, dann entscheide ich mich dafür, über die Hochebene zu fahren.
Und so kommt es, das ich zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen die schönste Straße Italiens fahre, nur dieses Mal in der anderen Richtung, von Popoli über Castel del Monte über Fonte Cerreto bis zum Passo delle Capannelle mit der doofen Schranke am Umspannwerk.
Wieder ist es geradezu erhebend, diese tolle Landschaft zu sehen. Gleichzeitig fühlt es sich ein wenig nach Inflation an. In den Jahren zuvor war es so schwer hier hoch zu kommen – entweder die Straße war gesperrt, das Wetter spielte nicht mit oder irgendwas anderes war. Und nun habe ich zwei Mal die Strecke bei bestem Wetter gesehen. Reicht jetzt dann auch. Erstmal.
Das gilt, stelle ich leicht melancholisch fest, für das ganze Land. 2010 war ich das erste Mal für ein paar Tage in der Toskana und wusste: Ich wollte mehr von diesem Land! Ich wollte es kennen lernen, in seiner ganzen Vielfalt! Ich wollte alles darüber wissen! Und was war das aufregend, als ich mir 2012 mit der damals neu gebraucht gekauften ZZR600 das erste Mal nach Italien gefahren bin. Bis nach Siena! Danach, 2013, traute ich mich etwas weiter in den Süden, und betitelte das schon “Die weite Reise”. Stück für Stück lernte ich so Italien kennen, jedes Jahr ein Bißchen mehr. Seit 2010 war ich jedes Jahr dort, inklusive Städtereisen mit der Bahn manchmal sogar drei Mal, und bis zu insgesamt bis zu fünf Wochen.
Ich habe viele Dinge über Italien gelernt, über Kultur und Politik, besonders aber über den Alltag und die Bewohner des Landes. Die tiefste Erkenntnis: Es gibt nicht DAS Italien, und damit meine ich nicht nur die offensichtliche Teilung in Nord- und Süditalien. Jedes Tal und jedes Dorf hat seine eigenen Bräuche, seine eigenen Gerichte, seine Eigenheiten. Vor diesem Hintergrund ist es kein Wunder, das früher jeder Weiher seine eigene Sprache hatte, und was es für eine Leistung von Dante Alighieri war, mit seinen Werken die Sprache Italiens zu einen.
Aber auch wenn Italien so ein Flickenteppich ist: Ich kenne sein Muster. ich weiß was wo ist, kenne lokale Eigenheiten und Manierismen und weiß in der Regel sehr genau, woran ich bin. Regionen und Landschaften kenne ich ohnehin, ich kann ohne nachzudenken die 20 Verwaltungsregionen Italiens genauso aufsagen wie die größten Städte in absteigender Reihenfolge bis Platz 10. Und das nicht, weil ich es auswendig gelernt hätte, sondern weil ich überall gewesen bin und mit allem etwas verbinden kann.
Und jetzt habe ich das Gefühl, dass es erst einmal genug ist. Immer öfter stellt sich das “Ach ja, kenne ich. Been there, done that, bought the T-Shirt”-Gefühl ein. Außerdem gibt es ja noch ganz viele andere, tolle Länder auf der Welt, die ich noch nicht kenne. Deshalb ist das hier erst einmal die Abschlusstour. Natürlich bin ich zwiegespalten. Ich freue mich auf neue Länder und Abenteuer. Aber der Aufbau von Beziehungen nach Italien hat viel Zeit gekostet, und mit werden die Menschen fehlen. Licio und Franca in San Vincenzo, Sara und Francesco in Treviso, Cecilia und Franco in Siena, und sogar die ungleichen Schwestern Riccarda und Raffaela in San Sostene. Aber ach, wenn ich in diesem Leben noch was von der Welt sehen will, muss ich die vernachlässigen. Das ist die bittere Erkenntnis. Ich muss loslassen, und das fällt nie leicht. Aber es wird befreiend sein.
Einen Grund habe ich noch, um mal wieder hier vorbeizuschauen: Ich will unbedingt mal durch dieses leerstehende Gebäude strolchen. Was mag das sein? Sieht aus wie ein Rohbau für ein Tagungshotel. Eines Tages werde ich das rauskriegen, aber nicht heute. Der Weg dahin ist zu schlecht, ich müsste da zu Fuß runterlaufen, und soviel Zeit habe ich nun auch nicht mehr. Patricia wartet.
Die Straße schraubt sich hinab in Richtum L´Aquila und kommt hinter der Stadt heraus.
Ich lasse die V-Strom noch schnell betanken, dann fahre ich in das Dorf Cagnano Amiterno. Hier hat Signora Patricia etwas, das sie “Agriturismo” nennt, aber tatsächlich ist das mittlerweile weniger Bauernhof als dörfliche Hotelanlage. Das Motorrad rollt vorbei an mehreren Ferienbungalows, einem Pool in dem Familien planschen und einem Teich bis vor das Haupthaus, das alleine 25 Gästezimmer hat.
Signora Patricia kommt gerade mit drei anderen Frauen den Weg hinabgelaufen. Alle tragen Kittelschürzen und Kopftücher und haben anscheinend gerade in der Küche gearbeitet. “Patricia!”, rufe ich und Winke. Sie ruft meinen Vornamen, winkt zurück und ruft “geh zu Francesca, die kümmert sich um Dich!” Ich habe keine Ahnung wer Francesca ist. Das letzte Mal, als ich hier war, war in einem September und Patricia und ich alleine hier. Egal, ich parke erstmal die Barocca ordentlich neben einer Tiger. Schicke Maschine, die könnte mir auch gefallen.
Später stellt sich raus, das Francesca die Tochter von Patricia ist und in der Saison die Rezeption macht. Sie hat schon ihre eigene Tochter auf dem Arm. Ein echter Familienbetrieb hier.
Ich dusche und schaue mich dann ein wenig um. In Nachbarschaft des Agriturismo ist eine Bar, in der Abends die Einheimischen bei einem Glas Bier beisammen sitzen. Ob man da auch was zu essen bekommt?
Moment, im Erdgeschoss des Haupthauses ist doch ein großer Essraum, und für wen haben Patricia und die Frauen denn vorhin gekocht? Ich gehe zurück zum Haupthaus, und tatsächlich – ich bekomme dort ein Abendessen! Ach, ist schon gut, wenn man sich mit den Familien gut versteht, bei denen man zu Gast ist.
16 Gedanken zu „Reisetagebuch 2019 (14): Italian Highway“
Jetzt macht sich doch glatt etwas Wehmut breit….
Ähem. Es hat sich hier eine gewisse Anspruchshaltung entwickelt, wenigstens einmal jährlich einen mehrwöchigen Italien-Reisebericht vorgesetzt zu bekommen. Ich sag’s nur…
Und wer weiß … Herr S. wird sich erinnern, als ich 2013 zusammen mit ihm meine “Abschiedstour” in Spanien machte. Die besten Reisen nach Spanien hatte ich danach 🙂
Danke fürs erneute mitnehmen …. // Im Übrigen hat Frau Zimtapfel so was von Recht.
Finde ich ja erstaunlich, ich hatte angenommen, das Euch Italien so langsam langweilt 🙂
Wo/wie hast Du denn eigentlich die Kamera angebracht, dass so schöne Fotos dabei herum kommen?
Genau. Überall, wo das Cockpit zu sehen ist, stammen die Bilder von der Helmkamera. Die schneide ich tatsächlich aus den Videos raus. Das geht bei der Prism tube ganz gut, weil deren Videos völlig überschärft sind.
Danke, gut zu wissen!
motorrado: Rechts am Helm ist eine Prism Tube angebracht, und direkt auf der Nase der V-Strom klebt eine VIRB XE
Ah ok: Dann stammen also alle Bilder, auf denen man die Scheibe sieht von der Helm-Kamera…
Macht sie auch Fotos auf Knopfdruck oder schneidest Du die Fotos anschließend aus dem Video heraus?
Moin, wie machst Du das mit der Akkulaufzeit der Prism Tube? Die wird angegeben mit max. 2 h, also entweder hast Du eine Stromversorgung angeschlossen oder Du schaltest nur kurze Zeit ein und die meiste Zeit ist das Ding aus? Danke!
Zwei Stunden ist Herstellerangabe, und ich habe mich sehr gefreut, dass die Prism sogar länger läuft – was umso beeindruckender ist wenn man weiß, das die aktuellen GoPros teils nur 40 Minuten durchhalten.
Die meiste Zeit ist das Ding tatsächlich aus, ich mache es nur mit einem Handgriff an, wenn ich was interessantes oder für den Tag Repräsentatives sehe. Zwei Stunden Akkulaufzeit reichen da dicke, das ist immerhin ein Viertel eines Fahrtages.
Alles und dauernd aufzeichnen ist eh unpraktisch. Zum einen muss man mit den Datenmengen irgendwo hin (zum Vergleich: die 2019er Motorradreise hat trotz sparsamen Videoeinsatz 59 GB an Daten erzeugt), zum anderen hat man am Ende so viel Filmmaterial, das man spätestens im Schnitt nicht mehr durchsteigt.
Ist bestellt ?
Aber bitte nicht enttäuscht sein. Die Kamera ist nett – lange Akkulaufzeit, einfache Bedienung und geringe Größe sind da auf der Haben-Seite. Das sie kein 4K kann und Einstellungen nur über die App vorgenommen werden können, ist für mich OK. Kritisch finde ich das Bild. Die Farbwiedergabe ist gut, aber das Bild ist überschärft und nicht stablisiert. Und: Es gibt praktisch kein Zubehör. Eine Klebebefesigung für den Helm liegt bei, sonst gibt´s nichts. Das sind dann Dinge, wo jeder selbst abwägen muss, ob das Kompromisse sind, mit denen er leben kann.
Auf deren Webseite steht “Im Zubehör sind zwei verschiedene Befestigungsmöglichkeiten enthalten. ” und ich dachte, damit ist gemeint, dass sowohl Klebehalterung als auch Klemmhalterung im Karton seien. Man kann das natürlich auch anders verstehen … Bald bin ich schlauer.
Es geht mir dabei genau um Dein Szenario, nämlich schnelles Aktivieren und Aufnehmen von kurzen Videos, von denen in den meisten Fällen nur einzelne Screenshots genutzt werden. Die GoPro ist dafür deutlich unpraktischer, obwohl ihr Bild sicher deutlich besser ist.
Ach stimmt, ein Klebepad und eine Klemme sind dabei. Ok, Dann hast Du Dich gut infomiert und ich wünsche Dir viel Spaß damit! Die Bedinung während der Fahrt ist wirklich super, und die Kamera ist auch schnell da – anders als so manche Modelle, die erst 5 bis 10 Sekunden zum Booten brauchen…