Reisetagebuch Japan (2): Irgendwas mit Architektur

Reisetagebuch Japan (2): Irgendwas mit Architektur

Reise nach Japan. Heute erprobe ich japanische Toiletten, nähere mich Tokyo und warte darauf, dass mein Reisegefährte Modnerd verhaftet wird.

Samstag, 02.11.2019
Oak Hostel Fuji
Sumida, Tokyo

Als ich die Augen aufschlage, sehe ich den Boden eines Etagenbetts über mir. Ich weiß sofort wo ich bin: In Japan! Die gestrige Reise ein Mal um die Welt war kein Traum!

Ich habe wie ein Stein geschlafen, stelle ich fest, und jetzt bin ich putzmunter. Es ist es kurz vor 08:00 Uhr, zuhause in Deutschland wäre jetzt erst Mitternacht. Cool, keinerlei Jetlag!

Kurz darauf und etwas später sitzen Modnerd und ich in der Wohnecke des 4-Bettzimmers, das wir für uns allein haben. Das ist purer Luxus, immerhin sind wir hier in einem Hostel. Nebenan schlafen acht Leute in einem Raum der nur halb so groß ist und in dem jeder hat nur eine Schlafkoje mit einem Vorhang hat. Und wir haben hier sogar eine Sitzecke und einen Balkon.

Was wir nicht haben: Eine normale Zimmerdecke. Aus irgendeinem Grund ist unser Zimmer nach oben offen. Man kann ins nächste Stockwerk durchgucken, das aus einem kleinen Raum besteht, der wie ein Turm oben aus dem Haus raussteht.

Im Supermarkt habe ich mir gestern Instant-Kaffee und einen Rosinenbrioche gekauft. Modnerd ist ein wenig exotischer drauf und hat zum Frühstück giftgünen Instant-Tee und ein Brötchen mit süßer Pasta. Er kauft perverseste Dinge, unter dem Vorwand sich an lokale Geschmäcker anzupassen. Ich beäuge seine Frühstücksauswahl betont mißtrauisch. “Schmeckt gut”, behauptet Modnerd demonstrativ.

Frühstück für Helden? Frühstück für Wikinger sieht in Japan verdächtig nach Karies aus:

Was unsere Luxussuite neben einer Zimmerdecke auch nicht hat: Ein Badezimmer. Im Erdgeschoss des Hostels, neben dem Gemeinschaftsraum, sind ein paar Duschen, und im Gang vor unserem Zimmer sind Waschbecken und Toiletten, die wir gemeinsam mit Backpackern aus aller Welt nutzen.

Die Toiletten sind natürlich das Besondere. Japanische Toiletten sind Hightech-Produkte, die äußerst sparsam mit Wasser umgehen, sich selbst desinfizieren und so beschichtet sind, dass nichts am Becken kleben bleiben kann – eine Klobürste ist unnötig.

In der Regel ist die Klobrille beheizt, und gespült wird über ein Kontrollfeld an der Wand oder direkt neben der Toilette. Allerdings sollte man sich vorher mit den Symbolen auf dem Tastenfeld vertraut machen, sonst kann man seltsame Überraschungen bis hin zum ungewollten Einlauf erleben.

Ich habe mich vorher schlau gemacht, was die einzelnen Symbole bedeuten. Das ist auch dringend nötig, denn je nach Modell hat so ein Bedienfeld bis zu 20 Knöpfe. Von der Wärme der Heizung über das Öffnen und Schließen des Deckels bis zur Spülung in drei Stufen wird alles elektrisch gesteuert, und meist sind die Tasten nur japanisch beschriftet oder mit Piktogrammen versehen, die man so im Westen nicht kennt. Was für Europäer wage aussieht wie der Knopf für die Toilettenspülung, kann bei Betätigung für, äh, Überraschungen der besonderen Art sorgen.

So, fertig. Soll ich jetzt wirklich gleich mal die Hightech-Po-Reinigung ausprobieren? Ach nein, muss nicht alles gleich am ersten Tag sein, denke ich und greife nach dem Toilettenpapier, um mich ganz klassisch zu reinigen. Als ich ein paar Blätter von der Rolle reiße, wird mir aber schnell klar, dass das nichts wird. Das Papier ist einlagig und so dünn, dass man hindurchsehen kann! Wenn ich das so benutze wie das gute Dreilagige zu Hause, habe ich sofort mein Geschäft an den Fingern. Und wenn ich so viel nehme dass es reicht, ist anschließend die Rolle alle und das Klo verstopft.

Ich gucke die Kontrolltafel an der Wand an und versuche mir die Bedeutung der Zeichen ins Gedächtnis zu rufen, dann drücke ich todesmutig die Taste für die Po-Reinigung. Unter mir summt etwas, als in der Toilette ein Röhrchen ausgefahren wird. Dann spüre ich einen scharfen Wasserstrahl. Woah! Das hier ist wirklich was anderes als die Bidets, wie man sie aus Frankreich oder Italien kennt und bei denen man immer Hand anlegen muss um sich zu säubern. Bei denen plätschert ja eher das Wasser, aber was gerade mein Heck trifft, ist von der von der Intensität und der Fokussierung her eher mit dem Strahl einer Munddusche vergleichbar.

Vorsichtig bewege ich mich etwas hin und her und lasse den Schließmuskel etwas locker. An der Kontrolltafel könnte ich jetzt noch Intensität und Winkel der Hochdruckdusche einstellen, aber die mittlere Einstellung reicht mir völlig. Noch etwas mehr und die Reinigung würde zum Einlauf.

Nachdem der Wasserstrahl jeden potentiell schmutzigen Winkel gespült hat, beendet ein weiterer Knopfdruck die Po-Dusche. Ich tupfe ich mit dem Seidenpapier letzte Wassertropfen weg, und das war es. Ich habe die Feuer- oder besser die Wassertaufe – des erstkontakts mit einem japanischen WC erfolgreich absolviert! Als ich mich vom Hightech-Thron erhebe, fühlt sich mein Hintern zaubersauber an. Wie frisch geduscht, was ja auch stimmt. Warum gibt es solche Toiletten nicht überall auf der Welt? Echt jetzt, Klopapier will man gar nicht benutzen, wenn man erst einmal das Wunder einer japanischen Toilette erlebt hat.

Die Toilette hier war perfekt zum Üben, weil sie ein sehr einfaches Modell ist. Ich habe bei der Reisevorbereitung Bilder von Toiletten gesehen, die regelrechte Reinigungsprogramme mit speziellen Po- und Vaginalduschen haben. Und weil sich in Japan alles darum dreht, andere nicht zu belästigen, gibt es an manchen Klos auch elektrische Deodorizer um Gerüche zu beseitigen und sogar Geräuschgeneratoren, die mit Wellenrauschen oder lustiger Musik “peinliche” Geräusche wie fortgesetzte Pupserei einfach übertönen. Man lebt so eng zusammen, da soll niemand mit Körperfunktionsnebenveranstaltungen belästigt werden.

Die Toilette im “Oak Hostel Fuji” ist ein sehr simples Modell. Kein Deo und kein Pupsübertöner, nur die wesentlichen Funktionen.

Im folgenden Bild sehen wir am oberen Rand Knöpfe zum Öffnen und Schließen der Toilette und zum Heben und Senken der Klobrille. Die beiden Knöpfe in der Mitte sind zum Spülen, links nach dem kleinen, rechts nach dem großen Geschäft. Die vier weißen Tasten sind die Verstellung für Position und Stärke der Po-Reinigung. Die Metalltasten sind die Steuerung für Stop, Po-Reinigung und Vaginaldusche.

“Great success!”, sage ich zu Modnerd, als ich von der Toilette komme, “ich habe auf Anhieb die richtigen Knöpfe gefunden!” Ich bin auf diesen Toilettengang so stolz wie ein Zweijähriger, der erfolgreich allein auf´s Töpfchen gegangen ist.

Um kurz vor 09:00 Uhr brechen wir auf. Wir haben vorher ungefähr festgelegt wo wir hinwollen, und das in einer gemeinsamen Karte markiert.

Bild: Google Maps 2020.

Irgendwie muss man sich dem Moloch dieser Riesenstadt ja annähern. Die blauen Pins sind von Modnerd. Ich amüsiere mich etwas über die Beschriftungen. Modnerd ist ja Fan von moderner Architektur. Er findet halt moderne Häuser schön und benennt sie mit Adjektiven wie “krass” oder “spannend”. Auf unserer gemeinsamen Karte hat er immer wieder einzelne Häuser markiert, die ihm bei Vorrecherchen als besonders aufgefallen sind. Statt aber zu notieren WAS jetzt besonders ist, Baustil oder Material oder anderes, steht an den blauen Pins sowas wie “Krasse Architektur” oder “Tolle Moderne Architektur” oder “Architektur und so”.

OK, dann machen wir heute irgendwas mit Architektur, und das tun wir im Viertel Sibuya, im Südwesten von Tokyos Kernstadt.

Google Maps weist uns den Weg. Zunächst zum Bahnhof Asakusa, von wo aus die U-Bahn der gelben Ginzo-Linie fährt. Gestern haben wie neben unseren Karten für den Skyliner vom Flughafen auch drei-Tages-Tickets für die Metro gelöst, die wir nun beim Durchschreiten der Kontrolle aktivieren. 72 Stunden laufen ab jetzt.

Kurz vor dem Bahnhof Shibuya steigen wir aus und bewegen uns von “krasser Architektur”…

…hinüber zu “toller moderner Architektur”.

In der Nähe der Uni findet gerade ein Wochenmarkt statt. Der wirkt seltsam deplaziert zwischen zehnstöckigen Wohnhäusern und einem Universitätskomplex. Zum ersten Mal sehe ich Dinge wie Pfeffer oder Zitronengrass in ihren natürlichen Formen.

Auch selbstgemachte Aufstriche, Säfte, Weine, Backwaren und Konfitüren gibt es. Nur was hier verkauft wird erschließt sich mir nicht:

Apfel-Gorilla-Trompete? Was will uns dieses Schild mitteilen?

Grinsen muss ich, als ich das Logo einer Weinverkostung sehe, die angepriesen wird wie eine Rummelattraktion. Das T-Shirt der Organisatoren zeigt einen heillos betrunkenen Japaner. It´s funny cause it´s true – viele Asiaten, von China über Korea bis Japan, haben eine Alkoholunverträglichkeit und reagieren auf kleinste Mengen mit Schwindel und Herzrasen.

Shibuya ist eigentlich ein ganz normales Büroviertel, mit einem Unterschied: Hier sind un-fass-bar viele Menschen, und die schiere Anzahl katapultiert alles ins Reich der Superlative. Der Bahnhof Shibuya, z.B., gehört zu den größten Bahnhöfen weltweit und überhaupt. Drei Millionen Menschen laufen hier jeden Tag durch. Hinter dem Bahnhof liegt eine er geschäftigsten Kreuzung der Welt. Die Shibuya Kreuzung wird manchmal von 10.000 Menschen gleichzeitig als Fußgängerübergang benutzt.

Aus den Augenwinkeln glaube ich in den Straßen ein Go-Kart zu sehen. Das kann nicht sein, oder? Nee, ich habe mich bestimmt verguckt.

Am Rand der Kreuzung steht die Statue von Hachikō dem Hund.

Es war 1924, als ein Professor Hachikō erwarb. Der Hund folgte dem Professor jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit bis zum Bahnhof, und Abends lief er wieder dorthin, um vor dem Bahnhofsgebäude auf sein Herrchen zu warten.

Ein Jahr später starb der Professor leider an einem Hirnschlag, aber Hachikō lief trotzdem noch jeden Abend zum Bahnhof und wartete. Schließlich wurde der Hund zu Verwandten in einem anderen Stadtteil gegeben, aber dort riss er aus und kehrte zum Bahnhof zurück, um weiterhin jeden Tag auf die Rückkehr seines Besitzers zu warten. So ging das tagein, tagaus. Bedingungslose Treue oder Doofheit, die Grenzen sind fließend.

Der echte Hachiko, ein reinrassiger Akita-Hund.

Der frühere Gärtner des Professors, der in der Nähe lebte, übernahm Hachikōs Pflege.

Einige Jahre später entdeckte ein ehemaliger Student des Professors den Hund am Bahnhof, erinnerte sich an ihn und schrieb seine Geschichte auf. Die Story ging durch alle Zeitungen, und Hachikō wurde zum Inbegriff der Treue. Man baute ihm zu Ehren 1935 dieses Denkmal. Kurz darauf starb Hachikō an Krebs, seine Statue wurde aber zum Pilgerort.

Hachikos Beerdigung

Es ist praktisch unmöglich die Statue zu fotografieren ohne andere Menschen drauf zu bekommen. Ein Bild mit dem treuesten Hund Japans ist Pflichtprogramm für Einheimische und Touristen.

Hinter dem Bahnhof Shibuya wird gebaut. Vorbereitungen auf die olympischen Spiele 2020? Vielleicht.

Die Baustellen sind mit blickdichten Zäunen und LED-Lichtschlangen gesichert, und an den Eingängen stehen Senioren. Sie tragen imposante Uniformen, komplett mit Schirmmützen und Krawatten. Wie Generäle sehen die aus. Mit durchgedrücktem Rücken und strengem Blick und weißen Handschuhen stehen sie dort, als ob sie die Bauarbeiten hinter sich befehligen. Ich mache kein Foto, das wäre bestimmt unhöflich.

Tokyo, das fällt schnell ins Auge, ist ein ganz seltsamer Mix. An den Hauptstraßen ist alles voller Werbeflächen und dort stehen große, aber meist keine riesigen Gebäude. Ich hatte vermutet ich würde hier total erschlagen, weil alles so riesig sein müsste. Aber das ist es nicht.

Maximal zehn Stockwerke sind meisten Gebäude hoch, mehr nicht. Vielleicht wegen der stets gegebenen Erdbebengefahr? Es gibt auch höhere Gebäude, aber Bürotürme mit 40 Etagen und mehr ragen nur vereinzelt hier und da aus dem Häusermeer. Die bestimmen aber nicht die Skyline. Das ganz Besondere aber: Unmittelbar hinter den Hauptstraßen, an denen die 10-Stockwerke-Häuser stehen, schließen sich Viertel mit kleinen Häusern an. Mal drei – bis fünfgeschossige Wohnblöcke, mal simple Einfamilienhäuser. Die sind aus Holz und in Leichtbauweise gebaut und sehen fast amerikanisch aus. Manche sind winzig und alles ist dicht an dicht, aber immerhin: Familienhäuser!

In diese Vierteln ist es ganz ruhig, man kann auf den Straßen spazieren. Nur alle Jubeljahre fährt hier mal ein Auto.

Neben einigen Wohnhäusern liegt eine technische Universität, und deren Gebäude sieht aus, als ob gerade ein Transformer mit einem Reihenhaus kopuliert. DAS ist krasse Architektur! Wir beschließen uns das näher anzusehen und betreten wir das Gebäude.

Im Foyer steht ein Modell des Gebäudes.

Während wir um das Modell herumstehen, werden wir von einer jungen Frau beobachtet, die weiter einen Gang hinunter hinter einem Schreibtisch sitzt. Ich sehe mich um und entdecke Schilder auf englisch. “Unbefugten ist der Zutritt untersagt. Zuwiderhandlungen werden zur Anzeige gebracht”. Ah, ok. In Deutschland sind Hochschulen öffentliche Orte, aber damit sind wir echt die Ausnahme. Egal wo ich sonst bislang war, in anderen Ländern gab es immer Pförtner und Wachdienste, die auch schonmal kontrollieren wer dort hineinläuft. Na gut. Wir wollen ja auch gar nicht weiter.

Denke ich zumindest, Modnerd hat da andere Pläne. Er drückt auf den Rufknopf eines Fahrstuhls. Die Junge Frau am Ende des Gangs reckt wachsam den Hals und erhebt sich ein wenig. “Wir gehen jetzt”, sage ich kurz angebunden zu Modnerd. Er hat weder die Wachfrau noch die Schilder bemerkt, Zeit für lange Erklärung ist nicht und ich hoffe, er vertraut mir jetzt einfach und diskutiert nicht lang rum.

Aber der Herr Kollege steht heute morgen nicht nur auf der langen Leitung, er fühlt sich durch meinen Kommandotonfall auch noch beleidigt. “Nö, wieso?”, sagt er trotzig. Die Fahrstuhltüren gehen auf. Die Frau springt hinter ihrem Schreibtisch hervor und eilt winkend in unsere Richtung. Das sieht Modnerd nicht, der nun den Fahrstuhl betritt. Die Frau läuft jetzt fast. Ich drehe mich um und gehe ruhig und gemessenen Schrittes zum Ausgang. Von außen sehe ich durch die Glastür noch, wie die Frau unentschlossen vor dem Fahrstuhl steht. Konnte sie Modnerd von ihrer Position aus überhaupt sehen? Oder hat sie nur mich wahrgenommen?

Ich warte am Straßenrand darauf ob Modnerd verhaftet wird, aber natürlich hat er Glück und kommt ein paar Minuten später aus dem Gebäude raus. “War langweilig. Der Fahrstuhl endete mitten in einem Klassenraum. Die haben da eine Klausur geschrieben oder sowas”.

Ich fasse es nicht.
Er hat weder die Warnschilder gesehen noch die Wachfrau wahrgenommen und weiß immer noch nicht, warum ich ihn vom Fahrstuhl abhalten wollte. Ignorance is bliss.

Was auch auffällt: Überall stehen Getränkeautomaten in den Straßen und Gassen.

Darin gibt es Sorten, die seltsam heißen, wie dieser…. Pocari-Schweiß?

Das zeigt die Vorliebe der Japaner für ausländische Worte, die sie gerne nehmen und damit Produkte benennen oder für Slogans verwenden. Dabei kommt dann sowas raus wie “Objekte – von. So vielen Jahren.”

oder auch das Modelabel “Pikee Eis – Du machst die wundervollen Entscheidungen”

Schmunzeln muss ich auch immer wieder über die Namen von Geschäften. Wohin gehen zu kurz geratene Männer? Na klar, zu…

Zu Fuß wandern wir Richtung Norden, von Shibuya in Richtung des Stadtteils Shinjuku. Unterwegs kommen wir an der Takeshita-Straße vorbei. Die ist bekannt dafür, völlig überlaufen zu sein, weil hier ein Geschäft für Teenager-Mädchen am Nächsten ist.

Klamottenläden sind gar nicht mal so zahlreich vertreten.

Die meisten der kleinen Ladengeschäfte verkaufen Tant, so Dinge wie Handyhüllen und Glücksanhänger. Dann gibt es eine ganze Reihe von Geschäften mit Blickdichten Scheiben und wirren, englischen Bezeichnungen, die den Verdacht nahelegen, dass das Tätowierstuben sind. Was aber nicht sein kann, immerhin sind wir in Japan, hier sind nur Verbrecher tätowiert.

Dazwischen gibt es viele Läden mit Süßigkeiten mit absurden Spezilaitäten wie Poop-Emoji-Eis.

Dann bemerke ich, dass man in Japan nicht nur englische Wörter mag und sie wild mit allem möglichen kombiniert. Auch deutsche Wörter finden Gefallen.

Ich wundere mich noch, als ich plötzlich den Eindruck habe, dass gerade Tigger in einem Go-Kart an mir vorbeigefahren ist.

Hä, WAS? Das kann doch nicht sein oder? Diese Meinung teilt Spider-Man nicht, der in diesem Moment freundlich winkend an mir vorbeibrettert.

Äh. Anscheinend ist es ein großer Spaß, sich als Comicfigur zu verkleiden und mit Go-Kart durch den Stadtverkehr zu rasen. Super Mario Cart in Real Life.

Das geht tatsächlich nur, weil der Autoverkehr hier sehr dünn ist. Für eine Großstadt sind die Straßen hier praktisch leer.

Praktisch ohne Ziel laufen wir einfach so die Straße runter. Dabei entdecken wir ein Gebäude, das Samsung einfach mal schwarz angemalt und einen “Galaxy Flagship Store” eingereichtet haben. So bekomme ich auch mal die Gelegenheit das weltweit erste Handy mit faltbarem Display in der Hand zu halten. Das ist nicht so dolle, aber die Präsentation ist schon cool.

Auf insgesamt sechs Etagen gibt es dann noch allerhand Mumpitz zu bestaunen, der oft nur am Rande was mit Samsung-Zeugs zu tun hat.

Immerhin entdecken wir noch krasse Architektur an einem Treppenaufgang.

Im Meiji-Park bestaunen wir eine endlose Schlange von Leuten, die sich anstellen. Wofür? Um am Eingang eines Parks unter den Gratulationen eines Teams eine Plastiktüte in Empfang zu nehmen. Darin ist Gemüse oder sowas. Dann laufen manche der Leute wieder zum Anfang der Schlange und stellen sich erneut an.

Ich schaue mir das an und verstehe es nicht wirklich. Wie Bedürftige sehen die eigentlich nicht aus. Ist die Gemüseabholerei Rentnersport? Nein, auch junge Leute stehen an.

Ha, so hatte ich mir Japan vorgestellt. Fremdartig. Unverständlich. Aber jetzt, wo ich hier bin, fühlt sich das auch alles so… normal an. Echt, es fühlt sich völlig normal an, an Leuten vorbeizugehen, die aus gottwerweiß für einem Grund sich die Beine für eine Plastiktüte in den Bauch stehen.

Der Meijei-Schrein selbst ist, äh, hübsch. Keine Ahnung wie ich es besser beschreiben soll.

Auch hier stehe ich nämlich wieder davor und verstehe vieles nicht. Warum am Eingang Fässer mit Sake drin befestigt sind, zum Beispiel.

Ansonsten hat hier alles mit dem Glauben an Glück und Geister und sowas zu tun. Dafür gibt es rituelle Waschmöglichkeiten…

…und die Möglichkeiten Glücksamulette zu kaufen, die streng wissenschaftlich in einzelne Kategorien eingeteilt sind…

Umwelt freundlich ist das Ganze natürlich auch. Gebrauchte Talismane lassen sich in speziellen Boxen der Entsorgung zuführen.

Vor dem Schrein kann man seine Wünsche auf Holzkärtchen notieren und sie dann aufhängen, damit sie wahr werden.

Auch Amerikaner waren hier. Ja, Kollege, wir hoffen auch, das die Welt noch weitere 5 Jahre Trump übersteht.

Hinter dem Schrein gibt es Reisbällchen, die über einem offenen Kohlefeuer angebraten und mit einer braunen Soße serviert werden.

Die Bällchen selbst schmecken nach nichts und die braune Soße schmeckt irgendwie karamellisiert und nach… Bier?! Aber nichts bereitet einen auf das Mouthfeeling der Bällchen vor. Es gibt bei uns nichts, was ich zum Vergleich ranziehen könnte um zu beschreiben, wie sich das im Mund anfühlt. Es ist klebrig und von einer zähen und gleichzeitig seltsam mürben Konsistenz. Beim Abbeißen vom Spieß ist es so fest, dass es an den Zähnen klebt und im Mund fühlt es sich dann an wie etwas, was mein Mund als Mischung aus Kaugummi, Zuckerspeck und Kartoffelkloß identifiziert.

In Shinjuku ist auch eine Ausstellungsfläche von Japans größtem Toilettenhersteller, Toto. Die besuchen wir als Nächstes und stellen fest, das Toto Jubiläumsjahr hat.

Auf einer ganzen Etage bewundern wir selbstreinigende Badezimmer und sprechende Toiletten mit Annährungssensor, die beim Betreten des Klos automatisch aufklappen. Das ist die Zukunft, selbst für japanische Verhältnisse!

Kurz vor Sonnenuntergang sind wir beim Tokyo Metropolitan Government Building. Ds ist nicht nur sehr hoch, sondern hat auch Aussichtsplattformen an seinen Spitzen.

Die Schlange ist lang, aber nach einer halben Stunde und einem Sicherheitscheck sind wir im 45. Stock. Hier oben kann man gut Kaffee trinken.

Und natürlich ist die Aussicht super. Ich stehe an den großen Aussichtsfenster und kann es überhaupt nicht begreifen, dass ich unter mir wirklich eine Stadt sehe, die sich bis zum Horizont zieht.

Wir trinken einen Kaffee und warten auf den Sonnenuntergang. Der passiert schnell, quasi von jetzt auf gleich ist die Sonne weg, und die graue Betonwüste unter mir wird zu einem Lichtermeer.

Fast zwei Stunden halten wir uns auf der Aussichtsplattform auf, dann haben wir uns sattgesehen. Auf dem Weg nach unten, beim Warten auf den Fahrstuhl, fällt mir nochwas auf. Es wird ja oft das Bild vermittelt, das japanische Teens sich total crazy kleiden. Bei der Masse der Jugendlichen stimmt das nicht nur nicht, sondern das Gegenteil ist so krass der Fall, dass es förmlich ins Auge springt. Die Teens kleiden sich so konservativ, das es schon weh tut. Knöchellange Röcke. Unförmige Sweater oder sackartige Jackets. Und dazu Blusen und Friseuren wie aus den 70ern. Irre. Ich wusste, das Japan eine konservative Gesellschaft ist, aber so heftig?

Bevor es zurück nach Hause geht, laufen wir noch durch das Vergnügungsviertel Kabuchiko und das Golden Gai. Aber davon erzähle ich später noch ausführlich, der Tagebucheintrag für heute ist schon lang genug. Für heute belassen wir es mit der Rückkehr nach Sumida. Oh, auch dem Weg nach Hause finde ich Waldo.

Überrascht werde ich noch einmal von krassem Architektur-Zeugs. Kommste nichtsahnend in einem U-Bahnhof um die Ecke, stehste vor beleuchtetetn Bäumen und guckst durch eine Öffnung in der Decke in den Nachthimmel. Das fühlt sich schon sehr nach Zukunft an, als würde ich in einem Science Fiction Film herumlaufen!

Es ist schon 20 Uhr, als wir zurück in Asakusa sind. Dort probieren wir einen Nudelshop aus. Für umgerechnet 6 Euro esse ich eine große Schüssel Ramen. Das sind dünne Weizennudeln, die mit einem Ei und einigen Scheiben Schweinefleisch garniert sind. Dazu gibt es Gyoza, angebratene Teigtaschen.

Nicht alle Nudeln sind übrigens Ramen, wie wir Europäer fälschlicherweise oft denken. Ramen sind wirklich nur die Weizennudeln in der Suppe, es gibt aber genauso auch Harusame (Glasnudeln aus Kartoffelstärke), Soba (Buchweizennudeln), Udon (dicke Nudeln), Yakisoba (gebratene Nudeln) und eine Vielzahl regionaler Nudelspezialitäten.

Ich muss mich amüsieren, dass auch hier Regeln auf die Speisekarte gedruckt sind. Auf Englisch, damit auch wir Ausländer es verstehen: Anderen Leuten bitte nicht auf die Nerven gehen!

Gegen 20:00 Uhr kommen Modnerd und ich wieder im Oak Hostel Fuji an. Das war ein langer und toller erster Tag, rund 20 Kilometer sind wir zu Fuß gelaufen. Wir sind beide fix und fertig. Ich gehe duschen und bin froh, dass die zwar auch High-Tech ist, aber nicht so komplex wie die Toiletten. Irgendwie bin ich immer noch stolz darauf, die auf Anhieb richtig bedient zu haben.

Als ich auf dem Rückweg von der Dusche an den Toiletten vorbeikomme, höhere ich in einer Kabine jemanden auf englisch fluchen und dann das Rotieren einer Klorolle, von der jemand Meterweise Papier abrollt. Pfh, Anfänger.

Von der Homebase in Sumida nach Shibuya, irgendwas mit Architektur gucken, dann nach Shinjuku und über Asakusa zurück. Rund 12 Stunden, ca. 20 Kilometer.
Bild: Google Earth 2020.

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8 Gedanken zu „Reisetagebuch Japan (2): Irgendwas mit Architektur

  1. Menschenmassen – mein persönlicher Feind. Und ich meine wirklich solche Massen wie gezeigt.

    Erstaunliche, faszinierende Einblicke in ein mir unbekanntes Land, Danke!

    Restaurantregeln – sehr begrüßenswert!

  2. Zu dem Apfel Gorilla Trompeten Ding kann ich zumindest was den Namen angeht weiter helfen: Apfel heißt “Ringo”, Gorilla “Gorira” und Trompete “Rappa”. Alles zusammen also RinGoriRappa 🙂

  3. Wieder ein super Bericht. Sehr lebhaft erzählt. Danke dass du diese Erlebnisse mit uns teilst.
    Da stellt sich mir aktuell die Frage, da Julia, von Mädchenmotorrad gerade ihre Bloggertechnik erklärt, wie du das machst, da du ja die Berichte erst Wochen oder sogar Monate später schreibst. Schreibst du abends Notiz- oder Tagebuch? Oder saugst du dir das in künstlerischer Freiheit teilweise, anhand der Fotos, aus den Fingern? 😉

  4. Danke Thom! Hehe, nein, ich sauge mir das nicht aus den Fingern. Ich schreibe jeden Abend alles Erlebte ganz frisch und unreflektiert in ein Netbook. Ich bekomme es nur nicht gebacken dass dann auch sofort zu veröffentlichen, da ich teils mit mehreren Kameras unterwegs bin und mehr Freude habe, wenn ich das in Ruhe zu Hause sichten und dann auch noch ein wenig zu Hintergründen schreiben kann. Bonus: Ich habe dann über das Erlebte schon ein wenig reflektiert und kann das im Nachgang bewerten und einordnen.

    In einem normalen Reisetagebuchartikel stecken bei mir ungefähr 8 Stunden Arbeit (ich weiß, das mag man ob der manchmal hanebüchenen Rechtschreibung nicht glauben), das schaffe ich unterwegs nicht und bewundere Julia immer wie Sie das hinbekommt.

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