Herr Silencer im April 2020
We are in this together
Der monatliche Rückblick, aufgrund fortgesetzt hohen Medienkonsums wieder in zwei Teilen.
Wetter: Seit Mitte März schon wieder kein Regen. Anfang des Monats morgens -7 Grad, ab der zweiten Woche wieder mit 10-25 Grad eher vorsommerlich, dann 7 bis 25 Grad. Jeden Tag strahlender Sonnenschein und wolkenloser Himmel. Ein Elend. Seit Anfang März kein Regen mehr, Waldbrandgefahr, Dürre. Im April!
Sehen:
Picard [Amazon Prime]
Jean-Luc Picard, einst Captain des Raumschiffs Enterprise, ist mittlerweile Admiral außer Dienst. Der Achtzigjährige vertreibt sich seine Tage, in dem er grummelnd durch die Weinberge des Familienanwesens in Frankreich schlufft. Das ändert sich, als eine junge Frau auftaucht und ihn um Hilfe bittet. Picard bemüht sich, aber da er bei der Sternenflotte nicht mehr gerne gesehen ist, kann er die Frau nicht schützen. Im Nachgang zu einem Attentat stellt sich heraus, dass sie eine Androidin war – vielleicht sogar Datas Tochter? Androiden sind mittlerweile nach einem Angriff auf den Mars streng verboten, deshalb stellt sich die Frage: Wer hat diesen hergestellt? Und wer wollte unbedingt seine Zerstörung? Picard sucht nach Antworten.
Tja, hm. Was war das denn jetzt? Ich stand der Idee, den fast 80jährigen Patrick Stewart nochmal als Picard auf den Bildschirm zu holen, sehr skeptisch gegenüber. Tatsächlich ist er selbst aber noch fitter als seine deutsche Synchronstimme, die brüchig klingt und die Betonungen nicht mehr hinbekommt.
Dann wurde ich positiv überrascht: „Picard“ ist nicht der mittlerweile bräsig wirkende 80er-Jahre TNG-Star Trek. Den fand ich zu seiner Zeit super, aber „zu seiner Zeit“ war ich halt 11 Jahre alt. Die Geschichte von „Picard“ ist dagegen wendungsreich, hat schöne Ideen und behandelt spannende Themen wie den Umgang mit Flüchtlingen. Zudem lässt sie rätseln: Warum ist Picard bei der Sternenflotte und in der Öffentlichkeit in Ungnade gefallen? Woher kommt die Roboterfrau?
Dermaßen angefixt wartete ich auf Enthüllungen.
Und wartete.
Und wartete.
„Picard“ kommt nämlich einfach nicht aus dem Quark und walzt eine Handlung, die gerade mal für einen Spielfilm reicht, auf 10 Serienfolgen aus und tritt deshalb bei 7 davon auf der Stelle. Fast fürchtete ich, das der greise Patrick Stewart das Ende der ersten Staffel seiner eigenen Serie nicht mehr erlebt.
In der Summe: Interessant, aber zäh. Immerhin: Jeri Ryan macht als Seven of Nine-Borgqueen eine fantastische Figur.

Bild: NDR
Tatort: National Feminin
Eine rechte Youtuberin wird ermordet. Scully und die Frau aus Black Panther ermitteln im Göttinger Rechtenmilieu zwischen Identitären und Antifeministinnen.
Noch ein „Tatort“, der in meiner Wohnstadt Göttingen spielt. Anders als der enttäuschende und absurde „Krieg im Kopf“ im vergangenen Monat, der Cyber-Cyber auf Faxgeräten versuchte und Drehbuchtechnisch an Arbeitsverweigerung grenzte, ist „National Feminin“ ein krasses Stück.
Die Machenschaften der „Identitären“ und ihrer stramm rechten Ideologie aus krankem Patriotismus und „Frauen an den Herd“ werden hier tatsächlich so authentisch dargestellt, dass während der Ausstrahlung im linearen Fernsehen am Sonntag Abend den ganzen kleinen Nazis auf Twitter einer abging. Streckenweise wirkte der Film sogar wie ein Werbeclip für die neue Generation der Rechtsradikalen.
Man muss diesen Tatort aber als das sehen, was er sein will: Ein Aufklärungsstück, das den älteren Zuschauern des ARD-Krimis, die sich nicht im Internet bewegen und die weder Youtube noch Twitter kennen, zeigt, mit welchen Methoden und welchen Formen der Propaganda der neue Faschismus arbeite. Nicht auszuschließen, dass diese Ideen und Bildästhetik dann halt einige Zuschauer gut finden, aber das Risiko ist man hier eingegangen.
Ein mutiger, sehenswerter und nicht unspannender Film mit zwei anbetungswürdigen Frauen in den Hauptrollen, noch bis 26.10.20 in der ARD Mediathek zu sehen.

Bild: RBB
Die Getriebenen
Sommer 2015. Zehntausende Flüchtlinge machen sich auf den Weg nach Europa. Viktor Orban sieht eine Chance seine Macht auszubauen und treibt Deutschland und Österreich politisch vor sich her. In diesen Ländern sind es wiederum Rechtskonservative wie Sebastian Kern oder Markus Söder, die das Thema Flüchtlinge nutzen um die alten Eliten ihrer Parteien vor sich herzutreiben.
Der zweistündige Spielfilm basiert auf einem Buch von Robin Alexander und arbeitet die Ereignisse des Sommers 2015 minutiös auf. Mut zur Lücke gibt es dabei freilich nicht. Schauspieler, die teilweise dem Original sehr nahe kommen, spielen immer wieder in Szenen die plausibel sind, für deren Authentizität es aber keinen Beleg gibt.
Dennoch ist es interessant all die Handlungsebenen, die man sich damals aus den Nachrichten zusammensuchen musste, zusammengefasst zu sehen. Merkels Versuche, die Sache auszusitzen und wie ihr das auf die Füße fällt. Orbans gnadenloses Spiel mit Menschenleben. Gabriels schmierlappige Schadenfreude. Seehofers Hilflosigkeit im Umgang mit der Situation und der Rückfall in alte Lösungsmuster, die so aber im 21. Jahrhundert nicht mehr funktionieren.
Funfact: Der Drehbuchautor für „die Getriebenen“ hat auch „National Feminin“ geschrieben.
Unbedingt sehenswert, noch bis 15.07.20 in der ARD-Mediathek
Aquaman
Kal Drogho ist der uneheliche Sohn von Jango Fett und Nicole Kidmann und damit Prinz von Atlantis. Damit hat sein arischer Halbbruder Probleme, das wiederum geht der rothaarigen Exfreundin von Johnny Depp gegen den Strich und schon knallt´s unter Wasser.
Endlich mal ein Film aus dem DC-Universe der wirklich in großem Maßstab funktioniert und eine Superheldengenese ordentlich durchdekliniert. Es passiert so viel auf der Leinwand, dass das Hirn gar nicht hinterherkommt und irgendwann nur noch staunt „oooooh, bunt!“.
Macht sehr viel Spaß, toll besetzt, prima Worldbuilding, funktioniert bis zum Schluss. Was wieder zeigt: Lässt man passionerte Filmemacher ran, und nicht Zac Snyder, den Mann mit den Nazieulen, dann funktionieren selbst alberne Comicfiguren wie Aquaman oder Wonder Woman.
Terminator SCC: The Sarah Connor Chronicles [BluRay]
Sarah Connor versucht ihren Sohn John aufzuziehen. Der wird irgendwann der Anführer der letzten Menschen im Krieg gegen die Maschinen sein, und deshalb bildet sie ihn geradezu versessen aus, während sie auf der Flucht vor immer neuen Terminatoren sind. Unterstützung erhält sie dabei von einem weiblichen Terminator und dem Schwippschager vom Bruder von Johns Vater, Kyle Reese.
Irgendwann kam jemand auf die Idee die Jahre zwischen T1 und T2 als Serie zu verfilmen. Schöne Einfälle wie ein Zeitsprung ins Jahr 2008 oder ein Terminator, der einen Schönheitschirurgen überfällt, damit der ihm wieder Fleisch auf´s Endoskelett züchtet, wechseln sich ab mit banalen Handlungsbögen um Schachcomputer mit KI oder campy Folgen um baletttanzende Terminateusen.
Da auch der Ton der Serie von bedrohlich-erwachsen in Richtung High-School-Coming-of-Age-Story kippte, war nach 31 Folgen in zwei Staffeln Schluss. Einzig wegen der Hauptdarstellerinnen ist das Ganze überhaupt erträglich. Lena Headey (Cersi Lannister aus Game of Thrones) gibt eine tolle Sarah Connor, und Summer Glau als Terminatrix macht ebenfalls viel Spaß.
The Mandalorian
Nach dem Ereignissen von “ Die Rückkehr der Jedi-Ritter“: Die neue Republik ist gerade um Aufbau, es gibt aber noch Widerstandsnester von Anhängern des untergegangenen Imperiums. In dieser aufregenden Zeit wird ein mandalorianischer Kopfgeldjäger angeheuert, um ein Paket abzuholen und an einen imperialen Offizier zu liefern. Das Paket entpuppt sich als machtbegabtes Kind, und der Kopfgeldjäger bringt es nicht übers Herz es auszuliefern. Dafür wird er von allen gejagt.
Sabber-Sabber-Sabber. „The Mandalorian“ ist das Star Wars, was ich mir als Kind immer gewünscht habe. Simple Geschichten, einsame Helden, böse Wichte als Gegenspieler. Das alles technisch und schauspielerisch (Werner Herzog! Nick Nolte! Emily Swallow!) toll umgesetzt. Die Episoden sind zu kurz um narrativ durchzuhängen und bieten dermaßen viel Schauwerte, dass gar nicht auffällt, wie dünn die Stories eigentlich sind.
„Mandalorian“ macht keinen Hehl daraus, dass sein Vorbild klassische Western sind. Die Serie stellt Szenen aus alten Westernfilmen teils Bild für Bild nach und bedient sich an den Strukturen von Abenteuerfilmen wie „Indiana Jones“.
Dabei zieht sie ihren Reiz aus neuen Figuren, über die man nicht viel erfährt. Das macht sie geheimnisvoll und frisch. Wer möchte nicht so sein wie der coole, namenlose Held, der aus jeder Situation rauskommt und nie die Nerven verliert? Das funktioniert mit dem gesichts- und namenlosen Helden in „Mandalorian“ viel besser als mit Boba Fett, über den man einfach schon zu viel weiß.
Ohnehin geht Showrunner John Favreau nie den ganz einfachen und offensichtlichen Weg, sondern häkelt immer Besonderheiten ein. Und er hat ein großes Herz für winzige Eastereggs, mit denen er im Nachgang Dinge aufwertet. Beispiel dafür ist die Eismaschine, mit der in „Empire“ während der Evakuierung von Bespin ein Arbeiter durch einen Gang rennt. Das war jahrelang ein Witz unter Fans: Rettet das Erdbeereis! In „Mandalorian“ kommt das Ding wieder vor, und jetzt sieht man, dass der Behälter ein Hochsicherheitssafe für ungewöhnlich wertvolle Dinge sein soll.
Selbst alberne Kenner-Spielzeuge aus den späten 70ern wie den Roboter IG-88 oder der imperiale „Truppentransporter“ werden durch ihre Darstellung im Mandalorian aufgewertet – verdammt, dass war das erste mal, das ich selbst vor den albernen AT-STs Respekt hatte!
Das alles lässt mein kleines Fanherz hüpfen. Wer also mit einsamen Gunslingern nichts am Hut hat, wird mit dieser Serie nichts anfangen können. Ich mag „Mandalorian“ sehr, aber ich habe in „Star Wars“ auch nie den Sinn des Lebens gesucht.
Betrifft Tatort
Ach nein. Ich fand die distanzlose 1:1 Darstellung der Nazis unerträglich. Ich brauch keine unterhaltsame Naziidiologie am Sonntagabend um mich „aufzuklären“. Ihre Vorstellungen von dem, was alte Leute (ich und mein Umfeld, z. B.) im www machen oder nicht bzw. wie und worüber sie sich informieren, brauchen dringend ein Update, oder?
Und dann: 2 Hauptdarstellerinnen, die auf den Einsatz von Gesichtsausdruck verzichten. Naja. Und Frau Furtwängler scheint neuerdings verjüngt mit Hilfe eines Gesichts-Weichzeichners. Gefiel mir nicht, habe mir ein Buch geschnappt.
Aber danke für Ihre immer interessanten persönlichen Momentaufnahmen!
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Noch was:
die Darstellung der Verliebtheit von 2 über 50jährigen beinhaltet auch ein sehr übles Klischee von Frauen im Klimakterium (außer Kontrolle…). Weniger Hormone, mehr Hirn der beiden immerhin gebildeten, lebenserfahreren, beruflich erfolgreichen Frauen wäre angemessen gewesen. Hat mich fast ebenso sehr geärgert wie der Nazischeiß.
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Ad 1: Fühlen Sie sich bitte nicht persönlich angesprochen! Ich meine tatsächlich diejenigen, die Internet nach wie vor gar nicht kennen und es nie nutzen. Solche Leute gibt es noch zu Hauf, genau wie die, bei denen „Internet“ nur aus Facebook und Whatsapp besteht. Genau das sind die Gruppen, für die die Werkzeuge der neuen Rechten etwas neues sind.
Ich hätte mir auch eine noch kritischere Haltung gewünscht, verstehe aber, warum das nicht gemacht wurde. Durch seine Darstellung setzt sich dieser Tatort nicht der Blöße aus in das Narrativ der Rechten zu fallen, dass Öffentlich-Rechtlicher Rundfunk „Staatsfunk“ sei, der die armen Rechten diskriminiert. Diese Klippe fand ich sehr geschickt umschifft, gleichzeitig war aber noch genug Stoff drin um kleine Nazis oder schlecht riechende AfDler zu triggern.
Ad 2: Ach, das weiß ich nun nicht. Furtwänglers Charakter gibt es schon seit 28 Folgen, keine Ahnung ob das zur Rolle passt. Schmitz hat ja gleich das erste Drehbuch mangelnde Impulskontrolle verpasst.
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