Reisetagebuch Japan (7): Breakfast for Champions
Reise durch Japan. Heute wird erklärt, was Modnerd nicht kann, wie er meine schlimmen Fehler beim Autofahren verhindert und warum ich nackt in den Bergen rumstehe.
Donnerstag, 07. November 2019
Pension Sora, Tateshina
irgendwo in den japanischen Alpen
Um kurz vor halb acht geht Modnerd ins Badezimmer. Gut, dass ich schon vorher dort war und alles erledigt habe. Das mache ich mit Absicht.
Ich dusche immer am Abend zuvor und morgens sehe ich zu, dass ich mir die Zähne putze und meine Sachen aus dem Bad evakuiere, bevor Modnerd es betritt. Denn mein alter Reisegefährte hat ein ganz besonderes Talent: Er kann in ein sauberes, aufgeräumtes Badezimmer gehen und es zwei Sekunden später wieder verlassen, und der Raum dahinter sieht aus, als hätte eine Gruppe Teenager darin eine mehrstündige Wasserschlacht gefeiert. Wirklich: Er geht durch eine Tür und kommt sofort wieder raus und dahinter sieht es von jetzt auf gleich aus als hätte eine Bombe eingeschlagen.
So ist es auch heute morgen. Als Modnerd nach einer kurzen Dusche die Nasszelle verlässt, ist sie WIRKLICH nass: Wasser steht auf dem Boden, das WC und die gegenüberliegende Wand sind mit mitgeduscht, Handtücher hängen auf halb acht an den Halterungen und der Spiegel ist voller Zahnpasta. Wie macht er das nur immer? Um es klar zu sagen: Er macht das nicht mit Absicht. Das passiert einfach. Aber wie kriegt er das hin?
Ich würde das nicht mal hinbekommen, wenn ich absichtlich versuchen würde ein Badezimmer möglichst eingesaut zu hinterlassen, und bei ihm passiert das einfach so, während der normalen Benutzung. Wie geht das? Stellt er sich in die offene Duschtür, hält die Brause in die Hand und dreht sich ein Mal um sich selbst? Bestimmt nicht. Das passiert vermutlich einfach nur, weil ihn Bäder schlicht nicht interessieren und er deshalb alles darin ignoriert. Bad-Ignoranz, sozusagen.
Seufzend beseitige ich die gröbsten Spuren und feudele mit den Handtüchern einmal über Wände und Spiegel und hänge sie dann ordentlich auf. Einfach, weil mir die Gastgeber sonst Leid tun würden. Wie man einen Raum hinterlässt, hat ja auch was mit Respekt den Gastgebern gegenüber zu tun, und die nette Herbergsfamilie hat Besseres verdient als das hier. Abgesehen vom Respekt weiß man ja auch nie, ob man nicht nochmal wiederkommen möchte.
Das Erdgeschoss des Hauses ist Bar und Restaurant in einem, aber weil gerade keine Saison ist, ist es auch das Spielzimmer und Wohnzimmer der Familie, die die “Pension Sora” betreibt. Alles ist aus hellem Holz gebaut, und in der Mitte des Raumes bullert ein kleiner Benzinofen mit einem Teekessel darauf vor sich hin. Der ganze Raum atmet Wärme und Gemütlichkeit.
Der Herbergsvater, ein junger Man Anfang 30, sieht mit einem rotkariertem Flanellhemd und einem Vollbart aus wie eine Mischung aus IT-ler und Holzfäller. Er spricht leidlich englisch und lacht, als er Modnerd und mich die Treppen runterkommen und von den Wohnbereich-Schlappen in die Restaurant-Schlappen wechseln sieht.
Auf einem Tisch steht bereits unser Frühstück. Es gibt Reis in Algenpapier mit Fischfüllung, eine deftige Brühe und dazu Salat. Und – “Glückes Geschick! – Kaffee aus einer Filtermaschine.
Modnerd und ich sind morgens meist schweigsam, unser Gastgeber hat dagegen Quasselwasser getrunken. “Und am Samstag, da machen wir das alljährliche Run&Drink!”, macht er Werbung für sein Restaurant. “Am Anfang ein Bier trinken, dann eine Runde laufen, dann einen Sake, dann wieder laufen, dann noch einen Sake und so weiter. Laufdistanz ist einmal um den Lake Miyake, also 8,8 km. Die ersten sechs Sake sind in der Startgebühr enthalten. Kommt super an! Wäre das nicht was für Euch? Falls ihr dann noch hier seid?”
Ich rechne kurz nach. Man muss also mindestens 50 Kilometer laufen, bis der erste Sake bezahlt werden muss. Sportlich. “Samstag sind wir nicht mehr hier”, sage ich. “Leider”, füge ich schnell hinzu, weiß dabei aber ganz genau, dass ich nicht mal die Hälfte der ersten Runde überstehen würde. Laufen ist nicht meins.
“Macht nix, das Run&Drink findet jedes Jahr statt. Empfehlen sie uns weiter”, sagt der Gastwirt und lacht.
Mit gepackten Sachen treten wir kurze Zeit später vor die Tür des Holzhauses. Die Bergluft ist frisch, und es ist definitiv schon Herbst hier oben. Gegenüber des Hauses ist ein kleines Birkenwäldchen.
Kurze Zeit später brummt der Toyota Aqua, der eigentlich ein Prius ist, durch die Berge. Mit seinen schweren Batterien liegt der Wagen wie ein Brett auf der Straße, und ziehen tut er im Verbrennermodus auch nich. Drückt man auf´s Gaspedal, wird er nur moderat schneller. Aber mehr muss er auch nicht leisten, denn die Höchstgeschweindigkeit auf Japans Straßen ist stark reglementiert. Maximal 60 km/h darf man hier fahren. Modnerd steuert das Autochen, ich habe Zeit mir die Landschaft anzugucken.
Neben den Birken wachsen hier Nadelhölzer, und die haben sich herbstlich gelb verfärbt. Schön sieht das aus. Die Straße mit ihren gelben Hinweisschildern und den Holzhäusern daran erinnern mich an Bilder, die ich von Kanada gesehen habe. Die Berge hier gehören zur Region Nagano, wo einst die olympischen Winterspiele stattfanden. Jetzt, im November, kann man die vielen Skipisten nur anhand stillstehender Skilifte und riesiger, toter Hotelanlagen erahnen.
Außerhalb Soras halten wir an einem Parkplatz und gucken über die japanischen Alpen. Die Berge haben flach abfallende Hänge, die von Wäldern bedeckt sind oder von Wiesen mit trockenem Gras. Ein strammer Wind geht hier oben und erzeugt Wellenbewegungen in den Wiesen. Das sieht fast aus wie ein Meer aus Gras.
Der erste richtige Stop des Tages ist an einem Aussichtspunkt über der Stadt Suwa.
Die Stadt liegt an einem See, der ein alter Meteoritenkrater ist. Der Krater und die Stadt waren übrigens das Vorbild für den Ort in dem Film “Your Name”. Dunst liegt über dem Tal. Ein Boot in Schwänchenform kreuzt über den See. Weit unten dampfen Fabriken und vielleicht Bäder.
So sieht der See im Film “Your Name” aus:
Weiter geht es nach Matsumoto. Hier steht die Schwarze Burg. So heißt sie wegen des schwarzen Holzes, dadurch sieht sie aus der Ferne schwarz aus.
Aber wenn man vor ihr steht sieht die schwarze Burg weiß-blau aus. Sie ist ganz aus Holz, nur das Fundament ist gemauert und mit einem flachen Goldfischteich umgeben, der wohl ein Burggraben sein soll. Über den Teich führen geschwungene Holzbrücken.
Im Park der Burg komme ein alter Mann auf uns zu, der mit seinen zusammengekniffenen Augen und dem haarlosen Kopf fast aussieht wie ein uralter Shaolin-Meister aus einem billigen Kung-Fu-Film.
Er stellt sich auf Englisch als ein Goodwill-Guide vor, der ehrenamtlich Touristen herumführt, und fragt, aus welchem Land wir kommen. “Germany”, sagt Modnerd. “Ach, Deutschland”, sagt der alte Mann fröhlich auf Deutsch und grinst ein vertrocknetes Lächeln. Dann fährt er in verständlichem Deutsch fort “Ich habe deutsch gelernt in einer Schule, und dann habe ich deutsche Zeitungen gelesen, aber die gibt es jetzt nicht mehr. Jetzt höre ich deutsche Radiosender und lerne dadurch weiter. Radiosender gibt es ein paar bei uns.” Er richtet seine kleine Statur auf, drückt das Rückgrat durch und sagt mit großem Ernst “Übung macht den Meister!”.
Ich muss lachen. “So ist es! Noch einen schönen Tag!” Rufe ich und gehe weiter.
In der Burg muss man seine Schuhe ausziehen. In Socken geht es dann über polierte Holzfußböden durch Waffenausstellungen. Die Niederländer haben wohl Feuerwaffen nach Japan gebracht, damit wurden Revolutionen niedergschlagen.
Dann steigt man auf Socken enge Treppen und Leitern hinauf bis in die Burgspitze. Von dort hat man einen schönen Blick über Matsumoto.
Als wir gerade oben sind, kommt eine Schulklasse die Leitern herauf, und plötzlich stehen Modnerd und ich bis zur Hüfte in schnatternden Kindern in Schuluniformen. Bloß weg hier! Aber wie?! Leiter und Ausgang sind mit Kindern verstopft! Es dauert Minuten, bis wir uns endlich einen Weg hinab gebahnt haben und uns zur Belohnung ein Getränk und ein Eis aus einem der allgegenwärtigen Automaten ziehen.
Vor der Burg war einst eine sehr große Palastanlage mit Hunderten von Zimmern, aber darin erinnern heute nur noch Schilder und die Grundrisse im Boden.
Weiter durch die Berge, und jetzt übernehme ich das erste Mal den Aqua. Das erste Mal, dass ich im Linksverkehr fahre. Das habe ich bislang noch nie gemacht, und wenn ich bislang versuchte mir vorzustellen, auf der verkehrten Straßenseite zu fahren, verknotete sich mein Hirn und bekam Angst. In der Realität ist es nicht mein Hirn, dass mir in die Quere kommt, es ist der Körper.
Mein Körper kann stundenlang Auto- oder Motorradfahren, während ich in einem kleinen Teil meines Bewusstseins etwas anderes mache. Diese automatisch ablaufenden Prozesse, dieses Muskelgedächtnis des Körpers, stört nun. So will ich links abbiegen und das Hirn WEIß, dass die Bedienelemente im Auto spiegelverkehrt sind, aber der Körper greift ganz automatisch mit der linken Hand zum Hebel um den Blinker zu setzen und zuckt dann auch noch zusammen, als unvermittelt der Scheibenwischer losgeht.
Schlimmer: Jedes Mal, wenn ich nach einer Kreuzung hochschalten will, greift die rechte Hand automatisch dort hin, wo der Schaltknüppel sein müsste – und landet in der Türverkleidung. Dabei ist Schalten ohnehin völlig unnütz, denn der Aqua ist ein Automatikwagen. Damit muss ich mich doppelt umstellen, und prompt tritt die ersten Male, als ich bremsen will, der linke Fuß auf eine vermeintliche Kupplung und der Aqua hoppelt, weil ich natürlich gleichzeitig auf Gas und Bremse stehe. “Grhm”, grummelt Modnerd, dem bei solch einem Unfug schnell schlecht wird.
Nach einiger Zeit habe ich mich an die Automatik und den Linksverkehr gewöhnt, nur beim Abbiegen müssen Körper und Hirn sehr aufmerksam sein, um nicht in die verkehrte Spur zu gelangen. Einmal passiert es doch fast, aber zum Glück hat Modnerd stets ein wachsames Auge und passt auf, was ich tue. “FALSCHE SPUR”, ruft er sofort, als er meine Unachtsamkeit bemerkt und ich ziehe den Aqua ruckartig aus der Gegenfahrbahn wieder in die richtige Richtung. Modnerd quittiert das mit einem “Grhm”. Sorry, Freund.
Nicht gewöhnen tue ich mich aber an die extreme Langsamkeit des Verkehrs. Innerorts 40, außerorts 60 km/h, das ist man nicht viel und ich muss ständig bewusst darauf achten nicht zu schnell zu fahren. Es geht durch ländliche Gebiete, dünn besiedelt und landwirtschaftlich geprägt.
Ist schon erstaunlich. An den Küsten ist ist die Hauptinsel von Japan flach, da sprawlen die Megastädte mit Millionen von Einwohnern. Aber unmittelbar hinter den Metropolregionen erheben sich die Berge, da sind praktisch sofort nur noch winzige Orte, und in manchen Regionen ist einfach so gut wie nichts mehr.
Unterwegs kommen wir in Baustellen an Warnbaken vorbei, die die Form von Comichäschen oder -Pandas haben. Auch das ist Kawaiix, der Designstil der Niedlichkeit, den wir im Westen in Alltagsgegenständen so nicht kennen.
Bei Einbruch der Dunkelheit, gegen 16.30 Uhr, kommen wir am Tagesziel an. Der Ryokan Miyataya liegt am Rand des winzigen Ortes Sawatari, mitten in den Bergen. Kleine Holzhäuser säumen die einzige Straße, in den Erdgschossen sind hier und da kleine Cafés und Lädchen, aber alle geschlossen.
Ein Ryokan ist ein klassischer japanischer Gasthof. Am Empfang bekommen wir von einem Herrn in einem klassischen japanischen Hausmantel die Zimmerschlüssel gereicht. Der Gasthof zieht sich über mehrere Gebäude und zwei Stockwerke am Rande eines Berghangs entlang.
Unser Zimmer ist ziemlich groß und traditionll eingereichtet. Es besteht aus einem kleinen Vorraum, einem Badezimmer mit Dusche, einem Hauptraum mit Tisch und einer Nische für Blumen und einem kleinen Wintergarten mit zwei Stühlen und einem Tisch. Klassisch wird hier auf dem Boden übernachtet, der mit Strohmatten (Tatami) ausgelegt ist, auf denen Futons ausgerollt werden.
Wir halten uns aber nicht lange hier auf, denn dieser Ryokan hat einen Onsen, d.h. er hat eine Thermalquelle mit einem Bad. Deswegen sind wir hier.
Wer einen Onsen nutzen möchte, muss sich an feste Regeln halten. Dazu gehört auch: Keine Verbrecher! Also keine Yakuza, und da nur Yakuza tätowiert sind, bedeutet das: Keine Tätowierungen. Mit Tätowierungen darf man nicht in Bäder. Krass, oder? Damit darf ein Durchschnittsbrite sich nirgendwo mehr entkleiden.
Ich krame aus meinem Rucksack selbstklebende, hautfarbene Binden heraus, die ich extra für diesen Zweck gekauft und aus Deutschland mitgebracht habe, und umwickele meinen tätowierten Oberarm damit. Schon ist der “Einsame Wolf”, den ich dort trage seit ich 16 bin, unter einem kaum sichtbaren Verband verschwunden.
In einem Schrank entdecken wir Hausanzüge, die aus einem Gewand ähnlich einem Morgenmantel und mit Gürtel und einer Weste bestehen. Diese Dinger werden Yukata genannt, und während mir mit meinen 1,70 Meter die Einheitsgröße gut passt…
…sieht die an Modnerd, der 1,92 groß ist, aus, als würde er eine Kinderversion tragen.
Wir greifen uns noch unsere Handtücher, jeder ein großes und ein kleines, dann gehen wir in den Onsen. Es gibt zwei Onsen, vor jedem hängt ein Vorhang mit Schriftzeichen, ein mal mit roten, ein mal mit blauen Symbolen. Die blauen kennzeichnen den Bereich für Männer, und obwohl ich das eigentlich weiß, laufe ich doch erstmal auf den verkehrten zu, bis Modnerd mich zurückpfeift. Gemeinsam betreten wir den Männerbereich.
Der besteht aus einem Vorraum, der mit Strohmatten ausgelegt ist. Auf einer Seite des Raumes sind Regale mit großen Weidenkörben, in die man während des Bads seine Sachen deponieren kann. Auf der anderen Seite des Raumes sind Spiegel, neben denen Föhne hängen und vor denen alle erdenklichen Pflegeprodukte liegen, vom Einwegrasierer bis zur Hautcreme.
Zum Glück sind wir allein, d.h. wir können jetzt alles falsch machen, ohne das uns jemand tadelnd anguckt. Oder, noch schlimmer, “tsk” macht.
Ich mache gleich den ersten Fehler und latsche durch den Umkleideraum in den Badebereich, und zwar IN DEN SELBEN SCHUHEN, was schon mal gar nicht geht. Beschämt stelle ich die Schuhe wieder zurück in den Umkleideraum, wo sie aber auch schon nicht hingehören.
Der richtige Ablauf wäre gewesen, die Hausschlappen am Eingang zum Umkleidebereich gegen Badeschlappen zu tauschen, dann alle Gegenstände und jegliche Kleidung und das große Handtuch im Umkleideraum in einen der Weidenkörbe zu legen und schließlich die Badeschlappen zurück zu lassen. Danach geht man völlig nackt, nur mit dem kleinen Handtuch in der Hand, in den Badebereich.
Ich habe meine Brille noch auf, weil ich ohne die ja nichts sehe, aber das ist tatsächlich völlig unnütz. Im Badebereich ist es so heiß, dass meine Sehhilfe sofort beschlägt. Ich wische kurz die Gläser mit den Fingern frei und sehe mich um. Der Raum ist vielleicht 25 Qudaratmeter groß und aus dunklem Beton. Er wird zur Hälfte von zwei Becken eingenommen, einem sehr kleinem und einem großen Badebecken.
Hinter dem Becken ist eine Glasfront. Vermutlich Fenster, aber draußen ist es schon dunkel und die Scheiben sind beschlagen, deshalb kann ich nicht sehen was dahinter ist. Neben den mutmaßlichen Fenstern ist eine Tür eingelassen. Der Raum hat etwas höhlenartiges, und da er in den Berg eingelassen sein muss, kommt das auch hin. An der Wand rechts neben dem Eingang sind auf Kniehöhe eine Reihe von Duschen angebracht, davor stehen Schemel und Eimer aus Kunststoff. Ich präge mir die Position aller Dinge im Raum gut ein, dann nehme ich meine Brille ab und lege sie in den Weidenkorb im Vorraum.
Zurück im Baderaum gehe ich zu den Duschen. Modnerd und ich haben im Vorfeld intensiv zu den Abläufen in einem Onsen gelesen und wissen, dass wir uns zuerst gründlich reinigen müssen, bevor wir in irgendwelche Badebecken dürfen.
Eine sehr gute Quelle zu Infos über ALLES was mit Japan zusammenhängt ist übrigens das Blog von Tessa unter wanderweib.de . Dort kann man detailliert nachlesen, wie man einen Onsen besucht, ohne sich zu blamieren.
Ich nehme auf einem der Schemel Platz und greife mir die Dusche. Im Sitzen dusche ich mich einmal ab, dann nehme ich einen großen Hub aus dem Seifenspender, der neben der Dusche ist. Ich seife mich von Kopf bis Fuß gründlich ein und produziere eine ordentliche Menge Seifenschaum, dann dusche ich mir alles wieder sorgfältig vom Körper.
Neben mir tut Modnerd das gleiche. Hehe, endlich mal ein Badezimmer, das er nicht verwüsten kann, denke ich noch. Er steht auf und geht, ich fülle derweil noch den bereitstehenden Eimer mit Wasser und schütte mir den in einem Schwall über den Kopf. Woah, erfrischend!
Danach nehme ich mein kleines Handtuch, das Taoru (eine Wortverschleifung von “Towel”), erhebe ich mich und gehe hinüber zum Badebecken, aus dem Modnerd gerade schon wieder herausklettert. “Heiß”, sagt er, und “Ich gucke mal wo die Tür hinführt”. “Mach das”, sage ich und lasse mich in das Wasser gleiten. Das ist nicht nur warm, das ist HEISS. Meine Güte! Ganz langsam lasse ich mich vom Beckenrand hinab. Das Becken ist am Rand vielleicht 80 Zentimeter tief, ich kann darin so halb sitzen. Ich schließe die Augen und atme die feuchte, warme Luft tief ein.
Was ist das eigentlich für ein seltsames Geräusch? Es kommt aus der Richtung der Dusche, die Modnerd gerade benutzt hat.
Das kann doch nicht… Ich schwinge mich aus dem Wasser und tappe vorsichtig zu den Duschen hinüber. Er hat es WIEDER geschafft! Meine Fresse, der ganze Raum hier ist ein einziges, großes Badezimmer, es gibt nur diese Duschen an der Wand, einen Seifenspender, einen Eimer und einen Schemel, alles darf nass werden und TROTZDEM hat Modnerd es wieder geschafft, das alles völlig unachtsam zu hinterlassen.
Der Duschkopf ist nicht eingehängt sondern liegt auf dem Boden, und die Dusche ist nicht ganz abgedreht, sondern läuft noch ein wenig. Der Strahl trifft auf den Boden des umgestoßenen Eimers, was das komische Geräusch erzeugt. Der Schemel ist voller Seifenschaum, da mag sich der nächste Gast bestimmt nicht reinsetzen. Seufzend nehme ich den Duschkopf, brause den Hocker ab, stelle den Eimer aufrecht hin, dann drehe ich die Dusche ganz aus und hänge den Duschkopf in die dafür vorgesehene Halterung. Dann muss ich grinsen. Modnerd hat viele Talente, und kann viele Dinge sehr gut, aber Badezimmer, die kann er nicht.
Noch einmal lasse ich mich in das heiße Wasser sinken und schließe die Augen. Außer dem Nachlaufen des Wassers in das Becken ist es ganz ruhig. Das heiße Wasser kommt übrigens direkt aus der Erde. In Japan gibt es ja überall vulkanische Aktivität direkt unter der Oberfläche, deshalb gibt es vielerorts heißen Sand oder heiße Quellen. Wird darüber ein Badehaus gebaut, darf es sich Onsen nennen. Badehäuser ohne Vulkanquellen dürfen den Begriff nicht führen, sie müssen sich Sento nennen.
Die heiße Luft tut meinen angeschlagenen Atemwegen gut. Ich bin immer noch erkältet und habe einen rauen Hals und muss viel Husten, aber jetzt merke ich, wie sich das ein wenig entspannt.
Nach einigen Minuten wird mir schon zu heiß, und ich klettere aus dem Becken und trete durch die beschlagene Glastür in der Front der künstlichen Höhle. Draußen ist dunkel und kalt. Wir sind in den Bergen, und die Temperaturen sind niedrig einstellig.
Im Licht eines Außenscheinwerfers sehe ich ganz verschwommen, weil ohne Brille, einen kleinen Steg, der zu einer kurzen Holztreppe führt. An deren Fuß ist eine kleine Terrasse aus festgestampfter Erde mit einem Holzgeländer davor befindet. Sie ist in den Berghang gebaut ist und überblickt das Tal, von dem ich im Dunkeln aber nichts erkenne kann. Sie ist umgeben von Bäumen, die herbstlich bunt sind. An einem Rand ist ein Badebecken aus großen Natursteinen, das von einem Holzdach überkront ist. Das Becken dampft, der darin befindliche Modnerd auch. Ich steige vorsichtig ins Wasser hinab und lege dann mein mittlerweile klitschnasses Taoru auf den Kopf. So machen es die Japaner auch, damit der Kopf nicht kalt wird.
“Irre hier, oder?”, frage ich, weil mir nichts Besseres einfällt und ich ohnehin zu sehr damit beschäftigt bin, mir das alles hier einzuprägen. “Puh”, macht Modnerd, und kurze Zeit später sagt er “Ich muss mal wieder raus, mein Kreislauf…”.
Ich verstehe. Große Menschen und heißes Wasser, da kippt der Kreislauf schnell um. Habe ich zum Glück kein Problem mit, ich bin kompakt gebaut und mein Kreislauf ist so belastbar wie ein Shetlandpony. Meistens.
Fast zehn Minuten sitze ich in dem heißen Steinbecken, höre das Zirpen von Grillen und das vereinzelte Singen von Vögeln. Dann erhebe ich mich aus dem heißen Wasser und spüre die kalte Nachtluft wie Nadeln auf meiner Haut. Ich trete an das Geländer der Terrasse, die das dunkle Tal mit dem herbstlichen Wald überblickt. Im Licht des Außenscheinwerfers betrachte ich fasziniert erst meine Arme und dann den Rest meines Körpers, von dem Dampf aufsteigt.
Ich strecke die Arme aus und schließe die Augen. Völlig nackt und allein stehe ich auf dieser Terrasse, dampfend, in der eisigen Bergluft unter diesen herbstlichen Bäumen.
Ich genieße diesen Moment, bis die Kälte vordringt und ich den Rückzug in die Badehöhle antrete.
Kaum habe ich mich im Vorraum abgetrocknet und den Yukata wieder angelegt, fallen mir fast die Augen zu. Ich bin schlagartig todmüde. Zurück im Zimmer sehe ich, dass es Modnerd nicht anders geht. Da klopft es an der Tür, und eine Frau ruft etwas. “Das ist wohl unsere Abendessen”, sagt Modnerd und ist gleich wieder auf den Beinen.
Wir steigen eine Treppe nach oben und befinden uns damit im Erdgeschoß des Ryokan. Der Speisebereich ist nicht offen, sondern besteht aus mehreren kleinen Zimmern, die durch Papierwände und Schiebetüren abgeteilt sind. Am normal hohen Tisch stehen richtige Stühle, und es ist bereits gedeckt.
Kaum haben wir Platz genommen, bringen mehrere Damen Speisen herein und fragen nach unserem Getränkewunsch. Ich nehme kalten Sake, einfach weil ich sowas noch nie getrunken habe. Sake ist Reiswein, aber keine Ahnung wieviel Prozent der wohl hat. (Anmerkung des Zukunfts-Silencers: 15-20 Volumenprozent.)
Etwas gegessen wie jetzt aufgefahren wird habe ich auch noch nie. Es sind mehrere Gerichte und alles ist klein und köstlich, aber ich habe keine Ahnung was das alles ist. Bei einigen Dinge denke (und hoffe) ich es sind Pilze und Pflanzen, bei anderen schmecke ich, dass es Fisch sein muss. Aber ich weiß nicht was was ist und schon gar nicht, wie man es benennt.
Mir ist durch das Bad noch warm bis in die Knochen, und nun bin ich auch noch satt und durch den Sake sehr schön angetrunken. Zurück im Zimmer komme ich gar nicht mehr dazu viel Reisetagebuch zu schreiben, sondern falle nach dem Zähneputzen ins Bett und bin sofort eingeschlafen.
6 Gedanken zu „Reisetagebuch Japan (7): Breakfast for Champions“
Das ist schon echt krass:
Da interessiere ich mich eigentlich SOWAS von GAR nicht für diese Region der Erde und dann kommst Du daher, erzählst von Deiner Reise und – schwupp – kann ich mich von den Erlebnissen nicht mehr losreißen!
Ergo sehe ich mich irgendwie genötigt, trotz der “Mit-ohne-Mopped-Reise” der Fortsetzung entgegen zu fiebern und all den horizonterweiternden und phantasieannregenden Input zu inhalieren, den Du so galant “mal eben fix nebenbei” in Deine Beiträge einstreust.
*seufz*
Merci! Das Lob bedeutet mir viel!
Wieder einmal unglaublich gut und erfrischend geschrieben. Herrlich zu lesen, da bekomme ich Lust auf Japan.
Hübsche Burg, ich mag Kawaii und Onsen 🙂
Danke für den Bericht!
@ Dirk Rössner: Danke!
@Kalesco: Ach, mit 2 “i” – alles, klar, sonst wäre es die Firma für Musikinstrumente 🙂
60 kmh, wusste ich nicht.
Das erklärt aber sofort den beliebten Autobahntourismus der Japaner in Deutschland 😀