Reisetagebuch Japan (11): Fieberträume im Bambuswald
Reise durch Japan. Heute mit Kimonos und Hochqualitätsbambis.
11. November 2020
Kyoto, “The B Hotel”
Und dann ruft Anja Rützel an und will ein Taxi, aber weil ich in einer Telefonzelle wohne und die zu eng zum Schuhe anziehen ist, komme ich zu spät um sie abzuholen.
Zwölf Stunden habe ich geschlafen, mich herumgewälzt, irres Zeug geträumt. Nahe an der Grenze zu Fieberträumen, und tatsächlich: Das Thermometer zeigt 38,7 Grad, das ist satt erhöhte Temperatur an der Grenze zum Fieber. Ich schwanke ein wenig durchs Zimmer und unter die Dusche, dann steht der Entschluss fest: Ich will nicht weiter im Bett rumliegen und Kyoto verpassen. Ich will raus, und wenn ich merke ich kann nicht mehr, kann ich immer noch zurück ins Hotel. Also los.
Ich habe keinen Hunger, und Modnerd hält sich auch nicht lange mit Frühstück auf. Ein Instantkaffee, ein Teilchen aus dem Conbini-Markt, und schon sitzen wir in einer kleinen Bahn, die Kyoto Zentrum Richtung Westen verlässt.
Am Bahnhof Arashimaya im Westen der Stadt steigen wir aus. Anscheinend kostet die Nutzung des ÖPNV in Kyoto immer den gleichen Betrag, 230 Yen. Problem dabei: Unsere Suicas, die lustigen Pinguinkarten, die uns in Tokyo das Rumhantieren mit Kleingeld erspart haben, funktionieren an diesem Bahnhof nicht. OK, auch kein Problem, dann zahle ich halt in Bar.
Am Bahnhof stehen überall bunte Säulen herum. Die sind aus Plexiglas und im Inneren sind Kimono-Stoffe. Das nennen sie hier “Kimono-Wald”.
Ein Kimono, so lerne ich nebenbei, ist ein klassisches, japanisches Kleidungsstück. Kimonos gibt es in fast unveränderter Form seit über 1.000 Jahren. Es gibt sowohl Kimonos für Männern als auch für Frauen und für verschiedene Anlässe, wobei sie sich dann in Stoffmuster und Farben unterscheiden.
Jeder Kimono besteht aus genau einem Ballen Stoff, der dafür komplett und von Hand verarbeitet wird. Kimonos sind sehr teuer. Die “Grundausstattung” kostet um die 10.000 Euro, ein komplettes Gewand inkl. Unterkleidern, Socken und Sandalen kann schon mal 20.000 Euro kosten. Also, wirklich Euro, nicht Yen.
Um die wertvollen Kleidungsstücke zu waschen, wurden Kimonos früher aufgetrennt, einzelne Teile gereinigt und anschließend wieder zusammengenäht. Alte Kimonos wurden und werden auseinandergenommen und zur Herstellung neuer Kimonos verwendet.
Ein klassischer Kimono wird immer gewickelt, geklemmt und gefaltet, was eine echte Kunst und allein kaum zu bewerkstelligen ist. Vor besonderen Anlässen kann man sich deshalb einen Kimono-Anleger ins Haus kommen lassen, der einen fachgerecht einwickelt.
Der komische Anbau, den manche Frauen am Po tragen, hat mich immer schon interessiert. Was ist das? Ein Sitzkissen? Oder eine Tasche, in der Dinge befördert werden? Mache der Teile haben die Ausmaße von Kühltaschen, das könnte schon praktisch sein, darin das Picknick für die ganze Familie herumzutragen. Dem ist aber nicht so, es handelt sich bei dem “Obi” lediglich um einen geschlungenen Gürtel, da ist nichts Sinnvolles drin und die Verdickung dient auch keinen besonderen Zweck, soweit ich das rauskriegen konnte.
Vor dem Bahnhof ist eine breite Hauptstraße mit allerhand Geschäften. Man ist hier auf Touristen eingestellt, die alle das gleiche Ziel haben wie Modnerd und ich gerade: Sie wollen in den Bambuswal der hier wächst und eine echte Attraktion ist.
Der Bambuswald beginnt nur wenig Hundert Meter vom Bahnhof entfernt. Geteerte Wege mit Zäunen führen in den Bambuswald hinein. Aber kaum das wir ihn betreten, beginnt es zu regnen. Also, so RICHTIG zu regnen.
Das Wasser platscht nur so vom Himmel. Während alle um uns herum plötzlich Regenschirme in der Hand haben und in Ruhe den Bambus bestaunen, müssen Modnerd und ich die Köpfe einziehen und über die Wege eilen, während wir nach Schutz vor dem Wolkenbruch suchen. In der Mitte des Waldes ist ein gekiester Platz, an dem ein Schrein, einige Andenken- und Imbissbuden und ein Restaurant stehen.
Wir flüchten unter das schmale Dach an der Seite einer Imbissbude und gucken von dort in den Regen und den moosgrünen Wald. Nach kurzer Zeit langweilen wir uns ganz fürchterlich. Aber es hilft nix – Modnerds Regenschirm liegt im Hotelzimmer, und meine M65 ist zwar imprägniert, aber das hilft nicht gegen Sturzregen, die Jacke ist bereits jetzt völlig nass. Ich hasse es nass zu sein. Ausgerechnet jetzt – ich bin ohnehin krank, und nun stehe ich auch noch mit nassen Klamotten und frierend im Wald rum.
Zwischendurch wirkt es kurz so, als würde der Regen nachlassen. Schnell kommt ein Mann in weißer Kleidung aus dem Imbiss gesprungen, greift sich einen Reisigbesen und fegt in großen Schwällen das Wasser aus den tiefen Pfützen. Wir wagen uns unter unserem Unterstand hervor, aber kaum, dass wir ein paar Schritte in den Wald hinein gemacht haben, regnet es gleich wieder.
Das hat so leider keinen Sinn, und deshalb eilen Modnerd und ich wieder zum Ausgang.
Was passiert, ist klar: Kaum haben wir den Wald verlassen und sind wieder am Bahnhof, hört es auf zu regnen und die Sonne kommt raus. Arschlochwetter, denke ich.
Egal. Wir fahren mit der Bahn zurück in Richtung Kyoto Stadt. Am Zielbahnhof wird wieder unsere Pinguinkarte abgelehnt. Ich werfe ein 500 Yen-Stück in den Ausgangsautomaten, woraufhin der zu rattern beginnt und so ungefähr ein halbes Kilo Münzen in eine Schale rotzt. Was soll das denn?! “Change”, sagt eine freundlich lächelnde Frau in Uniform. Echt jetzt?! Das hier soll das Wechselgeld sein? Leicht indigniert klaube ich einen Berg Münzen aus der Schale und stopfe ihn in meine Hosentaschen. Anschließend laufe ich mit Schlagseite.
Kurze Zeit später laufen wir an einer Tankstelle vorbei, die Shell als “Community Plaza” vermarktet. Klar, sicher. “Wo sollen wir heute Abend hingehen?” “Lass uns was cooles machen! Auf zur Community Plaza!”
“Warum latschen wir hier rum?”, frage ich Modnerd, als wir durch ein Wohnviertel laufen. Ein gutsituiertes Wohnviertel, wie es aussieht. Die Häuser sind zwar winzig und stehen dicht gedrängt, aber es sind Einfamilienhäuschen, die sogar Parkplätze vor der Tür haben – völliger Luxus!
“Da gibt´s so einen krassen Tempel”, sagt Modnerd. Aha. Ich frage besser gar nicht nach dem Hintergrund, ob es sich um einen buddhistischen Tempel handelt oder um einen Shintō-Schrein oder wie alt das Bauwerk wohl sein mag.
Der krasse Tempel liegt in einem Park, für den man Eintritt zahlen muss.
An einem von Kiefern umstandenen See liegt der Tempel, und der ist wirklich krass – er glänzt golden. Vermutlich kommt daher auch der Name, Kinkaku-ji heißt wörtlich “Goldener Pavillon Tempel”.
Auf dem Dach des Tempels sitzt ein goldenes Huhn!
Der Park ist nicht besonders groß, aber sehr schön und harmonisch.
Am Ausgang interessiert sich Modnerd für seltsame Getränkeautomaten und studiert das Angebot eingehend. Ich habe wackelige Knie. “Du, ich setze mich da vorne mal hin”, sage ich und eiere unsicher zum Rand eines Busparkplatzes.
Dort lasse ich mich auf eine Bank fallen und schnaufe tief durch, was in einem Hustenanfall mündet. Blass und kodderig lege ich den Kopf in den Nacken und atme tief durch. Dann google ich mal, was denn das eigentlich für ein Tempel war, den wir da gerade gesehen haben.
Tripadvisor ist immer wieder eine launige Quelle für lustige Kommentare. Unter die Beschreibung des Tempels hat ein Nutzer geschrieben:
“Hier, für Dich. Die Frau da sagt, Du siehst aus als könntest Du das brauchen”, sagt Modnerd und drückt mir einen Becher in die Hand. Da drin schwappt eine grüne, warme Flüssigkeit herum, in der winzige Partikel schwimmen.
Ich gucke in die angegebene Richtung und sehe eine Frau hinter einem Klapptisch, die mir freundlich winkt. Ich sehe wieder den Becher an und und nuschele “Wassen das?” “Matcha mit Blattgold, glaube ich”, sagt Modnerd. Vorsichtig nehme ich einen Schluck. Es schmeckt sehr süß und ziemlich widerlich. Ich lache der Frau zu und hebe einen Daumen. Sie lächelt und winkt.
Wir gehen zu einer Bushaltestelle in der Nähe und steigen in einen Ringbus ein. Busfahren in Kyoto ist was für Fortgeschrittene. Je nach Farbigkeit der Busnummer muss man mal vorne oder mal hinten einsteigen, mal eine Flatrate zahlen und mal wird nach Strecke abgerechnet. Der Bus, in dem wir jetzt sitzen, kostet 230 Yen, bezahlt werden soll beim Ausstieg.
Eigentlich, so hatte uns Google Maps gesagt, müssten wir nur 10 Stationen oder so fahren, um wieder in die Nähe der Innenstadt und damit des Hotels zu kommen. Dooferweise sind wir aber in die verkehrte Richtung in die Ringlinie gestiegen, und müssen nun ein Mal ganz um den Pudding fahren, um wieder zur Homebase zu gelangen. Das dauert lange, ist mir aber ganz recht. Mein Kopf fühlt sich so heiß an, als ob er gleich explodiert, gleichzeitig zittere ich am ganzen Körper, weil ich friere wie ein Schneider. Ich will gar nicht laufen, ich will nur hier sitzen und meine heiße Stirn an die kühle Fensterscheibe drücken.
Zwischendurch gucke ich aber trotzdem mal auf´s Telefon und stelle fest, dass wir gleich am alten Kaiserpalast halten. Der muss doch sicher einen Blick wert sein! Bezahlt wird die Fahrt beim Verlassen des Busses, vorne beim Busfahrer.
Da gibt es ein Kontaktfeld für Debitkarten und, natürlich, einen Münzeinwurf. Modnerd aktiviert in seiner Apple Watch seine SUICA-Karte und hält sie an das Kontaktfeld. Das gibt einen traurigen Ton von sich und leuchtet rot. Zweiter Versuch – gleiches Ergebnis. Was soll das denn? Da ist doch das Pinguinzeichen, das bedeutet, dass man mit der SUICA zahlen kann, aber warum akzeptierte vorhin die Bahn und jetzt der Bus die Karte nicht? Diskriminieren die hier Pinguine und akzeptieren nur die Schnabeltier- oder die Flughörnchen-Karte?
Der Fahrer des Busses, der direkt neben der Bezahlstelle sitzt, wird nervös. Wir halten hier den Verkehr auf, er will endlich die Türen schließen und weiter. Modnerd hält ein letztes Mal die Uhr an das Feld und erntet wieder nur traurige Töne und rotes Licht, dann fängt er an nach seiner Kreditkarte zu kramen. Der Fahrer wird laut und hält einen Zettel hoch, auf dem in mehreren Sprachen etwas steht.
Ich meine lesen zu können “SUICA funktioniert nicht”. Oho, der Bus wird von Captain Obvious persönlich gesteuert, und jetzt wird er auch noch unfreundlich “Off the bus!” ruft er in einer erstaunlich exakten Imitation des Tonfalls des legendären Suppennazis und fuchtelt in Richtung Ausstieg. Modnerd steigt aus, ich halte dem Fahrer abgezählte 230 Yen hin. Aber das interessiert ihn gar nicht mehr, der ist in Rage und für einen Japaner erstaunlich unfreundlich. “You!”, sagt der Busfahrer und funkelt mich wütend an, “Off the bus, too”.
Na, dann gehe ich halt ohne zu zahlen. Depp.
Der Kaiserpalast ist groß, aber geschlossen. Breite, gekieste Prachtwege führen durch einen Park, in dessen Bäumen Lautsprecher hängen, die ständig in mehreren Sprachen verkünden, dass man sich benehmen soll.
Ein Gärtner sitzt auf einem Wägelchen, vor das ein Rasenmäher gespannt ist. Von diesem Gefährt lässt er sich durch die Gegend ziehen.
Um die Ecke liegt die Burg Nijo, eine berühmte Sehenswürdigkeit, aber völlig überlaufen. Reisebusse und lange Menschenschlangen stehen vor dem Eingang. Nein, darauf habe ich keine Lust, und Modnerd auch nicht. Wir gehen lieber langsam in Richtung Hotel zurück.
Unterwegs kommen wir unter anderem an diesem Schild vorbei, und ich kriege einen Lachflash und mich gar nicht mehr ein. Hochqualitätsbambi!
Auch wenn ich krank bin, ich halte permanent die Augen offen, ob ich irgendwo das frustrierndste Getränk der Welt finde. Aber es zeigt sich nicht. Leider.
Ich lassen Modnerd alleine weiterziehen. Meine Beine sind wackelig, und immer wenn ich den Kopf drehe zucken Schmerzen durch den Hals und das Hirn fühlt sich an, als würde es im Kopf hin und herschwappen. 38,5, sagt das Thermometer nun. Ich nehme eine Aspirin, trinke einen Liter Wasser und lege mich ins Bett, stöhne und schwitze vor mich hin und falle in einen unruhigen Schlaf. Was Besseres fällt mir nicht ein.
3 Gedanken zu „Reisetagebuch Japan (11): Fieberträume im Bambuswald“
Hi,
ich lese sehr interessiert deine Reiseberichte. Wieder sehr geut geschrieben und auch noch mit Hintergrundinformationen. Mich interessiert, womit du deine Bewegungen loggst. Mit dem Handy oder hast du einen Logger, den du dann abends oder nach der Reise auswertest?
Danke!
Ich nutze tatsächlich einen dedizierten Datenlogger, einen QSTARZ BT-Q1000XT Travelrecorder. Das Ding kann wirklich nichts anderes als alle 5 Sekunden einen Datenpunkt setzen, aber das macht es sehr gut. Die Hardware ist uralt (muss so von 2005 sein) und läuft auf einem Nokia-Akku, der für 24-48 Stunden Betrieb reicht. Das Ding hänge ich abends an das Netbook und lese die Daten aus.
Bei Interesse kann ich ja tatsächlich mal einen Beitrag machen “Wie ich auf Reisen blogge” 😉
Klar, interessiert bestimmt auch andere,