Reisetagebuch Japan (15): Iya Valley

Reisetagebuch Japan (15): Iya Valley

Reise durch Japan. Heute gehen Modnerd und Silencer sich gegenseitig auf die Nerven. Außerdem: Es gibt mehrere POMPPFs, aber kein KLONK, dafür eine Reise in ein Tal mit Geisterdörfern und ganz besonderen Brücken.

Donnerstag, 14. November 2019, Hiroshima, Hotel Vista

Es ist kaum kurz vor Acht, als Modnerd und ich das ungeliebte Hotel hinter uns lassen und die Straße zum Bahnhof von Hiroshima laufen. Modnerds Rollkoffer rumpelt durch die Straßen, ich huste bei jedem dritten Schritt. Immerhin fühlt sich mein Hals definitiv besser an, und die erhöhte Temperatur ist ganz weg. Nochmal Glück gehabt, es hat mich nicht richtig erwischt.

Auf die Minute pünktlich fahren die Züge hier, und sie fahren auf den Meter exakt von der richtigen Stelle am Bahnsteig ab und immer in der richtigen Wagenreihung. Und wenn das einen Deutschen noch nicht genug verwirrt, dann wird er bestimmt beim Anblick des rosafarbenen Hello Kitty-Shinkansen konfus.

Seltsame Kombination, ein High-Tech-Zug der aussieht wie ein Raumschiff, aber in rosa und mit einer Comickatze. Aber nun, Japan halt, hier gibt es ALLES mit Hello Kitty-Motiven.

Wir nehmen heute Morgen einen etwas älteren Shinkansen. Der sieht von außen aus wie eine Ente, im Inneren wie Wohnzimmer von Omma.

Wieder bewundere ich das japanische System, am Endbahnhof nicht den Zug, sondern die Sitze herumzudrehen – so schauen alle immer in Fahrtrichtung und die Beschriftung der Wagendiagramme stimmt auch immer.

Der Shinkansen bläst uns in 30 Minuten von Hiroshima nach Okayama. Das sind rund 150 Kilometer. Dieses Mal ist der Bullett Train wirklich rasend schnell unterwegs, auf einer Hochgeschwindigkeitsstrecke, die wie mit dem Lineal zwischen die beiden Orte gezogen ist.

Bild: Google Earth 2020.

In Okayama angekommen laufen wir mitsamt Gepäck eine Straße hinunter.


Fünfzehn Minuten vom Bahnhof entfernt ist eine weitere Filiale des Mietwagenverleihers Times Rental. Hier wartet ein molliger Angestellter in einem Times-Overall bereits auf uns. Er spricht sehr gutes Englisch, und da wir dieses Mal auch keine Einwegsperenzchen vorhaben, gibt es bei der Übernahme des neuen Mietwagens keinerlei Probleme. Wieder haben wir einen Kleinwagen, dieses Mal aber einen reinen Verbrenner, einen kleinen, neuen Mazda Demio.

Modnerd klemmt sich hinters Steuer des Kleinwagens, pfriemelt seine Handyhalterung an die Scheibe, dann geht es hinaus auf die Straßen. Noch bevor wir um die zweite Straßenecke sind macht es “POMPPF” und die Halterung fällt mitsamt Telefon auf´s Armaturenbrett. Ich verdrehe leicht genervt die Augen.

Über die Stadtautobahn geht es raus auf´s Meer. Ja, wirklich – Okoayama liegt in der Nähe der Küste, und dort liegt die Große Seto-Brücke.

Das ist eine gigantische Brücke, die die beiden Hauptinseln Honshu und Shikoku miteinander verbindet. Einige ihrer Pfeiler ruhen auf kleinen Inseln im Meer.

Bild: Google Earth 2020.

Die Brücke ist ein Doppeldecker, unter der Fahrbahn für Autos verläuft eine Bahntrasse, die einzige zwischen Honshu und Shikoku. Mit mehr als 13 Kilometern länge ist die große Seto-Brücke die längste Doppelstock-Brücke der Welt, aber das ist eigentlich ein wenig gemogelt, denn sie besteht aus elf einzelnen Brücken, von denen sechs sogar eigene Namen haben. Jeder der Einzelbrücke trägt sich alleine, alle sind flexibel miteinander verbunden.

Ich bin sehr beeindruckt von den riesigen Konstruktionen, die der Öresund-Brücke oder der Golden-Gate-Bridge ähnelt. Beeindruckend ist auch der Ausblick auf das Meer und die anderen Inseln.

Ganz billig ist dieser Spaß aber nicht: Umgerechnet kostet eine Fahrt mit einem PKW über die Brücke rund 40 Euro. Aber gut, das ist immer noch billiger als mit dem Schiff zwischen den Inseln zu verkehren, und vor allen Dingen viel schneller. Oh, man kann von hier oben auf einen Leuchtturm hinabblicken, denke ich noch, und erschrecke mich, als es neben mit laut POMPFF macht und die Handyhalterung wieder über das Armaturenbrett kullert.

Nach rund zwei Stunden kommen Berge in Sicht, und zwischen Ihnen ein tiefer Einschnitt. Das ist das Iya-Tal, und das ist unser Ziel.

Die Insel Shikoku und ganz besonders die Präfekturen hier sind sehr dünn besiedelt. Es gibt eine Landflucht vom ländlichen Shikoku auf die zentrale Inseln Honshu mit ihren Megastädten. Zurück auf Shikoku bleiben nur die Alten, und die sterben langsam aus. Das Iya Valley bildet da keine Ausnahme, es ist auch dünn besiedelt, aber immerhin viel besucht.

Das enge Tal mit seinen steilen Wänden und den dichten Urwäldern ist ein beliebtes Ausflugsziel, gerade für Rentner, die in Bussen hier durchgefahren werden um die Aussicht zu genießen. Ganz besonders jetzt, im Herbst, wenn die Blätter der Bäume rot und golden leuchten.

Einer der Aussichtspunkte ist direkt an der Talflanke, die hier steil abfällt. Hier steht die Statue eines Jungen, der in die Tiefe uriniert. Quasi das Mannecken Pis von Japan. Der golden abgeschrubbelte Piephahn der Statue zeigt, dass es wohl auch in Japan den Aberglauben gibt, man müsse solche Statuen an bestimmten Stellen berühren.

Ich mache Bilder vom spektakulären Tal, als Modnerd ungeduldig wird. “Wir können hier nicht lange halten, das bringt den Zeitplan durcheinander”. “Hä?”, mache ich, weil ich nichts von einem Zeitplan weiß. Wovon redet Modnerd? “Im Moment liegen wir bis auf 10 Minuten noch im Zeitplan”, sagt er. “Den Du mir nicht mitgeteilt hast”, knurre ich zurück. “War doch klar, dass wir vor Sonnenuntergang am Gasthaus sein wollen”, schnaubt Modnerd zurückt. Ja sicher, aber die Sonne scheint doch noch 5 Stunden. Wieso haben wir es plötzlich eilig, und wo kommt dieser ominöse Zeitplan her? Grummelnd stapfe ich zurück zum Auto, dessen Fahrertür Modnerd gerade mit mehr Schwung als nötig zuknallt.

Anfangs ist die Straße noch gut ausgebaut, aber das ändert sich bald. Sie wird sehr schmal, dann einspurig und schließlich sehr, sehr kurvig.

In jeder Kurve stehen Spiegel, aber die sind oft im falschen Winkel eingestellt oder blind. Man sieht auf dieser einspurigen Straße schlicht nicht, ob von Vorne was kommt, und dafür fährt Modnerd gerade definitiv zu schnell. Ich mag so unübersichtliche Straßen eh nicht. Das hier ist kein entspanntes Fahren. Ich bin zwar nur Beifahrer, aber trotzdem angespannt. CHRR macht es plötzlich, als etwas die Wagenflanke auf der Beifahrerseite erwischt und ich nach Luft schnappe.

Modnerd hat versucht den Demio an einem entgegenkommenden Fahrzeug vorbei zu manövrieren und dabei nach rechts geguckt und nach links gelenkt. “Was war denn das?”, fragt er dann. “Felsen”, knurre ich. “Hat doch gar nicht Klonk gemacht”, sagt er. So langsam ich kriege Blutdruck. “Natürlich hat das nicht Klonk gemacht! Autos sind heute nicht mehr aus dickem Blech! Da macht nichts mehr Klonk, wenn es sich verformt”, sage ich. Beim Mazda übrigens schon gar nicht, der besteht zum Großteil aus Kunststoff.

“Ach, wir sind versichert. Locker bleiben”, sagt Modnerd, gibt Gas und saust im Halb-Blindflug um die Kurven.
Ich bin aber nicht locker, ich werde jetzt gerade wirklich sauer.

“Ich weiß genau, wo das Auto aufhört”, behauptet er jetzt, als ich nach Luft schnappe, weil er die Nase des Wagens viel zu dicht (und völlig unnötigerweise) an ein Hindernis steuert. Nein, weiß er nicht. Er hat sich den Demio nicht mal angesehen beim Einsteigen, woher will er ein Gefühl dafür haben wie groß die Kiste ist?

Ich beiße mir auf die Zunge. Modnerd fährt im Alltag kein Auto, nur im Urlaub. Ich fahre ständig Auto, und ich würde SO nicht fahren, schon gar nicht mit einem Wagen, hinter dessen Steuer ich erst seit drei Stunden sitze und dessen Außenmaße ich deshalb gar nicht im Gefühl haben KANN.

Was mich wirklich gerade fuchsig macht: Beim Fahren, egal ob Auto oder Motorrad, MUSS man ständig lernen und flexibel sein. Aber auch da tut Modnerd gerade so, als sei das nicht nötig. Im Gegenteil, als könne er jetzt auf Dinge, die er “nicht gewohnt ist” verzichten.

Das hatten wir heute auch schon mehrfach. Der Hinweis, dass das schlitzartige Heckfenster des Demio nicht taugt, um beim Rückwärtsfahren was sehen zu können, es dafür aber eine Rückfahrkamera gibt mit einem riesigen Display im Cockpit? “Rückfahrkamera bin ich nicht gewohnt”, sagt Modnerd, starrt durch den unnützen Sehschlitz und fährt praktisch blind rückwärts.

Dass das mittig genau auf Sichthöhe in die Windschutzscheibe geklebte Handy, das in Kombination mit der Sensorphalanx des Wagens eine Säule mitten im Sichtfeld bildet, hinter der sich eine ganze Horde von Radfahrern verstecken kann? “Da kann ich immer mit einem Auge drum rumgucken”. ARGH!

Nein, das ist nicht meine Art mit Fahrzeugen umzugehen. Modnerds Ignoranz gegenüber Risiken, die ich aus dem Alltag nun mal kenne, macht mich gerade Aggro. Denn Ignoranz im Straßenverkehr kann schnell katastrophale Folgen haben.

Bitte nicht falsch verstehen, Modnerd ist einer meiner besten Freunde. Seit über 20 Jahren sind wir befreundet, verstehen uns meist ohne Worte, leisten in unseren Arbeitsleben Großartiges und haben privat schon tolle Abenteuer erlebt. Ich würde mir für ihn einen Arm abhacken.

Aber sein Verhalten jetzt gerade beim Autofahren, dass macht mich gerade wütend. Ich bin aber auch gerade in der Laune dazu alles falsch zu verstehen und über zu bewerten. Schon deshalb spreche das jetzt nicht aus, das würde nur für böses Blut sorgen. Und wenig Routine hin oder her, Modnerd kriegt das mit dem Autofahren meist sehr gut hin. Aber das hier heute… nee. Als Fahrer mit signifikant mehr Erfahrung fliegt mir hier gerade das Blech weg.

Egal. Die Straße ist irgendwann sowieso leer, Menschen sehen wir erst wieder, als wir durch einen kleinen Ort fahren.

Aber Moment mal… wieso stehen die Leute so merkwürdig in der Gegend rum und bewegen sich nicht? Dann sehe ich einer der Personen ins Gesicht und erschrecke mich. Das ist kein Mensch, das ist eine Rupfenpuppe, die mich aus toten Knopfaugen anblickt! Überall stehen diese Puppen herum, am Straßenrand, auf Feldern, und sie blicken aus Fenstern und stehen in Häusern. POMPPF macht es in dem Moment und ich erschrecke mich noch mehr.

Was ist denn hier los?
Warum macht man das?

Für den Moment finden wir darauf keine Antwort, und ich bin froh, als wir aus dem Ort der Puppen wieder raus sind. Später werde ich lesen, dass es sich bei dem Ort um Nagora handelt. Das kleine Dorf hat kaum noch Einwohner, und deshalb hat eine alte Frau namens Agoya angefangen, Puppen nach dem Vorbild der ehemaligen Dorfbewohner zu machen.

Die Puppen sind nicht besonders gut und haben kaum Ähnlichkeit mit Menschen, aber Agoya stellt die mit großem Eifer her. Die Puppen stehen jetzt überall in Nagora rum und sind gruselig. Mittlerweile ist der Ort bekannt als ein von Puppen bewohnter Geisterort. Hätten wir angehalten, hätten wir durch die Fenster der Häuser Puppen in verwaisten Wohnzimmern sehen können; Puppen von Kindern in einer leerstehenden Schule, und Puppen von Bauern auf den Feldern.

Weiter oben im Iya-Tal halten wir an einem Parkplatz. Ich gucke mir an wo es vorhin am Auto “Chrr” gemacht hat. Zum Glück hat der Wagen nur Kratzer und eine kleine Macke am Radkasten abbekommen, nichts ernsthaftes.

Das Tal ist an dieser Stelle einige hundert Meter breit, allerdings hat sich ein kleiner Fluß so tief in den Boden eingefressen, dass es tief und spitz wie eine Schlucht ist. In einer kleinen Holzhütte sitzt eine freundliche Omi und verkauft uns Tickets, mit denen wir auf einen Pfad dürfen, der an einer Wand des Tals entlang und in den Wald führt. Nach einigen Hundert Metern stoßen wir auf mächtige Ranken, die aus dem Waldboden wachsen. Sie sind ineinander verschlungen und verschwinden waagerecht zwischen den Bäumen.

Etwas weiter den Weg hinab ist dann auch zu erkennen, warum die Ranken waagerecht sind: Sie sind mit einem Rankenpaar, das auf der anderen Seite der Schlucht wächst, zusammengewoben und bilden dadurch die Halterungen für eine natürliche Seilbrücke. Bei den Ranken handelt es sich um Weinstöcke, die hier seit 800 Jahren wachsen.

Zu dieser Zeit um 1200 herum ist angeblich ein Clan von Ausgestoßenen hier her gekommen um sich zu verstecken. Sie pflanzten die Weinbrücken, die von Natur aus gut getarnt sind, und die sich bei Bedarf, sprich bei Angriffen, schnell durchhacken ließen. Früher soll es dutzende dieser Brücken gegeben haben, heute sind es noch drei. Das hier ist die Oku-Iya Kazurbashi.

Vorsichtig setze ich einen Fuß eines der Bretter, die den Boden der Brücke bilden. Die einzelnen Trittbretter liegen weit auseinander. Durch die Zwischenräume kann man sehen, wie es rund 20 Meter in die Tiefe geht, bis in das felsige Flussbett hinein. Der Fluss führt gerade wenig Wasser, ein Sturz wäre also tödlich. Zum Glück bin ich schwindelfrei, und zusätzlich zu den Weinranken werden die Bretter von dünnen Stahlseilen gesichert. Kein Grund zur Beunruhigung also.

Die Sonne scheint durch die herbstbunten Blätter, das Flüßchen gurgelt vor sich hin. Ein schöner Anblick.

Wir laufen ein Mal über die Brücke und dann ein Stückchen stromaufwärts, bis zu einer komischen Konstruktion, die ein wenig wie eine Hundehütte aussieht, die an einem Seil befestigt ist, was wie eine Seilbahn über die Schlucht gespannt ist. Tatsächlich handelt es sich um einen Fahrstuhl – aber nicht einen der vertikal verkehrt, sondern horizontal. Mehrere Besucher stehen schon davor.

“Komm, das machen wir mal”, sagt Modnerd. “Och, Hm, muss nich´”, sage ich voller Begeisterung, aber da steht Modnerd schon hinter einem jungen Paar in der Schlange. Ws sagt eigentlich der Zeitplan dazu? Ist das vorgesehen?

Die steigen seitlich in die Hundehütte, die “Yakata” genannt wird, dann ziehen sie an ziehen sie sich Hand über Hand mitsamt der Hütte über die Schlucht. Die ganze Konstruktion dieser kleinen Seilbahn heißt “Yaen”, was wörtlich übersetzt “Wilde Affen” bedeutet, und es ist nicht schwer zu ahnen, woher das kommt.

Über das Seil verläuft sogar doppelt, so das wir von unserer Seite dieses Wägelchen wieder zurückziehen können. Die Kabine hat je vorne und hinten eine kleine Bank, auf die gerade je ein westeuropäischer Hintern passt. Modnerd und ich sitzen uns also praktisch gegenüber, das Seil verläuft auch durch die Kabine. Daran ziehen wir nun gemeinsam, und bewegen uns mitsamt der Hundehütteneartigen Gondel über die Schlucht.

“Das war lustig”, sagt Modnerd, als auf der anderen Seite herausklettern. Ich muss schmunzeln. Ja, das war es. Ein Bisschen wir auf einem Abenteuerspielplatz. Verflogen ist mein Ärger über diese Gurkerei vorhin.

Auf dem Rückweg kommen wir an der zweiten Weinbrücke vorbei.

Weiter fahren wir das Iya-Valley hinauf, bis in den Nijinotani-Nationapark. An einem Punkt sieht es aus als sei das Tal zu Ende, aber das stimmt nicht. Es zieht sich bis zum Meer hin, aber hier wuchert ein Bergkamm quer darüber und deshalb wirkt es, als ginge es nicht weiter.

Bild: Google Earth 2020.

Schön ist aber, dass man von hier aus das bisherige Tal überblicken kann.

Am Ende der Straße ist ein großer Parkplatz und einige Häuschen, die um eine Seilbahnstation herumstehen. Von der kann man auf den Tsurugi hinauffahren, den höchsten Berg in der Umgebung und im Winter bei Skifahrern beliebt. In Japan geht beides, da kann ein Berg ein heiliger Schrein sein und ein Ort der sportlichen Vergnügung.

Der ganze Ort durch den wir gerade laufen und auch die Station wirken verlassen, nur im Ticketschalter des Sessellifts sitzt ein gelangweilt guckender Mensch.

Modnerd will eigentlich unbedingt auf den Berg, ich habe da nicht wirklich Lust drauf. Der Grund: Die Tickets sind mit über 20 Euro gesalzen teuer, und es ist deutlich zu sehen, dass die Bergspitze von dichten Wolken verhüllt ist. Wir würden also ordentlich Geld bezahlen, um dafür ohne Aussicht in klammen und kaltem Dunst herumlaufen zu dürfen. Und kalt ist es schon hier am Fuß des Berges, wir haben nur 4 Grad, ich möchte gar nicht wissen, wie die Temperaturen auf dem fast 2.000 Meter hohen Berg sind.

Das sieht auch Modnerd ein, und nachdem wir etwas ziellos durch die Seilbahnanlage und den Ort gelaufen sind, setzen wir uns wieder in den Mazda und fahren zurück das Tal hinab. Die Sonne verschwindet bereits hinter den Berggipfeln.

Wir fahren den Weg zurück, den wir gekommen sind. Durch das Dorf der Puppen, die Kurvenstrecke mit den blinden und verbogenen Spiegeln und dem Manneken Pis bis zu einem kleinen Ort, in dem wir kurz halten um die dritte der Weinbrücken zu bestaunen.

Da sie näher am Taleingang liegt, ist sie deutlich stärker besucht. Am Talrand ist ein riesiges Parkhaus auf Stelzen an die Felsen geflanscht worden, um die Besucherfahrzeuge irgendwie unterzubringen.

Es wird bereits wieder dunkel, als wir an unserer Unterkunft eintreffen. Das “Guesthouse Yoki” liegt direkt an einer Brücke über das Tal, ein kleines, alleinstehendes Häusschen, dass wie eine Holzhütte wirkt.

Hier erwartet uns bereits Usin, eine junge Frau mit Hornbrille, die uns freundlich und in absolut perfektem Englisch begrüßt. Als ich meiner Freude Ausdruck verleihe, dass sie für eine Japanerin ein tolles Englisch spricht, bricht sie in ein grübchenbewährten Lachen aus und sagt “Liegt vielleicht daran, dass ich Tawanesin bin!”

Das Café Yoki ist ein kleines Gasthaus, eingerichtet wie ein Cottage oder eine Lodge: Viel Holz, gemütlich bullernde Kerozinöfen….

… und ein Schild, das verdächtig nach Twin Peaks aussieht.

Im Erdgeschoss ist ein Café und Restaurant, die eigentliche Einnahmequelle des Yoki. “Ist aber schon geschlossen”, sagt Usin. “Die Saison ist vorbei. Ihr seid mit die letzten Übernachtungsgäste, bevor wir über den Winter schließen”. Über dem Café liegen drei oder vier Gästezimmer. Die Gäste können auch eine kleine Küche nutzen, aber das lassen wir mal lieber.

Vorbildlich beschriftet: Wasserkocher. Vor einigen Tagen standen wir vor so einen Ding und wussten nicht, wie wir das bedienen sollten.

Modnerd und ich rollen unsere Futons aus…

…als wir aus dem Nebenzimmer erst laute Stimmen hören, die miteinander streiten, dann ein hochfrequentes Geräusch von Elektromotoren, dann geht der Streit weiter. Modnerd und ich sehen uns an und denken das selbe: Chinesen.

Japaner und Chinesen kann man nicht auseinanderhalten? Doch, natürlich kann man das. Ist ganz einfach. Ist jemand mit asiatischem Aussehen leise, rücksichtsvoll und höflich, ist er Japaner. Prollt die Person laut rum, benimmt sich wie die Axt im Walde und geht einem binnen zwei Sekunden auf den Sack, ist es ein Chinese. Nebenan streitet definitiv ein chinesisches Paar, und zwischendurch lassen sie eine Drohne im Zimmer fliegen. Kein Witz.

Usin hat uns im Gastraum ein Abendessen angerichtet, das wir uns gierig einverleiben. Immerhin haben wir praktisch den ganzen Tag über nichts gegessen.

Vielleicht sind wir uns wegen der leeren Mägen heute etwas gegenseitig auf die Nerven gegangen. Vielleicht gehört das aber auch einfach dazu, dass man nach zwei Wochen gemeinsam auf Tour mal an einen Punkt kommt, an den man sich ein wenig anzickt.

Das Gute an der Freundschaft mit Modnerd ist aber, dass wir uns immer schnell wieder einkriegen, und vor allem: Das keiner von uns nachtragend ist. Sicher, wir sind häufig unterschiedlicher Meinung und streiten dann sogar sehr heftig. Aber wir stellen nie die Basis unserer Freundschaft in Frage, und ist eine Situation geklärt, dann ist sie für immer erledigt und wird nicht bei nächster Gelegenheit wieder rausgeholt. Das macht unsere Freundschaft sehr angenehm und zu einer der wenigen, die mir wirklich wichtig sind.

Ich gehe erstmal duschen. Als ich aus dem Gemeinschaftsbad zurückkomme, liegt Usin vor unserem Zimmer auf dem Boden, fummelt an einem Kerosinofen herum und plaudert mit Modernd. Die Gesprächsfetzen, die ich so mitbekomme, deuten darauf hin, das sie Saisonarbeiterin und ein wenig Digitalnomade ist, die Nebenbei was mit Webdesign macht. In der Winterpause wird sie zu ihrem Freund nach Tokio gehen.

Ich lese ein wenig in der urigen Lodge, aber schnell wird mir zu kalt, und ich flüchte erst zur Wärme des Kerosinofens und dann ins Bett.

Tour des Tages: Von Hiroshima nach Okayama, von dort ins Iya Valley.

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