Muss man Weihnachten mit der Familie, oder schlimmer noch, mit Familienbesuchstouren verbringen?
Oder ist was dran an der Behauptung, dass das hier das „Schlimmste Weihnachten seit dem zweiten Weltkrieg“ sei? Viele Menschen scheinen sich es sich gar nicht vorstellen zu können, Weihnachten allein oder nur im Kreis der eigenen Kernfamilie zu verbringen.
Für mich persönlich habe ich diese Frage schon vor langer Zeit entscheiden. Ich verbringe Weihnachten schon seit Jahren in ganz kleinem Kreis, und mindestens der zweite Weihnachtsfeiertag gehört nur mir.
Ich bin aber auch in einer besonderen Situation, habe selbst keine Kinder, die meisten Verwandten sind tot oder seltsam oder weit weg, und dazu kommt, dass ich gerne alleine bin.
Das heißt nicht, dass dieses Jahr nicht doch anders ist. Den einen Besuch am heiligen Abend, der mir wichtig ist, habe ich schweren Herzens abgesagt, weil ich kurz vor dem Fest noch auf´s Amt und damit in eine schlecht gelüftete Großraum-Amtsstube voller mies gelaunter und keine Masken tragender Schreibtischtäter musste. Da gehe ich jetzt lieber auf Nummer sicher und bleibe mit meinem Hintern zu Hause.
„Aber der Oppa wünscht es sich doch so, seine Enkel zu sehen! Und der ist doch schon so klapprig“ Deshalb fahren wir hin, aber nur zum Kaffeetrinken“, höre ich aus dem Bekanntenkreis. Ja, nee. Ein Kaffeetrinken in der Muffelbude reicht für eine Ansteckung, gerade bei kleineren Kindern ist die Vermeidung von Körperkontakt eine Illusion. Und ganz ehrlich, was Oppa will wäre für mich völlig unerheblich. Der realisiert ja vielleicht nicht mal den Ernst der Lage.
Ich habe mir zu der Frage „Andere Leute besuchen ja oder nein“ schon im März Gedanken gemacht und bin zu dem Schluss gekommen: Ich kann sehr gut damit leben, meine Freunde und Verwandte mal nicht zu sehen. Ich könnte aber nur sehr schwer damit leben, wenn ich es wäre, der ihnen eine tödliche Infektion beigebracht hat.
Ich musste mich früh damit auseinandersetzen, weil ich bis Januar jede Woche meine alte Vermieterin besucht habe. Zweiundneunzig Jahre war sie mittlerweile, lebte im Altersheim und war völlig tüddelig. Sie war schwach und abgemagert, und das Gedächtnis war völlig hinüber, aber sie erkannte mich immer noch und freute sich, wenn ich ihr Klatsch- und Tratschzeitschriften vorbeibrachte.
Die Wahl war nun: Sie weiterhin besuchen, damit sie sich ein wenig freut, dabei aber Infektionen riskieren? Oder sie allein im Heim lassen bis nach der Pandemie, in dem Bewusstsein, dass vielleicht der Besuch im Januar der letzte war? Ich musste darüber nicht lange nachdenken. Wir haben uns nicht wieder gesehen, im Oktober ist sie an Altersschwäche gestorben.
Keine anstrengenden Besuchstouren an Weihnachten zu machen heißt ja nicht, dass man sich nicht sehen kann. Mittlerweile hat ja jede Omma mindestens ein iPad zu Hause, damit kann man wunderbar Facetimen oder Skypen oder Zoomen oder was das Jahr sonst noch an seltsamen Verben hervorgebracht hat. Und wenn ich mir hier allein die Menge an Päckchen und Briefen ansehe, die in den letzten Tagen eingetroffen sind, dann weiß ich, dass ihr an mich denkt.
Nun verbringe ich also Weihnachten im ganz engen Kreis. Blogpinguin Huhu geht eh nicht freiwillig raus, ´von dem droht also keine Ansteckungsgefahr, und das Wiesel konnte leider einen negativen PCR-Test vorlegen.
Na, dann in diesem Sinne: Frohe Weihnachten, bleibt zu Hause und gesund!
Oder, wie Robert Downey Jr. sagt:
Zuallererst möchte ich auch Dir ein frohes Fest wünschen! Vor allem Gesundheit!
Auch wir feiern Weihnachten nur im kleinen Kreis der Kernfamilie. Frau und Kind, die SchwiMu wohnt ja auch bei uns im Haus und wir sehen sie täglich. Besucher kommen seit ausklingen der Garten- und Terrassensaison auch keine mehr ins Haus. Meine beiden Cousins („last survivor“ aus meiner Familie) habe ich auch im Sommer letztmals in Mainz besucht.
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Danke, Ralfi! Mir war klar, dass ihr das schon richtig macht – Du nimmst das alles ja auch so ernst wie es angemessen ist.
Wäre die Pandemie nicht eine gute Ausrede gewesen um zu sagen „Schwiegermudder, Du wohnst zwar im gleichen Haus, aber wir dürfen Dich trotzdem nicht mehr reinlassen! Wegen der Sicherheit!“ 😀
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Hallo Silencer,
ich bin kein Pandemieleugner, halte mich an das Maskentragegebot und halte Abstand, Ich finde die Maßnahmen der Regierung prinzipiell gut und halte mich daran. Obwohl manche Maßnahmen schon überzogen und unüberlegt sind. Warum darf ich mit hunderten Leuten im Supermarkt kuscheln, aber nicht mit 3 Leuten in einem riesigen Autohaus mir Autos ansehen (nur Beispiel).
Ich habe deine Pandemiebeiträge auch immer gelesen und fande sie gut. Nun schreibst du etwas, was mich geschockt und nachdenklich gemacht hat. Die Sache mit deiner Vermieterin. Du hast ja auch deine Gründe dargelegt und sie sind verständlich. Deshalb macht es mich nachdenklich. Meine Mutter ist dement und im Pflegeheim. Sie erkennt keinen mehr und sitzt manchmal neben einen und redet mit fiktiven Personen. Was für einen Angehöhrigen ja schon schlimm genug ist. Die wöchentlichen Besuche sind immer sehr belastend für mich. Mein Vater ist mit meiner Mutter seit 55 Jahren verheiratet. Er besucht seine Frau jeden Tag. Das ist sein Lebensinhalt! Als der Lockdown im Frühjahr kam, durften wir nicht mehr zu meiner Mutter und haben das akzeptiert. Besuche durchs Fenster oder Balkon bringen nichts, da sie einen garnicht wahr nimmt. Also haben wir ausgeharrt, bis wir sie wieder besuchen durften, draußen im Regen unter einem Sonnenschirm mit Plexischeibe dazwischen. Für 45 Minuten. Die Sachen wurden gelockert, wir durften ohne Trennscheibe zusammen in der Sonne an einem Tisch sitzen. Mit MNS. Dann kam die nächste Welle. Besuche nur im Zimmer mit MNS und nun bei jedem Besuch ein Coronaschnelltest. Sehr unangenehm, lässt mein Vater jeden Tag über sich ergehen.
Du schreibst, dass du nicht dafür verantwortlich sein möchtest, dass du jemanden angesteckt und womöglich getötet hast. Kann ich verstehen. Will vermutlich niemand. Deine Vermieterin ist ohne weiteren Besuch von dir gestorben. Es war deine Vermieterin. Bei mir meine Mutter. Wenn wir jetzt davon ausgehen, dass 2021 auch noch pandemiegeprägt ist, dürfte ich meine Mutter fast 2 Jahre nicht sehen und besuchen und meine Vater seine Frau nicht. In der Zeit könnte sie mit über 80 Jahren versterben. Man weiß ja nicht, was demente Menschen noch wirklich fühlen und mitbekommen. Meine Mutter könnte aber das Gefühl haben, dass man sie alleine gelassen und abgeschoben hat.
Dann gibt es ja auch noch die Pflegekräfte. Die gehen nach der Schicht auch nach Hause zu ihrer Familie, die Kinder waren in der Schule, die Ehe-Männer/-Frauen arbeiten, gehen einkaufen und gehen wieder ins Pflegeheim arbeiten. Sie sind auch eine Risiko für die alten Leute.
Insgesamt habe ich für mich entschieden, dass es für meine Mutter besser ist, sie zu besuchen und für sie da zu sein als sie bedingunslos vor dem Virus zu schützen. Irgendwo in der Hoffnung, dass der Kelch an uns vorrüber geht. Was ja nicht unmöglich ist, da immer noch die meisten Menschen keine Infektion hatten und somit die Chance größer ist, gesund zu bleiben als sich anzustecken.
Ich wollte dir zeigen, es gibt nicht nur schwarz und weiß und manche Menschen haben Gründe nicht 1000%ig konsequent zu sein.
Einen guten Rutsch in neue Jahr und ich warte gespannt auf weitere Berichte.
Thom
Da ich dir gerade schreibe, du wolltest mal einen Bericht machen, wie du so auf reisen bloggst. 😉
Oder war es dein Trackingtool oder beides… weiß nicht mehr.
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Hi Thom,
danke für Deinen Beitrag. Du hast mein absolutes Mitgefühl, Eure Situation ist wirklich keine Leichte. Bevor meine Vermieterin dement geworden ist, konnte ich nur auf abstrakter Ebene nachfühlen, wie schwer es ist, wenn die Persönlichkeit eines geliebten Menschen Stück für Stück schwindet, bis kaum noch etwas da ist. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie das für Dich und Deinen Vater sein muss. Die eigene Mutter oder Ehefrau, dass ist wirklich noch einmal was anderes. Und sicher, besuchen oder nicht, dass muss jeder selbst entscheiden. Ich wünsche Euch, dass die Mutter schnell geimpft wird, damit Dein Vater zumindest diese tägliche Test-Tortur nicht mehr mitmachen muss.
Du sprichst einen guten Punkt an: Diese Erkrankung fordert viel von den Angehörigen. Wie anstrengend es ist, einen dementen Menschen zu besuchen, das kann man auf abstrakter Ebene nicht nachvollziehen und hat mich wirklich überrascht. Tatsächlich war ich zum Schluss zwar öfter da, aber die Besuche waren sehr kurz. Länger als 20 Minuten habe ich es nicht ausgehalten, weil sie immer nur die gleichen drei Dinge gesagt hat. Das war vielleicht auch noch so ein Punkt, der bei meiner Entscheidung zumindest unterbewusst eine Rolle gespielt hat, und vielleicht sogar entscheidend war, warum ich sie während der lockeren Phase im Sommer nicht besucht habe: Ein Besuch kostet irrsinnig Kraft, und davon hatte ich in diesem Jahr nicht viel übrig.
Das ist leider auch der Grund weshalb sich der Blogbeitrag übers Bloggen schleppt… in manchen Monaten habe ich hier kaum was geschrieben, weil Zeit und Energie fehlten. Aber das kommt noch, versprochen 🙂
Dir auch alles Gute fürs nächste Jahr!
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