Herr Silencer ekelt sich vor Büchern und taucht ab in eine Zeitreise.
Neulich stand ich so in meiner Bibliothek sinnierend vor den langen Regalen mit Büchern und dachte nur „Oh nein, nicht HIER AUCH NOCH“. Ähnlich wie in der hauseigenen Videothek konnte ich nämlich auch hier Memory spielen: „DA steht das Buch und DA NOCH EINMAL“ und in zwei besonders schweren Fällen war das Werk sogar in drei Ausgaben vorhanden.

Sowas nervt mich kolossal, weil diese Doppel- und Dreifachlagerhaltung nicht nur Platz verschwendet, sie bedeutet auch, das ich den Überblick verloren habe. Dazu kommt: Bücher auf Papier mag ich ohnehin nicht mehr. Ich habe seit Jahren nur noch Papierbücher gelesen, wenn ich sie geschenkt bekommen habe.
Eigentlich ist der eReader das eine Ding, was mich überall hin begleitet und auch auf meinem Nachtschrank liegt. The Book to end all books. Platzsparend, hintergrundbeleuchtet, sauber – ein krasser Gegensatz zu den schmuddeligen und speckigen Taschenbüchern, die ich während des Memory-Spiels mit spitzen Fingern aus dem Regal gezogen habe.
Das Hauptargument der Anhänger:innen von Papierbüchern ist ja immer „Aber-aber-Aber ein ECHTES BUCH auf totem Baum das duftet doch und man fühlt es an den Fingerspitzen und ach, das kann ein eReader doch gar nicht“ – ja, genau, und das WILL ich auch gar nicht. Denn: Was können billige Bücher altern!
Gerade englische oder amerikanische Taschenbücher sind oft mit säurehaltiger Tinte auf billigstem Papier gedruckt. Nach knapp 30 Jahren ist dieses Papier nikotingelb und die Tinte verlaufen und das Schriftbild unscharf und das Buch STINKT nach Staub und Verfall. E-kel-haft.
Bei aller Romantik, wenn ich heute noch mal ein altes (Taschen-)Buch lesen will, kaufe ich mir das eher für ein paar Euro nochmal auf dem eReader als das ich das wellige, gelbsüchtige Staubding aus dem Regal und in die Hand nehme. Ohne Witz. Solche Schmuddelbücher anzufassen finde ich mittlerweile richtig widerlich.
Zeit für eine Ausmistaktion und eine Inventur. Da ich bei der Bestanderfassung von Filmen und Serien schon gute Erfahrungen mit einer App gemacht hatte („my movies“) wollte ich das für die Bücher auch. Die Idee dabei: Man lädt sich die App auf´s Smartphone, scannt mit der Kamera den ISBN-Code der Bücher, die App holt sich Titel- und Autoreninfos aus dem Netz und dann hat man eine digitale Bibliothek, die man idealerweise durchsuchen und als CSV nach Excel exportieren kann.
Apps dieser Art gibt es mehrere, meine Wahl fiel auf „Bookbuddy“. Die Benutzeroberfläche der App ist übersichtlich, die Datenbank umfangreich und vor allem gibt es einen ordentlichen Export.
Damit bin ich ein Wochenende durch die Bücherregale gegangen, habe alles inventarisiert und gleichzeitig ausgemistet. Das war, zugegebenermaßen, nicht ganz einfach – an vielen Büchern hängen dann doch Erinnerungen. Durch den Bücherbestand zu gehen ist auch ein wenig eine Zeitreise in die eigene Vergangenheit.
Seit 24 Jahren ungelesen liegt hier Robert Jordans „Eye of the World“ aus der Reihe „The Wheel of Time“ herum.
Werde ich vermutlich auch nicht mehr lesen, wegwerfen würde ich das trotzdem nie. Warum? Weil ich es von Katrin geschenkt bekommen habe.
Katrin war eine der schönsten Frauen, die mir je begegnet ist. Wir hatten eine kurze, leidenschaftliche Affäre, aber nun würde ich den Job wechseln und das war der Moment, da waren wir uns einig, um getrennte Wege zu gehen.
So saßen wir an Heiligabend 1997 nach dem Schlussdienst im leeren Restaurant und sahen den Kollegen bei den letzten Arbeiten und dem Schnee beim Schneien zu. Zum Abschied lächelte sie traurig und schenkte mir dieses Buch.
Eine Erziehungsmaßnahme, weil sie wusste, dass ich mit Fantasy nichts anfangen kann.
Ich habe Katrins Nachnamen vergessen, aber ich werde mich immer an ihr Lachen erinnern und an ihre traurigen Augen und ihre leuchtend roten Haare und an ihre Vorliebe für Motorräder, Lederklamotten und Fantasy.
Ebenfalls aus nostalgischen Gründen kann ich das hier nicht wegwerfen. Ein Dutzend Mal gelesen, zerfleddert, eine haptische Zumutung… und trotzdem.
Keine Ahnung warum, aber meine ganze Generation giggelt heute noch wie Schuljungen, wenn man nur „42“ sagt – auch wenn das Buch objektiv einfach nicht gut ist.
Sehr schön auch die „Artemis Fowl“-Sonderausgaben mit Hologrammcovern, die sie wie Geräte aus der Feen-Welt aussehen lassen sollen.
Die habe ich Anfang der 2000er Jahre zusammen mit den ersten „Harry Potter“-Bänden in der englischen Fassung aus London rübergeschleppt. Ich hatte damals eine ganze Reisetasche voll Bücher in einer Buchhandlung am Marble Arch gekauft, so schwer, dass die Rollen abbrachen.
„Aber warum??“, wurde ich neulich gefragt, „Auch damals gab es schon englische Bücher in Deutschland zu kaufen!“. Das ist richtig. Aber zum einen konnte man nicht alle englischen Bücher bestellen, sondern nur, worauf der Importeur Lust hatte es anzubieten. Zum anderen musste man nach einer Bestellung im Besten Fall nur einige Wochen warten, um dann solche Preise hier zu bezahlen:
Drei-und-Fünfzig-D-Mark! Das sind inflationsbereinigt über 40 Euro! Für ein Buch, dass in England keine 10 Pfund gekostet hat, was damals etwa 20 Mark waren.
Als dann endlich Amazon kam und dieser Wegelagerei den Gar aus machte, begann ich mit dem Sammeln von Graphic Novels. In meiner Bibliothek finden sich die umfangreichsten Sammlungen von Göttingen an Neil Gaimans „Sandman“-Bänden und Mike Careys „Fables“-Geschichten.
„Sandman“ habe ich 2006 entdeckt und dann binnen zwei Wochen alle Bände gekauft und die 2.000 Seiten-Geschichte verschlungen. Seitdem jage ich die seltenen Spin-Offs der Hauptreihe, von denen ich auch die seltensten fast vollständig besitze.
Sehr schön auch die kiloschweren Bildbände. Highlights meiner Sammlung sind großformatige Bücher aus dem „Taschen“-Verlag, wie der wunderschöne National Geographics „Infographics“-Band oder Helmut Newtons „Sumo“, der selbst im Nachdruck so groß ist, dass das Buch ein eigenes Begleitbuch und einen Ständer mitbringt. Der originale „Sumo“ hat mich über Jahre fasziniert, kostet aber in einer limitierten Originalversion zwischen 2.500 Euro für eine zerfledderte Ausgabe bis 10.000 für gut erhaltene Stücke. Als 2009 der unlimitierte Nachdruck für nur einen dreistelligen Betrag erschien, musste ich den haben – und er bereitet mir bis heute Freude.
Genau wie die backsteinschweren Schuber mit Sammelbänden von „Alita Battle Angel“ und „Calvin & Hobbes“. Das ist Grafikkunst, sowas kann man nicht auf eReader übertragen. Solche Bücher, Bildbände und Grafikwerke mag ich noch auf Papier.
Nur wegen der Optik dürfen noch die gebundenen und englischen Ausgaben von Pratchett bleiben.
Selbiges gilt auch für die „Dunkle Turm“-Reihe von Stephen King mit den metallisierten Rücken, die ich um 1998 von einer Studentin gebraucht und komplett als Regalmeter am Stück gekauft habe und dann nach Anlesen als ähnlich unfassbar langweilig eingeordnet habe wie Tolkiens „Herr der Ringe“. Seitdem stehen die hier unangetastet herum. Die werde ich lesen wenn ich in Rente bin. Oder auch nicht.
Was dagegen niemand braucht sind schlecht übersetzte Bücher. Im Zuge der Ausmistaktion flogen jetzt alle deutschen Ausgaben von Terry Pratchetts Werken weg. Die leben vom Wortwitz, und der damalige Übersetzer hatte entweder keinen Bock oder keine Zeit die zu übertragen, oder, noch schlimmer, er hat die Gags selbst nicht verstanden. Ganze Passagen der deutschen Ausgaben ergeben dadurch schlicht keinen Sinn, und ja, es macht einen Unterschied ob jemand bei einem Sexunfall mit einer „Concubine“ oder einer „Cucumber“ gestorben ist!
Allein diese Titel! Die verursachen doch körperliche Schmerzen! Geht doch gar nicht sowas! 🤢
Der schlechte Übersetzer versuchte sich auch selbst als Sci-Fi-Autor und hat Mitte der 80er ein gar nicht mal so schlechtes Kinderbuch verfasst.
Dieses seltene Exemplar ist eine der Skurrilitäten, die aus irgendeinem Grund in meinem Regal stehen und von denen ich mich nicht trennen kann. Genauso wenig wie von den 1989er Bukowski-Ausgaben. Man, was bin ich mit diesen Büchern gewachsen. Mit Bukowski tat sich mir eine ganz neue Welt auf. Nicht nur literarisch, er hat tatsächlich mein Bild von Menschen beeinflusst.
Sehr schön auch ein Buch, dessen Entstehung ich mitfinanziert habe: Eine handsignierte Ausgabe des „Bestatterweblog“, aus einer Zeit, wo niemand wusste wer der Autor wirklich ist. Auch schon wieder von 2008. Meine Güte, wie die Zeit vergeht.
In den Müll wanderte auch diese Opus Magnum: „Schlösser knacken für Pinguine“.
Nein, Huhu, das werfen wir weg. Auch wenn Du damit ein großes Abenteuer verbindest (Hier und dann einige Male auf „Neuere Beiträge“ klicken).
Schwer trennen kann ich mich von Skurrilitäten wie den Wing Commander Büchern. Die gibt es nicht für eReader, und manche von denen haben wirklich, wirklich clevere Stories. Gut, andere sind strunzdumm, aber ich weiß leider nicht mehr welche welche sind.
Ebenfalls bleiben dürfen Bücher, mit denen ich lesen gelernt habe: „Reise um die halbe Welt mit A dem Affen und B dem Bären“ aus der Reihe Göttinger Schreibschriftbücher, das schön fotografierte „Mein Esel Benjamin“ oder auch das versöhnliche „Neues aus dem Spielzeugland“. Das sind immer noch sehr gute Bücher.
Lediglich „Pasteten im Schnee“ vermisse ich, das ist wohl mit dem Elternhaus untergegangen.
So, und das war es dann. Eine Zeitreise durch das eigene Leben mittels eines Bücherregals. Jetzt verstehe ich auch, wie die Idee zu „Interstellar“ entstanden ist, wo ja am Ende der Zeit auch der Typ hinter einem Bücherregal hockt und Klopfzeichen gibt.
Naja, Wurscht. Am Ende sind rund drei Regalmeter aussortiert worden. Das entspricht drei Umzugskisten oder einem Kofferraum voll mit Altpapier. Mangels Zeit und Lust und weil man ja sowieso nichts mehr für bekommt, wandern die einfach in den Container.
Gefühlt ist es in den Bücherregalen nicht viel weniger geworden, auch wenn die App sagt, dass ich jetzt nur noch 450 Bücher besitze von ursprünglich sicher mal 1.500 Anfang der 2000er. Aber wie gesagt, die Zeit des gedruckten Papierbuchs ist für mich echt vorüber.
Moin moin…ich kann das sowas von nachvollziehen…habe einige Kisten an Büchern hier zu stehen die ich zwar nicht selber gelesen habe aber für die Papiersammlung der Schule meiner Tochter nutzen darf. Ich muss nur den Buchrücken und das Cover entfernen – „nur“ – ein Kraftakt bei manchen und bei widerum anderen eeecht nicht mehr schön..diese gelben stinkenden Seiten – fürchterlich…hehe….die Geschichte mit Katrin finde ich schön – auch ich kannte mal eine „Miriam“ von der ich leider keinen Nachnahmen hatte – sie war meine erste Kussliebe *hach*..das war noch romantisch, wenn man mit der Jacke über den Köpfen..naja…ihr wisst schon 😉
GreEtZ
Der Meikel
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Sehe ich da in der Ecke eine Wilesco Dampfmaschine? Cool!
Gruss
Lupo
Gruss aus GÖ
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Meikel: Hehe, ja, was war man verschämt. Trotzdem ist es mir irgendwie peinlich, dass ich Katrins Nachnamen nicht mehr weiß.
Lupo: Ja, ist es. Ein echtes Erbstück.
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Moin,
zum einen denke ich jetzt über diverse Vor- und Nachnamen nach! 🙂
Zum anderen hatte ich das Glück, eine ungarische Freundin zu haben, die deutschsprachige Bücher aller Couleur liest. Da schicke ich regelmäßige große Pakete mit dem Götterboten und muss die Bücher nicht wegwerfen.
zum weiteren: ich kaufe schon immer noch gedruckte Bücher, aber weniger als früher.
Einen Ebookreader habe ich auch, kann mich damit aber aus welchen Gründen auch immer nicht anfreunden.
Danke für Deinen Beitrag!
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BÄRBEL KESSLER!
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Hirnwirr: hehe. Ja, ist natürlich am besten, wenn man einen Lesezirkel hat.
Rudi: wer?!
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BÄRBEL KESSLER!
BÄRBEL war eine Granate! Nicht einfach nur schön, nein SIE war atemberaubend. Unvergleichlich! Jedesmal wenn ich an den Menschen oder an der Schöpfung zweifele, dann rufe ich mir
BÄRBEL KESSLER zurück in mein Gedächtnis und ich weiß alles ist gut.
LIEBEn Gruß
rudi rüpel
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???
Die dritte der Kessler-Zwillinge??
Immerhin erklärt das, warum ich nur Todesanzeigen gefunden habe beim Googlen
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Einmalig!
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