Corona-Tagebuch (35): Zurück in der Fußgängerzone

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Deutschland: 3.855.150 Infektionen, 96.104 Todesfälle
528 Days Gone

Delta on the rise, die Kurve steigt, und es sind vor allem junge Menschen, die sich jetzt infizieren.

Nach eineinhalb Jahre das erste Mal wieder in der Innenstadt und im stationären Einzelhandel gewesen, und ich sach mal so: Ich kann Menschen nicht mehr leiden.

Dabei ist es es nicht mal so sehr die Masse an Menschen, die sich schon wieder dicht gedrängt durch die A-Lagen schiebt. Oder die eng zusammenhockenden Gruppen in den Restaurants, die offenbar beschlossen haben, dass die Pandemie vorbei ist. Sowas nervt mich auch, aber dem kann ich aus dem Weg gehen.

Am meisten gernervt haben mich tatsächlich die seltsamen Attitüden im Einzelhandel. Ich dachte eigentlich, dass der nach Monaten im Lockdown froh über Normalbetrieb ist. Aber weit gefehlt, anscheinend war Kurzarbeit so geil, das jetzt alle angenervt sind vom Kundenverkehr.

Im Schreibwarengeschäft war keine Bedienung zu finden, und die Dame an der Kasse schaffe es nicht, sich in diese einzuloggen.

Im Optikgeschäft stand eine Optikerin herum, die den Wunsch nach einer günstigen Sonnenbrille mit einem Kunststoffgestell mit der Vorführung von Luxus-Titanmodellen und der Auskunft beantwortete, Sonnenbrillen seien nicht unter 600 Euro zu bekommen.

Im Buchladen hatte die Verkäuferin es eilig. „Das brauchense nicht“, gewitterte sie, vermutlich weil es ihr zu lange dauerte, dass ich am Stehtisch im Eingang des Geschäfts den QR-Code der ungeliebten Luca-App scannen wollte.

Karstadt Sport gibt es nicht mehr, in dem Gebäude am Marktplatz ist nun anscheinend ein anderes Sportartikelgeschäft beheimatet. Wie gut deren Beratung ist weiß ich nicht, ich habe über einen Zeitraum von 45 Minuten über vier Etagen exakt nur einen Verkäufer gefunden, der natürlich völlig umlagert war.

Dafür standen vier Damen an der letzten verbliebenen Kasse im Erdgeschoss, unterhielten sich lautstark und angeregt und glotzten lediglich wie die Eulen, als ich einen Zahlungswunsch äußerte. „BEI MIR SICHER NICHT!“ gröhlte die erste Eule, während sich zwei andere sofort verpissten. Ja wo denn dann? „KOLLEGIN KOMMT GLEICH AUSSE PAUSE WIEDER“.

Ähnliches Bild im Galeria-Haupthaus. Immerhin fand ich dort eine Verkäuferin, aber nur, weil die mir im Vorbeigehen mit einem Sack Verpackungsmaterial einen Bodycheck verpasste und ohne ein Wort der Entschuldigung davonrumpelte. An den Kassen dann wieder: Geschnatter mit den Kolleginnen, aber kein „Guten Tag“, kein „Bitte“, kein „Danke“, kein „Auf Wiedersehen“. Nicht mal Blickkontakt.

Sowas nervt mich. Ich war selbst lange im Service tätig, ich weiß, wie man mit Kunden umgeht. Das man Seitengespräche einstellt, wenn man mit Kunden interagiert, ist sicher nicht zu viel verlangt.

Ich weiß nicht, ob es an mir liegt – der Tatsache das ich älter und ungeduldiger werde oder das Klamotten kaufen mich sowieso anstrengt – aber ehrlich gesagt ist Onlinekauf mittlerweile einfach die angenehmere Shoppingerfahrung. Einzelhandel, das sind Verkäuferinnen die besseres zu tun haben als sich um Kunden zu kümmern, das sind bestenfalls lachhafte Produktsortimente („Herrenbadehosen? Ham wa nur das was da hängt“ – und da hing Zeugs in Neorosa in Größe XXXL), das sind schmuddelige und kaputte Umkleidekabinen mit nicht schließenden Vorhängen und dreckigen Teppichen, das sind hohe Preise. Das sind auch nicht stattfindende Beratung, das sind Kräfte ohne Ahnung von dem was sie da tun, das sind Fachkräfte die nicht zuhören und nur ihren Stiefel machen.

DAS ist die Einkaufserfahrung, die der Einzelhandel so zu bieten bereit ist, und ich sach mal so: Die kann er gerne behalten.

Immerhin lustig: Der EinEuroShop hat jetzt die Preise erhöht. Alles im EinEuroShop kann man nun für EinEuroZehn kaufen.

Kategorien: Corona-Tagebuch | 10 Kommentare

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10 Gedanken zu „Corona-Tagebuch (35): Zurück in der Fußgängerzone

  1. LOL – du hattest die falsche Grundhaltung 😉
    Warum machst du nicht direkt eine Ansage, wenn du dich von Schnattertanten verarscht fühlst?
    Die Optikerin bekommt ein freundliches „dann bin ich hier wohl falsch“.
    Und beim Anrempeln gibt’s ein freudiges „Entschuldigen sie, dass ich als Kunde hier im Weg rumstehe nur weil mich niemand bedient!“ 🙂

    Innenstadt ist schließlich kein Ponyhof 🙂

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  2. also ehrlich…..ich bin ja gelegentlich als ultimative Meckerziege bekannt…..aber Deine Innenstadterfahrungen kann ich nicht teilen.
    Du warst definitiv zu lange nicht dort.

    Ich war und bin ziemlich regelmäßig downtown Gotham City und finde es so, wie es immer war.
    Kann aber auch an mir liegen. 🙂

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  3. Kradblatt: Aint Nobody got time for so viel Interaktion 🙂

    Hirnwirr: So geballt Scheiße war es früher aber nicht. Vielleicht habe ich gestern einfach extrem Pech gehabt, aber das war schon Miese-Erfahrung-Galore.

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  4. Stephan

    Hallo Silencer, du beschreibst fast den Berliner Einzelhandel, mir geht es genauso. Kein Bock mehr auf Menschen und Shopping. Liebe Grüße aus der Hauptstadt

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  5. Dirk Rössner

    Genau solche Erfahrungen mache ich immer wieder, wenn ich mal nicht bei Amazon kaufe

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  6. Ali

    Vor Jahren, ich war allein auf Tour nach Straßburg, erlebte ich dort, was Service macht und auch wie man es macht.
    Völlig überrumpelt vom (meist) weiblichen Verkaufspersonal, das nach einem freundlichem Bonjour mich anstrahlte wie den persönlichen Lover, obwohl deutlich erkennbar ich nur mal z.B. in der Schokoladerie mich umsehen wollte, bleibt mir – zurück in vielen „deutschen“ Geschäften mit teils desorientiertem und beratungsunwilligem Personal deutlichst in Erinnerung.
    Natürlich gibt es auch Ausnahmen, aber auch hier: können wir Ihnen bestellen. Danke. Aber dann 100% Preisaufschlag wie wenn ich das bißchen selbst getippt hätte?
    Daß der Onlinehandel dem Einzelhändler das Wasser abgräbt, ist auch ein teils hausgemachtes Problem. Aber auch hier: Unterschiede auf Unterschiede. Oder wie kann es angehen, daß Paketpost z.B. aus Griechenland deutlichst schneller beim Kunden ist wie von einem innerdeutscher Versandhändler?

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  7. X

    Ja, das mit dem Einkauf einer Badehose in einem Sportfachgeschäft in einem Einkaufszentrum kenne ich auch…
    Ist mir unerklärlich, warum die gut laufenden Produkte nicht entsprechend produziert werden?

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  8. Man könnte glatt meinen, Du warst in der Siegener „City“ zum shoppen. 😉

    Andererseits, was will man erwarten wenn Geschäfte nur noch 450€ bzw Teilzeitkräfte beschäftigen? Wenn geschultes und gutes Verkaufspersonal nicht auch von den Kunden honoriert, sprich mit einen Kaufabschluss „belohnt“ wird? Viele werden als Auskunftei ausgenutzt und dann wird doch im www bestellt, da billiger…

    Das oben bezieht sich auf das generelle Kaufverhalten, nicht auf Dich persönlich!
    In meinen Augen hat der stationäre Fachhandel in vielen Branchen langfristig keine Überlebenschance. So hart das auch klingt.

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  9. zimtapfel

    Naja, das mit der Auskunftei und dann Onlinebestellung ist ja auch nur eine Folge von ungezählten „hammwa nich, machen wa nich!“ im stationären Handel…

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  10. Ali

    @Ralfi…..denke ich auch. Solche Stadtriesen wie z. B. Kaufhof&Co. sind am straffen bzw. fusionieren, namhafte Geschäfte teils ganz aus der City verschwunden. Selbst die ganz Großen wie Neckermann oder Quelle hatten mit ihren festgeschriebenen Katalogpreisen gegen Online keine Chance. Etwas änderte sich doch: Discounter, auch auf dem flachen Land haben sich gebeugt und bis Samstagabend 22 Uhr offen. Bestimmt nicht, weil es Trend ist sondern marktwirtschaftlich rentabel ist. Der „Trend“ ist aber der Umbruch zu flexibler A.-Zeit und beim Online-Versender fast zu 100% eine Wochenendtätigkeit. Die Zeiten, wo Friseure grundsätzlich Montags zu haben, Bäcker oder Metzgereien wie auch Teile der Gastronomie in der Woche einfach geschlossen haben, dürfte in Jahren mit nachwachsender Internetgeneration irgendwann Geschichte werden.

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