Wann ist ein Helm alt?
Motorradhelme altern, weswegen man sie nicht ewig nutzen kann. Aber wann ist ein Helm eigentlich zu alt?
Die Frage ist gar nicht so einfach zu beantworten. Eine Aussage, die immer wieder durch die Medien geistert: Alle fünf bis sieben Jahre solle man einen Motorradhelm erneuern.
Schaut man dann mal, wo diese Aussage herkommt und wie sie sich begründet, stellt man schnell fest, dass diese Empfehlung, zumindest im deutschsprachigen Raum, maßgeblich vom “Goslar Institut” prominent in die Welt gesetzt und dann von allen anderen mehr oder weniger abgeschrieben wurde. Das “Goslar Institut” beruft sich für seine Empfehlung seinerseits auf “Experten”, benennt die aber weder noch belegt es deren angebliche Aussagen.
Nun klingt der Begriff “Institut” wissenschaftlich, ist aber in Deutschland nicht geschützt. Guckt man beim Goslar Institut etwas genauer hin, sieht man, dass es sich um einen Verein handelt, der eine Tochter der Versicherung HUK Coburg ist. Vereinszweck: “Verbraucher über Versicherungsprodukte aufzuklären”. Nicht verwerflich, aber eher ein PR-Outlet, von dem man vielleicht nicht unbedingt wissenschaftliche Studien erwarten sollte.
Die Helmhersteller halten sich mit offensiven Aussagen zur Haltbarkeit ihrer Produkte eher zurück, sprechen aber auf Anfrage aber durchaus auch von fünf bis sieben Jahren (Hier z.B. Schuberth, Nolan gewährt max. sieben Jahre ab Herstellung oder fünf Jahre ab Kauf die italienische Garantie, also Nachbesserung von Fehlern).
Die Zeitschrift “Motorrad” hat es einfach mal ausprobiert und ist in Experimenten und Messreihen der Frage nachgegangen, ob sich mit zunehmendem Alter die Helmschale zersetzt oder die Dämpfungswirkung nachlässt. Das, etwas überraschende, Ergebnis:
Bis auf eine Ausnahme standen die Stoßdämpfungswerte der getesteten alten Helme denen neuer Exemplare desselben Typs nur wenig nach. Eine substantielle Verschlechterung infolge Alterung ist demnach nicht zu erkennen, die Werte können sich sogar im Vergleich mit aktuellen Helmen sehen lassen.
Quelle: Motorrad
Es sind also nicht die Helmschale aus Polycarbonat oder Fiberglass oder die Dämpfschicht aus Polystyrol, die altern.
Es ist das Innenleben, das altert.
Labberig und faltig
Was nämlich ganz maßgeblich im Laufe der Zeit leidet ist das Innenfutter. Das sorgt normalerweise dafür, dass ein Helm stramm auf dem Kopf sitzt und während der Fahrt oder bei einem Aufprall nicht verrutscht. Dieses Innenfutter ist meist gefüllt mit Schaumstoff, und der wird beim Tragen fortwährend komprimiert und mit Schweiß getränkt. Irgendwann verliert er dann die Form, wird immer flacher und am Ende rutscht der Helm auf dem Kopf rum. Der Prozess ist schleichend, das merkt man als Helmträger erst, wenn man im direkten Vergleich zum eigenen Helm dann mal einen neuen auf dem Kopf hat.
Nach meiner Erfahrung liegt der Zeitraum, in dem die Innenpolsterung ihren Geist aufgibt, genau in den überall kolportierten fünf bis sieben Jahren.
Extrem ist mir das aufgefallen bei einem Billighelm von Nexo (wird vertrieben u.a. von Polo oder Lidl), dessen Innenpolster (nicht die Dämpfungsschicht) sich nach fünf Jahren in kleine, schwarze Bröckchen auflöste. Krass war auch 2016 der Wechsel vom Nolan N90 auf den N104 nach rund sechs Jahren. Als der neue Helm am Start war und stramm und knackig auf der Birne saß, mochte ich den alten gar nicht mehr tragen. Zu weit fühlte der sich an, zu rutschig, und das Innenfutter labbrig und speckig.
Dabei spielt es übrigens keine Rolle, ob man das Innenfutter regelmäßig mit so einem teuren Schaumreiniger aus dem Zubehörhandel shampooniert oder, wie ich es mit dem N90 regelmäßig gemacht habe, sogar per Hand auswäscht. Die Polsterung verliert trotzdem an Dicke, und man kriegt mit dem Schaum nie ganz den Schweiß aus den Polster, die man dort in heißen Sommern literweise hineinvergossen hat.
In conclusio: Ja, nach fünf bis sieben Jahren ist ein Helm zu alt und sollte getauscht werden.
Lebenserhaltende Maßnahmen
Mein aktuelles Problem ist nun: Mein geliebter N104 hat seinen fünften Sommer hinter sich und oh ja, was habe ich da an Schweiß hineingepladdert. Leider gibt es den nicht mehr zu kaufen, und der Nachfolger, der N100-5, ist ein wenig wie Kelly Bundy: Kann man hübsch finden, will man aber nicht dauernd um sich haben.
Schuberth-Helme passen mir nicht, andere Marken und Modelle bieten nicht das, was ich in einem Helm suche.
Mit anderen Worten: Auch wenn der N104 keine Schönheit ist und von Vorne aussieht wie ein bekifft grinsender Fisch – für mich ist er perfekt, und ich will den nicht austauschen!
Nach der schweißtreibenden Tour in diesem Jahr und der Feststellung, dass es NOCH alle Ersatzteile für den N104 gibt, von der Visiermechanik bis zum Windabweiser, wollte ich dessen Leben ein wenig verlängern und bestellte ein neues Innenleben, sowohl ein Innenfutter als auch Wangenpolster.
Die Wangenpolster hatte ich vor drei Jahren schon einmal ausgetauscht und damit meinen N104 in Sachen Ausstattung und Schalldämmung vom Modell “Evo” auf “Absolute” hochgepimpt – die Befestigungspunkte sind bei allen Modellreihen zum Glück die gleichen.
Auch dieses Mal hatte ich wieder den Effekt, dass sich das alte Innenpolster und die erst drei Jahre alten Wangenpolster des Helms zwar speckig, aber durchaus noch nicht komprimiert anfühlten. Die haben aber tatsächlich schon wieder abgebaut, und der Unterschied ist sogar messbar: Einen ganzen Zentimeter hat sich jedes Wangenpolster komprimiert und damit geweitet. Man sieht es sogar mit bloßem Auge. Links ist das neue, rechts das drei Jahre alte Wangenpolster:
Das ist jetzt nicht dramatisch, und zumindest im Wangenbereich saß der Helm noch Okay, aber die neuen sind schon deutlich straffer. Auch das alte Innenfutter war bereits deutlich dünner als das neue, mit dem der Helm wieder etwas höher auf meinem Kopf sitzt.
Jährliche Wartung
Was regelmäßig und nahezu jedes Jahr getauscht wird sind die Visiere. Der N104 hat drei davon: Das normale Außenvisier, ein fest daran anliegendes Innenvisier (“Pinlock”), dass das Beschlagen verhindert, und ein Sonnenvisier.
Das Außenvisier und das Pinlock checke ich regelmäßig und erneuere sie, sobald sie zu viele Kratzer aufweisen. In Kratzern bricht sich das Licht, und gerade in der Dunkelheit und bei entgegenkommenden Fahrzeugen kann das die Sicht beeinträchtigen.
Das Sonnenvisier sollte eigentlich nicht zerkratzen, hat aber in den letzten Jahren trotzdem was abbekommen. Die Kratzer und Riefen sind leider massiv und genau im Blickfeld, deshalb musste das Ding jetzt leider ausgetauscht werden.
Der Helmkragen wird tatsächlich nur ein wenig mit Seifenschaum shamponiert und dann feucht abgerieben, aber der hat auch nur schalldämpfende Wirkung und keine schlagdämpfende.
Die Dichtungen sind gerade dabei aufzugeben, da kommt schon vereinzelt Regen durch. Bevor ich den Helm einwintere, werden die normalerweise mit Gummipflege betupft, um dem Aushärten zumindest ein wenig entgegenzuwirken. Dieses Jahr geht der Helm aber mal zur Wartung beim sehr guten Nolan Service, die werden sich um neue Dichtungen kümmern und ebenso um die Visiermechanik, die langsam etwas ausgenudelt ist, weshalb das Visier bei schneller Fahrt gerne mal zufällt.
Nach Einbau der neuen Polster sitzt der N104 wie ein ganz neuer Helm, und ich hoffe mal, dass ich mit diesen Maßnahmen seine Lebensdauer verlängert habe. Zumindest solange, bis Nolan einen Nachfolger rausbringt, mit dem ich besser klar komme als mit dem 105.
0 Gedanken zu „Wann ist ein Helm alt?“
Ich habe den Test bezüglich »alte Helme können auch noch gut sein« gerne in Foren verlinkt. Ungläubigkeit war der Dank. 😀
Einen alten Shoei hatte ich von meinen älteren Brüdern geerbt. Lag schön im Dunkeln in einem Schrank. Hat nix geholfen. Das Dämpfungselement war so zerbröselt bzw. brüchig geworden, das wäre maximal noch als feines Verpackungsfüllmaterial durchgegangen. Also bestätigt sich: das Innenleben ist der Schwachpunkt.
Wer aber mehrere 1’000 km pro Jahr fährt -> irgendwann ist der Punkt erreicht an dem alles ein wenig eklig wird. Trotz Reinigung. Ersatzpolster gibt es manchmal noch zum Tauschen, aber nach 6-7 Jahren aktiver Nutzung ist er dann eben doch »durch«.
X_Fish: Wie alt war denn der Shoei als er zum Krümelkeks wurde? Weißt Du das noch?
Etwa 22 Jahre. 😀
Mein Bruder hatte ihn kurz vor dem Kauf einer Vespa geholt. Das müsste 1992 gewesen sein. Ich habe den Helm im Schrank 2009 wiederentdeckt – hatte mir aber schon einen neuen HJC gekauft. Verkauft habe ich den Shoei bei iBäh dann etwa 2014 und damals erst bemerkt, wie bröselig er innen war. Gab trotzdem noch 15 Euro dafür. 😉
Au, das ist wirklich ein stolzes Alter!
Moin Silncer
ich habe hier noch einen Schuberth Profil aus 1987, weiss ich so genau, weil damals Ersatzkauf nach einem Unfall mit einem Schuberth Golfballhelm und einen BMW Klapphelm aus der 2. Serie. Beide noch voll ok, aber das Innenleben, wie Du beschrieben hast, lässt nach. Obwohl bei mir nichts krümmelt…
Aufgrund Fräulein Hygenie oder so ähnlich, sprich als mein Läuse anfingen, Samba zu tanzen, wenn ich den Hem aufsetzte und ich ihn in eine Reinigungslösung mit normalem Waschmittel tauchte, die dann wie Teer aussah, nutze ich nur noch Sturmhauben, die ich täglich wechsele. Das hat noch einen angenehmen Nebeneffekt: Ich fahre gerne mit offenem Visier und da sind mir dann öfters Insekten ins Ohr geflogen. Mit Sturmhaube ist das vorbei.
Den Artikel aus der Motorrad kenne ich auch. Sofern ein Helm aus GFK ist, gibt es dort keine Alterungsprobleme. Das älteste Segelflugzeug der Welt, das aus GFK hergestellt wurde, immerhin 1957 Erstflug, fliegt immer noch, siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Fs_24_Ph%C3%B6nix Bei uns im Verein waren einige Oldtimer aus GFK und das wird heute immer noch verwendet.
Gruss
Lupo
@Lupo: GFK hält glaube ich EWIG… Boote aus dem Zeug sind ja auch unverwüstlich 🙂
@ Silencer: Jein, nur wenn es durch eine Lackschicht vor der UV-Strahlung geschützt ist, dann ja. In der Fliegerei wird Schwabbellack oder T-35 verwendet.