Herr Silencer im Oktober 2021
Wort des Monats:HÖR AUF MIT DIESEM MIST!
Wetter: In Griechenland ist es mit 9 bis 18 Grad kühl und windig. Ab dem 16.10. bin ich wieder in Deutschland, hier ist es ebenfalls kühl, und ab dem 20. fangen die Herbststürme an und blasen das bunte Laub in Massen von den Bäumen. Binnen zwei Tagen sind die Bäume kahl, und dann wird es kalt, bis an den Gefrierpunkt heran.
Lesen:
Jasper Fforde: The Great Troll War
In einem alternativen England: Die 16-jährige Jennifer Strange leitete einst das Altenheim für Zauberer, mittlerweile ist sie aber zur letzten Drachentöterin und Besitzerin eines waffenstarrenden Quarkbiests geworden. Das hilft ihr aber alles nicht, als England aus dem Norden von Horden von Trollen angegriffen wird. Lediglich ein mit Knöpfen gefüllter Graben (Trolle hassen Knöpfe) steht zwischen den hungrigen Invasoren und dem unvereinigten Königreich.
Was Jasper Fforde kann: Worldbuilding. Egal ob die Buchwelt aus den „Thursday Next“-Büchern, der Eiswelt aus „Early Riser“ oder hier eine Welt mit sterbender Magie: Es ist völlig faszinierend und urkomisch, was der Mann sich an Welten und Gesellschaften mit eigenen Regeln ausdenkt. Was Jasper Fforde nicht kann: Charaktere schreiben. Seine Figuren drücken sich nur über innere Monologe aus, und die Protagonistin ist IMMER allwissend und handelt immer genial. Das erzeugt das Gefühl lebendige Welten zu haben, in denen unglaubwürdige Charaktere aus Presspappe herumstolpern. Das sich der Autor nach „Early Riser“ schon wieder als Ich-Erzähler in ein minderjähriges Mädchen versetzt ist zudem… seltsam.
Das Buch an sich ist nett und bringt die Story zu einem gelungenen Ende.
Christopher Marzi: London
Jahre nach den Ereignissen der Vorgängerbücher „Lycidas“, „Lilith“ und „Somnia“: Emily Laing will nach London zurückkehren, stellt aber voller Entsetzen fest, dass es nicht existiert. Auch nie existiert hat, denn die Hauptstadt Englands ist immer schon Oxford gewesen. Auf Umwegen gelangt sie doch wieder in die Stadt der Schornsteine, aber die hat sich verändert: Sie ist isoliert, löst sich auf, die Menschen in ihr werden Wahnsinnig. Es ist, als hätte die Stadt ihre Seele verloren.
Für Christopher Marzi muss man schon in der richtigen Stimmung sein und sich Zeit nehmen. Nicht nur, dass er seine Welten höchst erkennbar aus Ideen von Autoren wie Neil Gaiman zusammensetzt. Nein, ausschweifend und redundant ist seine Erzählweise, jeder Handlungsfortschritt wird noch drei mal von den Figuren reflektiert, die an ihre Sichtweise stets ihren Catchphrase anhängen. Ich kann das nicht immer ertragen, zumal im Fall von „Somnia“ das Drehen von Schleifen so schlimm war, dass ich mittendrin lange Pause machen musste. „London“ ist ähnlich langatmig geschrieben, bringt aber zum Glück eine superspannende Geschichte mit, von der ich immer wissen wollte wie sie weitergeht und die mich bei der Stange gehalten hat.
Zugleich ist „London“ ein möglicher Abschied von den liebgewonnenen Figuren, deren werden man über 4 Bücher verfolgen konnte – und ein sehr gelungener dazu.
Hören:
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Sehen:
Squid Game [2021, Netflix]
Glücksspielsüchtiger Universalverlierer wird mit 455 anderen, hoch verschuldeten Menschen zu einem Spiel auf Leben und Tod eingeladen. Der „last Person standing“ winken 33 Millionen Dollar, alle anderen werden gnadenlos hingerichtet.
Natürlich habe auch ich „Squid Game“ geguckt. Die 9-teilige Serie wird ja gerade quer über den Globus gehyped, und das nicht ohne Grund. Sie hat eine interessante Grundidee und spannende Wendungen. Sie ist aber weit davon entfernt perfekt zu sein. Was westliche Zuschauer aber wohl vor allem hooked ist der ungewohnte Look und das Spiel der Darsteller. Das ist typisch koreanisch, mit seinen Situationen, Farben und dem Overacting, aber wenn man das nicht schon einmal gesehen hat, z.B. im hervorragenden Film „Parasite“, dann wirkt das neu, unverbraucht und interessant.
Keine perfekte Serie also, aber wer vor Blut und Totschlag keine Angst hat oder sogar Filme wie „Saw“ oder „Escape Room“ mag, der wird hier viel Freude haben.
Free Guy [2021, Disney+]
Guy ist ein netter Kerl und lebt in einer Stadt, in der permanent Leute mit Sonnenbrillen Raubüberfälle begehen, Dinge in die Luft sprengen oder sich wilde Autojagden mit der Polizei liefern – das ist quasi Routine, und zu Guys Job gehört es, das Tag für Tag die Bank, in der er arbeitet, überfallen wird. Denn: Guy ist eine Non-Player-Figur, ein NPC, in einem GTA-ähnlichen Videospiel. Problematisch wird es, als er sich dessen bewusst wird und selbst die Fertigkeiten der Spieler bekommt.
Ein Film für Videospieler mit GTA-Erfahrung! Auch alle anderen werden hieran ihren Spaß haben, denn „Free Guy“ ist eine gut gemachte, kurzweilige Actionkomödie mit einer lustigen Leichtigkeit, die ich schon lange nicht mehr auf der Leinwand gesehen habe. Wer zudem Videospiele mag, der hat noch einmal extra Freude an den vielen, großartigen und sehr liebevollen GTA-Anspielungen.
Tucker and Dale vs. Evil [2010, BluRay]
Eine Gruppe von Collegestudierenden macht einen Ausflug in einen abgelegenen Teil der USA. Beim Campen im dunklen Wald stehen sie plötzlich zwei Rednecks mit Kettensäge und Sense gegenüber. Was dann passiert….
…ist alles andere als erwartbar. Während die beiden absolut harmlosen und liebenswerten Rednecks Tucker und Dale noch zu begreifen versuchen was hier eigentlich los ist, verfallen die Collegekids in Panik, weil sie glauben in einer Slashergeschichte gelandet zu sein. Während des kopflosen Herumhühnerns stirbt wirklich einer nach dem anderen – an eigener Dummheit. Tucker und Dale ziehen fassungslos den Schluss: Das muss ein Selbstmordkult sein. Doch dann stehen sie dem absoluten Bösen gegenüber – dem BWL-Studenten.
„Tucker and Dale vs. Evil“ ist ein wunderbarer kleiner Film und so ziemlich das schweinelustigste, was ich in 2012 gesehen habe, zeigt er doch auf´s Schönste, wie Vorurteile fatale Folgen haben können.
Dark City [1998, BluRay]
John Murdock erwacht ohne Erinnerung in einer Badewanne in einem heruntergekommen Hotelzimmer. Am Telefon wird er dazu gedrängt, so schnell wie möglich zu flüchten – und tatsächlich sind eine Gruppe blasser, dürrer Männer hinter ihm her, die ihn durch die Straßen der dunklen Stadt hetzen.
Immer noch ein Meisterwerk: Die „Dark City“ ist einer der Höhepunkte des Neo-Noir, einer recht kurzlebigen Bewegung von Mitte der 90er bis Mitte der 2000er, zu der auch „The Crow“, „Sin City“ und „Matrix“ gehören. Dark City hat einfach alles: Hervorragendes Art-Deko-Design, düstere Ausleuchtung, super Schauspieler. Highlight ist aber die verwirrende Story, die tatsächlich auch „Matrix“ geprägt haben dürfte, auch wenn dieser Film in eine deutlich andere Richtung geht. Ich weiß noch, wie mir beim großen Reveal, was die Dunkle Stadt wirklich ist, im Kino der Mund offen stehen blieb – und diesen Effekt hat das ganze heute noch. Ein moderner Klassiker.
Spielen:
Assassins Creed Valhalla: Die Belagerung von Paris [PS5, 2021]
Wikingerin Eivor verschlägt es nach Frankreich, wo Karl der Dicke einen Krieg mit ihrer Wahlheimat England beginnen will. In Paris, das im Jahre 900 gerade mal aus einer Ansammlung schlammiger Hütten und einer Festung auf der Ile de la Cite besteht, muss sie sich mit dekadenten Königen herumschlagen und einen Sturm der Wikinger auf die Stadt verhindern.
Gähn. More-More-More of the same. Der Landstrich in Frankreich, von Paris bis Amiens, ist trotz Asset-Recyclings recht groß und wie immer hübsch gemacht, aber man reitet schon wieder stundenlang durch die Landschaft um Ressourcen einzusammeln, die man nicht braucht, Schätze zu finden, die allesamt uninteressant sind, Ausrüstung zu bekommen, die schlechter ist als die, die man schon hat und dabei viele, VIELE Schlüssel und Zugänge zu suchen. Gerade dieses Spielelement wird hier dermaßen überstrapaziert, dass ich anfange zu schreien, wenn ich nur noch einmal höre „This Door is barred from the other side“ oder „I need to find the key“. Im Ernst, selbst für den Bosskampf muss man erstmal Schlüssel finden.
Die Story mäandert hin und her, die schlecht animierten Charaktere tun völlig ohne Konsistenz nur das, was die Story gerade braucht, das Pacing geht stellenweise völlig den Bach runter. Und wo versucht wird etwas neues zu machen, klappt das selten gut – die Pestratten zum Beispiel sind ein unausgegorenes und damit nerviges Spielelement, und die neuen, völlig overpowerten und teils unverwundbaren „Pikenträger“ sind einfach ein riesiges Ärgernis, das überhaupt keinen Spielspass aufkommen lässt.
Wem Assassins Creed Valhalla mit seinen bislang 140 Spielstunden (Hauptspiel und dem ersten DLC) noch nicht genug auf den Sack gegangen ist, dem bietet der „Paris“-DLC hier noch einmal 10 Stunden Gelegenheit dazu, und keine Minute davon macht Spaß.
Ich bin eigentlich ein AC-Fan, aber hier möchte ich nur noch, dass die, bereits zu Tode gemolkene, Kuh endlich verreckt. Leider sieht es nicht danach aus, „Valhalla“ ist Ubisofts erfolgreichstes Game bislang, und gerade wurde ein weiterer DLC angekündigt. Würg.
Machen:
Bis zur Monatshälfte: Motorradreise! Das ist sehr schön.
Neues Spielzeug:
V-Strom in kleiner Inspektion, Auto in großer Inspektion, neue Brille. Sehr teurer Monat.
Deine Meinung von Fforde und Marzi (habe ich während „Lumen“ nur noch quer gelesen, aus den von Dir genannten Gründen) teile ich. Trotzdem wünschte ich, Fforde würde zu „Shades of Grey“ zurückkehren.
Ich glaube, ich ignoriere „Squid Game“ weiter; bin auch kein Film von Saw und ähnlichen Filmen.
„Dark City“ ist klasse! Ich habe mir in diesem Jahr auch die Bluray mit dem Directors Cut gegönnt. nachdem ich jahrelang nur die normale DVD-Fassung mit dem spoilernden Prolog hatte. 🙂
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Natira: Wir haben beide den gleichen, guten Geschmack! Das fort zu Shades of Grey zurückgeht, wünschen sich anscheinend alle, und nerven ihn damit. In „Troll War“ Taucht er selber auf, und auch dort wird er von den Figuren mit Fragen zu einem Sequel genervt.
Zu Dark City gibt es einen Director’s Cut? Ohne den bekloppten Monolog? Oh, das wusste ich nicht. Sonst hätte ich den gekauft, statt der Standardfassung. Aber danke für den Hinweis, der läuft mir bestimmt mal günstig über den Weg
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„und auch dort wird er von den Figuren mit Fragen zu einem Sequel genervt“ hehe !
Diese Welt war so interessant, aber das wird wohl nichts mehr… Ich habe die Thursday Reihe Mal versucht, aber das war mir zu abgehoben bzw. die Charaktere (oder der Hauptcharakter, weiß nicht mehr) zu nervig.
Auf den Herrn Silencer ist Verlass, dass er sich für mich die gehypten Sachen anschaut! Danke für den Einblick!
Ach und um vielleicht auch mal eine Empfehlung los zu werden: ich mag die Zeitreise Bücher von Jodi Taylor (chronicles of St. Mary’s). Lustig, schnell gelesen, interessante (Welt-)Geschichte eingestreut.
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Kalesco: Du hat auch einen nachgewiesen guten Geschmack 🙂 Deshalb lese ich auch gleich mal in Jody Foster hinein.
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