Reisetagebuch Griechenland 2021 (7): The Best

Tagebuch einer Motorradtour durch Griechenland. Heute mit ähnlichem Mist wie gestern und einem vergessenen Prominenten.

Samstag, 25. September 2021, Sidirochoro
Die Sonne scheint durch´s Fenster und lässt das Holz der Zimmereinrichtung in einem warmen Ton leuchten. Sonne auf Holz. Der Inbegriff von Gemütlichkeit. Eigentlich will ich hier gar nicht mehr weg.

„My friend, all goode?“, poltert in der Gaststube Dimitrios mit seiner Dr. House-Reibeisenstimme und seinem russisch klingenden Englisch.
„Slept goode? Or dogs crying?“

„Barking. All. Night. Long.“, sage ich und reibe an den Schatten unter meinen Augen herum. Dank Ohrenstöpseln habe ich zumindest ein wenig Schlaf bekommen, aber die hysterische Nachbarstöle kläfft in einer so nervenzersägenden Frequenz, dass die sogar durch die guten Ohropax zu hören ist.

„Maaaany wolves and bears here“, grinst Dimitrios und stellt fest „You like white Mushroom, Yes“ um dann wieder so ein geiles Frühstück wie gestern zu machen – Omelett mit frischen Kräutern und Pilzen, gebackener Toast, dazu Brot und im Ort hergestellte Butter und Konfitüre. Im Duett schlürfen wir dazu griechischen Kaffee, ich an meinem Tisch, Dimitrios gedankenversunken am anderen Ende des Raumes hinter seiner Theke.

Als das Geschlürfe ein Ende gefunden hat, verabschiede ich mich. Im Rausgehen sage ich noch „Mir gefällt Dein Auto“.
Dimitrios guckt irritiert. „Aaaah, is nothing special. Is small and olde. Why you like?“.
„Ich mag die Farbe“, sage ich und ziehe die Tür zum Gasthaus zu.

Die Nacht war wieder kalt, so um die 3 Grad, und ich bin tatsächlich sogar irgendwann vor Kälte aufgewacht und habe mir eine zweite Decke aus dem Schrank geholt.

Auch jetzt ist die Luft noch kühl, vielleicht so sechs, sieben Grad, aber in der Sonne ist es schön und warm. Ich scheuche ein paar spielende Hunde aus dem Weg und beginne den Tag im Sattel des Motorrads.

Erst einmal geht es runter vom Berg, dann über die Ebene am See von Kastoria und durch die großen Apfelplantagen, wo gerade die Ernte in vollem Gang ist. Dahinter führt die Straße führt durch eine abwechslungsreiche Landschaft. Sie schlängelt sich zwischen den Bergen hindurch und führt immer wieder zwischen kleinen Feldern entlang.

Erneut stelle ich fest, wie herrlich es sich in Nordgriechenland fahren lässt. Die Straßen sind praktisch leer, vielleicht alle fünf bis zehn Minuten begegnet mir ein Fahrzeug. Eine so geringe Verkehrsdichte, das kennt man aus Deutschland nicht mal mehr aus den ländlichen Gebieten.


Die heutige Route habe ich schon zu Hause am Rechner zusammengesteckt. Es geht zunächst nach Süden, eine komfortable Landstraße in den Bergen entlang.

Nach 50 Kilometern steuere ich nach Westen und damit tiefer in die Berge hinein. Die Straße klettert höher, und unvermittelt finde ich mich auf einer Hochebene wieder, auf der keine Bäume mehr wachsen. Ich mag solche Landschaften, und hier sieht es fast so aus wie am Gran Sasso in den Abruzzen.

Auf 1.700 Metern liegt ein künstlicher See, in dessen klarem Wasser sich der blaue Himmel spiegelt. Auf einem Damm latschen Kühe herum.

Die Straße führt in fantastischen Kurven am Seeufer entlang, und die V-Strom fliegt über den Asphalt, während ich mich gar nicht an den Ausblicken sattsehen kann.

Mit den vielen Nadelbäumen sieht das hier so aus, wie ich mir Kanada vorstelle. Zu gerne würde ich hier anhalten und mit der Pica, der kleinen Drohne, ein paar Luftaufnahmen machen. Aber so menschenleer das hier oben auf den ersten Blick auch wirkt, ich bin hier nicht allein. Überall sind Motorsägen zu hören, Angler sitzen am Ufer und Trucks mit Käfiganhängern stehen am Wegesrand, das heißt hier sind auch Jäger unterwegs.

Nachdem ich den See umrundet habe, geht es weiter durch das Pindos-Gebirge. Das ist unspektakulärer als es sich anhört, den Bergen mangelt es eindeutig an Dramatik und die gut ausgebaute Straße, die sich an Hängen entlang und über Bergrate schlängelt, ist auch keine Herausforderung.

Die Region gilt übrigens als das hydrographische Herz Griechenlands, weil hier mindestens drei der fünf wichtigsten Flüsse Griechenlands entspringen und es die Wasserscheide zwischen der Ägäis und dem Ionischen Meer ist.

Unterwegs komme ich an einem markanten Baum vorbei. Ob das die legendäre Panzerkiefer ist, die hier irgendwo stehen soll und die mit 1080 Jahren einer der ältesten Bäume Europas ist? Nein, vermutlich nicht.

Am Rande des Gebirges und ganz im Westen der Region Epirus liegt der Ort Metsovo und verteilt sich gleich auf zwei Berge, die durch eine Schlucht getrennt sind. Ich möchte möchte den neueren Ortsteil besuchen, weil mir der in Reisebüchern als quirliges und schön aussehendes Örtchen mit einem kleinen Markt aufgefallen ist.

Als ich nach Metsovo hineinfahre und der glatte Asphalt einem modernen Kopfsteinpflaster weicht, wird mir klar: Nicht nur ich finde Metsovo hübsch und interessant. Die Hauptstraße ist gesäumt mit Andenken- und Tinneffläden, und dicht an dicht parken hier die Autos von Besuchern, die weiter im Ort auch allesamt zu Fuß unterwegs sind. Echt, was für ein Volk hier auf den Beinen ist!

Ich steuere vorsichtig weiter in den Ort hinein und achte dabei auf die Fußgänger und die wild herumkurvenden Autos. Leider stehe ich nach wenigen hundert Metern schon wieder vor einer Baustelle, die Durchfahrtsstraße ist gesperrt.

Ich versuche es mit einer Nebenstraße, aber hier stellt sich mir plötzlich ein Typ in den Weg, der sich offenbar vorgenommen hat, Besucher durch Armwedeln und laute Rufe zu vertreiben – er scheint ein Gastwirt zu sein, der seine Gäste vor Durchfahrtsverkehr schützen will. Depp.

Genervt drehe ich um und suche nach einem Weg hier raus. Anna ist keine große Hilfe, aber das liegt nicht an ihr. Ausnahmslos jede Straße, die sie vorschlägt, ist gerade gesperrt.

Ich habe jetzt schon keinen Bock mehr hier einen Stopp einzulegen und den Ort kennen zu lernen. Ich will nur noch weg, hier ist mir entschieden zu viel los.

Ich steuere in die Richtung, in der ich eine Ausfahrt aus dem Ortskern vermute, und hänge mich hinter einen Hilux, einen dieser unzerstörbaren Toyota Trucks. Also, wirklich unzerstörbar. Jeremy Clarkson hat das mal getestet:

Dass das keine gute Idee war, merke ich recht schnell. Die Straße wird zur Gasse, und die führt plötzlich steil den Berg hinauf und wird immer schmaler. Aber der Truck vor mir weiß sicher, wo er hin will, oder? Wo der durch kommt, komme ich auch durch. Es muss also irgendwie weitergehen. Oder?

Plötzlich hält der Truck unvermittelt an. Der Motor geht aus, der Fahrer steigt aus und mir wird klar, dass ich hier in einer steilen, engen Sackgasse am Berg stehe. Au man! Schon wieder versackt in einem Bergdorf, und noch schlimmer als gestern, das gibt es doch gar nicht!

Neben dem Truck gibt zwar eine Stichstraße, die in halsbrecherischem Winkel den Berg hinaufführt, aber über der liegt gerade quer eine Bohle, und ein schwitzender Mann mit Deppenhut fährt Schubkarren voller Bauschutt darüber. Ob er den Weg freimachen soll, gestikuliert er. Nee, lass mal, winke ich zurück. Ich will nicht noch weiter versacken.

Vorsichtig lasse ich die V-Strom rückwärts rollen. Zum Glück gibt es zwischen den Häusern eine Garageneinfahrt. Ganz vorsichtig bugsiere ich die Suzuki rückwärts in die Einfahrt und manövriere sie dann noch Zentimeter für Zentimeter hin und her, bis sie im rechten Winkel zu der Gasse steht.

Jetzt könnte Wenden in einem Zug klappen. Ganz sicher bin ich aber nicht, die Gasse ist halt extrem steil und das Motorrad bei vollem Lenkereinschlag sehr kippelig. Gebe ich gleich am Anfang zu wenig Gas oder werde zwischendurch zögerlich, weil der Lenkeinschlag doch nicht ausreicht, dann stehe ich quer in der Gasse drin und habe maximal ein Fuß am Boden. Mächtig instabil, und wenn es ganz doof läuft und ich umkippe, poltere ich mit der ganzen Fuhre den Berg runter. Wenden im starken Gefälle – nicht ganz einfach.

Aber es klappt, ich kriege die lange V-Strom gewendet und hoppele auf ihr das Kopfsteinpflaster wieder hinab. Ich schnappe nach Luft und bemerke jetzt erst, dass ich während de spannenden Manövers wohl den Atem angehalten habe.

Es geht zurück in den Ort, zwischen den Fußgängern hindurch, an den wildgewordenen Autofahrern vorbei und dann wieder auf dem gleichen Weg aus dem Dorf hinaus, den ich hineingekommen bin. Bloß weg hier.

Als ich wieder auf der Landstraße bin, muss ich erst einmal anhalten und ein paar Minuten Pause machen. Man, das war anstrengend. Gib mir Berge, Schotter, sonstwas, das ist alles weniger nervenaufreibend als diese Bergdörfchen mit ihren steilen Gassenlabyrinthen.

Wieder auf ebener Straße cruist die V-Strom weiter nach Osten, durch Waldgebiete und aus den Bergen heraus.

Die Straße folgt einem Fluss, und dann kommt ein beeindruckender Anblick in Sicht: Felsen.
Große, graue, nackte, mächtige Felsen, die senkrecht 300 Meter aus der hügeligen Landschaft emporwachsen. Ich weiß auch ohne Annas Hilfe, was das hier ist und wo ich hier bin, und vor uns liegt Kalambaka.

Die enormen Sandsteinfelsen sind eine einzigartige Formation, und noch einzigartiger sind die Klöster, die in sie hineingebaut sind. Aber dazu kommen wir später, für heute will ich erstmal nur in meine Unterkunft. Um die zu erreichen hat Anna eine geradezu romantisch schöne Strecke gerechnet: Gar nicht großartig rein in den Ort Kalambaka, der am Fuß der Felsen liegt, sondern kurz vorher abbiegen, zwischen den Felsen hindurch und dann auf eine Rundstraße, die oben am Berg entlangführt und fantastische Ausblicke auf Felsen und Klöster erlaubt. Ich kann mich gar nicht daran sattsehen.

Östlich der Felsen führt die Straße langsam wieder ins Tal, und hier biege ich ab und fahre eine kurze Stichstraße entlang, die mit Schildern in allen möglichen Sprachen gespickt ist. „Wohnmobile willkommen“ steht da zum Beispiel auf Deutsch und „International Insider Tip“. Auf großen Schildern angepriesene Insidertips, das verheißt nichts Gutes.

Vor einem großen Tor kommt die V-Strom zum stehen. Es ist über und über beklebt mit ausgeblichenen Flaggen unterschiedlichster Länder. Das wirkt Megatouristisch und vor allem: Billig. „Ach Du Scheiße“, denke ich. Was habe ich mir denn dabei gedacht, als ich mir das hier ausgesucht habe? Ach ja, strategisch günstige Lage. Und billig. Nunja.

Ich suche den Eingang und betrete das Haus.

Drinnen ist ein großer Raum, in dem Tische stehen, wie in einem Restaurant. Es gibt auch einen Empfangstresen und eine Fernsehecke mit einer Couch. Von der schreckt ein verschwitzter, untersetzter Mann auf. Er ist Mitte 50, hat graue, fettige Haare und trägt ein sackartiges Jeanshemd, auf dem Aufnäher von Wölfen vor Vollmonden zu sehen sind. Die Art von Motiv, die man sonst nur auf kitschigen Romantikbildern sieht. Interessanterweise hat er das Hemd in seine Unterhose gestopft und diese bis über den Bunt der Jogginghose hochgezogen.

„Deutscher?“, fragt er. Ich nicke. „Ich spreche Deutsch!“, sagt Nikos, der sich als Nikos vorgestellt hat, und ruft „„Frühstück um 8! Mein Mutter macht Abendessen!“ – siehst Du!“ er dreht sich um und watschelt in Richtung eines Empfangstresens, weiterhin Deutsch mit englischen und griechischen Einsprengseln vor sich hinmurmelnd, was im Verbund ein so grandioses Kauderwelsch wird, das ich kaum ein Wort verstehe.

„Du Deutsche, you are the best“, sagt er und reicht mir einen Zimmerschlüssel, dann guckt er an mir vorbei in die Ferne. „Mein Mutter! She is best. Makes Abendessen. Essen hier, is best“. „Okay“, sage ich und greife mir meine Koffer. Abendessen im Haus ist super, dann muss ich danach nicht mehr lange rumfahren oder einkaufen. Obwohl ich dafür nur drei Straßen weiter fahren müsste. Direkt am Fuß des Berges liegt ein Lidl. Strategisch günstige Lage, wissen schon. Lidl ist der beste Freund von Reisenden. Bei Hotelsuchmaschinen sollte echt ein Suchfilter „Entfernung zum nächsten Lidl“ eingebaut sein.

Auch wenn das Haus von außen billig wirkt und der Gastwirt seltsam, die Zimmer sind super. Meines ist sauber, groß und hat sogar einen kleinen Balkon, der über einen Olivenhain und das weite Tal östlich von Kalambaka blickt.

Ich dusche mir den Staub vom Körper, und gegen 19:00 Uhr schlendere ich nach unten und bekomme von Nikos, so heißt der Gastwirt, einen Platz an einem Tisch auf der Terrasse zugewiesen. „My mother is best, makes Abendessen. Andere Deutsche sit here. You are the best“, schnauft er kurzatmig und watschelt davon.

Tatsächlich bin ich nicht der einzige Gast, was angesichts der Lage dieses Gasthauses am bedeutendsten Touristen-Hotspot Griechenlands auch nicht zu erwarten war. Nikos hat aber alle Gäste nach Nationalitäten fein getrennt und platziert sie so, dass sie Gesprächspartner haben. Ein australisches Ehepaar ordnet er einer englischen Familie zu, an meinen Nebentisch kommt ein junges Pärchen aus Dresden, das gerade eine Griechenland-Rundreise macht. „Sie sind mit dem Motorrad unterwegs?“, fragt der Mann. „Wie transportiert man da das Gepäck? Haben Sie einen Rucksack auf beim Fahren? Ist der schwer?“

Das Abendessen besteht aus etwas zu trockenem Suvlaki, das Nikos Papa an einem gemauerten Grill zubereitet, dazu gibt es Pommes und einen riesigen, griechischen Salat. Nichts besonderes, aber lecker und gut.

Zum Nachtisch verteilt Nikos Eis am Stil. „Ein Geschenk von my mother“, sagt er und nickt in Richtung der Küchentür, durch die eine hochgewachsene, bestimmt fast achtzigjährige Frau mit Dutt und Arbeitskleid lugt. Ich winke ihr zu und rufe „Efcharistó!“, Danke, verkneife mir aber ein „You are the best!“. Sie lächelt freundlich und winkt schüchtern zurück.

„Mein Mutter, she is the beste“, murmelt Nikos vor sich hin und so langsam frage ich mich, ob in seinem Kopf nicht nur die Sprachen durcheinander sind. Er lehnt sich schnaufend an die Brüstung vor den Tischen und mustert die Dresdner und mich. „You are the best“, murmelt er und blickt auf den Boden, dann guckt er ruckartig wieder hoch, ruft „Hasse!“ und blickt die Dresdner und mich erwartungsvoll an.

Wir zucken mit den Schultern – was will er von uns?
„Hasse!“, wiederholt er, „The World most famous mountaineer. The best. You must know!“

Ich schüttele den Kopf, die anderen auch. Nikos wird leicht ungehalten. „Er war auch Deutscher! Er war the Best! Er kam hier immer geklettert überall! Keiner kann so wie er! The Best! Deutscher! You must know! Hasse! From Ost-Germany. Always here übernachtet. Er kennte meine Mutter. The best!“
Tatsächlich hat noch niemand hier etwas von einem Hasse gehört, aber wozu gibt es Internet?

Tatsächlich gab es einen Dietrich Hasse, der nicht nur die Dreizinnen in den Dolomiten, sondern eben auch die Meteora-Felsen klettertechnisch erschlossen, also Routen ausgearbeitet, hat.

„Der kam sogar aus Dresden!“, staunt der Dresdner in sein Handy. Ist aber kein Wunder, das ihn von uns niemand kennt. Dietrich Hasse wurde 1933 geboren und wirkte hauptsächlich in den Sechzigern und Siebzigern. Wenn man nicht selbst gerade Alpinist ist, kennt man den nicht mehr.

Aber Nikos hält das Andenken hoch und erinnert sich immer noch gerne an ihn. „Kam lange. Jetzt in Berlin, very old, forgets everything. He likes my mother. My mother is best. Good night my friends. Deutsche. You are the best.“

Dann dreht er sich um und verschwindet um die Hausecke, um den Australiern Gesellschaft zu leisten.

Ich beschließe den Abend mit einem Blick über das nächtliche Tal. Im Dunkeln schimmern die Lichter der Ortschaften, sowas kann ich mir – genauso wie Städte bei Nacht – stundenlang angucken.

Tour des Tages: Von Kastoria über Metsovo nach Kalambaka, 209 Kilometer.

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Nächste Woche in Teil 8: Metéora

Kategorien: Motorrad, Reisen | Hinterlasse einen Kommentar

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