Tagebuch einer Motorradtour durch Griechenland. Heute mit Klöstern, Papper und Schwaben. Ausgerechnet Schwaben.
Tag 8: Sonntag, 26. September 2021, Kalambaka
„My mother makes breakfast“, schnauft Nikos, „my mother is best“. Auch heute morgen hat er wieder das karierte Hemd mit den Wolfsapplikationen an und watschelt zwischen den Tischen im Frühstücksraum herum. Ich bin der erste Gast und er stellt mir einen Teller nach dem nächsten hin, mit Wurst, Käse und Joghurt. Ich habe überhaupt keinen Appetit, bin noch voll vom gestrigen Abendessen.
Ich stürze nur einen Kaffee herunter, dann gehe ich hinaus zum Motorrad. Das Gepäck bleibt im Gasthaus, ich werde hier noch eine weitere Nacht verbringen.
Die V-Strom steht in der Morgensonne. Über ihr, in zwei, drei Kilometern Entfernung, stemmt sich eine große Sandsteinklippe aus einem Bergausläufer. Auf ihrer äußersten Kante liegt ein großes Gebäude, das von hier aus wie eine Burg aussieht. Es ist ein Kloster, und das will ich mir ansehen.
Ein Druck auf den Anlasser und der V-Twin erwacht zum Leben. Die V-Strom giert nach Strecke, aber heute wird es nur kurze Hüpfer geben. Ich steuere die Barocca hinaus auf die Rundstraße, die einmal um die Meteora-Felsen herumführt.
Mir fällt wieder ein wie ich das erste Mal hier war, vor sechs Jahren. Damals mit Modnerd, als Beifahrer im Mietwagen, bestaunte ich den makellosen Asphalt und die perfekten Kurven dieser nagelneuen Straße und dachte: „Hier würde ich so gern mal mit einem Motorrad entlangfahren“ – und jetzt bin ich hier!
Die V-Strom brummt die Bergstraße hinauf. Das Bergmassiv bildet hier einen Halbkreis, in dem die Felssäulen aus dem Boden ragen und vor die sich der Ort Kalambaka kuschelt. Eine seltsame Gegend, die die Menschen schon immer fasziniert hat. Einsiedler, Hippies und anderes durchgeknalltes Volk – also genau das Material, aus denen Religionen gemacht sind – ziehen diese Naturmonumente magnetisch an, schon seit ewigen Zeiten. Kein Wunder das erst Einsiedler, dann religiöse Orden hier die Metéora-Klöster in die Felsen gebaut haben.
„Metéora“ kommt von metéōros, dem altgriechischen Wort für „In der Luft schwebend“. Mindestens seit dem 11. Jahrhundert gab es auf den Spitzen der bis zu 300 Meter hohen Felsen Einsiedeleien.
Ist fast eine Ironie: Da will man als Einsiedler seine Ruhe haben und sucht sich den abgelegensten und am schwersten zugänglichen Ort der Welt – und stellt DANN fest, dass eines morgens von der Felsnadel gegenüber jemand herüberwinkt, der da über Nacht eingezogen ist. Und zwei Felsen weiter wohnt plötzlich auch ein Einsiedler. Auf dem im Hinterhof auch! Und weiter unten am Berg wohnt auch ein Eremit! Quasi eine Siedlung von Einsiedlern!
Die Felssäulen von Metéora waren bei Religionsvolk so beliebt, das hier ab dem 15. Jahrhundert im Akkord Klöster gebaut wurden. Insgesamt vierundzwanzig waren es zu der Zeit, als es gerade total Mode war ein Metéora-Kloster zu haben.
Heute sind die meisten verfallen und unbewohnt. Nur sechs Klosteranlagen sind noch in Funktion, zwei für Frauen, vier für Männer. 2015 lebten auf den Felsen 41 Nonnen und 15 Mönche, neuere offizielle Zahlen gibt es nicht. Die sechs Klöster lassen sich allesamt besichtigen und sind über die Rundstraße verbunden. Nikos hat mir eine Karte mitgegeben. Darauf sind alle Felsen, die Rundwege und die Klöster eingetragen.
Die Karte mit ihren bescheidenen zwei Dimensionen gibt natürlich nicht im Ansatz wieder, wie spektakulär die Klöster auf den Felsen thronen (Klick macht groß):
Das erste Kloster liegt tatsächlich nur zwei Kilometer vom Gasthaus entfernt. Mein Plan war eigentlich hier als erster, noch vor dem großen Touristenansturm, anzukommen. Das funktioniert aber leider nicht, wie ich schnell merke. Die Klöster öffnen um 09:30 Uhr, und als ich um kurz nach Neun vor dem Nonnenkloster Agios Stéphanos ankomme, stehen dort schon ein halbes Dutzend Reisebusse. Für die V-Strom gibt es keinen auch nur halbwegs tauglichen und noch freien Parkplatz, überall ist es abschüssig.
Macht sich der durchschnittliche Autofahrer auch keinen Kopf drum wie schwer es manchmal sein kann, einen vernünftigen Motorradparkplatz zu finden. Haste Gefälle nach rechts, kriegste den Hauptständer nicht raus. Haste Gefälle nach links, steht die Kiste nicht gut oder liegt so tief, dass du sie später nicht wieder hochbekommt. Haste Gefälle nach vorne und weiter unten keinen Wendemöglichkeit, biste gearscht – Rückwärtsgang hat ja ein Motorrad nicht, und ob Goldwings zu Motorrädern zählen, darüber streitet die Wissenschaft noch.
Ich will keinen Stress und auch nicht, dass hier ein Reisebus beim Rangieren auf dem engen Wendeplatz die Suzuki erwischt. Deshalb fahre ich lieber wieder einen halben Kilometer zurück und lasse die Maschine an einer der Aussichtsstellen stehen, die immer wieder an den Straßenrand gebaut sind und von wo aus sich die Pracht der Klöster bewundern lässt, ohne die Straße zu blockieren.
Nebeneffekt ist natürlich die tolle Aussicht auf das Kloster Agios Stéphanos…
…das seinerseits jetzt eine Aussicht auf die V-Strom hat. Wenn man sie findet.
Ich betrete das Kloster. Zwei, drei Euro kostet das in jeder Anlage und am Eingang wird aufgepasst, dass die Besucher auch angemessen verhüllend gekleidet sind. Damit sind nicht die obligatorischen Corona-Masken gemeint. „Verhüllt“ bedeutet für Frauen: Schultern bedeckt und – weil wir es hier mit der griechisch orthodoxen Kirche zu tun haben – auch die Beine bedeckt, und nach Möglichkeit nicht mit Hosen. Dafür gibt es an jedem Klostereingang farbige und recht hübsche Tücher zu kaufen, die frau sich um Hüften und Schultern schlingen soll.
Merke: Egal ob Christentum oder Islam, wenn alte Männer mit langen Bärten Religion machen, läuft das IMMER darauf hinaus, dass Frauen ihre Körper verstecken müssen.
Viel kann man im Kloster nicht besichtigen, aber es es gibt einen schönen Innenhof und eine Terrasse, die einen tollen Blick auf Kalambaka und das Tal freigibt.
Neben einen kleinen Museum, in dem Trachten der Ordensschwestern und allerlei religiöses Handwerkszeug ausgestellt werden, gibt es auch einen Klostershop. In dem ist es neblig. Ich denke spontan an kiffende Nonnen, und so falsch liege ich damit auch nicht; Neben Büchern, Schmucksteinen und Kühlschrankmagneten verkaufen die Ordensschwestern hier vor allem Weihrauchmischungen, und davon gönnen sie sich auch gerne selbst großzügig. Ich halte mich nur zwei Minuten in dem Shop auf, aber das reicht, das sich meine FFP2-Maske so vollsaugt, dass ich den Rest des Tages bei jedem Atemzug Weihrauch rieche.
Agios Stephanos liegt am Ende einer Sackgasse, und so fahre ich die Straße wieder zurück die ich gekommen bin. Einen Kilometer nur, hier liegt schon das nächste Kloster: Agia Triadas, das Kloster der heiligen Dreifaltigkeit.
Agía Triádas ist noch einen Tucken berühmter als die anderen Klöster, weil es vor 40 Jahren in dem Bond Film „For Your Eyes Only“ („In tödlicher Mission“) vorkam. Übrigens der Bond Film mit der zweitschönsten Bond-Woman ever, Carole Bouquet, aber das nur am Rande.
Im Film musste Bond den Klosterfelsen erklettern, und auch für heutige Besucher ist der Weg anstrengend. Zwar gibt es eine kleine Seilbahn hinüber, die ist aber nicht zur Beförderung von Touristen gedacht.
Wer das Kloster besuchen möchte, muss einen gewundenen, gepflasterten Weg hinabsteigen, dann über eine Brücke zwischen Berg und Felsnadel laufen und dann einen, in den Fels gehauenen, Treppengang ganz wieder hinauf. Anstrengend ist das, und ich merke wieder, wie unfit ich nach zwei Jahren Pandemie bin. Keine Muskeln mehr, nirgends, und ich muss nicht nur meinen vergammelten Körper hier hochschleppen, sondern auch die schweren Motorradklamotten, die an ihm dranhängen. Keuch.
Ja, das hier ist das Kloster, was man sich am härtesten erarbeiten muss. Als Belohnung gibt es wieder Zugang zu einem kleinen Innenhof und einer Kapelle und zu der Aufzugsplattform, von der aus ein Korb zur Beförderung von Personen und Nahrungsmitteln zum Fuß des Felsens hinabgelassen werden kann. 1981, zu Bond-Zeiten, war das noch ein schedderiger Schuppen, heute ist es gleichzeitig eine Aussichtsplattform.
Wieder zurück am Motorrad muss ich erstmal durchschnaufen. Ich nehme die nach Weihrauch duftende FFP2-Maske ab und gönne mir tiefe Züge aus einer der Wasserflaschen, die im Topcase stecken. Währenddessen kann ich die Augen nicht von der Aussicht lassen und sehe hinter Agias Triadas schon mein nächstes Ziel: Varlaám.

Links das Kloster Metamorfosis, rechts Vaalaam. Beide sind recht weit weg, das Bild ist mit 30fach Zoom entstanden.
Varlaám ist groß und sieht von vorne aus wie eine italienische Burg aus dem 15. Jahrhundert.
Am Kloster Varlaám ist es tatsächlich recht voll. Bislang war in den Klöstern gar nicht so viel los, wie man es für einen Sonntag und den zweitbeliebtesten Touri-Hotspot Griechenlands nach der Akropolis denken könnte, aber schon vor dem Eingang hockt eine Busladung Schüler:innen, und drinnen herrscht ordentliches Gewusel. Vielleicht, weil es in Varlaám nicht nur den obligatorischen Innenhof (voller Menschen) zu bestaunen gibt, sondern auch einen recht großen Souvenirshop (völlig überlaufen) und ein modernes Museum (fast leer) mit historischen Aufnahmen, kunstvollen Büchern, Gemälden und religiösem Handwerkszeug. Letzteres reicht von handwerklich nicht so supi begabten Mönchen schief zusammengebastelten Kelchen und Geräten, die wie reich verzierte Tortenheber aussehen, über Kreuze mit Dolchen drin bis zu Dolchen mit Kreuzen drin und einem 12.000 Liter fassenden Fass, in dem früher Wasser aufbewahrt wurde.
Besonders interessant finde ich die frühen Fotos der Mönche, die hier gelebt haben, und der klösterlichen Gemeinschaft.
Es muss ein hartes Leben gewesen sein, immer schon. Früher mussten die Mönche nicht nur ihre eigene Nahrung anbauen, sondern sich irgendwie auch soweit nützlich machen, dass sie die Steuern erwirtschaften konnten, die von ihnen verlangt wurden. Das kann nicht gerade wenig gewesen sein, denn auch, wenn die Klöster im 16. Jahrhundert, als das hier alles zum osmanischen Reich gehörte, die Erlaubnis zum Weiterbetrieb von Suleyman dem zweiten persönlich bekamen, wegen der Steuerlast gingen sie reihenweise pleite.
Bei Varlaám kam noch hinzu, dass es besonders schwer zu erreichen war. Das Kloster wurde nach dem Mönch benannt, der es 1350 als erster schaffte auf die Felsnadel zu klettern. Er baute dort eine Kapelle und sammelte einige Mitstreiter um sich, aber als Varlaám starb, hatten alle spontan keinen Bock mehr auf dem hohen Felsen rumzuhocken und gingen nach Hause. Erst zwei Jahrhunderte später hielten es zwei Mönche aus Ioannina wieder für eine gute Idee da hochzuklettern und wieder eine Kirche zu bauen.
Immerhin, von hier hat man den schönsten Ausblick auf die anderen Felsen.
Ich bin übrigens ein wenig erstaunt, dass trotz der Touristenhorden nirgendwo Geländer angebracht sind. Die Leute klettern auf den teils wirklich glatten Sandsteinen herum und posieren für Fotos oder chillen vor sich hin, als ginge es wenige Meter weiter nicht hunderte Meter in die Tiefe.
Ein Stück weiter, am Ende der Straße, liegt das Kloster Metamórphosis, das auch Megálo Metéoro genannt wird.
Wie der Name schon andeutet, ist es das größte der Metéoraklöster. Aber da will ich heute nicht hin. Zum einen, weil es auch das meistbesuchte ist und jetzt da viel los sein wird, zum anderen, weil ich es schon kenne. 2015 war es das einzige Kloster, das zu besuchen ich Zeit hatte.
Ich fahre die Rundstraße wieder ein Stückchen zurück und biege Richtung Tal ab. In weiten Kurven führt die perfekte Straße durch die Landschaft.
Nach kurzer Zeit erreiche ich das Nonnenkloster Rousánou, das der heiligen Barbara gewidmet ist.
Ein steiler, aber dafür kurzer Treppenaufstieg, und man steht auf einem praktisch freischwebenden Vorplatz.
Rousánou ist klein, aber nett und gut erreichbar. St. Nikoláos ist das genaue Gegenteil. Um bis zum Kloster zu gelangen, ist ein ordentlicher Anstieg zu Fuß zu bewältigen, dann noch hunderte von Treppenstufen und ganz oben sitzt ein schlechtgelaunter Mönch und schnauzt die Besucher an.
St. Nikoláos ist das kleinste der Männerklöster, und es liegt am tiefsten.
Aber auch hier gibt es Ausblick!
Trotzdem bin ich froh, als ich wieder an der Straße und bei der Barocca bin. So, Pflichtprogramm erfüllt, jetzt kenne ich alle Klöster hier oben.
Und nun? Ich hatte mir extra einen ganzen Tag Zeit genommen, aber das es nun fast nirgendwo längere Wartezeiten gab und zudem das, was man in den Klöstern sehen kann (Innenhof, Aussicht) doch arg begrenzt ist, war das hier nun echt keine tagesfüllende Veranstaltung. In nur drei Stunden habe ich fünf Klöster abgeklappert.
Es ist gerade erst kurz vor Zwölf. Was mache ich jetzt mit dem angebrochenen Tag? Es sind 30 Grad, wandern – wie so viele es hier entlang der Straße tun – möchte ich nicht. Tja, bleibt nur: Motorradfahren!
Ich werfe noch eine Blick zurück auf das einzigartige Kulturwelterbe, dann gebe ich der V-Strom die Sporen und lasse sie an den Reisebussen und Mietwagen vorbei den Berg hochflitzen. Jetzt achte ich nicht mehr auf die Landschaft, jetzt bin ich wieder ganz mit der Konzentration auf der Straße und lege das Motorrad in die Kurven, fädele zwischen Wohnmobilen hindurch und beschleunige an Wandergruppen vorbei. Die Barocca genießt diesen zügigen Ritt und dreht zufrieden auf.
Von der Rundstraße aus gibt es eine Abzweigung, die in die Berge hinter Metéora führt. Die fahre ich jetzt entlang, mal gucken wo ich rauskomme.
Stellt sich raus: Nirgendwo, die Straße schlängelt sich über Kilometer über Berggrate, ohne irgendwo anzukommen. Ist mir aber egal, ich will ja nirgendwo hin, ich will ja nur Landschaft gucken. Und die gibt es hier! Ach ja, und Ziegen, die gibt es natürlich auch.
In einem weiten Bogen fahre ich langsam nach Kalambaka zurück und lasse noch einmal auf mich wirken, wie die majestätischen Felsen bei der Anfahrt auf den Ort wirken.
Zurück am Gasthaus genieße ich den warmen Tag, erst bloggenderweise auf dem Balkon meines Zimmers, dann lege ich mich ein wenig auf´s Bett und döse ein, bis es Zeit für das Abendessen ist.
Nikos platziert die heutigen Gäste wieder nach Nationalität, was einem älteren Ehepaar vom Typ „Mathelehrer im Ruhestand“ plus „Hausfrau in Rente“ gar nicht passt. Er wollte lieber woanders sitzen und kann es nicht leiden, er an das andere Ende des langen Tischs gebeten wird, an dem ich sitze. Ich mustere die beiden.
Er ist hager, trägt Glatze und Brille und aus einer kurzen Hose schauen weiße Beine heraus, die in noch weißeren Tennissocken und Sandalen stecken. Seine Frau ist ebenfalls hager, wirkt fast verhärmt und trägt zu Sandalen und Tennissocken ein geblümtes Sommerkleid. Die beiden kommen aus Stuttgart und sprechen mit starkem, schwäbischen Akzent. Den schreibe ich jetzt wegen der Lesbarkeit nicht nieder, bitte vorstellen wie ein Schwabe klingt:
„Wir hatten da vorn um die Ecke so einen schönen Platz, und der hat uns da vertrieben und gesagt, wir dürfen da nicht sitzen und sollen hier hin!!“ zürnt das hagere Männlein und ist so erregt, dass er mir das gleich mehrfach hintereinander erzählen muss. Wie eine Schallplatte mit einem Sprung. Ich mache es wie seine Ehefrau, die offensichtlich auf Durchzug geschaltet hat, und der Herr Oberstufenrat findet nach kurzer Zeit etwas anderes, über das er sich aufregen kann.
Heute ist der Tag der Bundestagswahl, und die Deutschen einen Tisch weiter entblöden sich nicht, während des Abendessens laut Nachrichten mit ersten Hochrechnungen aus Handylautsprechern quäken zu lassen.
Dem Schwaben ist das ein Dorn im Auge, aber wie das bei diesen vertrockneten Männlein nunmal so ist, er hat nicht den Arsch in der Hose rüber zu gehen und das direkt zu sagen. Stattdessen tut er so, als würde er mit mir sprechen und redet dabei extra laut, damit man ihn am Nebentisch hört: „Finden Sie nicht auch, dass es Un-mög-lich ist, wenn manche Menschen ihre Umwelt mit ihren Handys belästigen?“
Wie erbärmlich. Das ist lächerlich, und die Taktik funktioniert auch nur bei Menschen mit Schamgefühl, nicht bei Leuten denen es EGAL ist, ob sie andere Menschen nerven.
Apropos Nerven: Ich würde mir jetzt gerne etwas von dem Salat in die Ohren stopfen, den Nikos gerade vorbeibringt, damit ich den Schwachsinn meiner Landsleute nicht mehr mitbekommen muss.
Apropos Salat: Die Schwaben beäugen meine Portion, vergleichen die mit ihrer zwei-Personen-Schüssel und befinden, dass ich im Verhältnis mehr Feta bekommen habe als sie. Natürlich müssen Sie Nikos dafür zur Rede stellen und nach dem Grund fragen, zerschellen aber an seinem Deutsch, bei dem er lustig Worte durcheinanderwürfelt.
„Warum Salat? Sehr gute Salat, macht mein Mutter. Meine Mutter is the Best. Salat für alle. Salat für ihn“, er deutet auf mich, „weil er beste, und Salat für dich, Chef“, sagt er und deutet auf den Schwaben, der nicht genau weiß ob er als Chef jetzt auch der beste ist oder in Nikos Gunstskala unter mir steht.
Mehr Kommunikation findet nicht statt, denn Nikos biegt in Richtung englisch ab, ein Weg, dem die Stuttgarter nicht folgen können. Als Nikos wieder verschwunden ist, rückt der Mathelehrer a.D. seine Brille zurück und flüstert „Warum bin ich Chef?“. Ich zucke mit den Achsel.
Beim Hauptgang wird es mit der Missgunst es noch schlimmer. Die Schwaben bekommen Suvlaki. Weil ich das gestern Abend schon hatte, bekomme ich ein Schweinesteak vom Grill, was von den Schwaben neidisch kommentiert wird.
Ich kaue mit eisernem Kiefer und schweige vor mich hin und gucke über in die Landschaft, als plötzlich Marschmusik ertönt. Ich blicke mich um und sehe, dass der schwäbische Lehrkörper auf seinem Handy Schlagervideos auf voller Lautstärke laufen lässt. Er hält das Gerät in Kniehöhe und auf den Nebentisch gerichtet, wo immer noch abwechselnd die Wahlprognosen auf ZDF, ARD und BILD TV gecheckt werden.
„Ich schlage die jetzt mit ihren eigenen Mitteln“, keckert das Männlein, völlig berauscht von seiner Idee eines akustischen Gegenangriffs.
„Nein, sie machen sich nur lächerlich und gehen allen auf den Sack“, sage ich. Er guckt mich groß an. Seine Frau nimmt ihm kurzerhand das Handy weg und steckt es in ihre Handtasche.
„Das wär alles nicht passiert auf den schönen Plätzen, die wir uns ausgesucht hatten“, greint er. „Aber der hat uns ja einfach umgesetzt! Der hat uns vertrieben!“. Er klingt, als ob er gleich Erika Steinbach anrufen wollte. Geht aber nicht, ohne Handy. Hehe.
„Das muss man sich mal vorstellen! Das man sich hier vorschreiben lassen muss, wo man sitzt!“ – Alter, wenn er gleich anfängt von „Sitzordnungsdiktatur“ zu sprechen, schubse ich den Querdenker von der Klippe hinterm Haus.
Ich stehe auf und hole mir ein Bier aus einem der Kühlschränke im Gastraum. Ohne Alkohol ist dieses Elend nicht zu ertragen.
Der Rest des Mahls verläuft friedlich, und ich beglückwünsche mich dazu, dass ich normalerweise Orte für Übernachtungen wähle, wo Begegnungen wie diese ausgeschlossen oder zumindest sehr unwahrscheinlich sind. Deutsche im Ausland sind echt teils unerträglich, dieses Vorurteil bestätigt diese Episode hier.
Das schwäbische Rentnerpaar verabschiedet sich zur Nacht. Die schlafen in einem Wohnmobil, das vor der Tür geparkt ist. Wie schön, kann ich noch ein wenig hier sitzen und lesen. Die Nacht ist noch warm, und ich habe den eReader dabei.
In dem Moment kommt der Hochrechungsdeutsche vom Nebentisch angeschwankt, ein Mittsechziger Typ „Geschäftsführer bei einem mittelständischen Automobilzulieferer“ – braungebrannt, auftreten als hätte er alle Weisheit der Welt gepachtet, abgrundtief hässliche Designerbrille, keine Schutzmaske, ordentlich einen in der Krone. Er zieht sich einen Stuhl ran und setzt sich ungefragt.
„Sie sind mit dem Motorrad da draußen hier!?“, stellt er mehr fest als er fragt.
„Und?“, sage ich.
Er zieht fragend die Augenbrauen hoch.
„Wie haben sie die hier herbekommen? Auf einem Anhänger?“
Der Mann ist mir schlagartig noch unsympathischer als ohnehin schon von der äußeren Erscheinung.
„Die ist schon auf ihren eigenen zwei Rädern hergefahren“, sage ich trotzig. Ich würde gerne etwas Schlagfertiges antworten, aber das Gespräch ist gerade so dumm, da fällt mir nichts Kluges ein.
„Ach kommen sie,“ sagt der Typ in einem mir-brauchen-sie-nichts-vormachen-Tonfall. „Hergefahren mit dieser… was isses… Suzuki?“ Er spricht „Suzuki“ aus, als hätte er gerade etwas extrem Ekliges in den Mund genommen.
„Wieviel Hubraum hat die? 1000 Kubikzentimeter?“
„650er“, sage ich.
Er guckt mich groß an, wackelt traurig mit dem Kopf und schlägt einen Jung, ich-erklär-dir-jetzt-mal-wie-die-Welt-geht-Tonfall an.
„Sowas taugt doch nicht für Touren. Ich weiß das, ich fahre auch Motorrad. Eine 1190er KTM Adventure. Die taugt für ordentliche Reisen. Man braucht doch was Größeres als diese… Suzuki.“
Einmal so viel Selbstbewusstsein haben wie Menschen ohne Ahnung.
Ich rolle mit den Augen und frage durch zusammengebissenen Zähne „Ach. Und was war Ihre längste Tour?“
Er lehnt sich zurück. „Mit der KTM? Oh, mit der bin ich schon weit unterwegs gewesen. Mit der war ich schon in den Vogesen.“
„Und sie wohnen in…?“, frage ich.
„Freiburg!“
Aha. Na, wenn das mal nicht satte hundert Kilometer sind. Quasi eine Weltreise. Klar, das geht ohne Dickschiff nicht.
Jetzt fällt dem Machertypen auch auf, dass das irgendwie wenig beeindruckend ist.
„Pyrenäen“, schiebt er eilig nach.
„Pyrenäen waren wir auch schon. Aber dann nur mit Transportdienst, sind ja über tausend Kilometer, so weit kann ja keiner fahren. He, wo wollen sie denn hin?“
Auf dem Weg durch den Gastraum hole ich mir noch ein Bier, das ich mit auf den kleinen Balkon meines Zimmers nehme. Ohne Alkohol ist dieser Schwachsinn ja nicht zu ertragen.
Tour des Tages: Einmal zu den Metéoraklöstern, dann ein kleiner Ausflug durch die Berge. Rund 75 Kilometer und eine stattliche Anzahl an Eintrittskarten.
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Hahaha. Ein toller Tag und vortreffliche Bilder. Die vielen Einsiedler*innen (bitte mit Pause lesen) und ihre Touristenströme … genau mein Humor. Wenn es das eigene, innere Gleichgewicht zulässt, ist das wirklich amüsant. Aber dass es keine adäquaten Motorradparkplätze gibt, lässt darauf schließen, dass wir μοτοσυκλετιστής auch bei der hl. Dreifaltigkeit nicht wirklich willkommen sind. Sei’s drum.
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Tja. Aber die Gegend und Bauten sind wirklich schön.
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Wenn bei der Anfahrt, egal aus welcher Himmelsrichtung, die Felsen ins Blickfeld kommen, das ist schon faszinierend!
Falls es Dich nochmal dahin zieht, kann ich Dir das Örtchen Kastraki empfehlen. Gleich um die Ecke, nicht so touristisch übervölkert wie Kalambaka und quasi mittendrin in den Sandsteinen – mit genialen Ausblicken.
Und wir hatten dort weder Schwaben, noch Bayern, andere Sachsen, Preußen oder Fischköppe am Tisch bzw. um uns rum. 🙂
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Ja, so leute, die scih aus Gründen des Ego und als Phallussymbol Dickschiffe kaufen, aber nichtmal 1000 km im Jahr zustande bringen, kenne ich auch. Da halte ich mich fern von. Man kann mit denen auch nicht reden, die leben in ihrer eigenen Welt und das ist nicht meine. _“Suum quique“_ , wie der Lateiner sagt: _“Jedem das seine“_
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Ich lese da interessiert mit, weil ich schon – mit einem pauschalen Ausflugs-Touristenstrom – in einem der Klöster war.
So Corona es will und ich Nordmazedonien kennenlernen möchte, bietet es sich an zu einem Abstecher hinzufahren.
Mit deutschen Touristen im Ausland pflege ich wenig bis keinen Kontakt. Sollte es mich dort auf den Asphalt packen, weiß ich jetzt schon, wer mir freimütig hilft. Die andere Fraktion hat da eventuell nur „coole“ Sprüche drauf wie: zu blöd‘ zum Fahren.
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Über (schöne) Frauen kann man immer streiten und das war mein erster Bond im Kino, aber das nur am Rande.
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Man muss ja zum Glück nicht jedes Gespräch führen… 😜
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Raini: „Paradoxon“ ist bestimmt auch ein griechisches Wort 🙂
Bla: oh ja!
Lukra: Kastraki hatte ich als Übernachtungsort ins Auge gefasst, bis ich dann dieses perfekte Gasthaus gefunden habe.
Ali: Unbedingt machen. Ich gebe Dir auch die Adresse vom Gasthaus.
Rufus: 1981… wir werden alt
Marcus: Genau, zwingt einen niemand zu 🙂
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