Corona-Tagebuch (41): Eigenverantwortung

Corona-Tagebuch (41): Eigenverantwortung

Weltweit: 498.154.313 Infektionen, 6.176.420 Todesfälle, 11,09 Milliarden verabreichte Impfdosen
Deutschland: 22.629.378 Infektionen, 131.679 Todesfälle
765 Days Gone

“It´s over.”
– Boris Johnson

“It ain´t over till it´s over”
– Sylvester Stallone

Eigentlich dachte ich ja die Pandemie würde mit der Entwicklung und Verteilung eines Impfstoffs enden und alles vorbei sein und wieder gut. Da habe ich nicht mit der unbändigen Dummheit von 30 Prozent der Mitmenschen gerechnet. Danach wusste ich ehrlich gesagt gar nicht so genau, wie ich mir so ein “Ende der Pandemie” überhaupt vorzustellen hätte. Das sie aber nun endet bevor sie vorbei ist, das hätte ich sicher nicht gedacht.

Genauso wenig hätte ich gedacht, das Karl Lauterbach – auf Twitter die Sirenenstimme der Vernunft für alle halbwegs Normalen – als Bundesgesundheitsminister eine dermaßen schlechte Performance und so ein ambivalentes Auftreten hinlegt.

Auf Twitter warnt er weiter vor den Gefahren von COVID, in der Politik kassiert er alle Maßnahmen dagegen. Damit entwertet er die kollektiven Bemühungen, sich in der Pandemie vernünftig zu verhalten. Seit über zwei Jahren Isolation, Abstand halten, Maske tragen? Die jetzigen Aktionen fühlen sich an, als sei das alles umsonst gewesen.

Maskenpflicht? Nee, da hat die FDP was dagegen, irgendwas mit Einschränkung Grundrechte. Welche Grundrechte? Äh. Kann ja jeder eigenverantwortlich tragen, diese Masken.

Isolation? Freiwillig. In Eigenverantwortung. Ach nee, doch nicht. In einer Talkshow wieder zurückgezogen.

Isolation ist jetzt wieder verpflichtend, aber nur 5 Tage. WTF? Über solchen Maßnahmen steht SO FETT FDP, dagegen wirkt deine Mudder wie Twiggy. Natürlich wollen die, das Isolation freiwillig ist. Aber nicht wegen Grunderechtsverletzungen, sondern weil es dann weniger Arbeitsausfall gibt – für freiwilliges zu-Hause-bleiben wären Arbeitnehmer nämlich gezwungen Urlaub nehmen. So heißt nämlich freiwilliges zu-Hause-Bleiben, wenn man nicht krankgeschrieben wird. Bei freiwilliger Isolation werden Arbeitnehmer zur Arbeit gezwungen. Das ist das Gegenteil von “fReIhEiT!!!”, dem neuen Supergrundrecht der Egoisten. Wi-der-lich.

“Eigenverantwortung” ist das Wort der Stunde. Kann ja jeder eigenverantwortlich Maske tragen und sich distanzieren. Ich krieg ja das Kotzen, wenn ich diese Wort höre. “Eigenverantwortung” heißt so gut wie immer: Abwälzen von Problemen, Verhinderung struktureller Lösungen oder gar ein Freibrief für Schweinereien jeglicher Art.

Noch sieht es in der Realität gerade so aus: In Supermärkten muss keine Maske mehr getragen werden, das tun gefühlt trotzdem 97% der Kunden und 10 Prozent des Personals. Das regt die Maskengegner auf. Warum?

Jens Scholz erklärt das schön auf Twitter:

  1. Die Maske ist, gerade für die “Querdenker”, eine Externalisierung ihrer eigenen Angst, mit der sie sich nicht auseinandersetzen wollen. Vor COVID haben sie eine geradezu irrationale Angst, die Masken machen die Pandemie sichtbar und damit real, also müssen die Masken weg. Ist wie Zaubereiglaube: Würde niemand Masken tragen, gäbe es auch kein Corona. Jeder der doch eine trägt, erregt Wut.

  2. Latent aggressiver Egoismus. Alle sollen keine Masken mehr tragen, damit es keinen Unterschied zwischen solidarischen und unsolidarischen Menschen gibt. Egoisten wollen nämlich nicht gerne als solche erkannt oder benannt werden. Oder anders: Egoisten sind so egoistisch, das sie beim egoistisch sein bitte niemand beobachten soll.

Alles Egal.

Aber ach, alles egal. Die Impfpflicht ist tot, zerredet in einem Bundestag, der langsam aber sicher in die gleichen faktenferne Kulturkämpfe abrutscht, in denen sich die USA und Frankreich schon lange befinden. Impfen wird zu einer Glaubenshaltung, die sich entlang Fraktionsgrenzen messen lässt. Immer befeuert von Propagandaaktionen von AFD und Querdenkern, die dem Vernehmen nach die Abgeordneten seit Wochen mit Briefen und in sozialen Medien unter Druck setzen. Was viele unserer Volksvertreter vermutlich nicht wissen:

Aber wozu eine Impfpflicht, die Infektionszahlen gehen doch gerade massiv runter? Aktuell liegt die Bundesweite Inzidenz bei “nur noch” 1.080!

Tja. Warum geht die runter? Weil nicht mehr überall getestet wird oder Tests nicht mehr kostenlos sind. Kann ja jeder selbst bezahlen. Eigenverantwortung! Und Impfung kann ja auch jeder eigenverantwortlich entscheiden, ob er das will.

Ist aber auch völlig unklar, wie im Fall einer Infektion verfahren werden soll. Gesundheitsämter winken vielerorts ab, sind überlastet. Hausarzthotlines empfehlen Hausarztbesuche. WTF? Will man infiziert im ÖPNV rumeiern und eine Praxis verseuchen? Ach ja: Eigenverantwortung! Muss halt jeder selber wissen.

Die Krankenhäuser ächzen. Zwar hat Omicron B oft einen leichten Verlauf im Sinne von “man stirbt vermutlich nicht”, zumal nicht wenn man geimpft ist, aber ein Spaziergang ist das dann doch nicht. Aber muss ja jeder selber wissen, ob er ins Krankenhaus muss. Und die Krankenhäuser müssen schon zusehen, dass sie ihren Kram auf die Reihe kriegen. Kann ja die Politik oder so ein Gesundheitsminister nichts dafür, ob und wie so ein Krankenhaus läuft. Eigenverantwortung, wissen schon.

Ältere Einträge im Corona-Tagebuch

0 Gedanken zu „Corona-Tagebuch (41): Eigenverantwortung

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

 


Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.