Streamingdemenz

Ich bin ein großer Fan des Bewegtbilds. Ich liebe Filme, schon von klein auf. Viele meiner schönsten Kindheitserlebnisse haben etwas mit Kinobesuchen zu tun, und im Studium habe ich mich viel länger als ich gesollt hätte mit Filmanalyse, Kameratechniken und erzählerischem Aufbau beschäftigt – ein Semester allein für „Raiders of the Lost Ark“ spricht Bände.

Natürlich war ich über DVDs glücklich – Filme mit Extras wie Making-offs oder Audiokommentaren, da war vorher quasi nicht dran zu kommen. Folgerichtig begann ich DVDs zu sammeln, und die Sammlung wuchs stetig, aber ungerichtet – schlicht auch deshalb, weil die Dinger so teuer waren, dass ich halt auf Flohmärkten und im Sonderschlussverkauf bei Woolworth einfach mitnahm, was da gerade rumlag – auf diese Weise bin ich an das fast komplette Werk von Hitchcock gekommen, von denen ich noch immer nicht alle Scheiben gesehen habe.

Bluray wollte ich dann aber ums verrecken nicht mehr mitmachen, weil ich das für eine Übergangstechnologie hielt. Physische Datenträger nehmen nur Platz in der Wohnung weg, und trotz aller Digitalprobleme in Deutschland hielt ich Streaming für die Zukunft.

Das stimmte natürlich auch, und trotzdem kaufe ich in letzter Zeit wieder häufig gebrauchte BluRays. Mittlerweile brauche ich für die Sammlung ein Verwaltungssystem, und das verzeichnet aktuell gerade 867 Filme und 24 Serien auf insgesamt über 1.100 Scheiben. Die stehen, bewacht von Wieseln, in meiner Bibliothek, in drei deckenhohen Regalen. Warum?

Weil ich bei aller Freude auf das Digitale mit zwei Dingen nicht gerechnet hatte.
1. Den Streaming Wars und
2. Wegen eines Phänomens, das ich einfach mal Streamingdemenz nenne.

Die Streaming Wars bezeichnen die digitale Zersplitterung. Seitdem auch dem letzten Manager eines Medienkonzerns klar geworden ist, das sich mit Streaming Geld verdienen lässt, versucht jede Rumpelbude einen eigenen Service aufzumachen. Konnte man früher alles Mögliche bei Watchever oder später Netflix gucken oder bei Amazon leihen, muss man heute mindestens Netflix, Amazon Video, Disney+, Apple TV und Sky haben, um auf dem Laufenden zu bleiben. Warner, HBO und CBS stehen noch in den Startlöchern.

Als wäre das nicht ärgerlich genug, fluktuiert das Angebot der Streamingdienste. Dinge sind irgendwo verfügbar, dann verschwinden sie von heute auf morgen wieder. Oft aufgrund von Lizensierungsmodellen, die manchmal absurde Situationen hervorbringen – Disney durfte bspw. lange Zeit manche der eigenen Filme sowie die hauseigenen Marvel-Serien nicht anbieten, weil man deren Rechte an Netflix vertickt hatte, und HBO Max kommt nicht nach Deutschland, weil ihr Material auf Jahre bei Sky liegt.

Manchmal verschwinden Dinge auch auf Nimmerwiedersehen. Das fällt nur den Wenigsten auf. Hier beginnt die Streaming-Demenz, denn manchmal ist es so unklar wer nun eigentlich wo die Rechte an der Ausstrahlung hat, das niemand mehr durchsteigt und die Werke einfach gar nicht verfügbar sind.

Bei anderen lohnen sich die Lizenzen nicht, und auch das sorgt dafür, dass es gewisse Filme oder Serien am Markt schlicht nicht mehr gibt.

Dem großen Teil des jungen Publikums bleiben alte Perlen ohnehin verborgen, denn die schiere Masse an Angebot erfordert eine algorithmische Kuratierung, und die Algorithmen empfehlen in der Regel den neuesten, heißen Shyce und nicht Filme, die 20 Jahre alt sind. So geraten Meisterwerke in einen digitalen Limbo und damit in Vergessenheit.

Aber selbst wenn man um diese Werke weiß, ist es oft schwer sie zu bekommen. Es ist erstaunlich, wieviele Filme und Serien bei Streaminganbietern NICHT verfügbar sind, und manchmal sind das auch Werke, die es auf Datenträgern nur in kleiner Auflage gab. Die dann zu halbwegs humanen Preisen zu bekommen ist oft fast unmöglich. Möchte man bspw. den Sean-Connery-Klassiker „Der Name der Rose“ von 1986 in guter Qualität schauen, guckt man bei Streaminganbietern in die Röhre. Mit viel Glück findet man im Gebrauchtmarkt eine Bluray für 40 Euro – der Normalpreis für gut erhaltene Exemplare liegt aber aktuell bei rund 90 Euro, zeitweise findet man auch gar kein Angebot. 90 Euro für einen 35 Jahre alten Film!

Diese hohen Hürden der digitalen Demenz sorgen dafür, das große Stücke unseres kulturellen Erbes verloren gehen.

Und deshalb lohnt es sich für Filmliebhaber wie mich, gewisse Filme nach wie vor auf Polycarbonatscheiben zu kaufen wenn sie verfügbar sind, und sich ins Regal zu stellen.

Nicht als Wertanlage. Sondern einfach, um das kulturelle Erbe zu bewahren und später mal feine Filme gucken zu können, wenn mir danach ist. Auf meiner kleinen Insel, mitten im Meer der Streamingdemenz.

Kategorien: Betrachtung | 2 Kommentare

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2 Gedanken zu „Streamingdemenz

  1. Dirk Rössner

    Ich habe schon lange alle DVDs und BluRays verkauft bzw. verschenkt.
    Alle Filme sind bei mir auf HDD in 1080p Qualität. Filmpalast sei Dank

    Gefällt 1 Person

  2. Ist das legal? 🙂

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