Probefahrt: Suzuki V-Strom DL650 XT und DL1050 XT
Ich liebe die Barocca, meine DL650 “V-Strom”. Aber leider, leider wird sie auch nicht jünger. Elf Jahre fährt sie schon und wird am Ende dieser Saison knapp vor 100.000 Kilometer auf der Uhr haben. 65.000 davon hat sie mit mir in den vergangenen 5 Jahren zurückgelegt. Zwar ist sie gerade perfekt durchgewartet und nahezu alle Verschleißteile sind neu, aber dennoch muss ich mich mit dem Gedanken anfreunden, das irgendwann, perspektivisch, eine Nachfolgerin her müsste.
Aufgrund von dem, was ich in einem Motorrad suche, plus dem Preis kommt aktuell eine 800er Triumph Tiger in Betracht. Problem ist nur: Die nächste Werkstatt dafür ist 60 Kilometer weg. Als wieder eine V-Strom? Aber was für eine?
Um das zu ergründen bin ich mal losgezogen und die beiden 2021er Modelle der V-Strom Probe gefahren. Hier die Notizen meiner Eindrücke.
DL 650
Die V-Strom hat seit 2004 zwei optische Veränderungen mitgemacht. Schön war sie nie, aber bei der 2017er Version hat sie die charakteristischen Doppelscheinwerfer verloren. Keine “Ich bin Batman!”-mäßigen, nebeneinander angeordneten und hochgezogenen Doppelscheinwerfer mehr, stattdessen glubscht nun ein Zyklopenauge aus der Verkleidung, bei dem die Schweinwerfer übereinander angeordnet sind.
Die Kunststoffverkleidung baut weniger breit als früher und wirkt billiger – ein Eindruck, der sich bis ins Cockpit fortsetzt. Dort sieht alles nach Plaste und Elaste aus dem VEB Kombinat Schkopau aus, aber irgendwoher muss der Kampfpreis von 8.700 Euro für das Basismodell ja kommen. Dem Preispunkt (und der mangelnden Begeisterung für Motorräder innerhalb des Suzuki-Konzerns) ist es wohl auch zu verdanken, dass sich Dinge wie LED-Licht oder Kurven-ABS, bei andern Marken teils längst eine Selbstverständlichkeit, bei der V-Strom nicht finden.
Im Cockpit findet sich ein analoger Drehzahlmesser und ein gut ablesbareres, monochromes LCD-Display. Das zeigt neben der Geschwindigkeit noch den Tankinhalt, die Temperatur, wahlweise die Batterie-/Ladespannung und den Modus der Traktionskontrolle an, alles schön übersichtlich und untereinander angeordnet.
Der Auspuff ist nach unten gewandert, die neue V-Strom simuliert zumindest in dem Punkt keine (nicht vorhandene) Geländegängigkeit mehr. Dadurch sitzen dummerweise Koffer standardmäßig höher als früher, was den Schwerpunkt ungünstig beeinflussen dürfte.
Die Sitzbank ist höher als beim alten Modell, gleichzeitig aber schlanker, so dass ich immer noch gut mit den Füßen auf den Boden komme. Die “XT”-Ausstattung ist ein Witz: Flimmsige Handschützer, ein Motorschutz aus Plaste, der den Namen nicht verdient und Speichenräder in doofen Farben, mehr gibt es nicht. Die 600 Euro XT-Aufpreis im Vergleich zum Basismodell kann man sich echt sparen. Selbst ein Hauptständer ist zusätzliche Sonderausstattung und nicht bei der XT dabei.
Fahrtechnisch ist die 650er V-Strom für mich wie nach Hause kommen. Draufsetzen und alles ist wie immer. Die Sitzhaltung und das Grundgefühl sind genau wie bei meiner jetzigen Maschine, und auch die Leistungscharakteristik der neuen DL650 entspricht in fast allen Bereichen der Barocca. Im Guten wie im Schlechten. Gut ist nettes, aber nicht berauschendes Drehmoment von unten, das hakelfreie Getriebe, die tolle Kupplung und ein exzellentes und leichtfüßiges Handling in Kurven, schlecht sind die schwammigen Bremsen.
Dass der Euro5-Motor im mittleren Drehzahlbereich weniger Sprit bekommt und deshalb dort nicht so drehfreudig sein soll wie frühere Modelle, kann ich nicht bestätigen, aber ich habe den 650er -Motor noch nie mit Adjektiven wie “agil” oder “spritzig” bedacht. Was mich freut: Der rappelige Lauf des V-Twins nervt beim alten Modell mit Vibrationen, die sind beim neuen fast völlig verschwunden – bessere Dämpfung in der Motoraufhängung sei Dank.
Mein Eindruck: Die neue 650er ist wie ein geliebtes Turnschuhmodell, das man seit Jahren trägt und dann in ein neues Paar schlüpft. Alles ist etwas straffer und nicht so ausgelatscht, aber immer noch perfekt passend.
DL 1050XT
Die große Schwester, die 1050er, guckt viereckig in die Welt, der übereinander angeordnete Doppelscheinwerfer ist fast quadratisch. Die 400 ccm mehr machen den Motor bulliger und schwerer, und das merkt man vor allem beim Rangieren sehr deutlich. Die Sitzbank ist sehr hart, schmal und nochmal höher als bei der 650er. Ich komme mit den Füßen an den Boden und kann sie bewegen, aber bequem Sitzen und sicherer Stand ist anders. Die Sitzhaltung unterscheidet sich nicht von der 650er.
Die Kunststoffverkleidungen wirken wertiger als bei der kleinen V-Strom. Das darf auch so sein, immerhin kostet die 1050er mit 14.600 satte 6.000 Euro mehr als die kleine Schwester. Die Wertigkeit sieht man auch im Cockpit, was aus deutlich weniger billig aussehendem Material besteht. Im Cockpit thront nur ein einzelnes Instrument. Ausgeschaltet wirkt es wie ein Bildschirm, aber sobald es aktiv wird, sieht man, dass es sich lediglich um ein monochromes LCD-Display handelt – und um eine Unverschämtheit. Die Geschwindigkeit lässt sich zwar gerade noch so ablesen, aber der Rest… Ich sag mal so: Die Bedienkonsolen für den gesamten Todesstern sind übersichtlicher als dieses Ding. Wer bitte kommt auf die Idee, relevante Informationen in konzentrischen Kreisen anzuordnen, inklusiver gewölbter Beschriftung? Und dann noch mit so nichtssagenden Abkürzungen, dass nicht mal der Händler die Bedeutung herleiten kann?
Abgesehen von diesem Schmuh fällt sofort die monströs große Frontscheibe auf, die sich aber zumindest ohne Werkzeug in der Höhe verstellen lässt. Die Spiegel sind etwas eleganter, bieten aber auch deutlich weniger Sicht nach hinten als die Bratpfannengroßen Klassiker an der 650er.
Die XT-Ausstattung bei der 1050er bietet neben Speichenfelgen in erträglichen Farben einen Rohrrahmen, der aber nur den Motor und die Beine, nicht aber die Verkleidung schützt, einen Tempomaten, etwas stabilere Handschützer und einen Hauptständer. Immerhin.
Vom Fahrgefühl her ist die erste Begegnung mit der 1050er erstmal ein “Ooomph!!”
Die Kiste hat im Vergleich zur 650er signifikant mehr Dampf im Kessel. Sie beschleunigt deutlich druckvoller, hängt am Gas und reagiert präzise auf Änderungen. In gut fahrbaren Kurven macht sich das höhere Gewicht kaum bemerkbar, die schwere Maschine hat V-Strom-DNA und dementsprechend eine agile Kurvenlage. Dazu trägt evtl. auch der Radstand bei, der tatsächlich etwas kürzer ist als beim kleineren Modell.
Die Bremsen greifen sofort und sind sehr giftig – das ist das erste Mal, das ich eine V-Strom mit ordentlicher Verzögerung gefahren bin. Was hingegen völlig Banane ist, ist die Kupplung. Zumindest bei meinem Vorführer hat die Maschine schon ausgekuppelt, wenn man den Hebel nur angeguckt hat. Anfahren mit schleifender Kupplung ist so kaum möglich, die kennt nur Null oder Eins. Kupplung für Grobmotoriker, quasi. Vielleicht lag das an meinem Testmotorrad, vielleicht ist das ein generelles Ding und die Begründung für den “Berganfahrassistenten”.
In der Summe: Schöne, kräftige Maschine. Fühlt sich an wirklich erwachsen und kraftvoll an.
Und nun?
Die 650er wirkt immer etwas untermotorisiert, weshalb etwas mehr Hubraum schon nett wäre. Den bringt die 1050 mit, und das Mehr an Leistung und die druckvolle Beschleunigung ist wirklich verlockend.
Wenn ich mir dann aber überlege, was ich mit der Maschine anstelle, nämlich Reisen und Touren, und welche Qualitäten ich da brauche, dann gehören “mehr Leistung” und “schnellere Beschleunigung” nicht dazu.
Bei dem, was ich mache, kommt es z.B. auf große Reichweite an. Die 650er säuft deutlich weniger als die Große. Unterwegs komme ich immer wieder in Situationen, wo es darauf ankommt, das ich das Motorrad auch bei sehr langsamen Geschwindigkeiten gut bewegen kann. Auch hier hat die “kleine” die Nase vorn.
Abgesehen davon brauche ich Sitzkomfort und eine gute Basismaschine, an den ich den Kram dranbauen kann, von dem ich für mich entschieden habe, dass ich den brauche – brauchbaren Haupständer, ordentlichen Hand- und Verkleidungsschutz, Heizgriffe und sowas. Von der 1050 gibt es keine Basisversion mehr, da müsste ich das XT-Paket kaufen und dann gleich alle XT-Teile demontieren und durch was ordentliches ersetzen.
Von daher – auch wenn Leistung nett ist, für mich steht nach dieser Probefahrt fest: Die kleinere ist für mich die bessere V-Strom, und eines Tages wird so eine die Nachfolge der Barocca antreten.
0 Gedanken zu „Probefahrt: Suzuki V-Strom DL650 XT und DL1050 XT“
Mal abgesehen davon, dass deine Barocca bei deiner Pflege vermutlich auch die 200 tkm problemlos erreicht: was spricht gegen eine gebrauchte Barocca. Die gibts mit unter 50 tkm und ein paar tausend Euro unter Neupreis. Das reicht für eine ordentliche Wartung oder neue Reifen – falls notwendig – und einen ganzen Urlaub.
Neukauf ohne Not wäre einfach nur aus Spaß am Kaufen – was ich pers. natürlich gut verstehen kann, bei meinen häufigen Fahrzeugwechseln 😉
Ach, so langsam werden alle Gummiteile porös – das nächste wäre die Bremsanlage, und da habe ich keine wirkliche Lust mehr drauf.
Mag sein, dass es eine Gebrauchte wird – aber dann auch ab Modelljahr 2017. Der ruhige Motorlauf ist schon geil.
Das Ding ist aber tatsächlich: Zumindest bei meiner letzten, kurzen Markterkundung hatte ich den Eindruck, dass die V-Strom insgesamt, aber insb. die neueren Modelljahre keinen wirklichen Wertverlust erfährt – auch Maschinen mit 30.000 km auf der Uhr werden für um die 7.000 Euro gehandelt. Deshalb der Gedanke, tatsächlich mal mit meinem Vorsatz “Ich kaufe keine Neufahrzeuge” zu brechen und zum ersten Mal was anzuschaffen, wo ich die erste Hand bin.
Ich denke auch, dass die Barocca mit über 100t km noch problemlos läuft.
Undicht? Bremsschläuche?
An der neuen Strom sind auch keine Stahlflex dran. Ankauf vom Händler ergibt einen Preis, den du besser für Reisen ausgeben kannst.
also ich habe mir vor ca. 3 Jahren auch die 650er XT futsch neu gekauft. Das Motorrad war nicht meine erste Wahl, aber der Preis und das man vernünftig auch mit zwei Mann Fahren kann hat mich überzeugt. Nach zwei ca 3 Jahren muss ich sagen Top Entscheidung, alles bestens aber die XT würde ich nicht mehr nehmen, alleine wegen den Speichen. die sehen aus, als ob ich ständig im Salzbergwerk meine Runden drehe. 😉