Reisetagebuch (11): Smoooooooooo

Reisetagebuch (11): Smoooooooooo

Tour mit der V-Strom durch Frankreich, England, Wales und Schottland. Heute mit einer Höhle, ethnischen Säuberungen und afrikanischen Springböcken.

Dienstag, 12. Juli 2022, Kinlochverbie Hotel, Kinlochverbie, Schottland

Der Wind drückt immer noch gegen das Haus, als ich gegen kurz vor Sieben das erste Mal wach werde. Noch in Unterwäsche laufe ich den Gang vor meinem Hotelzimmer hinunter und blicke durch das Fenster des Treppenhauses. Ja, die Suzuki steht noch vor dem Hotel. Sie ist weder umgeweht noch gestohlen worden. Schön: Auch, wenn der Wind immer noch durch jede Ritze pfeift, der Himmel zeigt vereinzelt blaue Tupfer in der Wolkendecke. Das wird ein guter Tag!

Der Frühstücksraum ist groß, und das ist gut so. Ich kann mich weit wegsetzen von der russischen Motorradgruppe, von der einige Mitglieder verdächtig am Husten und Röcheln sind. Fiona watschelt zwischen den Tischen herum und serviert, sobald die Küche auf Touren ist, das Frühstück, das sich die Gäste am Vorabend individuell aus einer Liste aussuchen konnten.

Ich hatte mir auf dem Frühstückszettel einen “Tattie Scone” gewünscht, ohne zu wissen was das ist. Nun, das am oberen Tellerrand. Ein sehr fester Fladen aus Kartoffelbei und Butter. Macht praktisch sofort satt und hat soviel Kalorien, dass man mit einem Viertel davon eine Winterwoche überleben kann.

Schnell bin ich mit dem Scottish Breakfast fertig und sage Fiona Tschüss, dann trage ich die Koffer zum Motorrad.

Die V-Strom bei dem starken Wind startfertig zu machen, ist gar nicht einfach. Es ist, als ob ein Unsichtbarer neben einem steht und ständig Gurte durcheinander bringt, Sicherungsbänder verheddert, den Topcasedeckel zuschlägt und die Handschuhe auf den Boden wirft, die ich gerade anziehen wollte.

Schließlich sitzt aber alles da wo es hingehört, einschließlich mir im Sattel. Ich gebe Gas und fahre schnell an, je schneller das Moped fährt, desto weniger anfällig ist es gegen Windböen.


Es hinaus auf die Straße, raus aus Kinlochverbie und dann ein wenig ins Landesinnere. Eigentlich müsste ich weiter nach Norden, parallel zur Küste, aber da mangelt es an Straßen. Das Cap Wrath, das “Cap des Zorns”, wie der nordwestlichste Zipfel von Schottland heißt, kann man nicht beliebig befahren.
Also geht es ins Land, dann durch ein dicht mit Gras bewachsenes Tal nach Nordwesten. Der Wind presst das Gras in Wellenbewegungen auf den Boden, während Sonnenstrahlen dramatisch durch dunkle Wolken tasten.

Besonders starke Böen zeichnen sich scharf umrissen im Gras ab. Man kann sie durch das Tal rauschen sehen. Als ob unsichtbare Schiffe einen Abdruck ihres Bugs in einem gräsernen Meer hinterlassen.

Das sieht fast surreal aus und fühlt sich zusammen mit dem Wind, der wie mit unsichtbaren Händen an mir und dem Motorrad herumreißt, auch so an. Wirklich, es fühlt sich an als ob jemand den Helm und meine Jacke an den Schultern packt und daran zieht und zerrt.

Nach 30 Kilometern und 45 Minuten bin ich im bewohnten Teil des nordwestlichsten Zipfel von Schottland unterwegs, bei Durness. Hier hätte ich gerne übernachtet, aber hier eine bezahlbare Unterkunft zu finden, ist echt auch nicht einfach.

Viele ehemalige Pensionen und kleine Gasthäuser wurden von Investoren aufgekauft, luxussaniert und werden jetzt als hochpreisiges Ferienhaus angeboten. Hier ein komplettes Steinhäuschen mit einer Ausstattung wie aus einer Instagram-Werbung für vier Wochen anmieten – kein Problem, das nötige Kleingeld vorausgesetzt. Hier ein günstiges Zimmer für eine Nacht finden? Schwierig.

Unvermittelt höre ich das aufdringliche Blubbern eines AMG. Aha, und da ist er. Und er fährt hinter einem riesigen SUV her, einem Jaguar oder Range Rover. Das sind die Russen von gestern Abend!

Kein Wunder, dass wir uns wiedertreffen – es gibt hier nur wenige Sehenswürdigkeiten, und eine davon liegt neben Durness: Die Smoo Cave.

Anders als die großen Schlitten findet die Barocca sofort einen Platz auf dem engen und kleinen Besucherparkplatz direkt neben dem Rundweg zur Höhle. Ich schließe den Helm ins Topcase und ziehe mir eine Wollmütze über das bare Haupt, dann stapfe ich gegen den Wind am Rand der großen Klippe entlang.

Ein befestigter Pfad führt über viele Stufen über die Klippe, bis man von einem Vorsprung in eine Bucht schauen kann. An deren Ende liegt die Smoo Cave.

Es ist kühl und windig, aber bei der Bewegung und in meinen Motorradklamotten wird mir nicht kalt, als ich an älteren Omas vorbeispringe, die sich mit Klammergriff am Geländer festhalten.

Der Eingang zur Höhle ist riesig, mehr als 15 Meter hoch und 40 Meter breit.

“Smoo” leitet sich vom skandinavischen “smjugg” oder “smuga” ab, und, man ahnt es schon, da ist der Weg zum norddeutschen “Schmuggler” nicht mehr weit. Tatsächlich war die Höhle erst ein Unterschlupfs für Wikinger, dann abwechselnd für Clansmen und für Schmuggler. Wenn man in der Höhle steht, weiß man auch warum.

Sie ist groß und besteht aus mehreren, untereinander verbundenen Räumen. In die hinteren kommt man nur mit einem Boot und als Besucher nur mit einer Führung. Zu Fuß lässt sich nur der erste Raum besuchen, und in dem rauscht ein Wasserfall durch die Decke und vermischt sich mit dem Salzwasser auf dem Grund der Höhle.

Das sieht ganz schön beeindruckend aus, und länger als höflich blockiere ich die kleine Aussichtsplattform für nachfolgende Besucher:innen um den Wasserfall zu bestaunen. Das hier könnte auch die Kulisse für einen Gespensterfilm sein. Wikinger-Geister, die durch die Höhle schweben, mit Ketten rasseln und dabei ein klagendes “Smooooooooooo” von sich geben.

Ich muss bei dem Gedanken kichern, dann reiße ich mich los und mache mich an den steilen Aufstieg zurück zum Parkplatz. Der ist mittlerweile völlig überlaufen, zahlreiche Touri-Autos und Motorräder treffen gerade ein. Zeit abzuhauen, und das mache ich dann auch und fahre an der Nordküste entlang.
Zu meinem Erstaunen gibt es hier an manchen Stellen zwischen den steilen Klippen kleine Buchten mit Sandstränden. Ich stelle die V-Strom an einer Parkbucht ab und klettere auf die Klippen, die steil zum Meer abfallen. Rau sieht die Küste aus, und minutenlang stehe ich auf dem Felsen und blicke auf´s Wasser hinaus.

Direkt hier, an der Nordküste, wächst sich der steife Wind zu einem Sturm aus. Das Fahren in diesem Wetter erfordert Konzentration, ist aber nicht gar nicht schwer. Einfach die Lenkergriffe fest, aber nicht verkrampft, halten und Windböen mit leichten Lenkimpulsen und lockerer Hüfte schnell und kurz austarieren. Mit dem Flow gehen, nicht dagegen stemmen.

Bei Tongue biege ich ins Landesinnere ab, um ein wenig an zwei großen Seen entlangzufahren. Der Wind ist hier nicht ganz so heftig, und die dunklen Wolken sind blauem Himmel gewichen.

Wow. Das sind also die, die nördlichen Highlands, quasi die Essenz von Nordschottland. Am Ufer des Flusses Naver halte ich an und kann kaum fassen, wie schön es hier ist.


Die Highlands wirken endlos riesig, gerade weil hier alles so leer ist. Dabei ist der Landstrich gar nicht mal so groß, ganz grob 120 mal 200 Kilometer. Würde man sie auf Deutschland übertragen, wäre das eine Fläche, die von Essen im Südwesten bis nach Oldenburg und Bremen im Norden reicht, und im Südosten bei Hannover schon wieder aufhört. Lediglich 600.000 Menschen leben hier, damit ist die Bevölkerungsdichte vergleichbar mit Ländern wie dem Chad in Afrika oder Russland.

Das hier alles so menschenleer und auch unbewaldet ist, liegt an einem Ereignis, das sich “Highland Clearances” nennt und an das ein Gedenkstein am Fluss erinnert.

So richtig viel war hier oben nie los, aber verkürzt gesagt ist hier alles so menschenleer, weil die ursprüngliche Bevölkerung vertrieben, verschleppt oder getötet wurde.

Früher, so vor 230 Jahren, gab es hier überall kleine Dörfer und Bauernhöfe, die Ruinen sieht man noch heute. Die Dörfer waren meist gälischer Kultur und in Clans organsiert, und dann gab die großen Landbesitzer, das waren meist Engländer.

Die schafften es, ihre alten Feudalrechte so in Gesetze um zu lobbyieren, dass das Land, über das sie vorher als eine Art Verwalter herrschten, ihr Privatbesitz wurde. Das war nicht so dramatisch, so lange die Landbesitzer von den Pachteinnahmen der Bauern lebten und deshalb ein Interesse daran hatten, das es denen gut ging. Solche Gutsbesitzer in den Highlands wurden übrigens “Landlords” genannt, der Begriff, der bis heute für “Vermieter” im Englischen genutzt wird.

Aber dann kam die industrielle Revolution, und durch die stieg die Nachfrage nach Schafswolle enorm an. Die Preise dafür gingen durch die Decke, und plötzlich war es viel profitabler, auf einem Stück Land Schafe zu züchten als es an einen Bauern zu verpachten, der damit seine Familie ernährte.
Außerdem, so sinnierten die Landlords, könne man ja eigentlich viel besser Jagdgesellschaften organisieren, wenn nicht dauernd so ein blödes Bauerndorf oder ein Wald im Weg ist.

Gesagt, getan, und so kündigten die Landlords den “Crofter” genannten Pächtern die Höfe und vertrieben sie von ihrem Land.

Das fanden die Bauern nicht so supi und begannen zaghaften Protest. 1792 ging als “Jahr der Schafe” in die Geschichte ein, weil landlose Kleinpächter einem Landlord 6.000 Schafe klauten und damit hofften, auf ihre Lage aufmerksam zu machen. Das passierte auch, aber anders, als sie sich das gewünscht hatten.
Tatsächlich berichteten die Zeitungen, aber in ähnlicher Tonart wie die “BILD” über “Klimakleber” – als Impertinentes Verhalten von Querulanten. Die höchsten Kreise der Politik befassten sich nun dem Thema, aber dummerweise saßen in genau diesen Kreisen die Landlords, und die hatten die Faxen Dicke und sendeten Militäreinheiten wie die „Black Watch“ aus.

Danze Dörfer mit Gewalt umgesiedelt und die Bewohner oft direkt an die Küste verbracht. Dort versuchten sie zu tun, mit was sie sich auskannten – Ackerbau und Viehzucht – aber das klappte nicht.

Die Böden an der Küste erlauben keinen ordentlichen Ackerbau, und Viehzucht… nun, die Wetterbedingungen an der Nordküste Schottlands sind so hart, dass nach historischen Berichten im Dorf Badbea bei Caithness die Frauen während der Arbeit das Vieh und ihre Kinder an Pflöcke anbinden mussten, damit die nicht über die Klippen geweht wurden.
Die Landlords erklärten dagegen, die Leute sollten sich mal nicht so anstellen und sich diversifizieren und ab jetzt fischen gehen oder sowas.

Es gab durchaus auch Landlords, denen an den Menschen auf ihrem Land etwas lag und die auf Umsiedlungen verzichten wollten. Aber dann gab es mehrere Jahre hintereinander schlechte Ernten, und da man als Landlord verpflichtet war, seine Pächter zu versorgen, ging etliche von den „Guten“ Bankrott und verloren ihren Besitz an andere Landlords, die mit Vertreibungen kein Problem hatten.

Je schlimmer die Situation wurde, desto lauter wurden die Proteste gegen die Zwangsumsiedlungen. Um da einen Deckel drauf zu machen, sparten sich Landlords und das Militär irgendwann die Umsiedlungen.
Stattdessen setzte man die Höfe in Flammen, fing die Bauern auf offener Straße ein, stopfte sie auf Schiffe und verschickte sie nach Amerika, Australien und Kanada. Nova Scotia heißt nicht ohne Grund so.

Dieses Vorgehen war nach den damaligen Gesetzen völlig legal, wenn auch nicht legitim – wie gesagt, die Gesetze beruhten auf Lobbyismus der Landbesitzer. Die Presse gab den Landlords recht und jubelte, dass das Land endlich von den “gaelischen Untermenschen” befreit würde. Die aggressiven Breitseiten gegen die gälische Kultur und das radikale Vorgehen rechtfertigen den Begriff der ethischen Säuberung, die die Highland Clearances letztlich waren.

Am Ende der Vertreibungen war die Highlands entvölkert und entwaldet, das Clanwesen zerstört und die gälische Kultur nahezu verschwunden. Lediglich auf den Hebriden wurde noch gälisch gesprochen. Die Landlords dagegen waren durch die Massenhaltung von Schafen zu den reichsten Menschen im ganzen Königreich geworden, und ihre Nachkommen sind es teils bis heute.

Fast 100 Jahre dauerte die Vertreibung und wurden erst 1886 per Gesetz beendet, und zwar nachdem vertriebene Schotten u.a. aus den USA über die dortigen Medien über die Zustände aufgeklärt hatten. Daran erinnert dieser Stein, hier am Fluss Naver, wo die Vertreibungen am grausamsten umgesetzt und die Bauern von Söldnertruppen teils einfach abgeschlachtet worden sind.

Unfassbar, was hier passiert ist. Und dabei wirkt hier alles so friedlich.

Ich fahre wieder nach Norden, bis an die Küste, dödele ein wenig an der entlang und biege dann dich wieder ins Landesinnere ab. Ich habe viel Zeit heute, ich muss nichts anderes machen als Landschaft angucken. Und vielleicht schaffe ich es ja jede Straße in den Highlands einmal zu fahren?

Naja, eher nicht. Auch in den Highlands gibt es Baustellen, und eine davon zwingt mich umzukehren und den ganzen Weg wieder zurückzufahren. Da der aber ausgesprochen nett anzusehen ist, macht mir das nichts. Die V-Strom braust durch die gräsernen Täler und donnert alle paar Kilometer über die Cattlegrids. Das sind Gitter in der Fahrbahn, die Huftiere nicht queren können.

Wieder an der Nordküste, fahre geht es nach Osten. Die Straße ist unspektakulär und die Autofahrer freundlich. Ein langsam fahrender Schulbus blinkt sogar rechts. Der will wohl signalisieren, dass ich hier gefahrlos überholen kann.
Ach wie nett, denke ich und gebe Gas – und in dem Moment denke ich noch “Ts, eigentlich hätte der links blinken müssen. Rechts dürfte er nur blinken wenn er auch rechts ab”…. ShitShitShit der WILL rechts abbiegen!

Die V-Strom schießt haarscharf an dem abbiegenden Bus vorbei, und ich ärgere mich über mich selbst und meinen Fahrfehler. Zum Glück ist alles gut gegangen.

Einige Kilometer weiter meldet sich Anna plötzlich im Helm und sagt an, dass die Bluetoothverbindung zum Reifendruckkontrollsystem ausgefallen ist. Und dann verliert sie den Kontakt zu Satelliten und weiß nicht mehr, wo wir sind.
Hm. So ein Verhalten kenne ich – das passiert, wenn man sich in der Nähe militärischer Einrichtungen befindet. In den Bergen von Livorno und in der Nähe des dortigen Militärhafens passiert so etwas auch. Aber was mag hier sein? Sehen tue ich eine Art Industriekomplex, nur wenige hundert Meter entfernt und direkt an der Küste. Ob das was Militärisches ist?

Später lese ich, dass das hier die Kernkraftanlage Dounreay ist, wo der letzte “Schnelle Brüter” der Welt stand und für den hier Brennelemente hergestellt und wiederaufbereitet wurden. Ähnlich wie die Kernanlage Sellafield hat auch Dounreay eine schlimme Geschichte. Um Brennstäbe loszuwerden, bohrte man hier ein tiefes Loch in den Fels, flutete es mit Salzwasser und schmiss den Kram einfach da rein.

Verschlossen wurde die Müllhalde mit einer sieben Tonnen dicken Betonplatte und einer eineinhalb Meter dicken Stahlplatte. Das ging so lange gut, bis es 1977 irgendein Depp für eine gute Idee hielt, mal zwei Kilo Natrium und Kalium in den Schacht zu werfen. Wer im Chemieunterricht aufgepasst hat, weiß was passiert, wenn Erdalkalimetalle mit Wasser in Kontakt kommen: Sie explodieren.

So auch hier. Nun sind zwei Kilogramm nicht viel, aber wenn eine Explosion in einem engen Schacht im Fels stattfindet und nur eine Richtung zur Ausbreitung hat, dann gibt das einen erstaunlichen Wumms. Die Reaktion der Chemikalien mit dem Wasser führte dazu, dass die Betonplatte explodierte und radioaktiver Staub und strahlende Betonbrocken in der ganzen Umgebung verteilt wurden, einschließlich einem viel besuchter Familienstrand, der nur 40 Meter von der Anlage entfernt war.

Gesagt hat die Betreiberfirma davon niemandem etwas.

Über Jahre gab es in der Region keinen Öffentlichen Busverkehr, weil die Rückenlehnen der Busse radioaktiv verstrahlt waren. Stellte sich raus, dass die gleichen Busse, die als Schulbusse eingesetzt wurden, auch die Arbeiter ins Atomkraftwerk und wieder zurück fuhren. Aber woher die starke Verstrahlung der Arbeiter kam?

Da machte man dicke Backen und beteuerte, sich das gar nicht erklären zu können. Rausgekommen ist das ganze erst 1995, also 18 Jahre nach dem Vorfall, und DANN wurde auch die Küste für Besucher gesperrt. 2001 wurde die Wiederaufarbeitungsanlage stillgelegt und wird seitdem rückgebaut. Was aber noch in Betrieb ist, ist die Forschungsanlage für U-Boot-Reaktoren direkt neben dran. Lag ich also gar nicht so falsch mit der Vermutung, das hier was Militärisches ist.

Ein paar Kilometer weiter liegt der Ort Thurso, und direkt am Standtrand ein LÜDL.

Den steuere ich an, boote Anna und die Reifensensoren neu und gucke mir den Ölnebel am Ölkühler an. Ok, tropfen tut da nichts, das ist schon mal gut.
Einen kurzen Abendesseneinkauf später lenke ich die V-Strom schon wieder auf die Straße. MotoSuseSauseWind hat mir den Tip gegeben, nach Dunnets Head zu fahren, einer vorgelagerten Landzunge mit einem Leuchtturm.

Die Landzunge finde ich sofort, den Leuchtturm auch, das einzige Problem ist… Ich bekomme die V-Strom nicht abgestellt. Der Wind ist hier so heftig, das er die Maschine vom Seitenständer hebt. Zwei Anläufe braucht es, bis ich im Windschatten einer Mauer einen geeigneten Parkplatz gefunden habe und die V-Strom guten Gewissens zurücklassen kann.

Der Leuchtturm selbst ist hübsch. Er wurde vom Opa von Robert Louis Stevenson gebaut, der u.a. die “Schatzinsel” und “Robinson Crusoe” geschrieben hat.

Ein behauener Stein trägt eine Inschrift: “Welcome to Dunnets Head, most northern Point of Mainland Britain”. Nördlicher wird´s also nicht mehr.

Hier gibt es wohl jede Menge Seevögel, aber ausgerechnet die lustig aussehenden Puffins sehe ich nicht aus der Nähe.

Wenige Kilometer weiter östlich liegt John O´Groats. Das war früher ein Handelsposten des Niederländer Jan van de Groet und der Fährhafen zu den Orkneys, einer Inselgruppe direkt vor der Küste Schottlands.

Heute ist John O´Groats eine Touristenattraktion. Schon an der Zufahrtsstraße liegen links und rechts hypermoderne Ferienbungalows, und der Ort selbst ist eigentlich kein Ort, sondern ein großer, zentraler Parkplatz um den herum sich Souvenirbuden und Lädchen mit Kunsthandwerk, Textilien und handgemachtem Kram gruppieren.

Mehr als ein Schild weist darauf hin, dass das hier der nordwestlichste Zipfel des britischen Festlands ist. Wer die 874 Meilen oder rund 1.400 km lange Strecke von “Lands End” im Südwesten von Cornwall bis hier, in die Nordwestlichste Ecke, fährt, ist ein “End-To-Ender”.

Hey, das bin ich praktisch auch! Ich war doch vor vier Tagen noch in Cornwall. Obwohl, eigentlich zählt das nicht. Ich habe Land´s End nur vom Dartmoor aus gesehen, um wirklich ein End-to-Ender zu werden fehlen einige, wenige Meilen.

Schnell haue ich hier wieder ab und fahre jetzt die Westküste hinunter. Die Landschaft hat sich geändert, statt leerer Grashügel und Felsen ist hier plattes Land mit Feldern und kultivierten Wiesen links und rechts der Straße, und zahlreiche Orte säumen den Weg.

Wick um eine natürliche Bucht herum auf Felsen über dem Meer. Ich fahre durch die kleine Stadt hindurch bis fast zum Ende. Dort wartet meine Unterkunft für heute, ein einfaches Wohnhaus mit einem Schild davor: “Pension Impala”.

Die Tür wird von einer untersetzten Mittvierzigerin mit einem strahlenden Lächeln in den Augen geöffnet. Sie stellt sich als Julie vor, die zusammen mit ihrem Mann seit einigen Jahren das B&B betreibt.
Aber warum heißt die “Impala” und warum hängt das Geweih eines afrikanischen Springbocks über der Garage? Julie lacht und erzählt, dass sie lange Jahre Krankenschwester im NHS, dem britischen National Health Service, gewesen sei. Davon hatte sie irgendwann die Nase voll, und hat sich nach etwas anderem umgesehen.

Dabei sei sie an diesen Ingenieur geraten, der vier Monate im Jahr hier wohnte und acht Monate in Afrika arbeitete. In der Zeit seiner Abwesenheit ließ er in seinem Haus ein B&B laufen, das er wegen seiner Afrika-Affinität wie den afrikanischen Springbock getauft hatte. “Sachen gibt´s”, sage ich. Julie lacht.

Das Zimmer ist wie immer winzig, aber gepflegt.

Ich dusche, esse ein das Fertigkram von LÜDL zu Abend, dann streife ich mir noch einmal die Steppjacke über und gehe spazieren. Das Impala liegt in einem Neubaugebiet auf der Felszunge, die dem Hafen von Wick einen natürlichen Schutz bietet.

Ich laufe auf der Klippe entlang, gucke Karnickeln beim karnickeln zu und bewundere die alten Fischerhäuser und die Felsformationen.

Ein alter Turm steht hier rum, so bröckelig, dass ich ihn lieber nicht scharf angucke. Nicht, dass der dann noch zusammenfällt.

Tour des Tages: Von Kinlochverbie vorbei am Cap Wrath nach Dunverness zur Smoo Cave, dann nach Osten bis Tongue, von dort in Schleifen bis John O´Groats ganz im Osten und dann nach Süden bis Wick. Rund 345 stürmische Kilometer.

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9 Gedanken zu „Reisetagebuch (11): Smoooooooooo

  1. R. L. Stevenson ist mit Modestine zwei Wochen lang durch die Cevennen getippelt und hat darüber einen Reisebericht verfasst. Ich bin in der Kölner Zentralbibliothek über seine Aufzeichnungen gestolpert. Der Titel lautet: Reise mit einem Esel durch die Cevennen.
    Modestine war eine Eselin, ihr Name bedeutet soviel wie die Genügsame.
    Siehst Du die Gemeinsamkeiten, Silencer? Du bist ebenso ein Verfasser von Reiseberichte und Du hast Deinen Lastenträgern auch nette Namen gegeben.
    Modestine wäre ein sehr guter Name für meine olle Rappelkiste. Allerdings hat Sie schon zwei Namen mit denen ich Sie situationsbedingt anrede.
    So mein Lieber jetzt hast du wieder etwas dazu gelernt. Eine Anhäufung von Wissen heißt aber nicht daß man schlau wird. Ich für meinen Teil denke daß ich noch soviel Wissen anhäufen kann, trotzdem werde ich wohl saudumm von der Bühne abtreten.
    Wie die meisten von uns, im übrigen.
    Ich kann nur hoffen daß ich in dem Moment eine einigermaßen gute Figur machen werde. Hahahahahaha! Und hoffentlich bleibt mit noch etwas Zeit um mich darauf gut vorzubereiten. Hahahahaha!

    LIEBEn Gruß und streichel das Wiesel und Huhu von mir
    rudi rüpel

  2. Ha, super, besten Dank! Wieder was dazugelernt!
    Wiesel und Huhu bedanken sich für die Zuneigung und ja, Du hast recht: Wenn die letzten Worte sowas wären wie “Da KANN gar kein Strom drauf sein” oder “Ich weiß was ich tue” oder “Die Schlange ist aber viel kleiner als die auf dem Bild” – dann wäre mir das auch ein wenig peinlich. Aber nicht sehr lange. 😀

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