Reisetagebuch (4): Lost Place 486L MEDCOM 4C

Reisetagebuch (4): Lost Place 486L MEDCOM 4C

CC BY SA, Wikimedia, Nutzer Tschubby Ortseintragung von mir.

Mittwoch, 21. September 2022
Der zweite Tag in “Gli Ulivi”, dem kleinen Appartement am Nordwestzipfel von Sardinien. Gestern habe ich mir einen Tag Auszeit gegönnt, aber heute liege ich nicht den ganzen Tag im Bett herum. Um kurz vor 10 Uhr sitze ich schon auf der V-Strom und bin von Castelsardo aus Richtung Nordosten unterwegs.

Wenige Kilometer hinter Valledoria fahre ich an eine kleinen Tankstelle mit nur einer Zapfsäule. Der alte Benzinao kommt angeschlurft, bleibt auf Distanz, guckt skeptisch und fragt “Fai da te?” Selbstbedienung?

“Con servizio, per favore”, sage ich, und er grinst. Ich mag den Service an italienischen Tankstellen und nutze den, wann immer ich kann. Aus zwei Gründen: Die neun Cent mehr pro Liter, die der Tankservice kostet, machen mich nicht arm, aber der Mann – der schon Mitte 70 sein muss – freut sich über das Zubrot. Zweitens: Ich muss mich nicht mit diesen unsäglichen Automaten rumschlagen, die nie richtig gut funktionieren und meistens keine Kreditkarten nehmen.

Bonus: Benziniaos (und Benzinaias, von denen gibt es viele!) sind von Natur aus Plaudertaschen und geben oft ungefragt nützliche Tips von sich. Sie warnen vor gesperrten Straßen, geben Infos zum Wetter oder weisen auf Radrennen >:-( hin.

Dieser hier macht das nicht, der fragt nur, wie mir Sardinien gefällt und ob wir in Deutschland wohl keinen Tankservice haben. Als er hört, das es das bei uns nicht gibt und deswegen viele Deutsche in Italien total in Panik geraten, wenn sie an die “Servizio”-Säule fahren und plötzlich jemand an ihrem Auto rumfummelt, zieht er die Augenbrauen hoch und sagt: “Warum kennt man das bei Euch nicht? Ist doch bequem, gerade für alte Leute”. Tja. Wie übersetzt man “Weil die meisten Leute Geiz für Geil halten”?

Nach dem kurzen Tankstopp geht es weiter, über eine gut asphaltierte Straße, die sich mal in engen, mal in weit ausholenden Kurven am Rand eines bewaldeten Tals entlang zieht.


In der Ferne sehe ich kurz das Valle della Luna, dessen Bergkamm mit seiner gezackten Silhouette an eine Mondlandschaft erinnert.

Hier sind auch LKW unterwegs, mit ungefähr 40 km/h, was der Straße angemessen ist, aber natürlich ist es doof und anstrengend, qusi im Schrittempo hinter einem Lastwagen her zu fahren.

Nach einer Stunde komme ich in Tempio Pausana an. Der Ort zählt mit 14.000 Einwohner:innen schon zu den größeren im Norden Sardiniens und ist das Zentrum der Gallura, der Granitregion ganz im Norden der Insel. In der Stadt sind die Straßen verschlungen und dicht befahren, erst am Ortsrand geht es flüssig weiter.

Über dem Ort ragt der Monte Limbara geradezu drohend auf.

Auf seinem Gipfel trägt der Berg eine Krone aus Antennen:

Der Weg zum Monte Limbara ist ein Serpentinenfest – nach diesem Berg kann man Serpentinen fahren, oder man wird es nie lernen.

Etwas unterhalb des Berggipfels deutet die “Madonna delle Neve”, die Madonna des Schnees, stumm über den “Friedhof der Steine” und in den Himmel.

Bittsteller habe der Madonna Opfer gebracht und teils Bilder ihrer Lieben hinterlassen. Ich sehe Haarspangen und Armbänder, beim letzten Mal lag sogar eine Brille hier. Gegenstände, die kranken Menschen gehören und die sie selbst oder Angehörige hier hinterlassen haben, damit die Madonna sie heilen möge.

“Friedhof der Steine” wird das Geröllfeld genannt, in dem Findlinge von der Größe von PKWs übereinanderliegen. Häufig ist es hier ganz schön duster, weil Wolken den Berggipfel einhüllen. Auch jetzt wird es manchmal für Minuten merklich dunkler und kälter, und Wolkenfetzen treiben über den Steinfriedhof und durch den angrenzenden Wald.

Etwas unterhalb der Schneemadonna gibt es eine kleine Stelle, an der die sonst steil abfallende Straße fast eben ist. Dort parke ich die V-Strom am Straßenrand und sichere sie.

Dann hole ich den Tagesrucksack heraus, den ich mir über die Schulter hänge. Aus einem Seitenfach im Topcase nehme ich die Fenix, eine sehr lichtstarke Winkellampe, und klippe die an die Schulter. Das habe ich aus den Naughty Dog-Spielen wie “Uncharted” und “The Last of Us” gelernt: Winkellampen sind voll praktisch ist, weil man mit denen bei Erkundungen die Hände frei hat.

Aus weiteren Fächern im doppelten Boden des Topcase hole ich eine zweischüssige Pfeffergel-Pistole und ein rasiermesserscharfes Opinel-Messer. Das Messer kommt in den rechten Stiefel, die Guardian Angel IV in einen Gürtelclip am Rücken. Ich rechne nicht mit Problemen, und selbst wenn es zu kritischen Situationen kommen sollte, werde ich mich zuerst versuchen da rauszureden. Das hat bisher immer geklappt, aber wer weiß, wem oder was ich hier begegne. Die gerade eingesteckten Gegenstände sind Plan D bis F bei Problemen mit Menschen und Plan B bis C bei Konfrontationen mit Tieren. Ich mache mir keine Illusionen, aber ich bin ein vorsichtiger Bursche.

Ich schließe den Helm im Topcase ein, aktiviere den Bewegungsalarm der Barocca und laufe auf den Eingang eines umzäunten Grundstücks zu. Der Zaun hängt teils schief an seinen Pfosten, und am Eingang steht ein Wachhaus, dessen Scheiben eingeschlagen und die Tür herausgerissen ist.

So kenne ich das hier, denn 2018 war ich schon einmal an diesem Ort. Das hier ist ein Lost Place, eine aufgegebene Militärbasis der Amerikaner, Codename 486L MEDCOM 4C Monte Limbara.

Die Basis wurde Anfang der 90er aufgegeben, und die Amerikaner rückten sehr schnell ab. Elektronik nahmen sie mit oder zerstörten sie, aber alles mechanische und alle Gebäude blieben, wie sie waren. Die Regierung in Rom wusste damit nichts anzufangen und schenkte das Gelände an Sardinien zurück, aber hier hatte man weder Verwendung dafür noch Geld, um die Gebäude abzureißen. Nicht mal zur Objektsicherung war Kohle da, und so ließ man das Gelände einfach offen.

Warum auch nicht, hier oben kam ja außer Einheimischen, die zur Madonna wollten, niemand hin. Bis… ja, bis der Ort als Lost Place quasi bekannt wurde. Nachdem ich vor vier Jahren hier war, setzte ein regelrechter Boom ein. Abenteurer und Touristen aus der ganzen Welt pilgern hier her und übernachten teils sogar in den halb verfallenen Gebäude.

Würde ich nie machen. Zum einen, weil es hier oben oft sehr, sehr stürmisch ist. Das habe ich bei meinem letzten Besuch hier erlebt. Da klappern und ächzen dann Bleche im Wind, und scharfeteile Dinge fallen vom Dach herab oder fliegen durch die Gegend. Da mittlerweile das Material einen hohen Ermüdungsgrad hat, reißen Bleche und Holzplatten in den letzten Jahren immer öfter ab und werden vom Sturm weggetragen, teils landen die dann im Tal auf Häusern und Feldern. Die Anwohner sammeln den Schrott dann ein und bringen ihn wütend zurück zum Berg.

Vor dem Wachhaus steht ein grob zusammengezimmerter Container, der bei meinem letzten Besuch noch nicht hier war. Darin liegen Holzplatten und Blechteile. “Rifuti per la Regione Sardegna”, steht auf der Vorderseite, und “Prendetevi la vostra Merda”Müll für die Region Sardinien, behalten sie ihren Scheiß

Der zweite Grund, weshalb ich ich hier nicht übernachten wollte: Die Basis ist voller Asbest. Das Dämmmaterial wird auch vom Wind zerfetzt, und Wolken von Asbestfasern wehen durch die Gebäude und vom Berg herab. Ich setze meine FFP3-Maske auf, dann betrete ich die Basis. Was gegen Covid hilft, hält auch krebserregende Fasern ab.

Schon vom Eingang des Geländes sind die riesigen Antennen zu sehen.

Vorbei an Garagen und KFZ-Werkstätten laufe ich auf das Gelände.

An der Front einer Werkstatt ist der Text aufgesprüht:

“Abbiamo pulito parte della vechhia base USA per iniziare a bonificare Limbara dalla guerra che tutte le basi ative e non ative vengano al piú prento chiuse bonificate e i territori restituiti alla sardegna”.

Ich bleibe davor stehen und bewege die Lippen, während ich versuche das zu übersetzen. Wenn ich das richtig verstehe, steht da

“Wir haben einen Teil des alten US-Stützpunktes aufgeräumt, um damit zu beginnen, den Limbara vom Krieg zurückzuerobern. Alle aktiven und nicht aktiven Stützpunkte sollen so schnell wie möglich an Sardinien zurückgegeben werden.”

Aha. HmHm. Soso.

Weiter gehe ich auf das Gelände. 2018 habe ich eine Karte davon gemalt:

Die erste Baracke kenne ich bereits. Schlafzimmer und Waschräume für die Mannschaft waren hier. Die Deckenverkleidungen liegen auf dem Boden, das Wellblech vom Dach ist weggeweht.

Die Innenverkleidung der Decken ist komplett runtergekommen, die Dämmung (die mit Asbest drin) hängt von den Dachstreben.

Die Waschbecken und Duschen sind zerschlagen, Keramikscherben knirschen unter meinen Stiefeln.

Seit meinem letzten Besuch hat sich hier wenig verändert, sogar die eine, einsame Deckenlampe hängt noch von ihrem Kabel und dreht sich langsam um sich selbst.

Ich verlasse die Baracke auf dem selben Weg, auf dem ich reingekommen bin, als ich über meinem Kopf ein lautes FLAPP-FLAPP-Geräusch höre. Instinktiv ziehe ich den Kopf ein und ducke mich auf den Boden, aber nichts passiert.

Als ich den Kopf hebe, sehe ich über mir einen großen Greifvogel über das Gelände fliegen. Seine Flügelschläge erzeugen das laute FLAPP. Erst jetzt fällt mir auf, das sich kein Lüftchen regt und es absolut still ist. Nur deshalb habe ich das Schlagen der Vogelflügel so laut gehört.

Ich nutze das und lausche. Ist ja völlig unklar, ob und wer sich hier oben noch alles rumtreibt. Ich höre nichts, also gehe ich weiter zur nächsten Baracke. Die kenne ich noch nicht, das scheinen Büros, Bereitschafts- und Gemeinschaftsräume gewesen zu sein, sogar eine Bar gibt es hier.

Ein überdachter Gang führt hinauf zum Operations-Teil der Basis.

Ein Vorgebäude ist geradezu ordentlich und aufgeräumt, der Boden wurde vom Unrat befreit und es sieht sogar sauber aus. Den Raum kenne ich aus Youtube-Videos, hier übernachten Abenteurer gerne.

Eine schwere Metalltür hängt schief in den Angeln.

Dahinter geht es nach draußen. Hier stehen die mächtigen Troposcatter-Antennen. Ihre Parabolspiegel blicken weit über Sardinien und darüber hinaus.

Die Basis am Monte Limbara ist ein wichtiger Knotenpunkte des 486L MEDCOM, des Mediterranean Communications System. Das MEDCOM ist ein aufgegebenes Kommunikationssystem der US Navy. Es besteht aus einer Reihe von Funkbasen, die Langstreckenkommunkikation auch bei Ausfall aller anderen System und der Stromversorgung gewährleisten sollten.

Gebaut wurden die Basen auf dem Höhepunkt des kalten Kriegs in den 60er Jahren. Damals war Satellitenkommunikation nicht verbreitet, man nutzte primär terrestrischen Funk. Der funktioniert aber nur bis zu einer gewissen Entfernung, wegen der Erdkrümmung. Will man weiter funken, richtet man die Funkstrahlen stark gebündelt in die Troposphäre. Von dort werden sie zwar gestreut, aber auch zu einem geringen Teil reflektiert. Diesen reflektierten Teil kann eine Basis, die in der Auftreffzone steht und deren Antennen im richtigen Winkel “lauschen”, wieder auffangen. Die Entfernung, die man mit der Troposcatter-Funktechnik überbrücken kann, ist nicht endlos. Deshalb gibt wurde in den 60ern eine Reihe von Relaisstationen gebaut. Eine Station sendete, die nächste fing die Nachricht auf und sendete sie weiter an die nächste und immer so fort.

Die NATO betrieb verschiedene Strecken von Troposcatter-Stationen. Das bekannteste ist das ACE-High-Netzwerk, das mit 49 Stationen eine fast 7.000 Kilometer lange Kommunikationslinie von Nord-Norwegen bis in die Türkei bildete.

Gerrit Padberg hat auf der Seite ace-high-journal.eu/ superviele Informationen zu den Troposcatter-Netzen zusammengetragen, von Medcom gibt es sogar einen Linienplan

MEDCOM war eine Kommunikationslinie, die sich aus Westen von Sevilla in Spanien über Mallorca, Menorca, Sardinien, Italien und Griechenland bis Incirlik in der Türkei zog. Drei Ausläufer gab es nach Norden: Vom südenglischen Ringstead aus wurde direkt bis nach Nordspanien gefunkt, vom Feldberg im Schwarzwald konnte Savona in Ligurien erreicht werden und eine Station auf der Zugspitze war u.a. mit dem Cima Grappa im Veneto verbunden. 1995 wurden die Troposcatter-Linien von MEDCOM außer Betrieb genommen, und die verwendeten Funkfrequenzen für TV-Sender und Mobiltelefonie freigegeben.

Diese Basis hier hat sechs riesige Antennen, die paarweise in verschieden Richtungen zeigen. Nach Westen liegt Menorca, von dort geht es weiter nach Spanien und England. Nach Osten geht es zum Monte Vergine auf dem italienischen Festland und dahinter nach Griechenland und in die Türkei. Und die nach Norden zeigenden Antennen können Kontakt mit Coltano bei Pisa aufnehmen und darüber bis nach Deutschland kommen.

Ich stehe auf dem Platz zwischen den Betriebsgebäuden, als ich plötzlich ein Knirschen von Glasscherben hören. Meine rechte Hand greift sofort in Richtung Rücken, als ich herumfahre und einen untersetzten Mann in Flipflops, Shorts und T-Shirt sehe, der gerade aus einem Gebäude geschlurft kommt. Er hat schütteres, schwarzes Haar und eine Bridgekamera um den Hals hängen. Die Spannung weicht. Keine Gefahr, nur ein Tourist, vermutlich ein Franzose.

Wir nicken uns gegenseitig zu und kümmern uns um unseren eigenen Kram. Er schlufft davon, ich betrete das Gebäude, in dem die Energie für die Basis erzeugt wurde. Große Tanks stehen neben dem Bau, der stabiler ist als die Mannschaftsbaracken. Hier sind noch keine Bleche weggeflogen, alles ist massiver und sorgfältiger errichtet worden als der Rest der Station. Weil es noch ein Dach gibt, ist es hier drin auch richtig dunkel. Ich knipse die Fenix an.

Der Lichtstrahl tastet über die Überreste von vier mächtige Dieselgeneratoren. Vor vier Jahren waren die Diesel einigermaßen ganz, aber irgendwer hat sie in Einzelteile zerschraubt. Die folgenden Bilder wirken taghell, aber das ist nur dem Nightshot der Kamera zu verdanken. Tatsächlich ist es stockdunkel.

Eine Seitenwand des Maschinenraums ist eingefallen oder zusammengetreten worden.

Hier gibt es nichts mehr zu sehen, und ich gehe hinüber zum Herzstück der Anlage, dem Kommunikationszentrum. Dabei schaue ich genau, wo ich hintrete. Auf dem Boden liegen nicht nur überall Glas und Holz- und Metallteile, aus denen Schrauben und Nägel ragen. Um diese Dinger mache ich mir keine Sorgen, meine Daytona-Stiefel habe eine Stahlplatte in der Sohle, die lacht über sowas. Nein, im Boden sind viele Löcher, teils verborgen unter Pflanzen. Manchmal sind das alte Wartungsklappen oder Tankstutzen, an manchen Stellen ist aber auch der Boden unterspült und die Asphaltdecke zusammengebrochen.

Das Kommunikationszentrum ist leergeräumt. Hier standen die Funk- und Verschlüsselungsanlagen, und die haben die Amerikaner natürlich mitgenommen. Der große Operations-Raum ist leer. Es braucht aber nicht viel Fantasie, sich den in Betrieb vorzustellen, wie hier Techniker die Anlagen checken, Funker Papiere mit Nachrichten herumreichen oder auch die Nachtschicht mit hochgelegten Füßen vor sich hindöst.

Hinter dem Raum gibt es noch einen Gang. Das ist der letzte Teil der Basis, den ich noch nicht kenne, denn 2018 wurde ich hier von einem Sturm überrascht, und weiter zu gehen schien zu gefährlich. Das war die Episode, als ich hier im Dunkel im Sturm stand, alles um mich herum klapperte und heulte und ich hatte das beklemmende Gefühl, hier oben nicht allein zu sein – und DANN sagte plötzlich eine laute Stimme direkt neben mir “In 100 Metern links abbiegen” und ich bin vor Schreck einen Schritt zur Seite gesprungen und in einen Schutthaufen gestolpert. Ich hatte vergessen die Navigation am Handy auszumachen, aber der Schreck hat ausgereicht, dass ich die Erkundung abbrach und den Berg verließ.

Heute gehe ich weiter.

Stellt sich aber raus: Viel verpasst habe ich nicht, lediglich ein weiteres Büro befindet sich hinter der Biegung.

Wieder draußen bewundere ich die mächtigen Antennen, dann öffne ich den Rucksack und kurze Zeit später summt die Pica in den Himmel. Verstörend laut klingt die kleine Mavic Air in der Stille der Basis, aber sie liefert ein paar wirklich tolle Bilder.

Als ich ein Auto den Berg hinauffahren höre, lande ich die Pica und verstaue sie wieder im Rucksack, dann gehe ich schnellen Schrittes zurück zur V-Strom.

Der Weg zurück ins Tal bringt die Bremsen ordentlich zum Glühen. Wortwörtlich, denn obwohl ich sinnig fahre, wird später die Werkstatt zu Hause feststellen, das nach dieser Rout die Bremsscheiben die Minimaldicke unterschritten haben. Vermutlich hat diese Stecke hier, mit ihren steilen, engen Kurven, denen die die letzte Ölung gegeben.

Neben dem Ort Tempio Pausana liegt Calangianus. Das Dörfchen ist superbekannt, weil es die Korkproduktion als Marketinginstrument für sich gefunden hat. Korkeichen wachsen rund um das Mittelmeer, und Kork wird an vielen Orten gewonnen:

Aber nur hier gibt es ein Museum dafür, und einen Shop, in dem man supergünstig die hochwertigsten Korkprodukte kaufen kann.

Aber ach… bei meinem letzten Besuch war das Museum in einem alten Kloster in der Innenstadt untergebracht. In den langen Gängen und hohen Räumen des alten Bauwerks kamen die Exponate schön zur Geltung, aber nun ist das Museum umgezogen, in das Erdgeschoss eines Wohnhauses.

Das wirkt wie ein Provisorium, alle Ausstellungsstücke stehen nun in einem kargen Raum und entfalten gar nicht richtig Wirkung.

Antonella, die mich beim letzten Besuch rumgeführt und mit die Geheimnisse der Korkherstellung erklärt hat, hat trotzdem gute Laune. Ich kaufe einen Satz erstklassige und handgemachte Korkuntersetzer (sechs Stück für sagenhafte zwei Euro), dann nehme ich wieder Kurs nach Westen.

Am frühen Nachmittag komme ich wieder bei Gli Ulivi an, packe meine Badesachen und mache mich auf den Weg zum Strand. Dieses mal hat es dort keine Österreicher, zum Glück. Es ist nur recht windig, aber das ist einfacher zu ertragen als Schlagermusik.

Als gegen 17:30 Uhr der Wind noch weiter auffrischt, wird es richtig unangenehm und ich mache mich auf den Heimweg und schlappe die Dorfstraße von La Ciaccia entlang. Jetzt ist die Eisdiele, die gestern noch geöffnet hatte, geschlossen und die Fenster mit Holzplatten verbarrikadiert. Die Saison ist vorbei, auch hier bereitet man sich auf den Winter vor. Die Touristen sind fort, die Ortsbewohner haben ihr Leben wieder für sich.

Naja, fast zumindest. Kurz bevor ich wieder am Appartement bin, sehe ich eine alte Dame in einem ebenso alten Fiat Panda die Straße entlang fahren. Das kleine Auto wird von einem Rudel GSen bedrängt, die dicht auffahren und das Gas aufreißen, so dass die Maschinen infernalischen Lärm machen. Die alte Frau guckt nervös in den Rückspiegel und sieht deshalb nicht den GS-Fahrer, der sie gerade überholt. Auf Höhe des Fahrersitzes reißt der Affe das Gas auf, das Motorrad knallt aufs allen Rohren und die alte Frau erschrickt sich und verreisst das Steuer. Das hält die anderen GSen nicht davon ab, es dem Anführer gleich zu tun und die Frau und den Ort mit dem Krach ihrer Maschinen zu terrorisieren.

Als die Horde vorbeirauscht, achte ich auf die Fahrer und die Nummernschilder. Von der Statur her sind es dicke, alte Männer, die Kennzeichen sind aus Düsseldorf. Peinlich, peinlich.

Ich ziehe mich in den Schutz von Gli Ulivi zurück und koche mir ein paar Nudeln, dann mache ich es mir auf dem Balkon bequem. Wieder ist die Nacht still und warm, und mir geht es gut.

Tour des Tages: Von La Ciaccia nach Tempio Pausania und auf den Monte Limbara, dann nach Calangianus und wieder zurück. Nette 134 Kilometer.

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5 Gedanken zu „Reisetagebuch (4): Lost Place 486L MEDCOM 4C

  1. Superschöne Geschichte. Ich hatte mir schon den Teil über die Funkanlage Deines Besuches vor vier Jahren durchgelesen, auch das zum Korkmuseum. Leider will mein Kollege wegen der Temperaturen, wir hatten zwischen 35° und 40° C, da nicht wieder hin. Aber ich möchte schon, zumal diesmal mit funktionierendem Moped…. Bei mir war ja am zweiten Tag die Zündanlage ausgefallen und ich habe es nicht repariert bekommen. Ich vermute, dass es ein Klacks ist, aber ich hatte keinen Lötkolben dabei. C’est la vie…

  2. P.S.: Zu Deinen Sicherheitsmassnahmen mit dem Pfefferspray: Vollkommen übertrieben, vollkommen übertrieben! Solche Probleme habe ich noch nie gehabt. Ich hänge mir einfach die Kalaschnikow über den Rücken und auf einmal hat man selbst im dichtesten Gedränge Unmengen an Platz… /Scherz-Modus-Off/ *smile*

  3. Hallo Lupo,

    jaja, mit scharfen Waffen Respekt verschaffen! Hahahahaha! Mit so einem AK auf dem Rücken werden sich sämtliche Österreicher, Radfahrer und Düsseldorfer schnell verdrücken. Und bei österreichischen Radfahrern aus Düsseldorf erfüllt dieser Anblick erst recht seinen Zweck, denn ruckzuck sind sie alle weg. Hahahahaha!

    Hey, Silencer so ein AK kannste wie ein Klappkrad zerlegen so daß es im kleinsten Brustbeutel Platz findet.

    LIEBEn Gruß, LIEBE schaffen geht sogar ohne Waffen, hahahahaha
    rudi rüpel

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