Samstag, 24. September 2022, La Medusa, Porto Pino, Sardinien
„Ich bin nach Deutschland gegangen als ich 21 war, zu meiner Cousine. Die hatte zu der Zeit zwei Restaurants in München. Nach fünf Jahren bin ich dann 1997 hier her zurückgekommen“, erzählt Christina. Das ist die Frau, die so gut deutsch spricht und mir gestern La Medusas Frühstücksraum gezeigt hat. Jetzt sitzen wir an der Bar, trinken Caffé und plaudern. Die anderen Gäste sind noch nicht aufgestanden.
„Das Restaurant hier ist ein Familienunternehmen. Mein Mann Luca und ich machen das meiste, aber die Familie und die Freunde helfen auch. Ach, und wir haben Nachwuchs, ein kleines Mädchen!“
„Habe ich gestern schon gesehen“, sage ich. „Nächste Generation des Restaurants?“ „Falls Sie das möchte, warum nicht?“, lacht Christina. „Danke nochmal“, sage ich. Auch für den Parkplatz“ und deute mit dem Daumen über meine Schulter, wo die Barocca vor der Gästeterasse und in dem kleinen Innenhof steht. „Kein Problem“, sagt Christina.
In dem Moment kommen die ersten Gäste die Treppe herab. „Due Capuccini“, bellt ein grauhaariger Mann und hustet sich dann die Seele aus dem Leib. „Verdammter Reizhusten“, knurrt er im vorbeigehen, „Kein Auge zugetan die Nacht“. Seine Frau wuselt um ihn herum und tut besorgt „Den hast Du jetzt schon seit Wochen, geh doch mal zum Arzt!“ „NIX!“ bellt der Mann, „Ist nur eine Erkältung! Völlig normal um die Jahreszeit!“ und hustet weiter. Tja, da muss er dann wohl durch. DIE Sorte von Reizhusten kenne ich mittlerweile und ja, die bleibt wochenlang. Das ist Post-Corona-Reizhusten. Aber daran glaubt der Mann wohl nicht. Naja, mir egal.
Ich mache mich fertig und klippe die Koffer an die Maschine. Christina öffnet das Tor der „Medusa“, und die Barocca fährt hinaus in die Morgensonne.
Es geht in Richtung Cagliari. Anna hat exakt die selbe Strecke wie gestern gerechnet. Die ist zwar schön, aber nun scheint mir die Sonne ins Gesicht, was das Kurvenfahren sehr anstrengend macht.
Um Cagliari herum ist das Meer aufgewühlt, und als ich über die Brücke zur Stadt fahre, benetzt salzige Gischt das Helmvisier und macht es blind.
Zum Glück führt die Straße nicht direkt durch Cagliari hindurch, sondern in einem Bogen zumindest um die Altstadt herum. Der Verkehr wird weniger, dann geht es die Küste hinab bis nach Villasimius.
Die Straße ist herrlich kurvig, und die wenigen Touri-Autos sind im Nu überholt. Mit freier Bahn kommt freie Sicht, auf eine felsige Küste und ein leuchtend blaues Meer.
Nach dem Südwestlichsten Punkt geht es nun weiter nach Norden, an der Costa Rei mit ihrem 20 Kilometer langen Sandstrand entlang. Auf einem Parkplatz am Straßenrand stehen mehr als 30 Motorräder in der Sonne. Die Fahrer fotografieren sich gegenseitig vor ihren Maschinen und posieren dabei wie Bodybuilder. Ein wenig hat das was von einem Affenfelsen.
Hm, das Motorrad hat jetzt 380 Kilometer auf dem Zähler… Zeit mal über Tanken nachzudenken. Zwar hat die V-Strom noch Saft für mindestens 100 km, aber es geht jetzt in eine Region, wo die Tankstellen rar gesät sind. Anna schlägt tatsächlich vor, zurück nach Villasimius zu fahren, aber dann finde ist in Castiadas, einem Ort der nur aus einem ehemaligen Gefängnis für Zwangsarbeiter besteht, eine Q8. Eigentlich ist die uralte Auotmatentankstelle eine die eine alte IP, lediglich die Leuchtschilder wurden ausgetauscht. Zwei der vier Zapfsäulen sind außer Betrieb, und Karte nimmt das Ding gar nicht – es will Geldscheine. So kennt und liebt man diese Automaten in Italien!
Extra für diesen Zweck habe ich unzerknitterte und nicht zu neue 10-Euro-Scheine dabei. Zwei davon verfüttere ich an die Kiste, dann kann ich endlich tanken. Das gestaltet sich umständlich, denn um ordentlich und viel in den Tank zu bekommen, sitze ich am liebsten auf der Maschine und halte sie senkrecht. Damit das hier geht, muss ich erst die Pistole in den Tank klemmen, um die Maschine rumlaufen, aufsteigen (Dabei zusehen das die Zapfpistole nicht aus dem Tank rutscht), dann tanken, dann das ganze wieder Retour. Klappt aber.
Was man hier fahren möchte ist die Strada Statale 125. Aber nicht die neue, die wie ein Strich durch die Landschaft führt, sondern die alte SSS125, die sich parallel und unter der neuen Straße durch die Landschaft schlängelt und hinauf in die Berge führt.
Auf der Ostseite der Insel sind sehr viele Motorradfahrer unterwegs, und auf einer Schlängelstraße natürlich ganz besonders. Manche fahren gesittet, sehr viele sind aber deutlich zu schnell unterwegs für eine Bergstraße, auf der hinter jeder Kurve Geröll auf der Fahrbahn liegen kann, oder eine Ziege, oder vielleicht ein langsames Auto dahinschleicht.
Die meisten sind zu zweit oder zu dritt unterwegs, manchmal sind es auch mehr. Manche versuchen sich während der Fahrt gegenseitig zu überholen. Das heißt wohl, dass sie ein Rennen fahren.
Dann bin ich im Inneren der Berge, links ein tiefes Tal, dahinter ein großes Massiv. Wahnsinn, dieser Ausblick.
Nach fast sieben Stunde komme ich einem Ort namens Osiliena an, und hier stoppe ich bei einem Conad und kaufe ein Abendessen in Form einer Fertigsuppe und abgepackter Sandwiches. Wer weiß, ob ich die noch brauche. Wer weiß, ob ich überhaupt eine Unterkunft haben werde. Ich hatte ein Gasthaus angeschrieben, das ich von 2018 kenne. Die wollten Geld überwiesen haben, was sie auch bekamen Aber danach – Funkstille. Ich hatte eine Mail geschickt um zu Fragen, ob sie meine Buchung bestätigen. Und eine zweite, in der ich meine Ankunftszeit kund tat und fragte, ob das OK sei. Keine Antwort.
Bin gespannt, ob es die Unterkunft überhaupt noch gibt – oder ob der Hof vielleicht abgebrannt ist.
Nein, ist er nicht. Ich lenke die Barocca die steile Einfahrt hinauf und auch einen Platz voller tiefem Schotter. Das Haus steht noch, und es ist nach wie vor schön.
Aber ist hier auch jemand?
Ich öffne die Tür zum Gasthaus und rufe „Buona Sera!?“ in den großen Gastraum.
„B´Sera“, dröhnt es zurück. Ein junger Mann sitzt im Dunkel der Gaststube und spielt an seinem Handy herum. Aha, dafür reicht es, aber Mails beantworten ist nicht?
Kurz angebunden tut er Zeiten kund, dann fragt er ob ich Abendessen will. Sowas gibt es hier? „Nur in der Saison“, bellt er, drückt mir den Zimmerschlüssel in die Hand und verschwindet. Also, seine Mama – falls es die 2018 war – ist definitiv freundlicher!
Egal. Die Zimmer sind immer noch so schön, wie ich sie in Erinnerung habe.
Hobo-Duschgel? Will man so riechen?
Nach der Dusche gucke ich zum Pol, aber der ist kalt.
Zumindest ist die Landschaft schön. Währen dich die noch bewundere, höre ich ein Knurren hinter mir. Ein Deutscher Schäferhund steht an der Hausecke und grollt. Ein junges Tier, groß, mit schlankem Körperbau. Er hat den Kopf erhoben und hält den Schwanz ganz starr. Ich kann Hunde lesen, und der hier ist misstrauisch, aber nicht in Angriffslaune. Ich gehe in die Knie, strecke meine Hand aus und sehe ihn direkt an. Er starrt zurück. Fünf Sekunden, dann zehn, dann macht er einige Schritte auf mich zu und schnüffelt ausgiebig an meiner ausgestreckten Hand. Schließlich dreht er den Kopf zur Seite, als hätte er im Gebüsch etwas entdeckt, was interessanter ist als ich. Ich streiche ihm über den Rücken. Der Kopf schwenkt wieder zurück, und ich darf an der speziellen Stelle am Ansatz der Ohren kraulen, die der G-Punkt bei den meisten Hunden ist und sie die Augen selig verdrehen lässt. In dem Moment kommt ein zweiter Schäferhund um die Ecke. „Guck mal, da wird jemand neidisch“, sage ich, nehme den Kopf des Hundes in beide Hände und wuschele ihn durch, dann gehen wir zu Dritt spazieren.
Ruhiger war es auch. Als diese Zeilen entstehen, dröhnen Motorräder in ohrenbetäubender Lautstärke auf der Straße unterhalb es Hofes vorbei, und ein Niederländer schreit per FaceTime in sein Handy, das er dann schwenkend durch die Landschaft trägt, wohl um der Person am anderen Ende zu zeigen, wie es hier aussieht. Dabei kollidiert er fast mit einem kleinen Briten, der das gleiche tut.
Briten sind tatsächlich gleich vier, und leicht zu erkennen – wer sonst würde als Frau eine Dauerwelle, Dame-Edna-Brille und Seidenschal zu einem unförmigen Batikrockensemble tragen?
Um kurz nach halb acht gehe ich in die Gaststube. Rita, die Herbergsmama von 2018, kommt an meinen Tisch und grüßt freundlich „Wir haben uns früher schon mal gesehen?“, fragt sie.
„Ja!“, antworte ich, „ich war schon mal vor vier Jahren hier und wollte immer mal zurückkommen, und ich freue mich, das ich nun wieder hier bin!“ In Rita Gesicht lese ich Unverständnis. „Äh, bestelle ich jetzt bei Dir?“, frage ich. „Was? Nein, ich sage mal meinem Sohn bescheid. Der kennt sich sicher besser aus mit dieser Sprache, die Du da sprichst“. „Hey“, sage ich, „Ich versuche immerhin italienisch zu lernen“ – „jaja, was immer Du sagst, irgendwas sagst Du bestimmt“, sagt Rita und verdrückt sich Händeringend. Ich meine… Ich WEISS ja das ich nicht toll spreche, aber so schlimm…?
Das Abendessen findet in der angrenzenden Trattoria statt, vor einem riesigen und toll skurrilem Kamin.
ist ein riesiges Bistecca alla Maiala, Pommes und Chips. Das Schweinefleisch ist ganz simpel zubereitet, nur gut durchgebraten in feinem Öl und Rosmarin. Es ist spektakulär gut – und viel zu viel für eine Person. Ich komme erst auf die Idee, das zu fotografieren, als ich nicht mehr kann. Ja, das ist wirklich das, was übrig bleibt:
Nach einer halben Stunde kommen auch die anderen Gäste. Ich gehe früh, mir ist das Pandemietechnisch zu unheimlich und sitze lieber noch unter der Veranda und lese.
Tour des Tages: Von Porto Pino über Cagliari und Villasimius die Ostküste hoch, um Baunei und Cala Gognone herum und dann Richtung Orgosolo, 350 km.
Den Rest des Bisteccas hätte ich mir in der Serviette eingewickelt und mitgenommen 😉
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Nee. Nach der Masse will man erstmal drei Tage kein Fleisch sehen, riechen oder essen. Wirklich, das war ein halbes Schwein!
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