Familiäre Dialoge – XVIII-
Achtung: Früher waren die familiären Dialoge mal lustig, weil sie sich um einen Menschen mit seltsamen Ansichten und einem viel zu großen Ego drehten. Mittlerweile sind sie tragisch und Zeugnis einer fortschreitenden Erkrankung eines 81-jährigen. Trotzdem möchte ich mich später daran erinnern, und schreibe sie deshalb hier auf.
Januar 2023, am Telefon:
Vaddern: “Sohn! Stell Dir das mal vor, diese Verbrecher von der Stadt haben mir eine Rechnung geschickt! Ich soll im Jahr 20 Kubikmeter Wasser verbrauchen! Ich glaub mein Schwein pfeift!”
Ich: “Da warst Du aber sparsam”.
Vater: “Was heißt denn da sparsam! Das sind 20.000 Liter Wasser!! Wo soll ich die denn verbrauchen?!”
Ich: “Kochen, Wäsche waschen, Duschen, Toilette…”
Vater: “Ich koche nicht und Wäsche wasche ich auch nicht mehr! Ich brauche nur Mittags Wasser für meinen Kaffee und Abends für die fünf Minuten Terrine, nach meinen Berechnungen brauche ich nicht mehr als 5 Liter am Tag, das macht bei 365 Tagen ca. 1.500 Liter!”
Ich: “Vater, ich mache hier die Abrechnungen für sechs Mietwohnungen. Pro Person verbrauchen die im Monat zwei bis vier Kubikmeter. Da bist Du mit deinen 20 Kubikmetern im ganzen Jahr noch sparsam!”
Vater (In Rage): “Woher wollen die Verbrecher von der Stadt überhaupt wissen, was ich verbrauche?! Kommt ja keiner mehr zum Ablesen! Die raten das doch! Ich glaube es hackt”
Ich: “Weil ich im letzten Dezember bei Dir Wasser und Strom abgelesen und den Stadtwerken das mitgeteilt habe.”
Vater: “Das wüsste ich ja wohl!”
Ich: “Hast Du vielleicht vergessen. Genau wie die Tatsache, das wir exakt dieses Telefonat vor einer Woche schon einmal geführt haben, Wort für Wort.”
Vater: “…”
Vater: “Aber wenn Du Wasser abgelesen hast, warum hast Du denen Märchen erzählt! Ich brauche doch nur eine Tasse Wasser für den Kaffee und für die Fünf-Minuten-Terrine, das sind keine 5 Liter am Tag, das sind bei 365 Tagen…”
Februar 2023:
Vater (wütend und mental völlig klar): “Lügen stehen da drin! Dieser Gutachter hat da nur Lügen reingeschrieben! Ich brauche nur so einen Notfallknopf, falls ich mal falle und nicht mehr hochkomme, und der schreibt, ich bräuchte eine Betreuung! Unverschämtheit!”
Ich: “Vater, guck Dich doch mal um! In diesem Haus ist seit mindestens 15 Jahren kein Handschlag mehr gemacht worden! Die Fenster sind schlecht…”
Vater (aufbrausen): “WAS SOLL DAS DENN HEIßEN DIE FENSTER SIND SCHLECHT?!? Die sind von 1938! Für 85 Jahre sind die in gutem Zustand!”
Ich: “Aber sie sind teils gesprungen oder aus dem Rahmen gefallen! Der Garten ist ein Urwald, der Zaun zur Straße ist von Büschen zerdrückt worden, und aus dem Dach des Hauses wächst ein Baum! Vom Inneren will ich gar nicht anfangen, Deine “Besorgungen”, die Du jeden Tag im Billigmarkt machst, packst Du nicht mal aus, die türmen sich meterhoch in jedem Raum! Jeden Tag fährst Du los und kaufst genau das gleiche, was Du am Vortrag schon besorgt hast!”
Vater: “Na und? Ich brauche Vorräte!”
Ich: “Aber Du gibst hier Geld aus, das Du nicht hast! Für Dinge, die Du nicht brauchst! Hier, ein Kinderschlitten! Da, ein rosa Flokati! Warum kaufst Du sowas? Was passiert, wenn das Heizöl aus ist? Dann sitzt Du im Kalten, weil Du Dein Geld für Killefit ausgegeben hast!”
Vater: “Geld muss mir die Bank geben, ich bin da seit 60 Jahren Kunde! Wie stellen die sich das auch sonst vor, die können mich ja schlecht verhungern lassen!”
Ich: “Naja, verhungern wirst Du sobald nicht, der ganze Hausflur und das Auto liegen voller Lebensmittel…”
Vater: “Da hat der Gutachter auch gelogen! Hat da reingeschrieben, der Hausflur läge voller verschimmelter Lebensmittel!”
Ich: “Und wo ist das gelogen?”
Vater: “Hier schimmelt nichts! Hier, guck!” (zeigt auf vier Einkaufstaschen und einen Eimer, in dem Backwaren und Katzenfutter durcheinanderliegen) “Das sind Croissants! Die werden nur trocken, aber die schimmeln nicht!”
Ich: “Und was ist mit den Ostereiern da? Die stehen mindestens seit Januar 2022 auf dem Herd, da habe ich sie zumindest das erste Mal gesehen!”
Vater (stolz): “Aber die schimmeln nicht!”
Ich: “Stopfst Du da gerade Käse in die Flurgarderobe?!”
Vater: “Na wohin soll ich den denn sonst tun, denk´ doch mal nach!”
Anfang März 2023, am Telefon:
Vaddern: “Stell Dir das mal vor, Öl ist aus! Gestern war es mit einem mal kalt! Nicht mal ein Jahr hat der Tank gehalten!”
Ich: “Habe ich Dir vorhergesagt. Ich habe Dich inständig gebeten die Heizung runter zu stellen und Öl zu sparen. Aber Du hast mich ausgelacht und das ganze große Haus, mit seinen Fenstern von 1938, auf 25 Grad hochgeheizt. Und immer, wenn Dir zu warm war, hast du einen Ventilator angemacht.”
Vater: “Ja, wie gesagt, jetzt ist wieder warm!”
Ich: “Weil Du mit Strom heizt, richtig? Du sitzt da jetzt vor drei Heizlüftern, oder?”
Vater: “Quatsch! Wie kommst Du denn auf sowas?”
Ich: “Na Gottseidank, die Stromkosten…”
Vater: “Ist nur EIN Heizlüfter. Und ein Ölradiator!”
Ich: “Vater! Du kannst diese Geräte jetzt nicht tagelang laufen lassen, die Stromkosten ruinieren Dich! Zieh bitte mal einen dicken Pulli an und mummel Dich in eine Decke, bis die Öllieferung da ist!”
Vater: “Dicker Pulli! Bah! Brauch ich nicht!”
Ich: “Wieso?”
Vater: “Weil ich hier EINEN RADIATOR UND EINEN HEIZLÜFTER HABE! Hier ist total warm! Du hörst nie zu, oder? Wenn ich einen Pullover anziehe, schwitze ich mich doch tot!”
Mitte März 2023, am Telefon:
Vaddern: “Sohn! Stell Dir das mal vor, diese Verbrecher von der Stadt haben mir eine Rechnung geschickt! Ich soll im Jahr 20 Kubikmeter Wasser verbrauchen! Ich glaub mein Schwein pfeift!”
Ich: “Da warst Du aber sparsam”.
Vater: “Was heißt denn da sparsam! Das sind 20.000 Liter Wasser!! Wo soll ich denn das verbrauchen?!”
Ich: “Kochen, Wäsche waschen, duschen, Toilette…”
Vater: “Du bist ein technischer Witzbold! Das stimmt doch nicht! Duschen tue ich nicht, wie denn auch, in der Badewanne stehen ja die Vogelhäuschen. Und die Toilette funktioniert schon seit dem Herbst nicht mehr!”
Ich: “Was? WIE BITTE?”
Vater: “Ja, die ist verstopft, irgendwie. Aber ich habe da einen Eimer, und wenn der voll ist, kippe ich den in den Wald.”
Ich (mit geschlossenen Augen geistig “OMG OMG” murmelnd): “Du denkst dran, dass Mittwoch die Richterin zum Termin kommt? Die Anhörung? Wegen der Betreuung?”
Vater: “Der erzähle ich gleich mal, das Der Gutachter lügt! Und Du auch! Könnt ihr was erleben! Ich sage der, das ich nur diesen Notfallknopf brauche, für wenn ich mal stürze, der Weg in den Wald ist tückisch bei Regen! Besonders, wenn man einen Eimer trägt!”
Mein Vater war noch nie ein normaler Mensch, aber jetzt geht es echt im Zeitraffer bergab. Erstaunlicherweise nimmt er den geistigen Abbau bei anderen Personen seines Alters messerscharf wahr, nur bei sich selbst erkennt er das nicht. Er hält sich für Kerngesund, hat aber in Wahrheit keinen einzigen Bereich seines Lebens noch im Griff. Was mich jetzt in eine unangenehme Situation bringt. Mal gucken, wie wir da durchkommen.
Frühere Familiäre Dialoge:
Auto kaputt Dialog
Nicht-ans-Telefon-geh-Dialog
Dialog zum 80sten
Impfdialog
Hämischer Dialog
Corona-Dialog
Weihnachtsdialog
Straßenverkehrsordnungsdialog
Kraftfahrzeugbundesamt-Wettererklärdialog
Kostenloskulturdialog
Poststornierungsdialog
Nötigungsdialog
Tantenmonolog
Mehr Dialog
Noch ein Dialog
Nächtlicher Dialog
Spontaner Dialog
Anderer Dialog
Noch ein anderer Dialog
15 Gedanken zu „Familiäre Dialoge – XVIII-“
Mut. Bleiben Sie tapfer.
Man hofft ja inständig, dass man nicht selbst so wird…..hat meine Mutter immer gesagt und wurde so….naja, fast….
Frau Eckert: Danke!
Lupo: Falls wir alt werden, werden wir so. Das ist ja auch gar nicht schlimm. Was ich meinem Vater vorwerfen möchte ist, sich nie um irgendwas gekümmert zu haben – vor allem keinen Gedanken dran verschwendet zu haben, wie es sein wird, alt zu werden.
Hallo Silencer,
Wie du dich vielleicht erinnern kannst, hatte ich dir mal geschrieben, dass meine Mutter dement war und ihre letzte Zeit im Heim verbracht hat. Auch während Corona war ich immer im Heim und habe meine Mutter besucht.
Dein Vater gehört auch in ein Heim, und zwar schnellstens! Was sich noch leicht lustig liest, ist ja schon totale Verwahrlosung. Und leider schreibst du auch noch, dass du selber, als seinen Sohn, lange darüber hinweg gesehen hast. Du hättest ihm schon viel eher helfen müssen! Ich hoffe, du leitest jetzt entsprechende Wege ein, dass dein Vater in eine entsprechende Pflegeeinrichtung in deiner Nähe kommt, so dass du die letzte Zeit noch bei ihm sein kannst.
Thom
thom: Ich bin mir der Dramatik und Tragik absolut bewusst. Die Verfahren laufen schon seit vergangenem Jahr, genauer: Seitdem ich mitbekommen habe, wie es wirklich um ihn steht. Da die Hürden für eine Betreuung gegen den Willen einer Person aber enorm hoch liegen (was richtig und sinnvoll ist!) dauert das leider alles seine Zeit.
Kann ich nur bestätigen, was Silencer sagt/schreibt. Habe das live bei unserer Großmutter mit Demenz miterlebt. Gegen den Willen einer Person geht das nur mit gerichtlicher Anordnung und entsprechendem vorherigem Gutachten/ärztlicher Feststellung. Einher ist das nur möglich mit Entzug der Mündigkeit und bestelltem gerichtlichen Vormund/Rechtsbetreuer und das ist heftig, nicht nur juristisch, vor allen Dingen auch emotional. Wer will schon seine Eltern entmündigen lassen? Anders sieht es aus, wenn die zu betreuende Person der Heimunterbringung zustimmt. Aber da jemanden zu überzeugen ist schwer…. Zumindest geht es an die Nieren, mir jedenfalls…
Habe ähnliches und noch mehr hinter mir.
Bei dem “mehr” waren die besten Lebensjahre ge/zerstört.
Es kommt immer, wie es kommen soll und für mich gesehen harte Lehrjahre, an mir zu arbeiten, um nicht in dieselbe Schiene zu rutschen.
Bleiben Sie tapfer.
Ich bin in Gedanken bei dir, auch wenn der Krug an mir bisher (noch) vorüber geht. Aber im Umfeld bekomme ich es gerade mit :-/
Ich wünsche dir weiterhin viel Kraft!
So wie dein Vater grundsätzlich drauf ist (also unabhängig vom jetzigen Status), habt ihr vermutlich beizeiten auch keine notarielle Generalvollmacht aufsetzen lassen. Diese benötigt man ZWINGEND, wenn OHNE „Einmischung“ des Amtsgerichts unter kostenintensiver und zeitraubender Beteiligung von gerichtlich beauftragtem Verfahrenspfleger sowie öffentlich bestelltem und vereidigten Gutachter zur Ermittlung des Wertes einer Immobilie letztere aus dem Eigentum der dementen oder sonstwie nicht mehr klar denkenden Person verkauft werden soll, um z.B. einen Heimplatz bezahlen zu können. Das wissen leider nur wenige. Die meisten glauben, mit den üblichen Verfügungen (Betreuungsvollmacht, Bankenvollmacht und sonstige) sei alles abgedeckt. Für die Veräußerung einer Yacht oder eines Flugzeugs für 10 Millionen reicht auch eine einfache Vollmacht. Für ein Grundstück/Immobilie (in Deutschland) für 100.000 braucht man dagegen diese notariell bestätigte Generalvollmacht, sonst geht ohne Amtsgericht nichts. Ich kann nur jedem Mitlesenden hier empfehlen, rechtzeitig – also solange der beurkundende Notar nicht Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit des Vollmachtgebers haben muss – so etwas aufsetzen zu lassen. Kann später eine Menge Geld, Zeit und Ärger sparen.
Ist wirklich erstaunlich, was hier und anderswo so an Rückmeldung kommt, anscheinend befinden oder befanden sich viele in ähnlichen Situationen. Danke für´s mutmachen, y´all.
Jay: Hast Du völlig recht, geht einem Arbeitskollegen gerade exakt so. Der kann alles machen, nur das Haus darf er nicht für die Finanzierung der Pflege verkaufen. Das mit der notariellen Vollmacht sind Dinge, die findet man erst raus, wenn es zu spät ist. Für meinen speziellen Fall wäre es jetzt egal, und ehrlich gesagt habe ich schon die anderen Vollmachten von meinem Vater nur unter Protest bekommen, und das war vor 6 Jahren, als er noch klar war. Zum Notar wäre er aber damals schon nicht gegangen.
Ja, ich kenne inzwischen auch etliche Fälle.
Was viele ebenfalls nicht wissen: Obiges gilt nicht nur für das Verhältnis Eltern – Kinder – Kindeskinder etc. sondern natürlich auch für Ehepartner, denen gem. Grundbucheintragung gemeinsam eine (meist selbstgenutzte) Immobilie gehört, i.d.R. je zur ideellen Hälfte. Ist auf einmal einer der beiden nicht mehr testierfähig und es wurde beizeiten keine gegenseitige notarielle Generalvollmacht aufgesetzt, hat der andere automatisch die o.g. Institutionen am Hals, die dann ‚im Sinne‘ des nicht mehr klar denkenden Partners entscheiden müssen. Du darfst also nicht (mehr) über das eigene/gemeinsame Eigentum entscheiden. In den meisten Fällen eine Farce, denn wer kennt den eigenen Willen schon besser, als der (meist) jahrzehntelange Lebenspartner.
Krass, dass ist der Stoff und die Grundlage für Familiendramen…
Hallo Silencer,
hab ich mit meinen Eltern alles durch. Immer, wenn man denkt, es kann nicht schlimmer kommen… Das Schwerste für mich war, den Vater, “nur” mit körperlichem Verfall, geistig fit, ins Heim zu tun. Bei Mutti haben wir es raus gezögert, so lange es ging, dann kam sie ins Krankenhaus und da hat sich dann der dortige soziale Dienst gekümmert. Das war dann einfacher, man kriegt es selber einfach nicht hin… Da dachte sie dann, sie ist nach dem Krankenhaus bei einer Kur…
Ich wünsch dir ganz viel Kraft und hol dir schnell professionelle Hilfe. Meine Frau ist Altenpflegefachkraft, da hatte ich die Beratung immer vor Ort.
Alles Gute für dich und deinen Vater!
Falk
Danke, Falk!