Reisetagebuch (1): Karibische Niederlande
Sommerreise 2023 mit der Suzuki DL650 “Barocca”. Heute mit lustigen Worten, einem sabbelnden Arsch und einem Ohrwurm.
Samstag, 27. Mai 2023
Kennt noch jemand die alte Nescafé-Werbung aus den 80ern?
Unterlegt von einem ohrwurmigen “Ich bin so frei, Nes-ca-fé ist dabei” wird unter anderem die Geschichte einer Frau erzählt, die mit ihrem Motorrad durch die Gegend bratzt und am Ende glücklich in den Sonnenuntergang grient, einen Blechbecher in der Hand. Typisch 80er Jahre. Ich habe diese Werbung damals als Stepke gesehen und wusste: Das wollte ich auch! Also, keine blonde Frau sein, aber auf dem Motorrad durch die Welt fahren und so einen coolen Blechbecher haben! Dieses Bild aus der Werbung hat sich so eingebrannt, dass ich 1994, als ich mit Moppedfahren anfing und für unterwegs und uffe Arbeit einen eben solchen Becher gekauft habe und den bis heute benutze. Mein Abenteuerbecher.
Genau diesen Becher, gefüllt mit dampfenden Kaffee, habe ich schon in der Hand, als ich vom Balkon über das noch schlafende Dorf schaue. Es ist Viertel nach sechs am letzten Maiwochenende, und draußen ist es kühl. Gerade mal sechs Grad zeigt das Thermometer, und nimmt mir damit die Entscheidung ab, ob ich die Regenklamotten anziehe oder nicht. Da die nicht nur gegen Nässe, sondern auch gegen Kälte helfen, ziehe ich die Stormchaser-Sachen über den Fahreranzug. Dann checke ich ein letztes Mal die Wohnung, knipse alle Sicherungen aus und gehe hinunter zur Garage.
Die Barocca wartet schon, bepackt mit zwei 46-Litern Givi-Koffern und einem ebenso großem Topcase. Die V-Strom macht mir ein wenig Sorgen. Dreizehn Jahre ist die sie nun alt, hat 95.000 Kilometer auf der Uhr und so langsam werden hier und da Schläuche und Dichtungen schlecht. Seit der letzten Wartung verliert sie sogar ein wenig Öl. Ich habe dummerweise erst gestern gemerkt, das sich im Motorschutz Öl sammelt. Nicht viel, bislang nur ein paar Tropfen, aber weiter als bis zur TÜV-Abnahme ist die Suzuki halt dieses Jahr auch noch nicht gefahren. Anscheinend leckt es am Ölkühler. Wie schlimm? Wird sich zeigen, erstmal geht es jetzt los.
Raus aus Mumpfelhausen, auf die A7 und über die Kasseler Berge. Es ist ein wenig ungewohnt, auf zwei Rädern neben den dahindonnernden Autos und LKW daher zu fahren. Dieses Gefühl kommt einfach von mangelnder Übung. In diesem Jahr war es lange dunkel und kalt und regnerisch, und noch vor zwei Wochen fielen die Temperaturen des Nachts auf den Gefrierpunkt. Zum Motorradfahren war da nicht viel Gelegenheit, und Lust hatte ich auch keine. Ohne Übung und untrainiert direkt mit dem Mopped auf eine Fernreise? Kann das gut gehen?, sagt mein innerer Bedenkenträger. Ja sicher, halte ich dagegen. Ist ja nicht so, das ich Fahranfänger wäre oder das hier meine erste Fernreise mit dem Mopped. Das kommt schon alles wieder, wenn ich es brauche, da bin ich mir sicher.
Der Start zu einer Tour ist meist holprig. Oft, weil ich vom Rest des Jahres erschöpft und müde bin und erstmal keine Lust habe. Das ist heute anders. Ich verlasse die Arbeitswelt nicht ausgelaugt, sondern mit Ärger im Bauch. Wut gibt Energie, und die channele ich nun in Vorfreude auf die kommenden Wochen und nutze sie, um den Bedenkenträger zum verstummen zu bringen.
Nach 50 Kilometern auf der A7 halte ich auf einem Parkplatz und schaue unter den Motor. Ach MIST! Da schwimmt jetzt praktisch alles. Überall sind fette Tropfen, die durch den Fahrtwind Spuren im Schmutz des Motorschutzes ziehen. Mist. Kann nicht EIN MAL ein Start zu einer Reise ohne Sorgen beginnen? Vergangenes Jahr war es eine heiße Bremse, heute Ölverlust. Und nun? Umdrehen? Ja!, schreit der Bedenkenträger, So kann man doch nicht fahren!
Ich denke kurz nach und beschließe: Auf keinen Fall werde ich umkehren. Und wenn ich alle hundert Kilometer einen Liter Öl nachkippen muss, ich will jetzt endlich los und mich nicht von so einem Blödsinn oder meinen eigenen Sorgen aufhalten lassen.
Ich fahre wieder auf die Autobahn und ziehe die V-Strom bei Kassel von der A7 auf die A44 und steuere gen Westen.
Sicher, ich mache mir in Gedanken Sorgen um die Barocca, die nun schon eine alte Dame ist. Ich muss ein wenig auf sie achten, aber eigentlich ärgere ich mich gerade – vor allem über mich selbst, eben WEIL ich mir Sorgen mache und damit ein wenig die Freude am Unterwegs sein nehme. Andere Leute machen sich NULL Gedanken über irgendwas und kommen auch meist an. Irgendwie.
Nach 100 Kilometern, auf Höhe von Paderborn, checke ich noch einmal den Motorschutz, und traue meinen Augen kaum: Jetzt ist alles trocken! Die Tropfen sind weg! Ohne Rückstände! Dann muss das Kondensflüssigkeit gewesen sein.
Krass. Seit dem Winter ist die V-Strom quasi nicht bewegt worden, da wäre Kondenswasser logisch, aber so heftig habe ich sie nie Wasser speien sehen.
Unna, das Kamener Kreuz, Dortmund, Recklinghausen, Gelsenkirchen, Essen, Oberhausen ziehen vorbei. Es ist elf Uhr, und schlagartig werden die Straßen voller und es gibt immer wieder Stau aus dem Nichts.
Es ist kein Wunder, das viel los ist. Die Leute fahren in den Pfingsturlaub. Ein Konzept, das ich nie wirklich verstanden habe, dem alle Deutschen aber kollektiv anhängen – Pfingstmontag war bei McDonalds stets der umsatzstärkste Tag des Jahres, weil die ganze Welt unterwegs war.
Bei Arnheim geht es über die Grenze zu den Niederlanden, und schlagartig wird alles viel interessanter. ALLES ist im Ausland interessanter als zu Hause. Häuser. Straßenschilder. Geschäfte. Lustige Schilder, die Dinge “zum Verhuren” anbieten. Hihi.
Die Niederlande sind extrem dicht besiedelt, an vielen Stellen gehen die Städte und Orte einfach fließend ineinander über. Je weiter man nach Westen kommt, auf die Küste zu, desto mehr gleichen die Niederlande einer versiegelten Fläche: Gouda geht in Waddinxveen über, und ohne erkennbaren Bruch in der Besiedlung zieht plötzlich Delft vorbei und die Barocca rollt durch Den Haag.
Der Stadtverkehr hier ist die Hölle, zumal es auch hier Klimaproteste gibt, die die Hauptstraßen lahmlegen. Dementsprechend verstopft sind gerade die Nebenstraßen, und als ich minutenlang in einem Tunnel inmitten von LKW im Stau stehe, macht sich fast sowas wie Platzangst und Atemnot breit. Als das Motorrad endlich wieder an´s Tageslicht kommt, atme ich tief durch und gebe Gas. Bloß weg hier!
Der Weg führt zum internationalen Strafgerichthof. Den wollte ich schon immer mal sehen, wenn auch nur aus der Ferne. Wie eine Festung wirkt der große Gebäudekomplex. Ein gewollter Eindruck, der durch einen breiten Wassergraben noch verstärkt wird.
Heiß ist es jetzt, fast 30 Grad. Und schon früher Nachmittag. Ich suche nach einem Supermarkt und finde einen LÜDL, wie ich ihn so auch noch nie gesehen habe. Der Markt ist in einem Wohngeiet gelegen, alt und winzig. Die Gänge sind so eng, das jeweils mur ein Einkaufswagen hindurchpasst, und die Auswahl ist bescheiden. Ich kaufe nur zwei Flaschen Wasser, die ich direkt auf dem Parkplatz umfülle in eine Faltflasche, die ich heute Abend mit auf die Fähre nehmen werde.
Bis die fährt ist immer noch viiiiiel Zeit, und so fahre ich erst einmal Richtung Meer. Das Wohngebiet wird von Den Haag zu Rotterdam, und wenige Meter weiter parkere ich vor der Fietsenstalling, die am Zugang zum Naaktstrand liegt. Ich weiß, das die Barocca kein Fiets ist, sondern ein Motorfiets oder Bromfiets, aber es meckert niemand. Ich schlendere zum Strand. Hier stehen Hütten mit Bars und kleinen Läden, in denen unter anderem Surfplanks verhuurt werden. Niederländisch ist echt sau komisch, könnte ich mich stundenlang drüber beömmeln, und es wird immer lustiger, je länger man die Worte anguckt.
Es gibt hier tatsächlich einen richtigen, echten Strand! Wer hätte das gedacht! Direkt am Strand steht eine kleine Flaniermeile mit Geschäften in kleinen Holzhütten. Fressbuden, Strandbedarf, Andenkenlädchen. Palmen wiegen sich im Wind. Warme Sonne, blauer Himmel, Meer, weißer Strand, Palmen – ich hatte nicht erwartet, das die Niederlande karibisches Flair verbreiten können!
Ich lese ein wenig, aber das wird bald ungemütlich. Zum einen bläst ein scharfer Wind Sandkörner durch die Gegend, die im Gesicht prickeln und sich in den Falten der Fahrerkombi sammeln, zum anderen bezieht direkt neben mir ein Junggesellenabschied Stellung. Als wäre so eine Truppe an sich nicht schon unangenehm genug, hält diese spezielle Bande es für eine gute Idee, am Strand, zwischen Menschen und bei steifem Wind mit Pfeil und Bogen auf Zielscheiben zu schießen.
Ich stiefele zurück zum Motorrad und fahre weiter, allerdings nur zwei Kilometer. Hier, beim Strand umme Ecke, liegt der Hoek van Holland, eine relativ kleine Anlegeanlage, die Teil des sehr viel größeren Europort Rotterdam ist.
Hier fährt meine Fähre ab. Allerdings erst um 22:00 Uhr, und jetzt haben wir gerade mal 16:30 Uhr, da sind natürlich noch alle Tore verschlossen. Konnte ja niemand ahnen, dass ich ohne großen Stau, ohne Panne und ohne mich zu verfahren durchkomme.
Zu meinem Erstaunen stehen aber vor dem Tor schon zwei Reihen mit Fahrzeugen, hauptsächlich Wohnmobile und Oldtimer. Klar, die fahren früh los, weil sie immer Zeit für Pannen einplanen müssen. Bei den Motorrädern hat die Barocca aber wieder einmal die Pole Position.
Ich vertreibe mir die Zeit im Wartegebäude der Stena-Linie. Das ist klimatisiert, bietet Schatten und eine nette Ausstellung mit Schiffchen.
Mit der Zeit füllen sie Gebäude und die Warteschlange der Fahrzeuge, und gegen 18:45 beginnt der Checkin. Ich fahre durch das nun geöffnete Tor, an dessen Schalter Ticket und Reisepass geprüft werden (Personalausweis reicht im Jahr 2023 für Reisen ins Unvereinigte Königreich nicht mehr aus), dann heißt es wieder: Warten. Vor der nächsten Schranke. Immerhin ist das Schiff schon in Sichtweite.
Während ich warte, bin ich schon wieder total genervt von anderen Motorradfahrern. Ein Mann Mitte hupt mehrere Radfahrer, die in der Spur neben der Barocca stehen, aus dem Weg. Dann hält er seine Z1000 direkt neben mir, steigt ab und guckt eine Minute wie abgeschaltet auf die Schranke und das Schiff.
Ja, Jung, das dauert noch. Boarding passiert erst später.
Das begreift auch der Mann irgendwann, hockt sich auf sein Motorrad, steckt sein Handy an die Bordsteckdose und startet die Maschine, die offensichtlich unter einem schlimmen Fall von kaputtem Auspuff leidet. Dann ruft er nacheinander alle Menschen an, die er kennt. Er redet und redet ein einem fort, beendet ein Telefonat und beginnt sofort das nächste, während die Z1.000 im Leerlauf vor sich hinböllert. Keine Ahnung, was das soll. Die Radfahrer hinter ihm beschweren sich irgendwann, aber der Mann bedeutet ihnen, dass er leider nicht mit ihnen sprechen kann, weil er ja gerade telefoniert.
Gegen 19:30 Uhr gehen die Schranken auf, und das Boarding beginnt. Der Kawasaki-Fahrer lässt den Motor aufheulen und rast davon, ich lasse die Radfahrer vor und folge dann mit Sicherheitsabstand.
Einweiser weisen den Weg in den Bauch des Schiffes. Ich folge der Z1000 über das Deck, das stellenweise nass und damit glitschig ist.
In einer separaten Spur an der Mittelwand des Fahrzeugdecks sollen wir anhalten, bedeutet ein Decksmitarbeiter. Um das Verzurren müssen wir uns selbst kümmern. An der Schiffswand hängen Spanngurte in unterschiedlichen Stadien des Verfalls. Ich greife mir einen, der noch relativ neu aussieht, dann hole ich ein großes Handtuch aus dem Topcase, lege es zum Schutz über die Sitzbank der V-Strom und ziehe dann den Spanngurt darüber und ratsche ihn fest, bis das Motorrad ein wenig in die Federn geht. Die Suzuki steht auf dem Seitenständer, das Hinterrad wird vom eingelegten Gang blockiert und das Vorderrad von der Bremse, um deren Hebel ich ein Klettband geschlungen habe. Damit kann die Kiste nirgendwo hin, selbst bei ordentlich Seegang. Einen zweiten Spanngurt versuche ich noch um den Sturzbügel zu pfriemeln, aber das ist eher Kosmetik, der wird im Fall der Fälle nichts halten.
Zufrieden mit meinem Werk schließe ich den Helm im Topcase ein, schwinge mir einen kleinen Rucksack mit Klamotten für die Nacht über die Schulter, präge mir ein, auf welchem Deck und an welchem Schott die Barocca steht und mache mich dann auf den Weg zu den Decks mit den Kabinen.
Beim Boarding habe auch auch direkt eine Magnetkarte bekommen, die als Zimmerschlüssel taugt. Ich habe eine geradezu luxuriöse Zweibett-Kabine mit Badezimmer für mich allein.
Mir knurrt der Magen, immerhin habe ich heute noch nichts gegessen. Da wirkt selbst das Fähren-EPA, das ich mitgebracht habe, lecker.
Nach dem “Abendessen” gehe ich auf´s Außendeck und staune. Eine endlose Schlange an LKW rollt jetzt vom Land in die Fähre. Wirklich, das nimmt gar kein Ende!
Als die Sonne langsam immer tiefer sinkt, verebbt der Strom der Lastwagen. Ich hole mir ein Bier aus einer der Schiffsbars und atme einmal durch. Ich bin unterwegs! Man, fühlt sich das gut an!
Tour des Tages: Von Götham City bis Hoek van Holland, rund 525 Kilometer, ca. 6 Stunden Fahrzeit.
Sonntag, 28. Mai 2023
Um 5:30 dröhnt plötzlich “DON´T WORRY, BE HAPPY!” aus den Schiffslautsprechern, und ich falle vor Schreck fast aus der Koje. Grmpfnwarumjetzschon? Das Schiff soll doch erst um sieben Uhr ankommen! Und schönen Dank auch, jetzt habe ich einen Ohrwurm!
Um 06:00 Uhr fordert eine zweite Durchsage zum Verlassen der Kabinen auf. Ich gehe an Deck und registriere verwundert zwei Dinge: Erstens, es ist kühl, gerade mal sechs Grad sind es. Zweitens: Das Schiff liegt bereits im Hafen von Harwich! Ich bin in England!
Nebel zieht über das Wasser und durch die Morgensonne. Der Himmel ist blau, das wird ein sonniger Tag. Um 06:30 Uhr krächzt es aus den Lautsprechern, dass nun langsam die Entladung beginnt. Noch weigern sich die Fahrstühle die Parkdecks anzufahren, und auch die Türen zu den Treppenhäusern sind noch zu, aber ich schlüpfe hinter einem Crewmitglied durch und bin als erster auf dem Parkdeck. Die Barocca steht unverändert an ihrem Platz – alles andere hätte mich auch gewundert, die See war ruhig.
Ich finde zum Glück schnell heraus, wie sich der Spanngurt lösen lässt, ohne das er mir der Spannmechanismus dabei einen Finger abtrennt, dann befreie ich die V-Strom aus den Strappen. Ein Triumphfahrer pfeift “Dont Worry be Happy” vor sich hin, und ich kann das verstehen und möchte ihn trotzdem hauen. Natürlich ist wieder der Autofahrer, der die Reihe mit den Motorrädern zugeparkt hat, am gemütlichsten und kommt als letzter an, aber zum Glück habe ich es nicht eilig.
Die Grenzkontrolle geht erstaunlich schnell, da ich – Glückes Geschick! – in eine Spur rutsche, in der lediglich ein einzelnes Wohnmobil und die Radfahrer von gestern Abend stehen. Keine fünf Minuten, dann rollt die V-Strom aus dem Hafen von Harwich hinaus und folgt einem schwarzen Taxi auf die Landstraße. Das fängt ja sehr britisch an!
Hinein geht es in den Nebel und auf Landstraßen nach Westen.
Harwich liegt hundert Kilometer nördlich von London an der Ostküste von England, und von dort geht es nun einmal quer über die Insel, südlich an Cambridge vorbei und durch Milton Keynes, wo der traurigste Teddy der Welt sitzt. Der Nebel löst sich auf, und die Sonne vertreibt die Kühle aus der Landschaft und meinen Knochen.
Um 09:30 komme ich an einem LIDL vorbei und beschließe spontan zu stoppen und nach einem Frühstück zu gucken. Zu meinem Erstaunen steht der Laden schonoffen, dabei sollte der erst um 10 aufmachen. Na egal.
Ich hole mir aus dem Backshop ein Frühstückteilchen und amüsiere mich über die Werbung. Die Briten sind ganz verrückt nach den wöchentlichen Angeboten des deutschen Discounters. “The middle of LIDL” ist mittlerweile so in der Sprache verankert, dass die Kette selbst damit wirbt.
Ich und zwanzig andere Kunden gehen rein und häufen Dinge in Wagen, kommen aber nicht wieder raus – die Kassierer, die mit gerümpften Nasen und schüttelnden Köpfen ein Stück entfernt stehen, beginnen ihr Tagwerk erst um Punkt 10:01 Uhr. Seltsam.
Weiter geht es gen Westen, durch die kleinen Dörfer mit den steinernen Häuschen in den Cotswolds…
…und vorbei an Clarksons Farm. Aber wirklich nur weiträumig dran vorbei, schon auf dem Abzweig der Straße, die zur Farm führt, sehe ich einen Stau aus Sportwagen. Seit Staffel zwei der Show von Ex-Top Gear-Moderator Jeremy Clarkson lief, ist dieser Ort noch überlaufender als vorher. Und immerhin war ich vergangenes Jahr erst hier.
Immer weiter geht es nach Westen.
Gegen Mittag bin ich in Cheltenham. In der Partnerstadt von Göttingen steht ja der “Doughnut”, das GCHQ-Gebäude des britischen Abhördienstes. In diesem Gebäude wird unser alle Internetverkehr abgeschorchelt, mitgelesen und analysiert, darüber hatte ich hier schon mal geschrieben.
Bislang kannte ich das Gebäude nur aus dem Weltraum:
Wie riesenhaft es wirklich ist, wird mir erst klar, als das Motorrad daran vorbeirollt. Das Ding ist nicht nur sehr breit und lang, es ist auch irre hoch! Ich hatte bislang angenommen es sei flach wie eine Flunder. Das stimmt aber nicht. Obwohl das GCHQ weiträumig umgeben von Zäunen und hohen Hecken abgeschirmt wird, ragt es da drohend drüber. Es ist mindestens sechs Stockwerke hoch!
Gruselig. Ich bin froh, als der Spionagekasten weg ist und die Fahrt weitergeht.
England kennt verkehrstechnisch nur zwei Extreme: Entweder winzige Straßen oder die großen M-Autobahnen, und nichts davon macht Freude zu fahren. Es gibt auch nirgendwo Halteplätze, Parkplätze oder irgendwas, wo man mal verschnaufen kann. Auf den Autobahnen gibt es lediglich alle 30 Meilen Servicepoints, aber die liegen dann teilweise auch in einiger Entfernung und in der Buttnick.
Ich werde müde, kann kaum die Augen offenhalten und bin froh, als es endlich die Grenze nach Wales vorbeizieht. Sofort werden die Straßen besser, der Verkehr nimmt ab, die Landschaft wird schöner und es gibt endlich Rastplätze. Ich fahre einen davon an und lege mich kurz unter einen Baum und schließe die Augen. Langsam sinke ich in die oberen Schichten des Schlafs ein, wie in einen tiefen See. Die Umgebungsgeräusche werden immer gedämpfter, vor meinem Inneren Auge sehe ich erst noch die Autobahn, dann wird das Bild dunkler und der Geist leerer. Wie in Watte gepackt liege ich unter dem Baum im Gras, und als ich spüre, das ich am Übergang zum richtigen einschlafen bin, zwinge ich mich, wieder zurück an die Oberfläche meines Bewusstseins zu schwimmen. Die Geräusche kehren zurück, und ich bin wieder im hier und jetzt. Als ich die Augen öffne, geht es mir besser. Ich fühle mich erfrischt und bereit, die letzte Etappe des Tages in Angriff zu nehmen.
Die ist nicht mehr lang. Vorbei geht es an den Küstenstädten Newport, Cardiff und Swansea, dann fahre ich auf Camarthen zu, biege aber vorher in den kleinen Ort Capel Hendre ab. Am Rand des Dorf liegt der Pub “Kings Head”. “Open for Food” steht auf einem Schild vor dem Haus. Man, was freue ich mich auf ein ordentliches Abendessen und ein Bett!
Die Vorfreude erfährt einen herben Dämpfer. Der Gastraum ist dunkel, nur in einer Ecke sitzt eine Familie und unterhält sich lautstark. Als ich mich bemerkbar mache, steht eine der Frauen auf und kommt auf mich zu. Sie stellt sich als Claire vor und beendet jeden Satz mit “luv”, Liebling. “Zimmer ist kein Problem, luv. Aber Abendessen gibt es nicht, Luv, dieser Sonntag ist Ruhetag, mehr oder weniger. Nein, Frühstück gibt es morgen auch nicht, Montag morgen zählt auch noch zum Ruhetag, luv.”
Frustrierend, aber letztlich egal. Ich bin auf der Durchreise und bleibe nur eine Nacht, da ist alles auszuhalten. Ich bekomme den Schlüssel zu einem Container im Hinterhof des Pubs, in den ein Zimmer eingebaut ist. Nun, immerhin kann ich die Barocca direkt davor parken.
Eigentlich habe ich jetzt mein eigenes Häusschen im Grünen. Cool. Und die Landschaft, muss ich feststellen, ist wirklich nett und ruhig. Wales ist echt schön!
Tour des Tages: Von Harwich einmal quer durch England bis nach Wales, rund 538 km in achteinhalb Stunden.
Nächsten Samstag in Teil 2: Irland!
4 Gedanken zu „Reisetagebuch (1): Karibische Niederlande“
Es geht los, es geht los!!!
Passt auch gut: draußen schneit´s und wir dürfen eindlich wieder virtuell Mopped (mit)fahren.
Die Samstage sind einstweilen gerettet…
Chrchr, fein, dass du dich so freust!
Juchu, endlich geht’s weiter. Freue mich schon auf Irland.
Schön dass es wieder los geht. Den Silencer137 lese ich immer gern!
Und das hilft mir sicher zu entscheiden, ob Irland demnächst mal ein Ziel wird.