Reisetagebuch Irland (5): Lord of the Rings
Sommerreise mit der Barocca. Heute mit Killer-Rhododendron, Wohnmobilen auf Schleichfahrt und Dingle.
01. Juni 2023, B&B Killcatten Lodge, 45 Kilometer südwestlich von Cork
Schon um kurz nach sechs liege ich wach und stehe tatsächlich kurze Zeit später auf. Ich habe zwar Urlaub, aber ich bin ja nicht zum Spaß hier – ich will was sehen von Irland!
Noreen, die Besitzerin der Kilcatten Lodge, tanzt gut gelaunt durch den Frühstücksraum des B&B und serviert, was ich mir gestern Abend auf einer Speisekarte ausgesucht habe.
Mein Wunsch war ein “Full Irish” – Speck, Eier, Würstchen, Bohnen und Black und white Pudding. Im Alltag frühstücke ich nie, aber das Leben ist zu kurz, um das hier nicht mitzunehmen – und vermutlich wird durch die Mitnahme dieses Frühstücks das Leben auch gleich ein kleines Stück kürzer.
Während ich über das Irish Breakfast herfalle, frage ich Noreen, was es mit diesen Plastikbahnen auf sich hat, die hier überall die Landschaft verschandeln. Wird damit Feuchtigkeit im Boden gehalten? Oder Pflanzen vor Regen geschützt?
“Naja so halb”, sagt Noreen – “Das sind Versuche, Futtermais anzubauen. Die Plastikbahnen sind so eine Art Treibhaus. Eigentlich soll der Plastikkram bio-degradable sein und sich binnen eines Jahres auflösen, aber das klappt nicht wirklich gut, zumal wenn es so wenig regnet wir im letzten halben Jahr.”
Okay, das erklärt die in der Erde steckenden Plastikfetzen, die ich gestern auf einem umgepflügten Feld gesehen habe. “Schweinerei ist das, echt”, sagt Noreen und ich pflichte ihr bei.
Schnell ist die V-Strom bestückt und tuckert vom Grundstück des B&B. Wieder fällt mir auf, dass um das Haus herum wirklich alles komplett asphaltiert ist, und das ist keine Ausnahme. Während das Motorrad über kleine Landstraßen immer weiter nach Süden fährt, fallen mir immer wieder Häuser, um die herum alles weit asphaltiert ist. Wer hat denn bitte gerne eine Autobahn statt eines Vorgartens? Andererseits – wenn hier wirklich viel Regen die Norm ist, dann möchte man vielleicht gar keinen Vorgarten, der einen Großteil des Jahres einfach aus Matsch besteht. Vielleicht ist dann wichtiger, vom Auto zum Haus zu kommen ohne Gummistiefel tragen zu müssen.
Trotzdem finde ich die Asphalthäuser seltsam, aber das mag auch daran liegen, dass sie insgesamt merkwürdig aussehen. Es sind meist allein stehende Häuser, eingeschossig und sehr, sehr groß, meist auch mit großen Fenstern. Energetisch muss das ein Albtraum sein. Die meisten sind einfach mitten in die Landschaft gebaut. Kanalisation gibt es da bestimmt nicht, vermutlich auch kein Wassernetz. Muss man wohlhabend sein, um sich sowas hier leisten zu können? Vermutlich. Platz und Ruhe muss immer teuer bezahlt werden. Aber wenn das so ist, gibt es verdammt viele wohlhabende Leute hier.
Anna hatte heute morgen wohl noch keinen Kaffee. “Jetzt rechts abbiegen” spricht mir meine virtuelle Co-Pilotin im Ort Timoleague ins Ohr, und ich finde das zwar seltsam, weil ich keinen Wegweiser sehe, tue aber wie mir geheißen. Etwas mißtrauischer werde ich dann, als die V-Strom aus dem Ort herausrollt und zwischen Feldern dahinfährt – hier ist einfach nichts, und das scheint auch nicht die richtige Himmelsrichtung zu sein. “Satellitenkontakt schlecht”, meldet das Garmin Zumo derweil.
Ich rufe den Kompass des Navigationsgeräts auf, und tatsächlich, wir fahren nach Nordwesten – richtig wäre Südwesten. Was zum Geier? “Biegen sie scharf links ab”, sagt das Anna nun, und jetzt weiß ich, dass sie spinnt, denn nun sind wir auf einem kleinen Feldweg, und hier ist noch weniger als Nichts. Wie soll es denn hier weitergehen?
Das Garmin weiß das auch nicht. “Satellitenkontakt verloren”, meldet sie und der Bildschirm friert ein. Na supi. Ist hier irgendwas mit den Erdstrahlen oder was? Ich starte das Garmin neu, und während es langsam bootet, fahre ich zurück in Richtung Timoleague. Wir haben praktisch eine Ehrenrunde um den Ort gedreht:
Die Suche nach Satelliten dauert und dauert, und so komme ich in den Genuss, noch einmal an der Bucht und den Klosterruinen von gestern vorbei zu fahren. Dann, endlich, ist Anna wieder am Start und weiß nicht nur, wo sie ist, sondern auch, wo wir hinwollen.
Es geht nach Südwesten, parallel zur Küste, aber gut 20 Kilometer von der entfernt im Landeinneren, über eine gute Landstraße und durch Orte mit Namen wie “Cloakilty”, “Skibbereen” oder “Roaringwater” oder “Waterfall” – wirklich, manche Ortsnamen wirken etwas willkürlich.
Irland wirkt ein wenig, als hätte man jemand das Südwestende unsauber abgerissen. Das hängt nun im Atlantik und sieht irgendwie… zerfetzt aus. Zerfrettelte Landzungen ragen ins Meer, zwischen ihnen tiefe Einschnitte. Eine ordentliche Anzahl von Halbinseln, wenn man so will, und die drei größten sind Beara, Kerry und Dingle. Um Beara und Kerry führen Straßen herum. Eine Tour um eine der Halbinseln herum ist ein “Ring”, und heute will ich mindestens den Ring of Beara und den Ring of Kerry fahren.
Kerry ist die bekanntere, größere und nördlichere der beiden Halbinseln. Ich komme von Süden und fahre daher als erstes den Ring of Beara.
Beara sei untouristischer als Kerry, heißt es, und das stimmt. Heute morgen bin ich meist allein auf der Straße unterwegs.
Viel zu bestaunen gibt es aber nicht. Die Straße verläuft meist zwischen Hecken oder durch Wälder, da gibt es einfach nicht viel zu sehen. Nur an einer Stelle gibt das Gebüsch die Sicht frei und der Ausblick erinnert daran, dass das Meer in der Nähe ist.
Was mir am Wegesrand auffällt, ist ein großer, magentafarbener Rhododendron. Ich muss lächeln, ich mag Rhododendron und finde die schön anzusehen.
Wieder führt die Straße durch einen Wald, und auch hier sehe ich Rhododendren. Ach, wie nett – moosbehangene Bäume, die Sonne, die durch das Laubdach filtert und jetzt noch Blümchenbüsche am Wegesrand – wenn man diesen magischen Zauberwald hier sieht, versteht mal schlagartig, warum in Irland leidenschaftlich an Magie, Kobolde und Feen geglaubt wird.
Dann wird es seltsam. Auch tiefer im Wald stehen Rhododendren. Aber nicht nur ein oder zwei kleine Büsche, sondern hunderte, bis zu 10 Meter hohe Pflanzen! Ich sehe ganze Mauern aus Rhododendren und Bäume, die von ihnen überwuchert sind. Es ist, als würden die Rhododendren die Macht übernehmen und alles andere ersticken.
So falsch liege ich tatsächlich nicht. Rhododendron ist eine invasive Art, und der verwilderte und giftige Rhododendron Ponticus, der hier wächst, ist vielerorts in Irland eine echte Plage, der die Artenvielfalt gefährdet. In manchen Regionen gibt es sogar Prämien, wenn man Rhododendren ausrodet. Kopfgeld für einen Busch.
Der Ring of Beara mag ruhig und untouristisch sein, er ist mit dem Motorrad aber auch unspektakulär und langweilig, und so fahre ich die Ringstraße nicht bis zur Westspitze, sondern kürze vorher ab, fahre zurück in Richtung Festland und schwenke dann wieder nach Westen, auf die nächste Halbinsel und den Ring of Kerry.
Der Wald bleibt zurück und weicht grünen Hügeln, aus denen überall Felsen ragen.
Die Straße führt jetzt an der Küste entlang, und DAS sieht spektakulär aus, und ich sauge die Bilder in mich auf.
Allein bin ich hier freilich nicht mehr, hier ist wirklich viel los.
Nun ist “viel los” an sich ja nicht schlimm, aber nach kurzer Zeit bin ich ernsthaft genervt. Nicht von den großen Reisebussen, deren Fahrer steuern ihre Gefährte souverän und zügig über die Straße. Nein, mich nerven die PKW und Wohnmobile, die deren Fahrer die Landschaft genießen vollen und deshalb teils mit 20 km/h fahren, und manchmal schlicht und ergreifend mitten auf der Straße anhalten. Das ist Mist, und das ist auch nicht ungefährlich, denn an vielen Stellen ist die Straße eine kurvige und schlecht zu überblickende Single-Track Road, und es ist echt uncool, wenn man zügig (immerhin ist Tempo 80 erlaubt) um einen Felsvorsprung kurvt kommt und da ein Wohnmobil mitten auf der Straße parkt.
Mehr als einmal hupe ich langsam fahrende Fahrzeuge an um deutlich zu machen, dass ich sie überholen will – was halt auf der schmalen Straße auch nicht immer einfach ist.
Wenn die Straße frei ist, ist sie wunderbar zu fahren. Die V-Strom gleitet durch die Kurven, und ich grüße die Kühe auf den Küstenhängen, die hier fleißig Kerry Gold produzieren.
Gegen kurz nach halb zwei bin ich mit dem Ring of Kerry durch und damit noch viel zu früh für meine heutige Unterkunft, die an der Zufahrt zur Halbinsel Dingle liegt. Ich rausche deshalb einfach daran vorbei und gucke mal, was Dingle so zu bieten hat.
Stellt sich raus: Eine ganze Menge! Geht damit los, dass die Straße angenehm zwischen Meer und grünen Feldern entlang führt, während sich am Horizont hohe Berge abzeichnen.
Natursteinmauern und kleine Häuschen aus Fels säumen die Straße.
Erstaunlicherweise wird der Verkehr immer dichter, je tiefer ich auf die Halbinsel vorstoße und je größer die Entfernung vom Festland wird. Die Wohnmobildichte nimmt wieder ärgerliche Ausmaße an.
Und dann sehe ich, was die Leute hier hin lockt. Ich kann meinen Augen nicht glauben und trete auf die Bremse. In einer Staubwolke kommt die V-Strom auf einem Parkplatz zum stehen, der etwas erhöht über dem Meer liegt.
Ich steige ab und muss mehrfach hingucken, aber ja: Da ist wirklich ein Strand. Kein dunkler Kiesstrand, sondern ein Strand aus feinstem, weißen Sand. Mäßige Wellen schwappen an die seichte Küstenlinie, und zahlreiche Besucher:innen baden im Wasser oder vergnügen sich in der Sonne.
Das ist der Inch Beach, und anders als der Name vermuten lässt, zieht der sich über fast sechs Kilometer hin. Ich wusste ja, das Irland überraschend sein kann, aber einen Strand wie am Mittelmeer, den hätte ich hier nicht erwartet.
Vierzig Kilometer ragt Dingle ins Meer, und an ihrem Ende sind Berge. Um die fahre ich ein mal herum, und suche mir dann einen Weg über die Bergkette in der Mitte der Halbinsel.
Sogar ein recht spektakulärer Pass ist dabei, und von dem kann man aus 400 Metern Höhe auf die Insel hinabsehen.
Die Straße über die letzte Bergkette hat eine Steigung von 25%, aber da zucke ich nur mit den Achseln – nach dem Hardknott-Pass im vergangenen Jahr ist alles andere Kindergarten. Zumal diese Straße hier einfach geradeaus den Berg hinaufführt – das ist nun wirklich keine Herausforderung.
Es ist kurz vor fünf, als ich zum zweiten Mal an der Unterkunft vorbeikomme, und dieses Mal fahre ich nicht daran vorbei, sondern halte vor dem großen, minzfarbenen Gebäude. “The Anvil Bar” steht auf der Front. Hier bin ich richtig.
Ich betrete den Schankraum der Bar, als mir schon eine Frau Ende vierzig und mit dunkler Kurzhaarfriseur entgegeneilt. “Ich bin Liz, komm mit”, sagt sie kurz angebunden und eilt zu Vordertür heraus. Verwundert folge ich ihr, hinaus zum Parkplatz und um die Ecke einer großen Lagerhalle. Liz holt eine Fernbedienung aus ihrer Handtasche, richtet sie auf das Gebäude und ein großes Rolltor beginnt sich zu heben.
“Hier kannst Du dein Motorrad reinstellen. Sag Bescheid, wenn Du fertig bist, dann zeige ich dir dein Zimmer!” ruft Liz und ist schon wieder im Eilschritt um die Ecke verschwunden.
In der Halle stehen neben Liz’ Auto allerlei Gerätschaften und altes Werbematerial für den Pub, und ich parke die Barocca mitten in der Halle. Sie hat selten eine so luxuriöse Unterkunft.
“The Anvil” ist ein Pub, und es gibt fünf Zimmer für Gäste. Meines ist ganz neu eingerichtet und groß.
Eine Dusche später erkunde ich den Pub und verlaufe mich fast, weil er aus einer Vielzahl aneinandergewürfelter Räume und Anbauten und Schuppen und Terrassen besteht.
Zum Glück findet mich die Bedienung in diesem Sammelsurium, und kurz Zeit später habe ich leckere Fish & Chips auf dem Teller. So geht ein Tag gut zu Ende!
Ein wenig Stress bereitet jetzt schon der morgige Tag. Dessen Etappe ist die längste der ganzen Tour, und die morgige Unterkunft meldet sich und macht ein wenig Druck, dass ich doch bitte eher ankommen soll. Früh losfahren geht aber nicht, Liz hat angemerkt, dass sie erst ab neun Uhr da ist und die Barocca wieder aus der Garage lassen kann. Aber ach, das sind Probleme, um die ich mich dann morgen kümmern werde.
Tour des Tages: Von Ballycatten aus nach Südwesten, dann über den Ring of Beara, den Ring of Kerry und schließlich einmal kreuz und quer über Dingle, rund 444 Kilometer in neun Stunden.
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5 Gedanken zu „Reisetagebuch Irland (5): Lord of the Rings“
So unterschiedlich kann das sein.
Wir fanden den Ring of Beara nicht unspannend.
Vorgarten bzw grün statt Asphalt kann aber schon so angelegt sein, dass er selbstverständlich viel Wasser aufnehmen kann. Flächenversiegelung ist eher hinderlich. Aber wer nur an Rasen denkt, kommt da natürlich auch nicht weiter.
Moin Silencer,
starker Bericht! Freue mich über jede Fortsetzung. Und ein super Wetter bis jetzt.
Wir waren mit dem Motorrad im August/September in Schottland und hatten auch ordentlich Regen dabei.
Bin gespannt, wie es weiter geht, bis dahin, danke, für`s mitnehmen!
Falk
Moin,
immer wieder schöne Berichte.
Helfen einem durch die dunkle Zeit.
Gruß Peter
Moin Silencer,
wie schon vorher mal geschrieben, war ich 1987 da. Die Landschaften auf den Fotos kamen mir sehr bekannt vor. Habe gleich mal mit den Fotos in meinen Fotoalben verglichen. Ja, Fotoalben, richtig! Damals gab es noch kein Internet und nur Papierfotos.
Uns hat man damals für eine Werbekampagne von BMW gehalten, denn wir waren mit einer R60/6 (Bj. 1975), R100T und K100LT unterwegs. War ganz lustig.
Auch die Zusammensetzung war spannend: Ein Käpt’n zur See, ein Pfarrer für Motorradfahrerseelsorge der Landeskirche Braunschweig-Wolfenbüttel und ein einfacher Student (ich).
Ich war auch überrascht, wieviele Iren uns auf Deutsch angesprochen haben. Hätte ich nicht erwartet.
Wo ich nochmal hinwollte, ist Nord-Irland. Das ging damals leider aufgrund der Auseinandersetzungen nicht.
Max: Das kommt ja noch dazu – irgendwie schien mir das Konzept “Vorgarten” nicht sehr bekannt zu sein. Entweder Asphalt oder nüscht.
Falk: Regen erwartet man ja irgendwie in Schottland 🙂 Ich war ja mild geschockt, dass es da im Juni auch irre vertrocknet war, aber dazu kommen wir noch.
Danke, Peter!
Lupo: Wirklich eine bunte Truppe, BMW-Fanboys on Tour 😀 Ich habe witzigerweise vor der Digitalzeit so gut wie keine Bilder gemacht, weil das alles so umständlich war. Deshalb auch leider an die ersten Motorradtouren in den 90ern keine Erinnerung mehr.
Äh, woher kamen die ganzen deutschsprachigen? Oder anders: Wie hat es Deutsch dahin verschlagen?