Reisetagebuch Irland (9): Ein Tag bei McCool´s
Sommertour mit der Barocca durch Irland. Heute mit Riesentricks und einer der schönsten Straßen Irlands.
Montag, 05. Juni 2023, Fishermans Village, World´s End
Der Seewind pfeift, und es sind noch knapp 10 Grad draußen – gut, dass im Cottage die Heizung läuft. Als ich vor die Tür trete, atme ich erst einmal tief ein. Die Luft riecht wie gepökelt, so salzig ist sie.
Ich schlendere hinüber ins Haupthaus, wo schon eine Gruppe britischer Rentner auf Angelausflug im Frühstücksraum sitzt. Eine ordentliche Zeit später habe ich dann auch etwas auf dem Teller.
Das Frühstück einzunehmen dauert nicht lange, und kurze Zeit später tue ich wieder das, weswegen ich eigentlich hier bin: Aus dem Sattel der V-Strom Irland angucken. Topcase auf´s Motorrad, und los geht es, raus aus Fisherman´s Village und rein ins Land!
Von Dooey, wie die Ansammlung von Häuschen am Ende der Welt eigentlich heißt, fahre ich gen Süden und über eine Bergkette hinweg, und hier stockt mir schon das erste Mal der Atem. Die Berganfahrt an sich sieht schon geil aus, aber richtig toll ist der Anblick des Sees, der oben in den Berg eingebettet ist.
Nach der Bergkette geht es nach Osten, erst durch den Ort Letterkenny, und dahinter liegt dann Londonderry.
Plötzlich meldet sich Anna in meinem Ohr und weist darauf hin, dass wir gerade eine Landesgrenze queren. Hä? Hier schon? Wo denn?
Tatsächlich. Zwischen einem Reifenhändler und einer Brache steht ein einfaches Schild, das darauf hinweist, dass ab hier wieder in Meilen pro Stunde gefahren wird. Kein “Willkommen in Nordirland! Jetzt sind sie wieder in UK, dem Land der Fantasiewährungen!”, kein “Sie passieren gerade die Außengrenze der Europäischen Union und sind im Begriff eine Zeitreise von 30 Jahren in die Vergangenheit zu machen” – einfach nur dieses simple Schild.
Soso, Nordirland also. Na dann. Es geht weiter nach Westen, über mit verwaisten Baustellen gespickte Straßen und vorbei an Orten, deren Namen ich aus Stephen King Romanen kenne, wie Derry oder Castle Rock. Sind viele Iren nach Maine ausgewandert? Vermutlich. [Anmerkung des Zukunfts-Silencers: Ja, sind sie.]
Einhundertfünfzig Kilometer und zweieinhalb Stunden nach dem ich losgefahren bin, komme ich durch den Ort Bushmills. Hier ist alles geschmückt, sieht aus, als ob eine Parade ansteht.
Ein paar Kilometer weiter geht es an die Küste, und die Dichte des Verkehrs und die Anzahl an EXTREM langsam fahrenden Autos zeigt schon, dass hier wieder ein touristischer Hotspot sein muss.
Die Straße endet auf einem Grundstück, auf dem man sich entscheiden muss: Nach links, zu einem Hotel oder nach rechts, auf einen Parkplatz. Nach links ist eine lange Autoschlange, und ich entscheide mich für den Parkplatz – ein Motorrad findet immer eine Lücke, oder?
“Haben sie eine Reservierung?”, fragt der junge Parkwächter in der Uniform des National Trust. “Öh, nein”, sage ich, und der Junge nickt und zeigt mit dem Finger in die Ferne. “Dann möchten sie eine Schleife fahren und den Parkplatz wieder verlassen. Gucken sie beim Hotel, ob sie da einen Parkplatz kriegen, die nehmen einen Zehner.”
“Wann darf man denn hier parken?”, frage ich. “Nur mit Reservierung oder wenn sie ein Ticket für das Besucherzentrum haben”, sagt der Junge. “Also kann ich jetzt hier parken, wenn ich nur im Nachgang ein Ticket im Besucherzentrum kaufe?”, frage ich. Der Mann überlegt und rubbelt sich an der Nase rum, dann sagt er “Ja, das ginge”. “Und das kostet…”, ich gucke auf ein Schild neben der Einfahrt, “…dann 15 Euro?”, frage ich. “Pfund. Fünfzehn Pfund”, sagt der Parkwächter. Ach ja, Fantasiewährungen… “Okay, machen wir so”, sage ich und fahre weiter.
Tatächlich findet sich zwischen zwei schlecht geparkten Autos eine Lücke, in die kein PKW mehr passt, in die ich Barocca aber problemlos hineinkriege. So ohne Koffer ist die ja richtig schlank.
Ich schließe den Helm ein und laufe die Treppen zum Besucherzentrum hinauf. Ist wieder typisch Irisch: Der Besuch der eigentlichen Sehenswürdgkeit ist kostenfrei, aber der Parkplatz und das Besucherzentrums kosten richtig Kohle. WTF.
Na, egal. Ich kaufe halt das ominöse Ticket, renne durch das Besucherzentrum durch und folge dem Weg zur Küste hinab. Es ist kurz nach zwölf, und der Weg ist gut frequentiert. Überall wandern Menschen zum Meer hinab.
Ich fange an zu schwitzen. Die Sonne scheint, der Wind geht nicht und wir haben 28 Grad. Heftig. Aber die Küstenlinie ist hybsch.
Nach einem Kilometer bergab bin ich schon am Ziel: Die Menschenmassen klettern hier auf Felsen rum.
Einer keltischen Sage nach wohnte hier ein Riese namens Finn McCool (oder auch Fion mac Cumhaill), und der hatte Beef mit einem schottischen Riesen namens Benandonner.
Um Benandonner so richtig aufs Maul zu hauen, musste Finn nach Schottland. Also riss er Felsen aus der irischen Küste und rammte die Säulen ins Meer, und schuf so einen Damm, über den man zu Fuß zwischen Schottland und Irland hin und her konnte.
Dann forderte er Benandonner zum Duell, und der machte sich auf den Weg nach Irland. Da fiel Finn auf, dass es eine blöde Idee gewesen war, sich erst beim Bau des Damms zu verausgaben und sich dann auch noch zu prügeln. Er jammerte seine Frau mit seinem Muffensausen voll, und die sagte: “Keine Bange, ich kümmere mich drum. Verkleide du dich als Baby und leg dich ins Bett, ich mache den Rest.”
Dann empfing sie Benandonner, bot ihm einen Tee an und erzählte, dass ihr Mann gerade unterwegs sei, aber sicher gleich wieder käme, und Pssst bitte nicht so laut, das Baby schliefe gerade.
Benandonner warf einen Blick auf den angeblichen Säugling und erschrak – wenn das “Baby” schon so groß war wie ein Riese, wie groß mochte dann erst der Vater sein?! Benandonner nahm die Beine in die Hand und flüchtete zurück nach Schottland, den Damm riss er sicherheitshalberhinter sich ab.
Dieser Sage nach sind die Felsen hier die Reste des Damms der Riesen, des Giants Causeways. Ein Blick auf die eigentümlichen Gesteinsformen zeigt auch ganz schnell, wieso sie die Phantasie der Menschen angeregt haben. Die Küste hier besteht aus rund 40.000, meist sechseckigen, Säulen:
Die führen hier ins Meer und kommen in Schottland, in der Finegals Cave, wieder an die Oberfläche.
Die Säulen hat natürlich kein Riese so zugehauen. Sie sind über einen enorm langen Zeitraum entstanden, als Lava von einem nahen Vulkan abkühlte. Trotzdem sind die Formationen bemerkenswert, und mit einer Million Besuchern pro Jahr (vor der Pandemie) ist der Giants Causeway DIE Attraktion in Nordirland.
Mir ist hier zu viel los, ich will hier weg. Es gibt einen Shuttlebus zurück zum Besucherzentrum, dessen Benutzung ein Pfund kostet. Die Warteschlange ist zwar lang, aber ich stehe hier liebe eine halbe Stunde und warte, als das ich jetzt noch in vollen Motorradklamotten bei der Hitze den Berg wieder hochjachtere.
Im zweiten Bus finde ich einen Platz und bin kurz darauf wieder am Besucherzentrum, das ich nun eines Blickes würdige. Ein paar Lehrfilme werden gezeigt, mit Animationen zur Entstehung der Basaltsäulen, und ein Modell des Küstenabschnitts ist ausgestellt.
Der Großteil des Visitors Center ist aber ein Restaurant und ein Souvenirshop, in dem allen möglicher Kram verkauf wird, vom sechseckigen Seifenstück bis zum sechseckigen Kerzenleuchter und anderem Tinneff.
Lange halte ich es hier nicht aus, und so befreie ich schnell die V-Strom vom Parkplatz. Das Ticket wird übrigens nicht mehr kontrolliert, es gibt keine Ausfahrtsschranke und die Parkwächter interessieren sich nicht mehr für einen, sobald man einmal auf dem Parkplatz steht – hätte man kein Ticket, würde man da ja nicht stehen, also muss man eines haben, so die Logik. Egal, vorbei an den Autos, die auch an der Ausfahrt im Stau stehen, und weg hier, zurück auf´s freie Land.
Anna hat in ihrem Speicher eine Strecke, die ich im Vorfeld als “ganz interessant” da reingepackt hatte, nach dem Motto “wenn Du zu viel Zeit hast, guck Dir das mal an”. Da ich so schnell vom Giants Causeway geflüchtet bin und da wenig mehr als eine Stunde verbracht habe, ist nun genügend Zeit für Rumdahmeln.
Ich dahmele nach Osten, vorbei an Wiesen und Feldern und auf die Ostküste von Irland zu. Beim Ort Cushendall wird die Straße auch tatsächlich zu einer Küstenstraße, und was nun folgt, ist wirklich spektakulär. Das hier ist die Küste von Antrim, und die Straße verläuft zwischen dem Meer und teils hohen Felsplateaus – eine Freude für die Augen und in dieser Kombination teils spektakulär.
Immer wieder habe ich extrem langsam fahrende Autos vor mir, und die Küstenstraße ist unübersichtlich und gut befahren, so dass Überholen selten sofort möglich ist. Aber wenn, dann ist es eine Freude. Ein Dreh am Gasgriff und die V-Strom, die heute ja kein Gepäck tragen muss, fängt an zu rappeln, beschleunigt moderat und taucht an den Autos vorbei, um dann weiter geschmeidig über den breiten und makellosen Asphalt zu sausen.
Dreißig oder vierzig Kilometer ist die Küste von Antrim lang, und ich möchte behaupten, dass das hier eine der schönsten Straßen von Irland ist. Herrlich, wirklich. Ich bin fast ein bißchen traurig, als die Küstenstraße in der Hafenstadt Larne endet. Ich biege wieder ins Landesinnere ab und fahre zurück in Richtung Nordwesten. Heute nicht, Larne, wir sehe uns in zwei Tagen.
Eigentlich möchte ich zurück nach World´s End, aber Anna rechnet uns erstmal in eine feine Sackgasse. Obwohl sie explizit keine Fährverbindungen oder Mautstraßen nutzen soll, führt sie uns nach Magilligan Point, von wo aus wir mit dem Schiff nach Malins Head übersetzen müssten.
Darauf habe ich aber gerade gar keinen Nerv, und so drehe ich lieber wieder um und fahre den Weg zurück, den wir gekommen sind. Malins Head, den berühmten Leuchtturm, lasse ich dann aber tatsächlich aus – ich sitze schon acht Stunden im Sattel, wenn ich die Landzunge ansteuere, brauche ich dafür noch drei Stunden mehr.
Das Wetter ist immer noch gut, aber der Wind hat aufgefrischt und reißt am Motorrad herum. Erst kurz vor World´s End lässt das nach, und ich nutze die Gelegenheit und halte auf der Klippe über den Häusern an und hole die Pica, die Elster, raus.
Die Mavic Air summt davon und ich bin wieder erstaunt, wie gut die kleine Drohne selbstständig Windböen kompensieren kann. Sie liefert ein paar spektakuläre Bilder.
Gegen 19:00 Uhr fahre ich zurück und stelle die Barocca in den Windschatten des Cottage ab. Als ich absteige, checke ich kurz die Fahrzeugdaten. Woah, das waren 450 Kilometer heute! Kein Wunder, dass ich so langsam müde werde. Aber dieser Ort hier ist einfach zu schön, um den Tag jetzt schon enden zu lassen. Ich entledige mich schnell der Motorradklamotten und steige in Windbreaker und Trekkingschuhe, dann gehe ich noch ein wenig an der Küste spazieren.
Gisela aus Göppingen übt Hoola-Hoop vor ihrem Wohnmobil, während Manfred gelangweilt in einem Klappstuhl sitzt und versucht eine Zeitung zu lesen, die ihm der Wind immer wieder umklappt. Beides, Reifensport und Zeitungsgedöns, wird vom steifen Wind nicht unerheblich beeinträchtigt und führt zu Fluchereien. Ja, dann haut doch ab – was macht ihr überhaupt hier, am Ende der Welt?
Tour des Tages: Von Dooey aus über Londonderry bis zum Giants Causway, von dort nach Osten bis zur Küste von Antrim und dann in Schleifen wieder zurück, rund 450 Kilometer in achteinhalb Stunden.
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5 Gedanken zu „Reisetagebuch Irland (9): Ein Tag bei McCool´s“
Spitze
Ah, die berühmten Basaltsäulen deutscher 80er-Jahre Fußgängerzonen! Als Kind dachte ich auch immer, dass die menschengemachte ein müssen.
Tolle Ecke. An die Basaltsteine erinnere ich mich auch noch.
Coole.Sache. Schöne Bilder. Danke fürs mitnehmen.😊
Moin Silencer, Check Mail! Wichtig!
Gruss
Lupo