Reisetagebuch Irland (10): Titanic

Reisetagebuch Irland (10): Titanic

Sommertour mit der Barocca durch Irland. Heute mit einer Zeitreise.

Dienstag, 06. Juni 2023, Fisherman´s Village, World´s End

Als ich vor die Tür des Häuschens trete, ist die Welt in Grauschleier gehüllt. Wie Gespenster treiben Nebelfetzen zwischen den Felsen und Cottages hindurch. Tiefhängende Wolken dämpfen das Licht so sehr, dass die Welt keine Farben hat. Unwirklich sieht das aus. Als würde außer den paar Felsen und den drei Häusern nichts mehr existieren. Als wäre überall drum herum das Nichts. Als wäre das hier wirklich das Ende der Welt. Ich ziehe den Reißverschluss der Fleecejacke bis unters Kinn und stapfe hinüber zum Haupthaus.

Die Gespräche verstummen und vierzehn Augen gucken mich an, als ich die grobe Holztür des Frühstücksraums hinter mir in Schloss drücke und am einzigen Einzeltisch im Frühstücksraum Platz nehme. Ich gucke demonstrativ zurück und offeriere die hoffentlich weltweit bekannte Begrüßung aller Küstenanrainer: “Moin!”

Die Horde der graubärtigen Rentner sieht mich an, dann nicken einige und vertiefen sich wieder in ihre Fachgespräche über´s Angeln. Denn dafür sind sie hier – heißt ja nicht umsonst “Fisherman´s Village”, dieses B&B hier am Ende der Welt. Kurz darauf brechen die Herrschaften auf, der frühe Fischer fischt den Frisch. Äh.

Ich mümmele nur ein wenig Cornflakes, denn so toll die Unterkunft hier auch ist, das Frühstück dauert einfach ewig und drei Tage. Ich bin schon dankbar, als ich nach geschlagenen 10 Minuten endlich eine Tasse Filterkaffee bekomme, aber für ein Full Irish Breakfast und die dreiviertel Stunde, die dessen Zubereitung erfordert, habe ich heute Morgen keine Zeit. Heather, die Besitzerin, ist total lieb, aber ähnlich schnell unterwegs wie ein kleines Weinbergschneckchen.

“Am in a hurry, gotta be in Belfast in three Hours”, erkläre ich meinen schnellen Abgang. “With your motorcycle, you´ll make it in two!” sagt Heather und lacht. Nee, nicht bei all den Baustellen, das habe ich ja nun gestern schon ausprobiert.

Heute morgen geht es einen ganz ähnlichen Weg wir am Tag zuvor, über die Bergkette und weg von der menschenleeren Küste. Schnell bleibt der Nebel zurück, und die Sonne kommt raus. Der Bergsee, den ich gestern schon bewundert habe, liegt schon im Sonnenlicht.

Über Landstraßen geht es nach Londonderry, und kurz vor der Stadt noch einmal über die unsichtbare Grenze zwischen der Republik Irland und Nordirland. Hinter der Stadt bekomme ich dann fast wieder einen Koller, weil auch die Nordiren fahren, als hätten sie im Leben nichts mehr vor – Tempo 40 auf der Landstraße, in Kurven gerne mal abbremsen bis fast zum Stillstand. MAN! Sollen ditte?

Ich habe nach kurzer Zeit die Nase gestrichen voll von dem Trauerspiel und steuere die V-Strom auf die Autobahn A6. Bei Tempo 120 dengelt der V-Motor gleichbleibend vor sich hin, und die V-Strom tut, was sie am Besten kann: Kilometer fressen. Auch, wenn die hier Meilen heißen.

Nach rund 190 Kilometern, in denen ich die irische Insel einmal gequert habe und jetzt an der Ostküste bin, wird die A6 zur britischen M2, und dann führt sie hinein nach Belfast. Sofort nimmt der Verkehr noch einmal drastisch zu, aber Anna weist mir mit rechtzeitigen und präzisen Ansagen den Weg durch das Gewühl und leitet die V-Strom und mich erst in die Hafengegend, und dann eine Ausfahrtsrampe hinab bis in die ehemaligen Dockyards.

Der erste Straßenzug nach der Abfahrt von der Hochstraße zeigt die graue Schmuddeligkeit alter Plattenbauten, aber nach einer Abbiegung rollt die Barocca vorbei an modernen, aber leider auch uniformen, beliebigen und völlig identitätslosen Hotelbauten, die um eine neue Veranstaltungsarena entstanden sind.

Das hier früher mal Schiffe gebaut wurden, ist heute nicht mal mehr zu erahnen – das ganze, ehemalige Hafengelände wurde platt gemacht und neu bebaut.

Hinweise darauf, welche Vergangenheit dieser Ort hat, sind gut versteckt. Einer der Passagierdampfer “SS Nomadic”, auf den man von der Straße aus einen Blick erhaschen kann. Etwas lieblos liegt das über hundert Jahre alte Museumsschiff in einem Mini-Dock inmitten einer Rasenfläche.

Unmittelbar hinter der Nomadic liegt das letzte Backsteingebäude, das noch von den alten Dockyards erhalten ist. Im Auge des Betrachters findet das aber kaum Beachtung, weil es von einem dahinter liegenden, ungewöhnlichen und hochmodernen Gebäude überragt wird.


Ich biege in Richtung des modernen Riesengebäudes ab und umrunde es einmal. Auf der Rückseite ist ein Wendehammer und die Zufahrt zu einer Tiefgarage. Über die Rampe steuere ich die V-Strom hinab, bis es an einer Schranke nicht mehr weitergeht.

Neben der Schranke steht eine kompliziert aussehende Apparatur, die mich aus mehreren Kameras beglotzt und mein eigenes Bild auf einem großen Monitor darstellt. Gut sehe ich auf der V-Strom aus, stelle ich fest, aber wo muss man jetzt hier drücken, ziehen oder reiben, damit die Schranke hochgeht?

Plötzlich fliegt eine Tür in der Wand neben der Zufahrt auf, und eine rothaarige Frau stürzt daraus hervor. Sie bewegt sich ein wenig wie ein Pinguin, der es sehr eilig hat: Die Arme zur Seite gestreckt und mit kleinen Schritten und einem schwankenden Gang watschelt sie im Eiltempo zur Schranke, die sie mit einem Schlüssel entriegelt und dann per Hand öffnet. “Motorbikes park for free”, ruft sie und winkt mich durch. Na, das ist ja nett!

Schnell findet die Barocca einen sicheren Parkplatz, direkt vor der Rolltreppe nach oben.

Die Rolltreppe kommt in einem Atrium an die Oberfläche, dessen schiere Größe mich große Augen machen lässt. Der Raum nimmt das gesamte Mittelteil des seltsamen Gebäudes ein, und auch die volle Höhe. Viele Menschen schlendern herum, staunen wie ich oder stehen vor einem der Läden oder Restaurants, die am Rand dieser Riesenlobby liegen.

Ich schaue auf die Uhr. Noch Zeit für einen kurzen Spaziergang um das Gebäude herum. Das ist WIRKLICH groß und gar nicht mal so schön.

Auf dem Boden sind Linien und Markierungen, die irgend etwas abbilden – was genau, kann man vom Boden aus nicht sehen.

Ich gehe zurück in das große Atrium und hole den Audioguide ab, den ich mit meinem Ticket vorab gebucht habe. Der zeigt gleich erstmal eine Karte den Gebäudes.

Jetzt ist die Uhrzeit erreicht, die auf meinem Ticket steht, und nun lassen mich die Mitarbeiterinnen auf eine Rolltreppe, die hoch in den zweiten Stock fährt. Von hier kann ich erkennen, das die Linien auf dem Boden vor dem Gebäude tatsächlich ein Muster bilden, und auch die Steinplatten bilden etwas ab. Eine Weltkarte? Hm.

Und dann macht es KLICK und ich weiß, was ich da sehe: Die Steine bilden tatsächlich eine Landkarte ab, wobei die dunklen Land darstellen und die hellen Wasser. Über allem liegt eine Windrose, und ich blicke gerade von Norden auf Großbritannien, Irland und Frankreich, die stehen also quasi auf dem Kopf. Was sich mir nicht ganz erschließt ist die kurvige weiße Linie, die von Belfast aus nach Südengland führt und dann nach Südirland und danach nach Westen. Die Reiseroute eines Schiffes? Ich zucke mit den Achseln. Werde ich schon noch rausfinden.

Der Beginn der Ausstellung gibt sich alle Mühe, die Besucher zurück in die Zeit um 1900 reisen zu lassen. Aus den Lautsprechern ertönen Straßengeräusche, und Tafeln und Videos klären darüber auf, das Belfast eine aufstrebende Industriestadt war, die vor allem in der Textilindustrie und im Schiffsbau stark war. Das allerdings auf Kosten der Arbeiter, die waren halt billig in Irland und die Arbeit schwer und gefährlich.

Die Werften hatten einen ausgezeichneten Ruf, weswegen u.a. die Reederei White Star Line hier fertigen ließ.

Einer der größten Arbeitgeber war die Werft Harland & Wolff. Die galten als fair, aber äußerst streng – wer zu spät zur Arbeit kam, der stand vor dem verschlossenen Werkstor und bekam keinen Lohn. Das Tor ist Bestandteil der Ausstellung.

Harland & Wolff unterhielt große Planungsbüros, in denen Schiffe auf dem Papier entstanden, runterberechnet bis auf die letzte Niete.

Ab 1908 baute Harland & Wolff in Belfast zwei gigantische Schiffe, die die Codenummern 400 und 401 trugen. Beide entstanden parallel in den größten Slipanlagen, also Rampen, auf denen Schiffe gebaut werden, die es auf der Welt gab. Ein Blick aus dem Fenster zeigt eine Reihe von Masten, die vor dem Gebäude die Umrisse der Slipanlagen nachzeichnen. Und auf dem Boden sind tatsächlich die Umrisse der Decks der beiden Schiffe zu sehen.

Ein Modell zeigt, wie eine Slipanlage aufgebaut war.

Ein anderes Modell macht deutlich, wie groß Schiff 401 im Vergleich zu dem Gebäude war, in dem ich gerade bin.

Bis zu 15.000 Arbeiter schufteten am Bau der beiden Schiffe, teils unter schlimmen Bedingungen. Zum einen war die Baustelle selbst gefährlich, denn die Riesenschiffe waren hoch und die Arbeit auf den Gerüsten schwierig.

Zum anderen war es extrem harte Arbeit. Um einen Niet zu setzen, musste der in einem transportablen Heizofen erhitzt werden, bis er rot glühte. Dann wurde er vom Ofenmann in die engen Zwischenräume und Wartungstunnel geworfen, wo ihn ein Arbeiter mit einer langen Zange aufhob und in ein Loch steckte. Ein zweiter Arbeiter presste den Niet fest an die Wand. Dann musste von der anderen Seite schnell ein dritter Arbeiter so lange draufhämmern, bis der Niet richtig saß. War einer der Beteiligten zu langsam, war der Niet kalt und musste wieder ausgebohrt werden – von Hand, motorbetriebene Bohrmaschinen gab es nicht. Als Teil des Niettrupps erlitt man nicht nur ständig Verbrennungen, weil man mit glühendem Metall beworfen wurde; man wurde auch taub, weil man ständig neben großen Blechen kauerte, auf denen herumgehämmert wurden. Bezahlt wurde nach sauberen Nieten, die von einem Inspektor abends gezählt wurden. Waren die Niete nicht ordentlich, mussten sie ausgebohrt und neu gemacht werden, unbezahlt und nach Feierabend.

Einen Einblick in diese schwere Arbeit gibt ein Ride, bei dem die Besucher zu Viert in einem Wagen sitzen, der durch den Nachbau eines Schiffsteils im Bau schwebt. Dabei bekommt man einen guten Eindruck von der Größe der Metallplatten und der Lautstärke, die damals geherrscht haben muss.

1910 lief Schiff 400 vom Stapel und bekam den Namen Olympic. Das Schwesterschiff, die Nummer 401, folgte im Jahr 1911 und trug den Namen Titanic, und Schiff Nummer 433 mit dem Namen Britannic befand sich bereits in der Vorproduktion. Die drei Schwestern waren die größten Schiffe der Welt.

Die Titanic war zu. Zeitpunkt ihres Stapellaufs nicht mehr als eine leere Hülle. Unmittelbar nach dem zu Wasser lassen wurde sie einmal um die Ecke in ein anderes Dock geschleppt, und in den nächsten acht Monaten bekam sie ihre Maschinen und die Inneneinrichtung. 1912 wurde sie in Dienst gestellt.

Kabinen der ersten und zweiten Klasse sind im Nachbau ausgestellt. White Star hat sich echt Mühe gegeben, dass es auch die Passagiere der niederen Klassen bequem hatten.

1912 ging die Titanic zunächst auf Jungfernfahrt, und zwar von Belfast ins französische Cherbourg, das damals den größten Hafen der Welt hatte, dann ins englische Southampton, bevor sie im südirischen Queenstown letzte Passagiere aufnahm und sich auf den Weg über den Atlantik machte. Hey, lag ich gar nicht schlecht mit meiner Vermutung, was diese Linie auf dem Vorplatz bedeutet!

Ausstellungsstücke künden vom Luxus für die höheren Klassen an Bord der Titanic, wie das feine Porzellangeschirr, dass auf jedem Stück das Logo der Reederei trägt.

Ausgestellt sind auch Briefe und Grußkarten der Passagiere, die von ihren Gefühlen und Hoffnungen schreiben.

Bekanntlich kollidierte die Titanic mit einem Eisberg und soff ab. Die Ausstellung geht auf die dramatischen Stunden ein und beschreibt en Detail, was auf der Titanic und um sie herum schief gelaufen ist, von nicht besetzten Funkräumen und unzureichenden Rettungsbooten bis hin zu Schiffen in der Nähe, die die Notsignale der Titanic für Feuerwerk hielten und nicht zur Hilfe kamen.

Auf einer großen Videowand sind die Namen der 713 geretteten und 1.512 verstorbenen aufgelistet, und an Terminals lässt sich nachschauen, ob vielleicht ein Vorfahre unter den Passagieren war.

Ein ganzer Raum widmet sich der Untersuchungen nach dem Unglück, deren Protokolle an den Wänden hängen.

Nachdrücklicher werden die Auswirkungen des Untergangs der Titanic auf die Seefahrt beschrieben.

Zahlreiche neue Regelungen wurden erlassen, die auch heute noch in Kraft sind. Dazu gehören Geschwindigkeitsbegrenzungen bei Eissichtungen genauso wie neue Vorgaben für wasserdichte Schotten, Vorschriften für die Anzahl der Rettungsboote und die Besetzung der Funkstationen sowie Strafen für Kapitäne, die anderen Schiffen in Not nicht zur Hilfe kommen. So hatte der Untergang der Titanic doch noch sein Gutes.

Es inspirierte auch Menschen wie den Mecklenburger Alexander Behm, der ein Gerät zur Ortung von Eisbergen erfinden wollte. Das bekam er zwar nicht hin, aber seine “fehlgeschlagene” Arbeit fand unter dem Namen Echolot trotzdem Einzug in die Schifffahrt.

Der vorletzte Teil der Ausstellung beschäftigt sich mit der langwierigen Suche nach dem Wrack der Titanic und ihrer Entdeckung im Jahr 1987 durch die Abenteurer Jean-Louis Michel und Robert Ballard. Das Wrack liegt auf 3.800 Metern. Über 5.500 Wrackteile und Einrichtungsgegenstände wurden seitdem geborgen, einige von ihnen sind in Belfast ausgestellt.

Übrigens: Schiff 400, die Olympic, war von 1911 bis 1935 als Passagierschiff im Einsatz und beförderte 430.000 Passagiere über 1,8 Millonen Seemeilen. Sie wurde als Abwrackauftrag ins schottische Jarrow vermittelt, wo ihre Zerlegung die Arbeitslosigkeit lindern sollte.

Schiff 433, die Britannic wurde 1914 in Dienst gestellt und war noch größer und leistungsfähiger als ihre Schwesterschiffe. Sie hatte zahlreiche Modifikationen bekommen, die man als Lehre aus dem Untergang der Titanic gezogen hatte. Wegen des Ausbruchs des ersten Weltkriegs kam sie aber nicht als Passagierschiff zum Einsatz, sondern wurde als als Hospitalschiff in die Ägäis geschickt.

Dort lief sie 1916 auf eine deutsche Seemine und sank in weniger als einer Stunde – denn auch die besten Sicherheitsmaßnahmen, eine doppelt Aussenhaut und mehr wasserdichte Schotten nützen nichts, wenn die Crew aus Bequemlichkeit alles offen stehen lässt und Wasser ungehindert und sogar durch die offenen Bullaugen eindringen kann. Die Britannic gilt als das größte Schiff, das im ersten Weltkrieg versenkt wurde.

Man beachte die sechs großen Rettungsboot-Kräne auf dem Oberdecke, von denen jeder bis zu acht Rettungsboote gleichzeitig aussetzen konnte. Auch eine Lehre aus dem Titanic-Fiasko

Interessant ist in diesem Zusammenhang übrigens die Person der Krankenschwester Violet Jessop. Die überlebte die Versenkung der Britannic, nachdem sie zuvor den Untergang der Titanic überlebt hatte und davor eine Kollision der Olympic mit einem Kreuzer. Das Leben dieser Frau sollte man mal verfilmen.

Beeindruckt verlasse ich nach rund drei Stunden die “Titanic Experience”. In der fensterlosen Ausstellung war ich praktisch abgeschottet von der Außenwelt, und bin tief in die Geschichte der Titanic eingetaucht. Ich habe wirklich verstanden, wie gigantisch das Schiff war und welche Auswirkungen sein Untergang hatte.

Ich mache die V-Strom startklar. An der Ausfahrtschranke kommt wieder die nette Frau herbeigewatschelt und stemmt die Schranke hoch. Beim Durchfahren ruft sie mir nach “have a nice day!”, und dann höre ich plötzlich ein lautes “NOT YOU!!”. Hä? Ich schaue in den Rückspiegel und sehe, dass ein SUV versucht hat, unmittelbar nach mir durch die offene Schranke zu fahren. Die Parkwächterin stellt sich dem tonnenschweren Stadtpanzer mitten in den Weg, zeigt mit dem Zeigefinger und ruft “Not you! Back up!”. Es sieht aus, als ob die kurzgewachsene Frau das riesige Fahrzeug wie einen kleinen Hund ausschimpft.

Die V-Strom donnert über die lange Rampe zurück an die Oberfläche und in das graue Licht des bedeckten Tages. Anna navigiert uns auf dem schnellsten Weg aus Belfast heraus und zum Hafen von Larne. Das Schiff, das ich hier nehmen möchte, fährt zwar erst morgen, aber mir ist das Layout des Hafens nicht klar, und das will ich mir ansehen. Soweit komme ich aber nicht, vor dem Hafen ist ein LKW verunglückt und die Polizei hat alles abgeriegelt.

Na dann nicht. Ich fahre rund 20 Kilometer zurück ins Landesinnere bis zu einem Inn, in dem ich heute ein Zimmer habe. Er liegt an einer Kreuzung und trägt deshalb den Namen “The Five Corners”.

Als ich den Inn betrete, empfängt mich eine gediegene Einrichtung aus altem, dunklen und poliertem Holz.

Wer mich leider nicht empfängt ist die Empfangsdame, die mit dem Rücken zur Rezeption und an einer Bar steht und mit Einheimischen quatscht und es auch nicht hört, als ich laut rufe. Bar und Rezeption sind zwei Tresen, die genau gegenüber liegen. Um zwischen beiden zu wechseln muss sich die Frau nur umdrehen, aber für Gäste liegt die Rezeption im Inn und die Bar im Pub, also in zwei getrennten Räumen. Leicht genervt suche ich den Weg in den Schankraum und bin da gerade angekommen, als die Barbesucher die Empfangsdame darauf aufmerksam gemacht haben, dass hinter ihr ein Gast war.

Jetzt steht sie an der Rezeption, guckt verwundert und ruft “Ist doch niemand hier! Wollt ihr mich verarschen?” ich schnaube und stapfe zurück durch die Tür zwischen Pub und Inn und gehe wieder zur Rezeption, wo die Bedienung sich gerade wieder weggedreht hat und nun erneut an der Bar hängt und quatscht.

Einer der Einheimischen bricht in lautes Gelächter aus und ruft “She´s making you running in Circles, mate”, dann packt er die Bedienung am Arm und dreht sie so, das sie mich auch sieht.

Doris, so heißt die Endvierziegerin mit dem asymmetrischen und wasserstoffblonden Kurzhaarschnitt und den langen, künstlichen Nägeln, ist ein kleines Träumerle. Das merke ich beim konfusen Checkin, aber auch später, als ich im Pub sitze und erfolglos auf eine Bedienung warte. Doris ist offensichtlich stark kurzsichtig und nimmt nichts war, was sich jenseits des Bartresens abspielt, egal ob da jemand direkt im Sichtfeld winkt oder ruft. Am Ende gehe ich zu ihr und frage, ob sie sich wohl in der Lage sieht ein Abendessen zu beschaffen oder ob ich wieder gehen soll. Das erschreckt sie sichtlich, und kurze Zeit später gibt es endlich richtig gut Fish & Chips.

Während ich esse, bollern drei große und laute Motorräder über den Bürgersteig vor dem Pub, eine GS, eine Harley und eine dicke Honda, keine Ahnung ob das eine Silver Wing oder eine PanEuropean ist. Es sind auf jeden Fall alles Boomer-Geröte, laut und teuer. Die Harley fährt das Klappschild vor dem Pub um.

Kurze Zeit später betreten die zugehörigen Boomer den Pub. Es sind drei Männer Ende Sechzig. Sie kommen aus kommen aus Hannover und können kaum ein Wort Englisch. Nachdem sie in die Gaststube gepoltert sind, hocken sie sich an die Bar und machen sofort Stress. Wegen eines Fußballspiels oder sowas bräuchten sie jetzt sofort, spätestens aber in zwanzig Minuten etwas zu Essen, verkünden sie lautstark, und der eine, der ein wenig Englisch kann versucht das zu übersetzen. Doris versteht kein Wort, und der fordernde Tonfall der Deutschen perlt an ihr ab.

Am Ende einigen sich die Hannoveraner und die Blondine auf etwas, was schnell geht und in beider Wortschatz vorhanden ist: “Beer”. Die Szene ist ein wenig simpsonesk.

Der Weg vom Parkplatz zu meinem Zimmer Nr. 5 führt durch enge Gänge und sage und schreibe SIEBEN Türen, von denen fünf Feuerschutztüren sind und dementsprechend schwer aufgehen – mit den Motorradkoffern in den Händen ist das eine ganz schön umständliche Schlepperei.

Es lohnt sich aber: Der Pub selbst ist gediegen und alt, die Zimmer aber in einem Anbau neueren Datums und sehr modern.

Mein Zimmer guckt auf einen Friedhof hinaus. “Ruhige Nachbarn”, denke ich und gehe früh zu Bett.

Mitten in der Nacht (naja, eigentlich um kurz nach 23 Uhr, aber ich bin gerade eingeschlafen) geht direkt vor meinem Zimmer ein Alarm los. Scheiß Harley, denke ich noch. Aber es ist ein Kia, der direkt vor meinem Fenster parkt und dessen Alarmanlage eine halbe Stunde lang in die Nacht heult, bis der Besitzer die Scheißkarre endlich zum Schweigen bringt.

Tour des Tages: Von Dooey über Londonderry nach Belfast (194 Kilometer), von dort nach Larne und zurück zum Inn (60 Kilometer), zusammen rund 255 Kilometer.

4 Gedanken zu „Reisetagebuch Irland (10): Titanic

  1. Ich habe in meinen Koffern Kofferinnentaschen, so dass die Koffer am Motorrad bleiben können und ich die Tschen mit Riemen um den Hals hängen kann und somit auch zur Not beide Hände frei habe. Bei Besichtigungstouren kann ich in den Koffern dann Jacke und evtl. sogar die Motorradhose einschliessen.

  2. Thom: Auch eine gute Methode. Habe ich mich bewusst gegen entschieden. Innentaschen wiegen halt auch etwas und nehmen Platz weg. Die Innentasche, die ich für meine Monokey-Koffer hatte, habe ich irgendwann weg gegeben. Für Stadtrundgäne ist bei mir das Topcase frei, das nimmt den Helm auf. Jacke könnte ich theoretisch mit einem Pacsafe-Netz am Mopped lassen, habe ich aber bislang tatsächlich nie gemacht… ich steh dann immer davor und denke mir: “Will ich die 1.800 euro-Airbagjacke WIRKLICH hier so zurück lassen?”, und dann behalte ich die doch an.

  3. Darum kommt die Jacke auch in einen Koffer. Man sieht nicht, dass was drin ist und kann keine Begehrlichkeiten wecken. Mit einem TC konnte ich mich noch nicht anfreunden und letztes Jahr für Italien haben wir ein Fahrradfaltschloss gekauft, womit wir die Helme angeschlossen haben. Also nicht nur so ein Drähtchen, welches man mit einem Multitool schon durchkneifen kann. Das Gewicht der Taschen ist für mich vernachlässigbar.

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