Sehnsucht
Seit Wochen schiebe ich eine betrübte Stimmung. Doofe Nachrichten häufen sich, meine Augenerkrankung macht mir zu schaffen, aber das allein ist es nicht. Die aktuellen Sehprobleme lassen sich noch korrigieren, das kostet nur Zeit und Geld.
Die dunkelsten zehn Wochen des Jahres liegen gerade hinter uns, und nur ganz langsam werden die Tage wieder länger. Aber auch das ist nicht der Grund für meine grüblerische Laune. Ich bin nicht anfällig für Winterblues. Ich MAG die dunklen, kurzen Tage sogar. Ich mag es, dass wir hier eine eigene Jahreszeit für Einmummeln haben, bei der es keine Schande ist auf der Couch rumzuliegen und zu Lesen oder Videospiele zu spielen oder zu Häkeln oder was man sonst so macht, wenn man viel Zeit im Drinnen verbringt.
Ich hätte eigentlich auch superviel zu tun, eine neue Sprache will gelernt werden, eine Fernreise vorbereitet, das Blog hier müsste umziehen, aber… auf nichts davon habe ich wirklich Lust. Stattdessen mache ich Spaziergänge im Dunkeln und seufze in den Nachthimmel.
Wirklich, ganz seltsame Laune. Ich schleiche durch die Gegend und fühle mich leer. Und ein wenig traurig. Aber warum?
Gestern dann die Erkenntnis: Ich vermisse ganz fürchterlich.
Mir fehlen gerade Dinge und Menschen, die ich zurück- oder ziehen gelassen habe. Das waren ganz viele, kleine Trennungen, jede davon aus ihren Gründen richtig und gut und keine große Sache, aber alle zusammen haben doch ein spürbares Gewicht, das meine Schultern gerade nach unten zieht.
Vieles hört sich trivial an. Zu dem, was ich hier bereits so erzählt habe, gehört zum Beispiel, dass das Legendäre Gelbe Auto weg ist. Oder das hier im ganzen Haus Bautrockner dröhnen, und kommende Woche werden hier Decken und Treppen rausgerissen und dann müssen wir gucken, ob und wie das hier weiter gehen wird. Die Barocca liegt in Einzelteilen in der Garage rum und wird nicht mehr mit mir auf eine lange Reise gehen.
Überhaupt werde ich in diesem Jahr keine lange Fahrt mit einem Motorrad machen. Dadurch, auch das so eine Erkenntnis, werde ich Orte und Menschen, die mir viel bedeuten, frühestens in eineinhalb Jahren wiedersehen. Alles so kleine Verluste, auf unterschiedlichsten Ebenen. Jeder für sich trivial, aber jeder nagt an mir und führt in Summe zu diesem diffusen Gefühl des Vermissens. Es ist, als ob sich eine latente Traurigkeit in die bleiernen Tage eingewoben hat.
Das ist ungewohnt, das kenne ich so von mir nicht. Meine Impulskontrolle ist häufig nicht besonders ausgeprägt. Wenn es mir nicht gut geht, oder ich etwas möchte, oder ich jemanden vermisse, dann setze ich alles daran das zu ändern. Das Gewünschte zu beschaffen, aktiv zu werden, zu handeln. Und sei es nur, dass ich das Vermissen durch Vorfreude ersetze, etwa weil ich eine Verabredung mit der Person in sechs Monaten treffe, oder so.
Gerade geht das alles nicht. Ich kann nichts unternehmen, ich kann nur warten. Ein neues Motorrad lässt sich nicht im Januar Probe fahren (zumal, wenn es noch gar nicht verfügbar ist). Sommertouren, die nicht möglich sind, werden auch durch noch so viel Wollen nicht einfach realistisch. Bei anderen Sachen kann ich gerade die Umstände nicht einfach ändern.
Ich muss mich in Geduld üben.
Manchmal bleibt halt nur das Vermissen.
Oder die Sehnsucht.
Oder beides.
Aber nun. Nachdem ich jetzt weiß, was mir zu schaffen macht, fällt es mir leichter, damit umzugehen.
Das hier ist nur eine Phase.
Die geht vorbei.
Wenn das Warten erst vorbei ist, dann wird das Vermissen verblassen, wie diese fahle Sonne am Winterhimmel. Und vielleicht nimmt dann auch die Sehnsucht ab.
10 Gedanken zu „Sehnsucht“
Geht mir oft auch. Als ich Kind war, stand mein Vater oft lange am Fenster und schaute einfach nach draußen. Ich konnte das damals nicht verstehen und nun mache ich das oft ebenso. Ich verstehe ihn nun. In diesen Momenten brauche ich einfach nur Ruhe für mich selbst…..
“etwa weil ich eine Verabredung mit der Person in sechs Monaten treffe, oder so.”
Hust hust…….
Aber, soll es mich jetzt trösten, daß Du genau das geschrieben hast, was ich seit Wochen, vielleicht schon seit Monaten mit mir rumschleppe?
Ok, trösten vielleicht nicht, aber danke, dass Du diese Worte gefunden hast……auch wenn ich kein zerlegtes Moped in der nicht vorhandenen Garage liegen habe……aber ich kann mit anderen Materialien punkten.
Alles Kacke, nein…aber vieles, Deine Elly.
Du beschreibst das Alles sehr schön und es sind sehr ansprechende Aufnahmen in diesem Beitrag. Es ist schön zu spüren, wie du eine gedrückte Stimmung in etwas kreatives und berührendes verwandelst. Herzliche Grüsse.
Lupo: seltsam, was wir so von den Eltern übernehmen, tief in uns drin…
Hirnwirr: geht also nicht nur mir so
Thomas: Danke, gut analysiert
Was ist der Barocca zugestoßen?
Peter: Das Alter. Sie bekommt gerade alle Reiseteile ausgebaut, dann Rente. 😢
Wir kommen alle mal aus der Spur. Halten Sie durch und lassen Sie keine Depression daraus werden.
Probieren Sie mal diesen kleinen Beethoven, tröstet mich seit Jahrzehnten unfehlbar in Fällen von kurzer oder längerer Traurigkeit und Verlorenheit:
https://www.youtube.com/watch?v=IS30yphoy50
(Bei dieser Aufnahme nicht die Augen zu, die Gefühle im Gesicht des Pianisten sind eine zusätzliche Ermutigung).
Ganz herzlichen Dank, Frau Eckert!
Wie “Das Alter”? Eben noch paar tausend Kilometer, und jetzt? Was hat die Barocca ausgefressen, dass sie zum Abdecker muss?
Lukra: Das erzähle ich ab kommender Woche. Kurzfassung: Sie ist unzuverlässig geworden, was echt der Tod sein kann. Und: Eine Nachfolgerin steht mutmaßlich in den Startlöchern.