Reisetagebuch (4): Sardegna!
Freitag, 22. September 2023, Fähre Allegra, vor der Küste Sardiniens
Die Nacht war unruhig. Die Allegra ist nach dem Ablegen durch das Unwetter vor der ligurischen Küste gefahren, und der Sturm hat selbst das große Schiff ordentlich ins Schaukeln und Rollen gebracht.
Um 07:15 Uhr kommt die Durchsage, dass man bis in einer halben Stunde die Kabinen geräumt haben solle, das Anlegen aber erst um kurz nach 09:00 Uhr und damit eine Stunde später als geplant erfolgen wird. Ich stehe an der Reling und sehe einer der knallbunten Comicfähren von Tyrrenhia zu, die sich mit der Allegra ein Rennen zu liefern scheint.
Warten. Langweilen.
Um Viertel nach Neun werden endlich die Treppen freigegeben, aber anscheinend nur für Parkdeck 3 – ich verstehe die Durchsage nicht ganz, und als ich auf Deck 4 aus dem Treppenhaus latsche, muss ich mich prompt vom Deckspersonal anranzen lassen, das ich hier noch nichts zu suchen habe. Gerade werden die Spanngurte von den Motorrädern entfernt.
Ich drücke mich im Treppenaufgang rum, bis auch Deck 4 freigegeben wird, dann gehe ich zur V-Strom. Die hat die Überfahrt gut überstanden.
Thomas, der neonfarbene GS-Fahrer, steht schon bei seinem Motorrad. “So spät?”, fragt er und grinst. Der ist viel zu gut gelaunt für so früh am Morgen. “War der erste, wurde rausgeschmissen”, grummele ich und wünsche ihm schon mal eine gute Fahrt. Er weiß nicht, dass wir an unserem Ferienort quasi eine Straße auseinander wohnen und uns mit Sicherheit wieder sehen werden.
Anna bootet hoch, das Smartphone hat auch wieder Empfang, und eine Textnachricht rollt herein: “Du kannst kommen, alles bereit”. Nun habe ich gute Laune. Die Nachricht besagt, dass ich nicht den halben Tag irgendwo abhängen muss, sondern direkt die Unterkunft anfahren kann.
Das Ausladen geht ohne Probleme. Ich kenne Porto Torres schon, und folge deshalb nicht der Menge der anderen Fahrzeuge in Richtung Ortsausgang. Die produzieren am ersten Kreisel nämlich schon veritable Staus. Nein, ich gebe Gas, folge der Hafenstraße in den Ort hinein, treibe die V-Strom dann durch ein Gewirr steiler Einbahnstraßen und bin auf diese Weise schneller aus Porto Torres raus als über die Umgehungsstraße.
Die Suzuki heizt über die Landstraße. Zumindest würde ich gerne heizen, aber alle paar Kilometer steht eine Baustellenampel. Hier wird überall Glasfaser verlegt, aber nicht am Stück, sondern längs der Straße überall gleichzeitig – und jede der Dutzenden Baustellen hat eine eigene Ampel. Immerhin: Es wird auch an jeder Baustelle gearbeitet! Breitbandausbau nimmt man hier wohl ernst – anders als in Deutschland, gerade hat mein Heimatlandkreis den Glasfaserausbau wieder eingestellt. Zu teuer.
Nach acht Ampeln bin ich endlich in dem kleinen Küstenort La Ciaccia, und die Barocca rollt auf den Parkplatz von Gli Ulivi, dem kleinen Apartmenthaus am Meer. Hier war ich im letzten Jahr schon, und hier wollte ich unbedingt wieder hin.
Kaum steige ich vom Motorrad, höre ich meinen Namen und ein rothaariger Wirbelsturm rast auf mich zu. “Ciao! Ciao! Come stai!?” ruft der Wirbelsturm und Mariella, Besitzerin von “Gli Ulivi” begrüßt mich freundlich, dann gehen wir gemeinsam zum Appartement.
Sie strackst vornweg und ruft über die Schulter “Ich habe Dir übrigens Kuchen und selbstgemachte Melonen-Pfirsich-Apfel-Limonen-Marmelade hingestellt”, und dann freuen wir uns beide. Ich, weil ich Kuchen und Marmelade mag und weil ich wieder hier bin und plötzlich alles toll ist und sie, weil ich mich freue.
Mariella lässt mich schnell allein und eilt davon. Ich packe gar nicht lang aus, sondern fahre einkaufen.
Als ich durch La Ciacca fahre, kommt hinter mir eine Gruppe GS-en aus einer Einfahrt gerollt. Die Fahrer geben laut knatternd Gas und hängen sich dicht an das Heck der V-Strom. Knallköppe auf GSen, aus DEM Hotel? Das kann ja eigentlich nur…. Ja, das sind sie. Ich sehe es im Rückspiegel schon neongelb leuchten. Auf einer langen Geraden, auf der 50 erlaubt ist und auf der ich schon mit 90 unterwegs bin, überholen die Vögel mit bestimmt 110 Sachen.
Eine der vorbeiziehenden Maschinen ist Thomas´ “Optimus Prime”, und er selbst ist an seinem neonfarbenen Klamotten gut zu erkennen. Die letzte GS baut bald einen Unfall, weil alle Vorderleute sehr knapp einen Fiat überholen, der kurz vor dem letzten Motorrad langsamer wird und nach links blinkt. Kann ja niemand ahnen, dass der dann auch links abbiegen will! Die letzte GS versucht den noch zu überholen, als der Wagen schon nach links zieht. Erst auf Höhe der Hinteren Autotür macht das Motorrad eine Vollbremsung und vermeidet in letzter, aber wirklich in aller, allerletzter Sekunde eine Kollision. Dann gibt der Fahrer sofort wieder Gas und heizt hinter seinen Kumpels her, die natürlich keine Sekunde gewartet haben.
Klar brauchen GS-Fahrer diese ganzen technischen Assistenzsysteme im Fahrwerk und den Bremsen. Ohne die würde es noch mehr Tote unter denen geben.
Empirische Beobachtung: Ein GS-Fahrer mag erträglich sein oder sogar vernünftig sein, aber eine Gruppe von GS-Fahrern gleicht einer Horde triebgesteuerter Affen und ist einfach eine Plage. Egal wann, egal wo. Change my mind.
Nach dem Einkauf im Eurospin wird die Barocca noch vollgetankt. Zufrieden mit dieser Tagesleistung koche ich mir Pasta, probiere zum Nachtisch vom Kuchen (mit Rosinen drin!), falle auf´s Bett und schlafe ein.
Nachmittags regnet es wohl, und auch nicht wenig, aber davon bekomme ich nichts mit – ich verschlafe alles. Abends laufe ich noch bis zum kleinen Superlädchen “Superconcas” an der Ecke und kaufe Olivenöl, um den Spiegel der Barocca von dem dämlichen GNV-Aufkleber zu befreien. Im Ernst, wer verwendet solche Papieraufkleber für Fahrzeuge? Zumal die bei Autos auf die Scheiben geklatscht werden?
In den nächsten drei Tage mache ich kaum etwas anderes als Essen und Schlafen. Das Appartement, das ein wenig runtergekommen und alles andere als luxuriös ist, ist mein zu Hause, und ich lasse einfach körper und Seele baumeln.
Wirklich, ich mache quasi nichts, nicht mal groß Fotos. Habe wohl etwas Ruhe nachzuholen, und das Reisetagebuch weist nur sehr kurze Einträge auf.
Samstag, 23.09.23
Bis Mittags geschlafen. Es stürmt, es hat also keinen Sinn an den Strand zu gehen. Gischt liegt überall in der Luft. Die V-Strom, die auf einem Parkplatz auf einer Landzunge 30 Meter über dem Meer steht, wird von Salzschleiern bedeckt.
“Morgen soll es besser werden”, denke ich und mutze diese Ausrede, um einfach weiter zu schlafen.
Erst am späten Nachmittag fahre ich nochmal einkaufen, und entdecke einen Chinaladen hinter Valledoria.
Das gibt es alles, von Abendkleidern über Badelatschen über Sexspielzeug bis hin zu Autoteilen! Ich kaufe einen Mückenstecker und Nachschubplättchen.
Sonntag, 24.09.23
Wieder ewig geschlafen, obwohl ich gestern schon um 22:30 Uhr ins Bett gegangen bin. Irgendwie habe ich keine Kraft, mehr zu tun als zu schlafen und zu essen. Es gibt Brötchen mit Salami, Straciatellaeis, Bananenjoghurt und Nudeln mit Pesto.
Nachmittags kurz an den Strand, aber trotz wenig Wind klatschen hier die Wellen mit solcher Wucht so auf´s Land, das Baden unmöglich ist. Die warmen Sommernächte verbringe ich auf dem Balkon, lese oder schaue Serien auf dem Notebook.
Montag, 25.09.23
Morgens früh aufgestanden und 58 Minuten zum Korkmuseum gefahren, dort Untersetzer eingekauft und zurück.
Nachmittags Strand, Gespräch Elke und Gisela belauscht.
Abends Castelsardo besucht, aber der kleine Ort ist überlaufen mit französischen Touristen und die Altstadt besteht fast nur aus Touristennepp-Buden.
Dienstag, 26.09.23
Gegen 11:00 Uhr aufgestanden, Melone vor Tür gefunden. Sehr lecker.
Mit der Drohne um eine Nuraghe, einen Steinturm, geflogen. Mittendrin großer Schreck: Drohnenverbindung weg! Zum Glück kehrt die Pica sofort und von allein zurück. Den Flug kann man sich hier im Video angucken.
Nachmittags zwei Stunden Strand, es ist mit 24 Grad angenehm und der Wind geht nicht. Perfekt.
Leider schon letzter Tag. Befreie die Barocca mit einem Eimer Wasser und Lappen vom gröbsten Salz. Die Kruste ist so dick, dass die Salzkristalle in der Sonne Funkeln und die Rückspiegel blind sind. Aluminiumteile fangen an, weiß zu blühen.
Mittwoch, 27.09.23
Von Mariella verabschiedet, dann einmal von der Nord- an die Ostküste gefahren.
Hinter Baro Sardo habe ich einen Bungalow, der unter Eukalyptusbäumen gerade mal 400 Meter vom Meer entfernt liegt. Herrlich!
Donnerstag, 28.09.23
Bis Mittag geschlafen, dann ein wenig geschrieben. Nebenan ist eine Schweizer Familie, die sich lautstark anblökt und Mittags schon Bier trinkt.
Gegen 14 Uhr schließlich an den Strand. Der ist fast menschenleer, vielleicht alle 300 Meter liegt eine vereinzelte Person am Strand. Ich baue meine Strandmupfel auf und stakse dann über den breiten Kiesstreifen auf das Wasser zu.
Unter meinen nackten, weichen Fußsohlen fühlen sich die vom Meer rundpolierten Kiesel wie Legosteine an. Das Wasser ist im ersten Moment kalt und gleichzeitig erfrischend, und als ich hineingleite, juchze und grinse ich wie ein kleiner Schuljunge. Unbeschwert fühlt sich das an, und der Nachmittag ist sehr ruhig und sehr friedlich. Bis die Sonne gegen 18:15 verschwindet, bleibe ich dort.
Freitag, 29.09.23
Die Mücken fressen mich auf, und sie ignorieren völlig das Mückenzeugs, das ich vergangenes Jahr an der Südküste von Sardinien gekauft habe. Vermutlich funktioniert das nicht bei Ostküsten-Mücken. Kaufe neues Zeug in der örtlichen Apotheke. Dann Strand.
Samstag, 30.09.23?
Strand oder so? Keine Ahnung. Tage verfliegen.
Irgendeinen Termin hatte ich aber noch? Ach ja – ich muss nach Cagliari an die Universität. Uh, das ist morgen schon? Wie die Zeit vergeht!
Zurück zu Teil 3: Schweres Wetter
Weiter zu Teil 5: Die anatomischen Wachsmodelle des Clemente Susini
0 Gedanken zu „Reisetagebuch (4): Sardegna!“
In einer Gruppe mitzufahren ist immer „meistens“ schlecht.
Kommt es zum Überholen versuchen die hinteren oft mitzukommen.
Und dabei passieren genau solche schlimmen oft tödlichen Unfälle.
ich fahre schon lange nicht mehr in Gruppen mit.
Einmal war ich mit 2 Kollegen (Streefighter und Superduke) unterwegs.
Da hat der Eine doch tatsächlich den Anderen in einer engen Kurve überholt und greift dem an seinen Lenker und versucht den Schlüssel umzudrehen.
Ernsthaft! So war es.
Ich hatte mich dann freundlich verabschiedet.
Woah gruselig. Ich fahre nur ein Mal im Jahr in einer Gruppe, und die sind zum Glück alle superdiszipliniert.