Reisetagebuch (8): Ghostbusters

Reisetagebuch (8): Ghostbusters

Motorradherbst mit der Barocca. Heute mit Toskana und kleinen Fans der Geisterjäger.

Dienstag, 10. Oktober 2023, irgendwo im Orcia Tal
Erst am späten Vormittag schaffe ich es aus dem Bett. Ist aber egal, mich treibt niemand. Ich muss heute nirgendwo hin, ich muss nur zusehen, dass es mir gut geht. Sonne strahlt durch den Olivenhain vom dem Haus, und es ist herrlich einsam hier, in diesem alten Bauernhaus im Tal von Orcia.

Als mir danach ist, will ich mich auf´s Motorrad schwingen – und stelle fest, dass das mit einem klebstoffartigen Film überzogen ist. Ich hatte die Maschine gestern Abend unter einem Baum geparkt, und der sondert anscheinend klebrige Fäden ab, die sich in einer dicken Schicht auf die Barocca gelegt haben. Igitt!

Genervt hole ich einen Eimer mit warmem Wasser aus dem Appartment und beginne das Motorrad abzuputzen. Das tut ihr ohnehin ganz gut, immerhin trägt sie auch noch eine dicke Schicht aus Salz und Staub, die sich in den vergangenen Wochen angesammelt hat. Die salzige Luft hat auch dazu geführt, dass Aluteile weiß blühen und der Auspuff ein keckes Rouge aufgelegt hat. Warum können japanische Motorräder kein Salz ab? Japan ist doch ein Inselstaat, da hat es doch überall Salzluft!

Als das Motorrad soweit sauber ist, dass ich keine Angst haben muss am Sattel fest zu kleben, fahre ich durch das Orcia-Tal gen Norden. Die Landschaft sieht herbstlich entsättigt aus, aber einfach nur Motorrad fahren macht trotzdem Spaß.


Anna hat nicht viel zu tun, ich kenne hier fast jede Straße und finde meinen Weg nach Siena problemlos. Die Barocca bleibt auf einem der vielen und meist freien Moppedparkplätze in der Viale dei Mille am Stadion zurück, dann zuckele ich zu Fuß in die Altstadt.

Brunos “Bar 900” ist immer noch geschlossen; die wird bestimmt nie wieder öffnen. Warum dann aber das Ladengeschäft seit vier Jahren nicht neu vermietet wurde, ist mir ein Rätsel.

Die Gelateria in der Via Rinaldini heißt in diesem Jahr “Nice”, aber immerhin ist das Eis immer noch so gut wie unter den früheren Namen. Mit einem feinen Becher setze ich mich an den Campo und betrachte das Treiben der Touristen und der Einheimischen.

Wo ich schon in Siena bin, kann ich auch gleich noch in Monteriggioni vorbeischauen. Das Festungsdorf habe ich vor zehn Jahren ständig besucht, jetzt aber schon länger nicht mehr. Geändert hat sich nicht viel, aber das ist bei einem 1.200 Jahre alten Dorf mit 64 Einwohnern auch nicht zu erwarten.

Neu ist lediglich ein Lädchen für Vintage-Schnickschnack in einem der Häuser. Während der Inhaber freundlich mit einigen Touristinnen plaudert, sehe ich, dass er hinter seinem Tresen, abgewandt von den Kunden, ein Meme auf dem Monitor hat. Auf einem Katzenbild schreit eine Katze als Ladenbesitzer zwei unentschlossene Kundenkatzen an mit “Shut the fuck up, buy some shit and get outta here!”. Aha, SO denkt der also über seine Kundschaft. Interessant.

Ich fahre den gleichen weg zurück, den ich gekommen bin, und noch ein wenig weiter in die Crete Senese hinein. Diese Straße führt durch die schönsten Hügel der Toskana.

Auf manchen von Ihnen thronen alte, steinerne Bauernhäuser, und eines hat sogar eine schöne zypressengesäumte Auffahrt. Hier stehen mittlerweile zu jeder Uhr- und Jahreszeit Touristen für ein Foto Schlange und parken dafür sowohl die Straße als auch die Hauseinfahrt voll, während über dem Hügel die Drohnen aufpassen müssen, nicht miteinander zu kollidieren. Ob´s die Hausbesitzer stört? Vermutlich nicht, längst ist auch dieses Anwesen luxussaniert, hat einen Pool und wird in vier Appartements für je mehrere hundert Euro pro Nacht und Gast vermietet.

Ich mag die alten Bauernhäuser entlang der Straße. Die, die noch nicht Spekulationsobjekt sind. Früher habe ich davon geträumt, das hier zu kaufen:

Aber ach, die vielbefahrene Straße daneben ist schon ein dicker Minuspunkt, und seitdem ich weiß, wie schlimm der Klimawandel hier wütet und dass die ganze Region über kurz oder lang zur Wüste werden wird, verbietet sich ein Leben in Südeuropa ohnehin.

Schöner als meine kleine Wohnung zwei Berge weiter sind die auf dem Luxusanwesen auch nicht. Und: Von meinem Berg kann ich über das Tal hinaus- und auf das Luxusanwesen hinabblicken. Hier eine Aufnahme von Pica:

Die Sonne sinkt hinter die Berge, und taucht den Olivenhain wieder in flüssiges Gold.

Nachdem sie ganz weg ist, grüßt in der Ferne der beleuchtete Turm von San Quirico d´Orcia.

Mein Gott, ist das schön. Zum ersten Mal seit sehr, sehr langer Zeit fühle ich die Sehnsucht, diesen Moment und diese wundervolle Spätsommernacht mit jemandem zu teilen.

Also, nicht mit irgend jemandem. Für einen Moment fühle ich mich tatsächlich einsam und seufze in den Nachthimmel.

In genau diesem Moment summt das Handy. Was soll das denn? Wer stört diesen melancholischen Moment?

Dann sehe ich, wer da gerade Sehnsucht nach mir hat, und mir stockt das Herz in der Brust.

Tagestour: Einmal vom Val d´Orcia nach Monteriggioni und zurück, 159 Kilometer.

Mittwoch, 11. Oktober 2023
Ach, hätte ich gewusst wie schön und abgelegen diese Wohnung hier ist, ich wäre länger geblieben als nur zwei Nächte! Aber so heißt es nun schon wieder Sachen packen und weiter geht´s.

Der Weg führt von San Quirico d´Orcia nach Osten, und das ist die schönste Strecke durch die Toskana, die man sich vorstellen kann. Ich kannte sie noch nicht, aber es ist echt genau die eine Straße, die absolut perfekt fotogene Spots aneinanderreiht. Selbst jetzt, wo die Erde gepflügt und alles grau ist, sieht das schön aus. Herrje, sogar der die sanften Hügel, die Bauernhöfe, aber auch eine kleine Kapelle steht malerisch in der Landschaft.

Um kurz nach Acht ist die Sonne noch nicht so lange draußen, und morgendlicher Bodennebel zieht schnell über die Landschaft. Wie ein Zug von Gespenstern sieht das aus. Ich halte am Straßenrand und sehe mir eine Viertelstunde das geisterhafte Schauspiel an, dann steht plötzlich die Sonne anders und die faszinierende Stimmung löst sich genauso schnell auf wie der Nebel selbst.


Über eine Bergkette geht es an der Stadt Arezzo vorbei, und binnen weniger Kilometer quere ich die Grenze von der Toskana nach Umbrien und vorn dort in die Marken. Die Bergstrecke ist klein, aber außergewöhnlich schön und, abgesehen von dem gelegentlich Oppa im 1980er Fiat Panda, absolut leer. Großartig sind die Ausblicke. An einer Stelle kann ich tatsächlich von oben auf ein Tal schauen, dass gefüllt ist mit Wolken.

Die Straße führt an außergewöhnlich schönen Orten vorbei, wie dem alten Kloster San Giovanni Battista bei Urbania, oder der Stadtfestung von Urbino.

Hätte ich noch mehr Zeit, würde ich hier in der Nähe bei La Fenice einkehren, aber meine vier Wochen Urlaub sind fast rum, und deshalb muss ich leider Strecke machen.

Dooferweise mache ich das in die verkehrte Richtung. Anna will uns unbedingt auf die Strecke an der Küste schicken, und ich doof fahre statt noch Norden zunächst nach Süden, und natürlich gibt es auf 10 Kilometer keine Möglichkeit umzukehren.

Dann hangele ich mich durch den Stadtverkehr von Fano zurück und bleibe auf der Schnellstraße. Die ist zwar dicht befahren, aber ich habe Zeit. An Pesaro und Rimini vorbei geht es nach Ravenna. Hier möchte ich das Grabmal Teoderichs ansehen, aber als ich dort ankomme, muss ich feststellen, dass das Eintritt kostet – und darauf habe ich nun wirklich keine Lust. So sehe ich das Grabmal nur über eine Hecke ragen.

Die V-Strom tuckert die Strada Statales durch das Po-Delta, dann durch die hässlichen Industriebauten von Marghera und Mestre, bis ich schließlich mitten im Veneto in die ländlichen Dörfer abbiege.

Kurz statt ich dem Einkaufszentrum in Olmi einen Besuch ab und kaufe ein Kinderbuch und ein Legoset, dann steuere ich das Motorrad zurück nach San Biaggio di Callalta und dort in die gekieste Einfahrt einer 400 Jahre alten Offiziersvilla, die Leser:innen dieses Blogs wohlbekannt sein dürfte.

Seit 2012 komme ich hier immer mal wieder vorbei. Eigentlich fast jedes Jahr. Dadurch habe ich miterlebt, wie sich dieses Haus vom Bed&Breakfast für Versicherungsvertreter zur ersten Adresse der Region für feines Essen und Familienfeste entwickelt hat. Und ich erlebe mit, wie Sara und Francesco, das Betreiberpaar, eine Familie gegründet haben und ihr Sohn nun im Zeitraffer größer wird.

Ich habe gerade die V-Strom auf der Terasse abgestellt, als die Familie vom Einkaufen zurückkommt. Söhnchen Paolo, mittlerweile fast sechs, trägt stolz eine große Spielzeugverpackung vor sich her, hinter ihm kommen Sara und Francesco um die Ecke.

“Meine Güte, ist der groß geworden!”, sage ich zu Sara, nachdem wir uns begrüßt haben. “Du meinst, er ist groß geworden!”, korrigiert sie mich mit einem breiten Lächeln. “Was habe ich gesagt?”, frage ich erschrocken. “Das er fett geworden sei”, sagt Sara. “Nein, bist Du nicht!”, sage ich zu Paolo, aber der hat das gar nicht mitbekommen. Stolz zeigt er mir den Spielzeugkarton. “Ich durfte mir was aussuchen beim Einkaufen! Das hier wollte ich soooo gerne haben! Kennst Du Ghostbusters?”, fragt er. Jetzt grinse ich breit. “Das ist einer meiner Lieblingsfilme!”, sage ich. “Meiner auch!”, ruft Paolo.

Eine ausgiebige Dusche später hat das Restaurant im Erdgeschoss geöffnet. Ich bewundere das neue Logo und die runderneuerte Corporate Design der Villa Maria Luigia. Das wirkt sehr edel und passt zum Anspruch, ein absolutes Feinschmeckerrestaurant zu werden.

“Aber ihr seid jetzt nicht so nobel, dass ich nicht mehr kommen darf, oder?” frage ich besorgt und ernte einen tadelnden Blick von Sara.

Ich bin der einzige Gast, und Paolo rutscht im Gästeraum auf dem Fußboden herum und lässt Ecto-1 zwischen Stuhlbeinen herumkurven. “Kannst Du mir das mal vorführen?”, frage ich. “Na klar!”, ruft er und kommt an meinen Tisch. “Das ist das Auto der Ghostbusters! Gibt es auch von Lego, aber das ist viel zu teuer. Ich mag Playmobil”, sagt er. “Ich auch”, sage ich. “Du, mein italienisch ist nicht gut, kannst Du mir die Worte beibringen? Was ist das hier?”, sage ich und tippe auf ein Teil des Autos. “Du weißt nicht wie das heißt?”, kichert der Sechsjährige und bringt mir dann Begriffe bei wie “Pneumatico” für Reifen bei und “Clacson” für Hupe und “Proiettore” für Scheinwerfer. Dann kommen Vokabeln, die man nicht so oft im Alltag braucht, wie “fantasma” für Gespenst oder “Zaino Protonico” für Protonenrucksack. Wir haben beide Spaß daran.

Als Sara mit einem Teller an den Tisch kommt, zieht sich Paolo sofort zurück und spielt unter einem Tisch mit seinem Geisterjäger-Auto. Was für ein lieber Junge.

Während ich esse, ertönt immer wieder die charakteristische “Ghostbusters”-Sirene unter einem der Nachbartische hervor. Ich sehe den strengen Blick der Mutter, die kurz davor ist, das zu verbieten und rufe “Ha, der Sound meiner Jugend! Ich liebe das Geräusch! Kannst Du das nochmal anmachen, Paolo?” “Klar!” kommt es aus Bodenhähe, und wieder macht es “Wäääääähääääää, Wääääääähäääää”.

Grinsend widme ich mich dem fantastischen Essen.

Tour des Tages: Vom Herzen der Toskana über den Appenin in das Herz des Venetos, rund 512 Kilometer.

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